Sie sind kreativ, ehrgeizig und anspruchsvoll. Das Versprechen auf ein hohes Gehalt jedenfalls reicht nicht mehr aus, um Berufseinsteiger in eine der großen Wirtschaftskanzleien zu locken. Viele entscheiden sich beim Berufsstart für eine kleinere Einheit. Oder gründen gleich selbst ihre eigene Kanzlei.
Angenehme Kollegen, flache Hierarchien und anspruchsvolle sowie abwechslungsreiche Arbeit. Realistische Partnerchancen und die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen. Akzeptable Arbeitszeiten und frühzeitiger Mandantenkontakt. Diese Wunschliste von Dr. Bijan Moini hätte eine Großkanzlei nur schwer erfüllen können. Doch das wusste der 30-Jährige bereits vor seinem Berufseinstieg. Als Referendar und wissenschaftlicher Mitarbeiter hatte er die Law Firms hautnah kennengelernt – und entschied sich beim Berufsstart für eine mittelgroße Kanzlei. Seit 2014 ist Moini Associate bei Lindenpartners in Berlin.
Die Jura-Absolventen haben sehr genaue Vorstellungen davon, was sie von ihrer Arbeit als Anwalt erwarten. Denn sie wissen, dass die Partnerchancen in Großkanzleien verschwindend gering sind und das Gehalt zwar hoch, die Freizeit aber dafür umso kürzer ist. "Gegen eine Großkanzlei spricht vor allem deren Größe. Großkanzleien erfordern riesige Verwaltungsapparate und sind dadurch unflexibel", findet Moini. "Der Alltag für Berufsanfänger dort ist das Backoffice. Man hat keinen Gestaltungsspielraum und wird zu allererst einmal zum Spezialisten - ohne die Chance auf eine umfassende Ausbildung auch jenseits des streng Juristischen."
Dem Großkanzlei-Anwalt eilt ein Ruf voraus, der aus den Neunzigern stammt: eine steile Karriere, das große Geld, High-End-Mandate, Ansehen und Prestige. Aber die Vorstellungen der Berufseinsteiger haben sich gewandelt. Heute zählt Familienfreundlichkeit mehr als der dicke Bonus, ein ausgewogenes Verhältnis von Freizeit und Arbeit wiegt stärker als das Hochglanzbüro. Das haben zwar auch die Kanzleien erkannt und versuchen, mit Teilzeit-Angeboten und Alternativen zum Partnertrack bei den Bewerbern zu punkten. Viele Berufseinsteiger haben dennoch den Eindruck, dass ihre Wünsche nach besserer Work-Life-Balance belächelt oder einfach weggewischt werden.
Von oben verordnetes Feierabendbier
Sozietäten mit einem modernen Verständnis von Arbeit sucht man mitunter lange. Fängt man aber in der Mitte Berlins an, wird man schnell fündig. Bei Lindenpartners arbeiten rund 35 Anwälte, etwa die Hälfte von ihnen sind Partner. Der Frauenanteil ist höher als anderswo, die Kanzlei präsentiert sich auf ihrer Homepage im urbanen Betonschick. "Wenngleich in einer Großkanzlei das Arbeitsniveau häufig sehr hoch ist, sind dort der Initiative eines Berufsanfängers sehr enge Grenzen gesetzt", sagt Moini, der im Öffentlichen Wirtschaftsrecht tätig ist. Ihm gefällt bei Lindenpartners vor allem das eigenverantwortliche Arbeiten: "Hier sitzt man nicht jahrelang im Hinterzimmer und hat kaum Mandantenkontakt, im Gegenteil. Ich wurde bereits zu Beginn meiner Tätigkeit an die vorderste Front eines sehr komplexen Falls gesetzt, den ich unter den Augen zweier Partner aktiv mitbetreut habe. Mit allem, was dazu gehört."
Neben dem Vertrauen, das die Partner bei Lindenpartners ihren Mitarbeitern offensichtlich in hohem Maß entgegenbringen, steht Kollegialität bei den Berufsanfängern hoch im Kurs. Doch die kommt in einer streng hierarchisch geprägten Umgebung nur schwer auf. Es fühlt sich eben anders an, wenn die Anwälte ihr Feierabendbier spontan in einer Kneipe um die Ecke trinken und nicht darauf warten, dass die Großkanzlei zu einem spektakulären Event einlädt, wo man sich auf Knopfdruck - und Kanzleikosten - amüsiert.
2/2: Das Wichtigste: die eigene Branche finden
Sein Feierabendbier nahm Lukas Assmann zu Beginn seiner Karriere ohne Kollegen zu sich. Denn er hatte keine. Der heute 30-Jährige gründete 2011 seine eigene Wirtschaftskanzlei, direkt nach dem zweiten Staatsexamen. "Der Trend geht weg von der Großkanzlei, hin zu kleineren Sozietäten", glaubt Assmann. Und deutet auf einen Widerspruch hin: "Die Absolventen wollen sich nicht mehr ausbeuten lassen. Es fehlt ihnen aber oft der Mut, sich selbständig zu machen." Der gebürtige Münchener hat den Sprung gewagt.
Der Traum vieler angestellter Anwälte: der eigene Chef sein. "Mir war es egal, wie viel mehr Geld ich nach 20 Uhr verdienen würde. Viel wichtiger war für mich, dass ich nach 20 Uhr nicht mehr arbeiten muss", sagt Assmann. Doch solche Arbeitszeiten sind bei den großen Wirtschaftskanzleien eine Seltenheit, zumindest für Berufseinsteiger.
"Der Sicherheitsgedanke überwiegt weiterhin. Spin-Offs von Großkanzleien sind nach wie vor die häufigste Art, eine neue Kanzlei zu gründen. Doch es selbst zu versuchen, das trauen sich die Wenigsten." Er hat bewiesen: Es geht auch ohne jahrelange Berufserfahrung, einen festen Mandantenstamm und einen Haufen Gespartes. "Die Gründung selbst ist kein Hexenwerk", ist Assmann überzeugt. "Schwierig ist dagegen die Frage: Wie finde ich meine Branche? Die Spezialisierung ist äußerst wichtig, wenn man sich am Markt etablieren möchte."
Dynamische Rechtsgebiete ohne Platzhirsche
Assmann hat sich im Bereich Energiewirtschaftsrecht positioniert. Genauer: Erneuerbare Energien. Der Markt der Energiewirtschaft ist seit dem 1. April 2000 im Umbruch. Damals wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt, um den Ausbau der Regenerativen Energien voranzutreiben. Assmann profitierte davon, dass die Rechtsprechung noch relativ jung war, als er 2007 begann, in diesem Bereich neben dem Studium zu arbeiten. Das Geschäft lief so gut, dass Assmann 2012 Dr. Max Peiffer dazuholte. Sie gründeten die Sozietät AssmannPeiffer und stellten im Jahr darauf bereits einen weiteren Anwalt ein.
"Da es sich um ein relativ neues Rechtsgebiet handelt, gibt es hier keine Platzhirsche, die die Kompetenz bereits seit Jahrzehnten für sich beanspruchen", erzählt Assmann. Es gibt viele Kanzleien, die in der Energiewirtschaft beraten. Aber sie sind dem jungen Anwalt im Bereich des EEG nicht viel voraus.
Das ist sein Vorteil, denn Unternehmer mandatieren ihn, obwohl er zuvor nicht jahrelang in anderen Kanzleien gearbeitet hat. "Der Glaube, gute Rechtsberatung entstehe erst nach vielen Jahren als Anwalt, hält sich hartnäckig", sagt der Kanzleigründer. "In einem dynamischen Rechtsgebiet müssen vielmehr die Grundlagen solide sein, dann kann man jede neue Herausforderung annehmen." Er hat gelernt, dass tägliche Praxis genügt, um sich die Dinge selbst beizubringen. Auch wenn der Weg zur Lösung mal etwas länger dauert.
Gründerkultur statt Großkanzlei-Alltag
Assmann hatte vielleicht auch das Glück, dass in seinem privaten Umfeld zuvor das Start-Up-Fieber ausgebrochen war. Sein Bruder war zu dem Zeitpunkt bereits Geschäftsführer des jungen Biogasunternehmens Landwärme GmbH. "Ich habe Landwärme neben meinem Studium rechtlich mit aufgebaut und dadurch viel Praxiserfahrung gesammelt", erzählt Assmann. "In den Wirtschaftswissenschaften liegt ein Ausbildungsschwerpunkt auf der Gründung von Unternehmen einschließlich Businessplan und dergleichen. Im Jurastudium kennt sich damit keiner aus." Seine Mandanten sind kleine und mittelständische Energieunternehmen mit ebenso jungen Geschäftsführern und deren ambitionierten Wünschen, neue Märkte zu erschließen.
Dieses Aufbruchsgefühl durchzieht zwar einen großen Teil der deutschen Wirtschaft, aber die Rechtsberatung scheint davon weitgehend ausgenommen. "Juristen sind grundsätzlich risikoavers", findet Assmann. "Sie gehen methodisch immer vom 'Störfall' aus und sind deshalb von Berufs wegen Bedenkenträger. Im Gegensatz dazu sind BWL-er wesentlich offener für neue Geschäftsideen."
Insbesondere die Großkanzleien treiben selbst nur selten Innovationen voran. Und wenn neue Ideen umgesetzt werden, kommen diese im Normalfall nicht von den jungen Berufseinsteigern. "Wer die Gründer-Kultur erleben möchte, der geht zu einem Spin-Off, zu einer jungen Kanzlei oder zu einer, die selbst viele Start-Ups berät. Aber sicher nicht zu einer Großkanzlei", sagt Moini. Ein weiteres Argument, welches den Anwalt aus Berlin weg von den Großkanzleien trieb.
Dass eine junge Einheit auch für erfahrene Anwälte eine ernstzunehmende Alternative sein kann, zeigt AssmannPeiffer. Die jungen Partner bekommen in diesem Jahr Verstärkung von einem Kollegen, der sein 60. Lebensjahr bereits überschritten hat und als Of Counsel dazu kommt. Dessen Kommentar zum Eintritt: "Euch muss ich nichts mehr beibringen; ich bringe nur mein Spezialwissen ein.
Désirée Balthasar, Anwalts-Startups: Hat die Großkanzlei ausgedient? . In: Legal Tribune Online, 21.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14443/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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