Ein neuer Plagiatsfall, ausgerechnet nicht nur im Recht, sondern im Urheberrecht, veranlasst die Uni Passau zu betroffenen Worten. Roland Schimmel über Soziologie, Pseudologie und Ökonomie plagiierender Rechtswissenschaftler.
Man hatte gedacht, das Thema sei durch. Oder wenigstens: Es müsse doch jetzt langsam mal durch sein. Es nervt ja auch ein bisschen. Die großen Messen in Sachen "Wissenschaftsplagiate" immerhin sind gelesen: Der Verteidigungsminister ("absurd!") ist nach USA verzogen, die Wissenschaftsministerin ("Ich werde kämpfen!") in den Vatikan entsorgt worden. Der eine als Diplomjurist, die andere ganz ohne Hochschulabschluss. Damit ist erstmal Ruhe im Kabinett. Naja, wer weiß? Es sind neue MinisterInnen nachgerückt.
Im Alltag des Wissenschafts- und Prüfungsgeschäfts an der Hochschule läuft die Plagiatsproduktion natürlich weiter. Anders als in der Politik sorgt aber im Wissenschaftsgeschäft ein noch so massiver Plagiatsvorwurf eher für ein vorübergehendes Erröten als für einen Karriereknick. Und jenseits prominenter Fälle bleibt das öffentliche wie auch das mediale Interesse unterhalb der Nachweisgrenze.
Während in den Naturwissenschaften das Fälschen von Daten oder das ungekennzeichnete Abschreiben fremder Texte dazu führt, dass der so entstandene Fachzeitschriftenbeitrag zurückgezogen wird (Register unter retractionwatch.com/), verfahren die juristischen Fachzeitschriften weitaus zurückhaltender. Die Juristische Schulung (JuS) hat letzthin einem Beitrag, der zur Hälfte aus unzitiert gebliebenem fremdem Text bestand, ein "Corrigendum" hinterhergeschickt, an beeindruckend unauffälliger Stelle versteckt auf den Umschlagseiten.
Aktuell trifft es die Juristenzeitung (JZ), wissenschaftlich gesehen eine erste Adresse. Die FAZ meldete am Dienstag, dass eine Professorin für Rechtsgeschichte in einem wissenschaftlichen Aufsatz für die JZ von einem Frankfurter Kollegen abgeschrieben haben soll. Aus der Publikation "Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Wissenschaft" soll Ulrike Müßig, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte abgeschrieben haben. Und zwar ausgerechnet u.a. die interessante Erkenntnis: "Der urheberrechtliche Begriff der Wissenschaft hat mit methodengerechter Wahrheitssuche und intrinsischer Wahrheitsliebe nichts zu tun." Die JZ will den Beitrag von Müßig nach Angaben der FAZ in ihrem elektronischen Archiv sperren.
Die Universität Passau übrigens nimmt laut ihrer Webseite den ihr vorliegenden Hinweis auf ein wissenschaftliches Fehlverhalten sehr ernst. Und gibt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu der betroffenen Person, welche die Universität in vollem Umfang bei der Aufklärung der Angelegenheit unterstützt, keine Auskunft. Dafür muss man schon die FAZ lesen (Anm. d. Red.: Artikel online nur hinter der Paywall).
Nicht repräsentativ, aber informativ: ein aktuelles Urteil
So ein wenig ehrenrührig ist der Plagiatsvorwurf aber wohl doch, zumal wenn er zur Entziehung eines akademischen Grads führt. Manchmal ziehen also die ehemaligen Doktoranden vor die Gerichte. Die wiederum urteilen ziemlich einheitlich, indem sie die Aberkennungsentscheidungen der Universitäten bestätigen, normalerweise abschließend in erster Instanz. Die klagenden Ex-Doktoren können dann die mäßig ruhmvollen Einzelheiten ihrer Karriere in den Urteilen nachlesen, glücklicherweise anonymisiert.
Wer wissen möchte, wie das mit den Plagiatsvorwürfen diesseits der Politikerdemontage so läuft, muss sich nur diese Urteile ansehen. Greift man ein einziges aktuelles heraus (VG Berlin, Urt. v. 8.7.2015), ist Repräsentativität kaum zu erwarten, zumal angesichts des ungewöhnlichen Verfahrensausgangs. Aber ein kleines Schlaglicht auf den täglichen Plagiatsbetrieb lässt sich damit allemal werfen.
Die Soziologie des Plagiats
Was erzählen also die Urteilsgründe über Glanz und Elend des akademischen Plagiarismus? Zunächst nur Erfreuliches aus dem Lebenslauf der Doktorandin: Anfertigung der Dissertationsschrift während der Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl des Doktorvaters, Promotion (summa cum laude knapp verfehlt), Veröffentlichung der Arbeit in einem erstklassigen Wissenschaftsverlag.
Aus dem Internet erfährt man: umgehend zitiert in der einen oder anderen Habilitationsschrift, Lehrauftrag an der Universität, Berufsstart als Richterin, Wechsel zu einem großen internationalen Anwaltsbüro, gelegentlich Fachveröffentlichungen. Kein völlig beispielloser Karriereeinstieg – aber doch auch keine juristische Verlierer-Biographie. Auch wenn man nie weiß, ob die Doktorarbeit conditio sine qua für diesen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben ist, zeigt sich hier doch, soziologisch gesehen, die glänzende Seite der Promotion.
Doch das Unvorhergesehene geschieht: Jemand liest die Doktorarbeit. Die Ähnlichkeiten zu einer anderen Dissertation fallen auf, werden notiert und dem promovierenden Fachbereich mitgeteilt. Dieser prüft die Beanstandungen, hört die Verfasserin an und entzieht ihr nach anderthalb Jahren Verwaltungsverfahren den Grad: Es fehlen Anführungszeichen und Fußnoten, das Übliche eben.
Die Verfasserin sieht es sportlich und erhebt Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG). Dieses hebt die Entziehung des Grads nach einem weiteren Jahr wieder auf. Wegen Verfahrensfehlern - das kommt nicht oft vor, aber gelegentlich (ähnlich VG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.2015, Az. 7 K 761/11). In der Kommission hatten nämlich vier Professoren gesessen, wie es die alte Promotionsordnung vorschrieb; nicht drei, wie die neue es regelte. Und bei nur drei Professoren hätte das Ergebnis anders ausfallen können, so das Verwaltungsgericht. Die Klägerin bleibt Doktorin des Rechts.
Vielleicht plagiieren Mädchen anders als Jungs?
Warum ist nun ein erstinstanzliches Urteil bemerkenswert, das noch nicht einmal besonders umfassend ausgefallen ist und vermutlich keine Rechtsgeschichte schreiben wird? Weil es durchaus amüsante Züge aufweist.
Die Kandidatin hat ausweislich des Urteilstatbestands argumentativ im Verwaltungsverfahren aus allen Rohren geschossen. Und zwar auf alles, was sich bewegt.
Nicht zuletzt war es ihr wichtig, wie die Kommission zusammengesetzt sein müsse, die über die Aberkennung ihres Grads zu entscheiden habe. Nicht nur müsse die Frauenbeauftragte beteiligt werden, sondern überhaupt sollten an der Entscheidung in ausreichendem Maße Frauen beteiligt sein. Vielleicht plagiieren Mädchen anders als Jungs. Oder es promovieren nicht genug Mädchen, also darf auch bei nachgewiesenem Betrug nicht einfach der Grad wieder aberkannt werden.
Außerdem dürfe an der Entscheidung kein studentisches Kommissionsmitglied beteiligt werden, da dieses selbst nicht promoviert sei. Womit völlig neue Perspektiven auf die studentische Beteiligung etwa an Berufungsverfahren eröffnet sind, da die wenigsten Studenten habilitiert sind. Diese Argumente nimmt das Gericht ernst, aber erledigt sie schlank, Gott sei Dank.
2/2: Die Pseudologie des Plagiats
Interessant wird es, wenn die Verfasserin zu erklären versucht, warum an entscheidender Stelle keine Fußnoten und keine Anführungszeichen standen. Prüfungsrechtler wissen: Ist Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsakts die Täuschung, kann der Kandidat immer darlegen, er habe gerade nicht täuschen wollen. Bei ungekennzeichneten Textübernahmen in einer Prüfungsarbeit braucht es hierfür aber angesichts des Fehlens der nötigen Quellenangaben schon eine stimmige Erklärung.
Die beanstandete Passage in der Dissertation, wohlgemerkt, war viereinhalb Druckseiten lang und einschließlich der Fußnoten mit kleinen sprachlichen Änderungen wörtlich übernommen. Gemessen an 165 Textseiten ist das eigentlich gar nicht viel. Mit Blick auf die im Prüfungsalltag immer wieder einmal diskutierte Bagatellgrenze hat die Universität hier geradezu einen Pflock eingeschlagen: 3 Prozent Plagiat reichen aus, jedenfalls wenn es um eine wortlautidentische Übernahme geht.
Erklärt hatte die Verfasserin das Ganze mit einem Klassiker: dem PC-Crash. Alle ihre Textmarkierungen einschließlich der wörtlich abgetippten Passagen seien nach dem Computerabsturz in der geretteten Textdatei in einer einheitlichen Farbe erschienen. Sie habe daher jeden einzelnen Schnipsel auf Übereinstimmungen mit den Quellen prüfen müssen – und da sei ihr der betreffende Abschnitt eben durchgerutscht, vermutlichen wegen der stilistischen Ähnlichkeiten zu ihrer eigenen Ausdrucksweise. Schlimm, in der Tat, aber doch ein ganz punktuelles Versehen. Die Universität hat das nicht gelten lassen und gleichwohl die Täuschungsabsicht bejaht.
One size fits all
Das wiederum ist kaum verwunderlich. Was hatte die Kandidatin nämlich falsch gemacht?
Sie hatte eine wichtige Regel verletzt, die da lautet: Du bekommst nur eine Chance zur Erklärung. Die Wirklichkeitsrekonstruktion, die man im Verfahren präsentiert, muss nicht nur alle Vorwürfe entkräften, die bereits erhoben worden sind, sondern auch diejenigen, die noch kommen können (one size fits all).
Die Universität war gut beraten, die Kandidatin nur mit einem kleinen, wenngleich gewichtigen, Teil der Abschreibevorwürfe zu konfrontieren. Und die Kandidatin war arbeitseffizient genug sozialisiert, um genau diesen Teil zu erklären. Und nur diesen.
Unglücklicherweise hatte sie aber nicht aus einer Quelle geschöpft, sondern aus mindestens zehn. Nicht nur in der beanstandeten Passage ihrer Arbeit, sondern gleichmäßig über den Text verteilt auf Dutzenden Seiten, beginnend mit der ersten Zeile auf Seite 1. Um das herauszufinden, brauchte man nur BeckOnline oder Google Books. Da half es auch nicht mehr, dass die Verfasserin vortrug, sie habe die Arbeit mit einer Plagiatserkennungssoftware geprüft, die grünes Licht gegeben habe. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.
Vermutlich wäre die Arbeit für die nächsten Jahrzehnte unter dem Aufmerksamkeitsradar einer noch so winzigen kritischen Öffentlichkeit durchgesegelt, wenn die Verfasserin nicht auf gar so simple Weise den Vorwurf der Täuschung aus der Welt zu schaffen versucht hätte. Hier zeigt sich die elende Seite des Dissertationsplagiats. Aber das ist natürlich nicht das letzte Wort.
Die Ökonomie des Plagiats – und wer zuletzt lacht
Hat sich nun die Abschreiberin unter den gegebenen Umständen rational verhalten oder nicht? Vermutlich: ja. Durch das Verfahren bis zur Rechtskraft hat sie über zwei Jahre Zeit gewonnen. Bis die Universität – wenn überhaupt – die Aberkennungsentscheidung mit korrekt besetzter Kommission wiederholt, wird ein weiteres Jahr vergehen, bis zur Rechtskraft des nächsten verwaltungsgerichtlichen Urteils noch ein wenig mehr.
Wirtschaftlich gesehen entspricht das einer wahrscheinlich fünfstelligen Summe, die sie unter den Entgeltbedingungen großer Anwaltskanzleien mehr verdient hat als ein nicht promovierter Kollege. Das dürfte die Prozesskosten bei einem Streitwert von 15.000 Euro auffangen.
Falls der Arbeitgeber ihr die Sache mit dem Plagiat übelnimmt, müsste auch die Zeit gereicht haben, einen Plan B zu entwickeln. Und falls sie – wie Jorgo Chatzimarkakis – das Promovieren als Ehrensache versteht, kann sie zwischendurch bei zügigem Vorgehen anderweitig promovieren. In Österreich etwa. Oder in der Schweiz. Es muss ja nicht immer ein akademisches Drittweltland sein.
Wir lernen: Crime does pay. Und: Glanz und Elend des deutschen Dissertationsplagiats liegen eng beieinander.
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main und Autor des Buchs "Von der hohen Kunst, ein Plagiat zu fertigen".
Zum Nachlesen:
Das Urteil findet man in den Fachdatenbanken: VG Berlin v. 8.7.2015, Az 12 K 423.14. Wer darüber hinaus in die Doktorarbeit einen Blick werfen möchte, muss ein wenig suchen. Der Urteilstatbestand ist natürlich anonymisiert, zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfasserin und ihrer Doktoreltern. Dahinter muss das Interesse der Wissenschaft zurücktreten, einen womöglich wertlosen Text in die Giftschränke der Bibliotheken umzusortieren oder auch nur kritisch zu diskutieren. Um aber die eigene Bibliothekskatalogrecherchekompetenz auf die Probe zu stellen, kann man es trotzdem versuchen. Alle nötigen Informationen stehen in Rn. 2 des Urteils.
Roland Schimmel, Wenn Juristen kopieren: Glanz und Elend des deutschen Dissertationsplagiats . In: Legal Tribune Online, 17.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16916/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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