Die Strafnorm über die Verletzung von Privatgeheimnissen hatte wenig mit der Art zu tun, wie Anwaltskanzleien heute funktionieren. Die nun verabschiedeten Änderungen geben mehr, wenn auch nicht absolute Klarheit, meint Niko Härting.
Wie kaum ein anderer Sozialdemokrat glaubt der scheidende Bundesjustizminister Heiko Maas fest und unbeirrt an die Kraft des Strafens. Zum Schluss seiner Amtszeit hat sein Ministerium noch eine Reform des § 203 Strafgesetzbuch (StGB) auf den Weg gebracht. In der Norm geht es um die Verletzung von Privatgeheimnissen durch spezielle Berufsträger, darunter auch Rechtsanwälte. Die am vergangenen Freitag vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzesänderungen sorgen für mehr Rechtssicherheit in der arbeitsteilig organisierten Anwaltskanzlei.
§ 203 StGB stellt die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht unter Strafrechtsschutz. Der Anwalt, der Dritte unbefugt ein Mandantengeheimnis "offenbart", macht sich strafbar. Schon ein kurzer Blick in gängige Strafrechtskommentare zeigt, dass die Auslegung der Norm mannigfaltige Schwierigkeiten bereitet
Die Gehilfen des Anwalts
Schon die einfache Frage, ob der Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei Einblick in die Mandantenakte nehmen darf, lässt sich nicht einfach beantworten. Eine Befugnis des Anwalts zur "Weitergabe" von Geheimnissen an seine Mitarbeiter sieht § 203 StGB bislang an keiner Stelle vor. Allerdings machen sich "berufsmäßig tätige Gehilfen" und Referendare des Anwalts nach § 203 Abs. 3 StGB selbst strafbar, wenn sie Geheimnisse unbefugt "offenbaren". Dies lässt den Rückschluss zu, dass der Anwalt den "Gehilfen" Mandatsgeheimnisse verraten darf.
Bei den "berufsmäßig tätigen Gehilfen" klingen die Arzthelferinnen und Anwaltsgehilfinnen alter Schule durch. Das Anwaltsbüro der 1970er-Jahre bestand aus dem Anwalt, seiner Gehilfin und einem Referendar. In einem solchen Büro konnte es keine Zweifel geben, dass alle Mitarbeiter Geheimnisträger waren.
Gehilfen im digitalen Zeitalter
Vor ca. 30 Jahren änderte sich das Bild: Anwaltskanzleien beschäftigten freie Mitarbeiter und Studenten, später auch externe Schreib- und Telefonkräfte und in zunehmendem Umfang IT-Dienstleister für die Einrichtung und Wartung der Kanzleiserver und –computer. Beim zunehmenden Outsourcing bereitete die Auslegung des § 203 StGB viel Kopfzerbrechen. Wer als Anwalt auf "Nummer sicher" gehen wollte, verzichtete auf externe Dienstleister, da es immer wieder mahnende Stimmen gab, die das Outsourcing für strafbar erachteten.
Als Anwälte Ende der 1990er Jahre zunehmend begannen, mit ihren Mandanten per (unverschlüsselter) E-Mail zu kommunizieren, vertraten viele Straf- und Berufsrechtler die Auffassung, dies sei strafbar, da E-Mail-Provider keine "berufsmäßig tätigen Gehilfen" des Anwalts seien. Als Anwälte begannen, Cloud-Dienste zu nutzen, entbrannte dieselbe Debatte neu. Bis heute meinen viele Kollegen, der Einsatz von Cloud-Diensten sei im Hinblick auf § 203 StGB riskant.
2/2: Weitergabe an Mitwirkende erlaubt
Das neue Gesetz klärt viele Streitfragen und erleichtert das Outsourcing. In einem neuen § 203 Abs. 3 StGB wird die bislang fehlende "Weitergabebefugnis" geschaffen. Zwar hat der "berufsmäßige Gehilfe" aus Großmutters Zeiten die Reform überlebt. Allerdings steht jetzt ohne jeden Zweifel fest, dass der Anwalt Mandatsinformationen nicht nur an den "Gehilfen", sondern auch an "sonstige mitwirkende Personen" weitergeben darf. Dies ist eine solide Grundlage für die Einbeziehung von Dienstleistern in das Mandat. Die Weichen für ein risikofreies Outsourcing sind damit gestellt.
Zugleich wird das Berufsrecht geändert. Die bislang nur in der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) verankerte Verpflichtung des Anwalts, Mitarbeiter schriftlich zur Verschwiegenheit zu verpflichten, wird in die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) überführt. Zugleich werden in dem neuen § 43 e BRAO die Rahmenbedingungen geregelt, die der Anwalt zu beachten hat, wenn er Dienstleistern den Zugang zu Mandatsinformationen eröffnet. Die Dienstleister müssen sich gleichfalls – in Textform – zur Verschwiegenheit verpflichten.
Restrisiko und Diskriminierung
Das neue Gesetz ist ein großer Schritt nach vorne, aber keineswegs perfekt. Denn nach dem neuen § 203 Abs. 3 StGB ist die Preisgabe von Mandatsinformationen an "mitwirkende" Dienstleister nur gestattet, wenn sie "erforderlich" ist. Dies dürfte bedeuten, dass ein Anwalt IT-Dienstleister, E-Mail- und Cloud-Provider jederzeit mit Dienstleistungen beauftragen darf. Die einschränkende Voraussetzung der "Erforderlichkeit" lässt jedoch Raum für altbekannten Streit um Sicherheitsstandards und Verschlüsselungspflichten bei den Providern. Strafrechtliche Risiken bleiben bestehen.
Zudem enthält § 43 e Abs. 4 BRAO eine tiefe Verneigung vor der heimischen IT- und TK-Wirtschaft. Denn vor der Beauftragung ausländischer Dienstleister muss der Anwalt prüfen, ob der im Ausland bestehende Datenschutz "dem Schutz im Inland vergleichbar ist". Dies ist nicht nur praxisfern, sondern auch europarechtswidrig. IT-Dienstleister aus anderen EU-Mitgliedsstaaten werden ohne sachlichen Grund diskriminiert.
Trotz dieser Mängel dürfen wir Anwälte mit dem neuen Gesetz zufrieden sein. Wenn Anwaltskanzleien IT-Dienstleister und Übersetzungsbüros einschalten oder Cloud-Dienste nutzen, bleibt es bei Graubereichen und Risikozonen. Dennoch ist die arbeitsteilige Anwaltspraxis jetzt endlich im Straf- und Berufsrecht angekommen. Es liegt an uns, das neue Recht zeitgemäß und ohne Technophobie mit Leben zu erfüllen. Wenn die neuen Bestimmungen von Anwaltskammern, Kommentatoren und Gerichten mit Augenmaß ausgelegt werden, wird man zu praktikablen Ergebnissen kommen.
Der Autor Niko Härting ist Rechtsanwalt in Berlin (HÄRTING Rechtsanwälte) und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin).
Niko Härting, Reform des § 203 StGB: Willkommen im 21. Jahrhundert . In: Legal Tribune Online, 25.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24683/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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