Der EuGH-Generalanwalt meint, dass die Vorratsdatenspeicherung mit Unionsrecht vereinbar sein kann. Außerdem in der Presseschau: Langenfeld wird neue Verfassungsrichterin und nach Nizza verlängert Frankreich die Notstandsgesetze.
Thema des Tages
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Im Verfahren zur schwedischen und britischen Vorratsdatenspeicherung ist Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen der Auffassung, dass eine generelle Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann. Die Mitgliedstaaten dürften eine solche Speicherpflicht jedoch nur einführen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien – sie darf beispielsweise nur der Bekämpfung schwerer Kriminalität dienen und muss den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten.
Unter anderen stellen die FAZ (Marlene Grunert), die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Anna Biselli) den Inhalt der Schlussanträge dar. Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass das Gericht nicht notwendigerweise den Anträgen des Generalanwalts folgt. In seinem Kommentar fordert Wolfgang Janisch (SZ) ein klares Nein der Luxemburger Richter. Denn sage der EuGH dieses Mal Ja zur anlasslosen Speicherung, dann werde er immer Ja sagen müssen und die geschützten Lebensbereiche würden schwinden.
Christian Rath (taz) befürchtet einen Einschüchterungseffekt durch eine anlasslose Datenspeicherung. Angesichts der Zurückhaltung sowohl beim Bundesverfassungsgericht, das in der vergangenen Woche zwei Eilanträge abgelehnt hatte, als auch beim Generalanwalt seien aber wohl vor allem die zuständigen Juristen eingeschüchtert.
Rechtspolitik
Neue Verfassungsrichterin: Christine Langenfeld wird am heutigen Mittwoch zur neuen Richterin des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ernannt und löst damit Herbert Landau ab. lto.de porträtiert die beiden Juristen, swr.de (Gigi Deppe) stellt die neue Verfassungsrichterin ausführlich vor.
Hasskommentare im Internet: spiegel.de (Fabian Reinbold) beschreibt den Stand der Bemühungen, Hasskommentare im Internet einzudämmen. Im vergangenen Jahr hatte Bundesjustizminister Heiko Maas Facebook, Twitter und Google zur Bildung einer Taskforce verpflichtet, die allerdings bisher wenig Erfolge zeigt. Dagegen würden die Strafverfolgungsbehörden ihr Vorgehen verstärken, allein im ersten Halbjahr 2016 seien 215 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Frauenquote: Im Hbl (Heike Anger) wird die Diskrepanz zwischen den Erfolgsmeldungen der beiden zuständigen Minister Schwesig und Maas und den Einschätzungen von Aktienrechtlern hinsichtlich der seit diesem Jahr geltenden Frauenquote für börsennotierte Unternehmen beschrieben. Die Liste der betroffenen Unternehmen sei mit krassen Fehlern behaftet, stellte Rechtsprofessor Walter Bayer fest. So enthalte sie auch Unternehmen, die gar nicht der Quotenregelung unterlägen.
Ceta: In Bayern habe Aktivisten mehr als 50.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, mit dem die bayerische Landesregierung gezwungen werden soll, im Bundesrat gegen das Handelsabkommen Ceta zu stimmen. Laut taz (Patrick Guyton) soll ab August das Volksbegehren in die Wege geleitet werden.
Justiz
BGH zu Flugverspätungen: Der Bundesgerichtshof hat dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zum Ausgleichsanspruch wegen einer Flugverspätung vorgelegt, so lto.de. Konkret ging es um die geringe Verspätung eines Fluges, auf Grund derer allerdings der Anschlussflug verpasst wurde, so dass die Betroffenen erst 14 Stunden später als ursprünglich vorgesehen am Zielort ankamen. Problematisch ist dabei, dass die beiden Flüge zwar gemeinsam gebucht, aber von unterschiedlichen Lufttfahrtunternehmen durchgeführt wurden.
EuGH zum Bankengeheimnis: In einem Gastbeitrag besprechen die Rechtsanwältinnen Susan Kempe-Müller und Vanessa Wettner (FAZ) eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum Auskunftsanspruch gegen Banken bei mutmaßlichen Rechtsverletzungen durch Kontoinhaber. Im Fall ging es um ein gefälschtes Parfüm, das auf eBay verkauft wurde. Der Rechteinhaber hatte nach einem Testkauf die Bank, über die der Kauf abgewickelt wurde, um Auskunft über Name und Anschrift des konkreten Kontoinhabers gebeten. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass das Interesse des Markeninhabers am Schutz seines geistigen Eigentums und das damit verbundene Recht auf effektiven Rechtsschutz höher wiegt als das Interesse des Kontoinhabers am Schutz seiner persönlichen Bankdaten.
BAG zum Einsichtsrecht in Personalakte: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) weist auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes hin, in der festgestellt wurde, dass kein Anspruch des Arbeitnehmers darauf besteht, auch seinem Rechtsanwalt Einsicht in die Personalakte zu gewähren. Der Arbeitnehmer durfte im Fall allerdings Kopien anfertigen.
EuGH zur Bankenrettung: Die FAZ (Werner Mussler) erörtert eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Beteiligung von Anteilseignern und nachrangigen Gäubigern einer Bank an den Lasten einer Bankenrettung. Eine solche Mithaftung sei zulässig, so die Luxemburger Richter.
BGH zur Ausnutzung eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses: Wie lto.de berichtet, hat der Bundesgerichtshof einen psychiatrischen Gutachter vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses freigesprochen. Eine Staatsanwältin hatte ihm sexuelle Gefälligkeiten angeboten und im Gegenzug Medikamente verlangt. Der Psychiater ist darauf eingegangen und wurde dafür vom Landgericht München verurteilt.
OLG München – NSU-Verfahren: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und die SZ (Annette Ramelsberger) berichten, dass das Gericht im NSU-Verfahren deutlich gemacht hat, dass es hinsichtlich der Tatvorwürfe gegen Ralf Wohlleben die Zeugen, die die Ausführungen der Staatsanwaltschaft stützen, für glaubwürdig hält. Wohlleben soll die Tatwaffe, eine Ceska 83, besorgt haben, der Mitangeklagte Carsten S. habe sie dann an die Terrorzelle übergeben. Mit dieser Waffe sollen die verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen 2000 und 2006 insgesamt neun Menschen umgebracht haben.
OLG Düsseldorf – Loveparade: In einer Petition, die mehr als 350.000 Personen unterzeichnet haben, wird die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die für die Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg vor sechs Jahren Verantwortlichen gefordert, weiß die taz (Ralf Pauli). Das Landgericht Duisburg hatte im April ein Hauptverfahren gegen zehn Angeschuldigte wegen des mangelnden hinreichenden Tatverdachtes nicht eröffnet. Gegen die Nichteröffnung der Hauptverhandlung haben Staatsanwaltschaft und mehrere Nebenkläger Beschwerde eingelegt, das Oberlandesgericht prüft nun den Fall. Die jetzige Petition soll vom früheren Bundesinnenminister Gerhard Baum übergeben werden, dessen Kanzlei Opfer und Angehörige vertritt.
LG-Potsdam – Silvio S.: Im Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder der beiden Kinder Muhammed und Elias hat der Angeklagte sein bisheriges Schweigen aufgegeben und die Familien und Freunde seiner Opfer um Entschuldigung gebeten, berichtet spiegel.de. Die FAZ (Julia Schaaf) beleuchtet kritisch die Arbeit der Verteidigung, eine Verteidigungsstrategie sei nicht erkennbar gewesen und die beiden Rechtsanwälte hätten auffällig wenige Fragen und keinen einzigen Beweisantrag gestellt.
LG Neuruppin – Kindsmord: Die SZ (Verena Mayer) berichtet über einen Prozess vor dem Landgericht Neuruppin. Eine heute 74-jährige Frau soll vor 42 Jahren ihren Sohn mit Gas vergiftet haben.
Recht in der Welt
Frankreich – Ausnahmezustand: Das französische Kabinett hat die erneute Verlängerung der Notstandsgesetze beschlossen. Damit kann die Polizei weiterhin Hausdurchsuchungen zu Tages- und Nachtzeit ohne richterliche Zustimmung durchführen und es können Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt werden. Nach Angaben der FAZ (Michaela Wiegel) sollte der Ausnahmezustand Ende Juli enden, nach dem Anschlag in Nizza wird er jetzt um zunächst sechs Monate verlängert.
Griechenland – Asylrecht: Auf verfassungsblog.de untersucht Natasa Mavronicola, Verfassungs- und Völkerrechtsprofessorin in Belfast, die Frage, ob die acht türkischen Soldaten, die nach der Niederschlagung des Putschversuches nach Griechenland geflohen sind, Anspruch auf Asyl haben. Bei der Beantwortung sei auch die angekündigte Wiedereinführung der Todesstrafe zu berücksichtigen.
Sonstiges
Künast-Tweed: Reinhard Müller (FAZ) weist in Reaktion auf die umstrittene Twitternachricht von Renate Künast darauf hin, dass kein Polizist leichtfertig die Schusswaffe gebrauchen werde. Allerdings würden sich das Sicherheitsgefühl und auch die Erwartungen an die Polizeiarbeit ändern. Dennoch dürften die Grenzen des Rechts nicht überschritten werden. Künast hatte auf Twitter gefragt, warum der Attentäter in Würzburg nicht angriffsunfähig geschossen worden sei.
lto.de (Constantin van Lijnden) fasst die Voraussetzungen zusammen, unter denen der Einsatz von Schusswaffen nach dem Bayerischen Polizeigesetz erlaubt ist.
Gesellschaftsrecht: Mit den Insolvenzregeln innerhalb von Konzernen befasst sich Rechtsanwältin Alexandra Schluck-Amend in der FAZ. Im Falle der Insolvenz einer Tochtergesellschaft im Ausland stelle sich häufig die Frage, ob und inwieweit auf das Vermögen der inländischen Muttergesellschaft oder anderer Gesellschaften aus der Unternehmensgruppe zugegriffen werden könne. Im schlimmsten Fall könne es dabei zu einer Art Dominoeffekt kommen, der die gesamte Unternehmensgruppe in die Krise stürzt.
Verwaltungslegitimation: Jakob Schemel, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität Berlin, befasst sich auf juwiss.de mit dem Verständnis von Verwaltungslegitimation auf deutscher und europäischer Ebene. Er kommt zu dem Ergebnis, dass trotz des Einflusses der europäischen Integration die demokratische Kontrolle der Verwaltung nicht aufgegeben werden darf.
Auslegungstechnik: Bundesrichter Thomas Fischer (zeit.de) befasst sich anhand der Vorschrift zur Fahrerflucht mit den Methoden zur Auslegung juristischer Vorschriften.
Datenschutz: Der frühere Bundesinnenminister Gerhard Baum sieht in seinem Gastkommentar im Hbl den Datenschutz in Zeiten der Digitalisierung nicht nur nicht als Hindernis sondern sogar als Standortvorteil und Verkaufsargument für die Wirtschaft. Der Schutz der persönlichen Freiheit als Grundlage der Demokratie und eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Entwicklung sind Ziele, die alle Anstrengungen wert seien.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2016: Vorratsdatenspeicherung / Neue Bundesverfassungsrichterin / Künast-Tweed . In: Legal Tribune Online, 20.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20056/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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