Stalking ist strafbar – allerdings erst dann, wenn es das Leben der Opfer schon schwerwiegend beeinträchtigt hat. Über eine Verschärfung des Tatbestandes wird seit Jahren diskutiert, nun hat Bayern einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Vorschlag ist umstritten – und die Probleme liegen vor allem in der Praxis.
Als Rezeptionistin gehört Freundlichkeit zum Beruf. Frau S. war also freundlich, wie üblich, zu den Kunden, den Lieferanten und zu dem Paketboten. Der hielt das für Liebe. Er schrieb Frau S. Briefe und schickte ihr Geschenke. Er bekam eine klare Absage und wurde von seiner Firma versetzt. Trotzdem erschien er immer wieder am Arbeitsplatz von S., wartete im Hof, rief an der Rezeption an. Der Mann wurde zum Stalker. Vier Jahre später sitzt er in Haft, verurteilt zu einem Jahr und acht Monaten, die Revision steht noch aus, aber sie dürfte wenig Aussicht auf Erfolg haben. Den Fall schildert die Rechtsanwältin Theda Giencke. Sie vertritt regelmäßig Stalking-Opfer und kennt viele solcher Fälle – Fälle, die vielleicht harmlos anfangen, aber ein ernstes Ende nehmen.
Stalking, ins deutsche als "Nachstellung" übersetzt, ist erst seit 2007 strafbar. Der Tatbestand – § 238 Strafgesetzbuch – war schon bei seiner Einführung heftig umstritten, vor allem wegen seiner Unbestimmtheit. Denn anders als ein Diebstahl oder ein Totschlag umfasst Stalking zahlreiche Handlungen, die für sich genommen jeweils nicht strafbar sind, es aber in ihrer Summe werden: vor der Tür warten, Blumen bestellen, Nachrichten schicken. Das können Liebesbriefe sein, aber auch Beleidigungen und Drohungen. Manchmal geht es um hundert Anrufe pro Tag, manchmal tauchen Stalker noch nach Jahren immer wieder auf. Für die Opfer wird das irgendwann zur Qual. Wie für S., die inzwischen wegen einer Depression in Behandlung ist, unter Suizidgedanken und Schlafstörungen leidet und fürchtet, ihre Arbeitsstelle zu verlieren, weil sie sich nicht mehr traut, das Telefon abzunehmen.
Der Maßstab: "weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene"
Nach § 238 StGB ist Nachstellung strafbar, wenn sie "beharrlich" geschieht und wenn die Lebensgestaltung des Opfers dadurch "schwerwiegend beeinträchtigt" ist. Das sollte den weiten Tatbestand eingrenzen. Die Gerichte tun sich jedoch schwer damit, festzustellen, wann solch eine schwerwiegende Beeinträchtigung vorliegt. Wenn das Opfer in eine andere Wohnung ziehen muss? Wenn es sich täglich zur Arbeit begleiten lässt? Oder schon, wenn die Telefonnummer geändert wird? Die Strafbarkeit des Stalkers hängt letzlich von der Reaktion des Opfers ab – der Bundesgerichtshof erklärte in einem Beschluss von 2009, "weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene" sollten geschützt werden (v. 19.11.2009, Az. 3 StR 244/09). Das führt zu Rechtsunsicherheit. "Es gibt eine ziemlich uneinheitliche Rechtsprechung", sagt Giencke.
In der Politik werden deshalb schon lange Änderungen gefordert. Die Justizminister der Länder kritisierten bereits 2012, dass der Tatbestand "nicht alle strafwürdigen Fälle" erfasse. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es, man wolle "die tatbestandlichen Hürden für eine Verurteilung" senken. Aus dem Bundesjustizministerium gibt es allerdings noch keinen konkreten Vorschlag. Dafür hat Bayern nun, zusammen mit Hessen, einen Gesetzentwurf im Bundesrat vorgestellt. § 238 StGB soll demnach von einem Erfolgs- in ein Eignungsdelikt umgestaltet werden. Das heißt, es soll nicht mehr darauf ankommen, ob die Tat eine schwere Beeinträchtigung verursacht hat. Stattdessen soll genügen, dass sie geeignet ist, dies zu tun.
"Das Strafrecht bewirkt, was dem Täter nicht gelungen ist"
Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) kritisierte im Bundesrat, dass die Opfer, die "standhaft bleiben, sich nicht beeindrucken lassen wollen und hierzu enorme psychische Belastungen auf sich nehmen" von der bisherigen Rechtslage nicht geschützt würden. Es dürfe nicht so weit kommen, dass das Opfer erst sein Alltagsverhalten ändern muss, um strafrechtlichen Schutz zu genießen. Das führe zu "der missliche Konsequenz, dass letztlich erst das Strafrecht bewirkt, was dem Täter nicht gelungen ist: den Willen des Opfers zu beugen." Der Vorschlag, künftig darauf abzustellen, dass die Tat "geeignet" sein muss, die Lebensgestaltung des Opfers zu beeinträchtigen, ist trotzdem nicht unumstritten.
Dagmar Freudenberg hat sich als Staatsanwältin bis 2011 mit zahlreichen Stalking-Fällen befasst, heute leitet sie die Fachstelle Opferschutz im niedersächischen Justizministerium. Sie ist eher skeptisch: "Letztlich wird das bei den Gerichten ähnliche Überlegungen nach sich ziehen, das muss ja justiziabel sein." Die Frage, welche Handlungen geeignet sind, die Lebensgestaltung der Opfer zu beeinträchtigen, bleibt. Und eine Beeinträchtigung der Opfer liegt oft auch dann vor, wenn sie sich (noch) nicht in einer geänderten Lebensgestaltung niedergeschlagen hat.
2/2: Eingreifen von Polizei und Staatsanwaltschaft beeindruckt Täter
Freudenberg sieht die Probleme in der Strafverfolgung aber ohnehin eher in der Praxis. Sie kritisiert, dass Stalking oft nicht als solches erkannt werde: "Notwendig wären Schulungen und eine intensivere Strafverfolgung." Die Staatsanwaltschaften bräuchten Sonderdezernate, um auch langwierige Fälle zu verfolgen. Aber auch Polizisten, Anwälte und Richter müssten sich entsprechend fortbilden und schnell eingreifen. Oft beeindruckt es die Täter, wenn sie von der Polizei angesprochen werden oder wenn die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.
Im Fall von S. wurde dem Täter schon im Herbst 2010 gerichtlich untersagt, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Er hielt sich nicht daran und kam schließlich wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz für vier Wochen in Ordnungsarrest. Trotzdem klingelte bei S. das Telefon. Der Mann rief sogar aus der Haftanstalt bei ihr an, schrieb weiterhin Briefe. "Da gibt es weiter Telefonanrufe, da funktioniert die Postkontrolle nicht – man fragt sich schon, wie ernst das genommen wird", kritisiert Anwältin Giencke. Sie betont, es sei wichtig, dass die Behörden frühzeitig eingreifen: "Ich habe das Gefühl, das Stalking wird sonst zu einer Art Gewohnheit für die Täter. Es gehört dann schon zum normalen Tagesablauf, morgens mal eben fünf SMS zu schreiben."
Beratungsstelle für Opfer – und Täter
Wolf Ortiz-Müller sagt es so: "Erst, wenn der Täter aufhört, hat das Opfer Ruhe." Er leitet "Stop Stalking", eine Beratungsstelle in Berlin. Hier können Stalking-Opfer erfahren, wie sie sich schützen können. Aber auch die Täter können sich an die Beratungsstelle wenden – und lernen, mit dem Stalking aufzuhören. "Stalker leiden oft unter einem niedrigen Selbstwertgefühl", erklärt Ortiz-Müller. "Viele haben ihre sozialen Kontakte vernachlässigt und sich völlig auf die Person, die sie stalken, kapriziert." Die Telefonnummer der Ex-Freundin löschen, sich für das Wochenende mit Freunden verabreden, im Notfall bei der Krisenberatung anrufen, anstatt eine E-Mail abzuschicken. "Stop Stalking" soll die Täter dazu bringen, ihr Verhalten zu beobachten und zu verändern, manchmal hilft eine Therapie.
Effektivere Strafverfolgung bleibt trotzdem wichtig. "Stalking berührt einen Kernbereich des Strafrechts, da geht es um Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Würde", sagt Ortiz-Müller. "Deshalb ist das ja auch richtig, dass dieses Verhalten strafbar ist." Für die Opfer gilt allerdings: Hauptsache, es hört endlich auf.
Annelie Kaufmann, Reformvorschlag zu Stalking-Paragraph: Hartgesottene Opfer . In: Legal Tribune Online, 14.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12263/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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