Statt des klassischen Verhörs vor Gericht befragen Anwälte in den USA Zeugen häufig bereits vorab. Werden diese sogenannten depositions später verwendet, sind sie als Teil der Verfahrensakten öffentlich. Einige haben es im Internet zu Kultstatus gebracht. Ein Best Of der cholerischsten Anwälte, hochnäsigsten Zeugen und peinlichsten Prominenten - mit dabei: Lil Wayne und Justin Bieber.
Als Rapper ist Lil Wayne um bissige Ansagen nicht verlegen, und die eine oder andere hat er sich für seine Zeugenbefragung aufgespart. Offenbar ist ihm der Fragestil seines Gegenübers zu schwerfällig: Nachdem die Parteien eine Aufnahme eines früheren Interviews mit Katie Couric gesehen haben, will der Anwalt von Lil Wayne wissen, ob er das besagte Interview tatsächlich gegeben habe. Statt einer Antwort reagiert Wayne mit einer Gegenfrage: "What's your name again?", und anschließend, auf den Fernseher zeigend: "Well, Pete Ross, that's a stupid-ass question. You just saw me on there giving that interview with her."
Der Ton wird mit der Zeit nicht freundlicher. Nachdem der Justizbeamte Lil Wayne auffordert, den Anwalt ausreden zu lassen, richtet sich der Rapper mit Worten, die man eigentlich nur als Drohung verstehen kann, an sein Gegenüber: "You know he can't save you, right? In the real world. That guy right there. He can't save you in the real world. Just so you know."
Zum Ende des Gesprächs hin überkommt Dwayne Carter Jr., wie Wayne mit bürgerlichem Namen heißt, dann offenbar eine spontane Demenz: Auf rund ein Dutzend Fragen, an die sich wirklich jeder erinnern müsste, darunter solche nach eigenen Verurteilungen und Gefängnisaufenthalten, gibt es von ihm nur Variationen eines patzigen "I don't recall" zu hören.
Weit gebracht hat ihn seine Strategie allerdings nicht. Das Verfahren gegen Quincy Jones III, in dessen Rahmen die Befragung stattfand, verlor Lil Wayne mit Pauken und Trompeten. Der Rapstar hatte Jones verklagt, weil er sich in dessen Dokumentation "The Carter" falsch dargestellt fühlte und außerdem meinte, der Dokumentarfilmer habe seine Musik unerlaubterweise genutzt. Das Gericht schloss sich dem nicht an. Im Gegenteil wurde Wayne in einer Gegenklage verurteilt, 2,2 Millionen Dollar an Jones zu zahlen, weil er die Veröffentlichung des Dokumentarfilms zunächst verhindert hatte.
Eine Vernehmung ist eigentlich nicht der richtige Ort für Witzeleien, aber ein flotter Spruch kann die förmliche Atmosphäre sicher ein wenig auflockern – zumal, wenn das Gegenüber bislang noch nie mit der Justiz zu tun hatte. Der Anwalt in diesem Fall hatte also sicher die besten Absichten, als er bei dem Zeugen, der hauptberuflich als Arzt tätig ist, nachfragte, ob sein "juristisches Jungfernhäutchen [durch diese Befragung] durchstoßen wird".
Es folgen zwei Sekunden des betretenen Schweigens, anschließend allseitiges Gelächter angesichts des Spruchs, der mehr durch Derbheit als durch Witz glänzt. Der Zeuge selbst setzt jedoch noch einen drauf, indem er antwortet, es fühle sich eher so an, als werde sein "juristisches Rektum gedehnt". Immerhin münzt er das Bild des Anwalts damit treffend um: Tatsächlich freut sich wohl kaum jemand, im Rahmen einer deposition verhört zu werden, und so mancher Zeuge, der sich den endlosen Fragen der Anwälte stellen muss, mag das Gefühl haben, er werde dort vom Justizapparat vergewaltigt…
Wer Lil' Wayne gedanklich schon als den unleidlichsten Entertainer verbucht hat, der je einem Anwalt Rede und Antwort stehen musste, der hat das Video von Justin Bieber noch nicht gesehen. Während Wayne sich wie ein Höhlenbewohner hinter die Kapuze seines Hoodies zurückzog und aus Lauerstellung giftete, scheint Bieber den Verhörsaal als erweiterte Bühne zu verstehen, und inszeniert sich selbst in fifty shades of douchebag, vom sterbenden Schwan bis zum eitlen Gockel.
Anlass des Verfahrens war ein Angriff auf den Fotografen Jeffrey Binion durch Biebers Bodyguards, und, so zumindest der Vorwurf, auf den ausdrücklichen Wunsch des Teenie-Idols. Zur Klärung des Sachverhalts trägt Bieber allerdings herzlich wenig bei. Stattdessen ist er damit beschäftigt, seinen Kragen zurechtzurücken und der Kamera zuzuzwinkern, als sei sie ein weiblicher Groupie, der mit einem Abenteuer in seinem Tourbus liebäugelt.
Als der Anwalt Mark DiCowden ihn jedoch tatsächlich auf seine Liebschaften anspricht, scheint bei Bieber ein wunder Punkt getroffen. Auf die Frage nach seiner Beziehung zu Schauspielerin und Sängerin Selena Gomez vergräbt er erst sein Gesicht in den Händen, um dann mit erhobenem Zeigefinger und der geballten Bedrohlichkeit eines schlaksigen 20-Jährigen sechs Mal zu wiederholen: "Don't ask me about her again."
Das Video enthält zahlreiche weitere Highlights, von denen man meinen sollte, sie würden auch den letzten Bieber-Fan vergraulen, und ist Gegenstand einer sehr gelungenen Parodie geworden. Der Prozess des Fotografen gegen Bieber läuft übrigens noch, mit einer hohen Strafschadensersatzzahlung ist nach einem Zwischenurteil der Richterin aber nicht zu rechnen.
Wo Rechtsanwalt Tony Buzbee herkommt, ist schon anhand seines Akzents kaum zu überhören. Knappe drei Minuten grillt er den Zeugen, einen Vertreter des Energiekonzerns BP, bezüglich unwahrer Behauptungen, die dieser in diversen Blogs (in Buzbees Aussprache: Blooogs) getroffen haben soll.
Das passt dem BP-Anwalt nicht, der sich zum Ende hin in das Verhör einschaltet. Oder bessergesagt: einzuschalten versucht, denn er hat noch keine zwei vollen Sätze gesprochen, als Buzbee ihm über den Mund fährt: "If you represent him, stand over there and represent him. But otherwise, be quiet." Als sein Gegenüber der Aufforderung nicht Folge leistet, lässt Buzbee, übrigens einer der erfolgreichsten amerikanischen Wirtschaftsanwälte, die Colts erst so richtig knallen:
Ob er für den Bau seiner Hütte zuvor eine Erlaubnis eingeholt habe, will der Anwalt von dem Zeugen wissen, der in Aussehen und Auftreten auch auf dem Weg zum Casting für einen Gangster-Streifen sein könnte. Dieser holt darauf zu einer langen und emotionalen Rede aus, die alles Mögliche beantwortet, nur die Frage nicht. Der Anwalt hakt recht unbeeindruckt nach: "Was that a yes or a no?", und kriegt die Antwort förmlich ins Gesicht gespien: "It was a fuck you!". Viel geholfen haben wird ihm seine Aussage zwar nicht – aber wenn es einen Preis für die kaltschnäuzigste Abfuhr gäbe, hätte dieser Herr ihn ohne Zweifel gewonnen.
Bei diesem Video, in dem unter anderem der für seine Emotionalität bekannte amerikanische Anwalt Joe Jamail zu hören ist, kann man sich stark an jenes von Tony Buzbee erinnert fühlen. Auch hier streiten texanische Anwälte darüber, wer sich an welchem Punkt der Vernehmung einschalten darf, auch hier muss sich ein gigantischer Konzern (Monsato) verantworten, und auch hier fliegen bald die Fetzen, allerdings in und aus sämtlichen Richtungen.
Schon der Zeuge, ein Mitarbeiter des Konzerns, ist durchaus auf Krawall gebürstet, wenn er etwa auf den Hinweis, dass er eine Antwort auf eine Frage gegeben hat, die nicht gestellt worden sei, spitz retourniert: "I said it though, didn't I?". Doch seine Ausbrüche verblassen vollends gegen den Schlagabtausch, den die Anwälte sich bald darauf liefern, und der an einem Punkt tatsächlich droht, vom Verbalen ins Physische zu kippen. An dieser Stelle fragt der Zeuge mit einem gewissen, altherrenhaften Charme nach: "Are you threatening to fight? […] I wanna know whose side you're on". Und kurz darauf, leicht besorgt: "We're gonna be outnumbered, Ed".
Dazu kommt es dann zwar doch nicht, aber Zoten hauen die unprofessionellen Prozessvertreter sich noch so einige um die Ohren. Nicht für Zartbesaitete:
Jeder kennt das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, aber nicht so recht zu wissen, was. So geht es offenbar auch einem der Anwälte in dieser deposition, der deshalb noch einmal seine Notizen durchgehen will. Kein besonders ungewöhnliches Ansinnen, sollte man meinen. Doch die erhoffte Denkpause will ihm der gegnerische Anwalt nicht gönnen: Wann immer für einen kurzen Moment Ruhe einkehrt, spöttelt er über die fehlende gedankliche Organisation seines Gegenübers. Dieser geht auf die Provokationen natürlich ein, und kommt so erst recht nicht auf die gesuchte Frage. Schlecht für ihn, aber amüsant für den Zuschauer:
Das Video, das sich nicht auf anderen Seiten einbetten lässt, gibt es hier zu sehen
Der großartigen Nachverfilmung der New York Times dieser im Original nur in Textform vorhandenen Zeugenvernehmung hatten wir bereits einen eigenen Beitrag gewidmet. Eine gefühlte Ewigkeit lang versucht der Anwalt, dem Zeugen eine Antwort auf die Frage zu entlocken, ob es in den Büros seines Arbeitgebers einen Kopierer gebe. Die Ermittlung dieser nur vermeintlich simplen Tatsache erweist sich als außerordentlich kompliziert, weil der Befragte sich nicht entblödet, auch die offenkundigsten Dinge in Zweifel zu ziehen und die bedeutungslosesten Distinktionen zu Streitpunkten zu erheben. Als er nach fünf Minuten noch immer keine Antwort erhalten und stattdessen technische Feinheiten und semantische Unwägbarkeiten des Wortes "Kopierer" ausdiskutiert hat, holt der Anwalt zu einer im Schreiton vorgetragenen Wutrede aus, die sein Gegenüber – endlich – die gewünschte Auskunft ausspucken lässt:
Constantin Baron van Lijnden, Acht sehenswerte Zeugenbefragungen: "Was that a yes or a no?" - "It was a fuck you!" . In: Legal Tribune Online, 26.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13309/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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