Im NSU-Verfahren vor dem OLG München wird die Aussage Zschäpes erwartet. Außerdem in der Presseschau: EU-Ministerrat plant europäische Vorratsdatenspeicherung, EuGH verhandelt zu Störerhaftung und Strafe für "Nazi-Propaganda-Tourismus".
Thema des Tages
OLG München – Zschäpes Aussage erwartet: Am heutigen Mittwoch soll Beate Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel ihre Aussage vor dem Oberlandesgericht München verlesen. Unklar sei bisher, ob das Gericht direkte Fragen an die Angeklagte richten werde oder, ob es – wie von der Verteidigung erbeten – schriftliche Fragen ausarbeitet, welche Zschäpe gleichermaßen beantworten könne. Die FAZ (Helene Bubrowski) legt dar, eine Verurteilung Zschäpes werde wahrscheinlicher, da sie sich mit der Aussage wohl selbst schaden werde. Wenn sie sich lediglich zu einem Teil der Vorwürfe äußert, darf das Schweigen in den restlichen Punkten grundsätzlich zu ihren Lasten ausgelegt werden. Es erscheine allerdings ausgeschlossen, dass Zschäpe widerspruchsfreie und lückenlose Angaben machen könne.
Auch spiegel.de (Gisela Friedrichsen) hinterfragt das Vorgehen Beate Zschäpes und ihrer Verteidiger um die Aussage kritisch. Unter anderem sei es "schwer vorstellbar, dass sich der Senat in seiner Verhandlungsführung derart beschneiden lässt" – der Beweiswert von Zschäpes Aussagen werde beeinträchtigt, wenn das Gericht keine direkten Fragen stellt.
Borchert als Pflichtverteidiger: Beate Zschäpe hat zudem beantragt Hermann Borchert als ihren Pflichtverteidiger zu bestellen. Anlass gebe der Konflikt zwischen den Verteidigern Sturm, Heer sowie Stahl und der Angeklagten. Nach Informationen von spiegel.de solle die am heutigen Mittwoch erwartete Erklärung Zschäpes mit einer weiteren Entpflichtungsanfrage für das Verteidiger-Trio verknüpft sein. Auch die SZ (Tanjev Schultz) verweist auf den Antrag Beate Zschäpes – fünf Pflichtverteidiger wären rechtlich zulässig. Grasel und Borchert erklärten am gestrigen Verhandlungstag erneut, ihre Mandantin sei gesundheitlich angeschlagen und baten darum den Termin am Donnerstag zu streichen – darüber sei noch nicht entschieden.
Rechtspolitik
EU-Vorratsdatenspeicherung: Der EU-Ministerrat plant erneut, eine europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung voranzubringen – dies belegte ein Dokument aus seinem Kreis, laut zeit.de (Patrick Beuth/Kai Biermann). Die Neuregelung solle alle EU-Mitglieder dazu verpflichten, Telefon- und Internet-Verbindungsdaten anlasslos zu speichern. Entgegen der Meinung verschiedener Politiker, konstatiert der Beitrag, die Vorratsdatenspeicherung sei kein wirksames Mittel zur Terrorabwehr.
Urheberrechtsreform: In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisieren die Rechtsanwälte Konstantin Wegner und Martin Diesbach den "unausgewogenen Reformentwurf" zum Urheberrecht. Dieser orientiere sich nicht an der "Marktrealität" und bedingte eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Verlage.
Verbreitung verfassungswidriger Kennzeichen: Der Hamburger Senat will über den Bundesrat ein Gesetz auf den Weg bringen, nach dem bestraft wird, wer ins Ausland reist, um dort rechtsextreme, verfassungswidrige Inhalte zu verbreiten. Als Beispiel führte der Senat Fußballfans an, die in Polen vor Fernsehkameras den Hitlergruß zeigten, so eine Meldung der SZ. Der Bundesgerichtshof hatte 2014 entschieden, dass entsprechende Straftaten nicht geahndet werden können, solange sie nicht auf deutschem Territorium geschehen.
TTIP – Schiedsgerichtshof: Ist der Kompromissentwurf der EU-Kommission zum Investitionsschutz interessengerecht? Die Rechtsanwälte Patrick Schröder und Sascha Arnold äußern in einem FAZ-Gastbeitrag ihre Zweifel darüber. So sei unter anderem unklar, weshalb ein kostspieliger TTIP-Schiedsgerichtshof notwendig sei – da jährlich nicht viel mehr als ein Verfahren erwartet werden dürfte. Sie raten dazu, den Entwurf zu überarbeiten.
Verbraucher-Schlichtungsstelle: Wenn Verbraucher mit Dienstleistungen oder einem Kauf unzufrieden sind, sollen sie sich künftig mit ihren Beschwerden an außergerichtliche Schlichtungsstellen wenden können. Mit einem entsprechenden Gesetz hat der Bundestag eine EU-Richtlinie zur "alternativen Streitbeilegung" umgesetzt. Die FAZ (Joachim Jahn) fasst die Aufgaben der Schlichtungsstelle kurz zusammen.
Cybersicherheit: EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischer Rat haben sich mit der NIS-Richtlinie darauf geeinigt, den Schutz der Dateninfrastruktur in den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Internetkonzerne, wie Ebay oder Google, müssen künftig sicherstellen, dass ihre digitale Infrastruktur Cyberangriffe abwehren kann. Zudem müssen Unternehmen bestimmter Branchen – wie Transport oder Gesundheit – entsprechende Sicherheitsmaßnahmen durchführen. Relevante Cyber-Angriffe müssen sie melden, sonst erwartet sie ein Bußgeld. SZ (Daniel Brössler), FAZ (Hendrik Kafsack) und Hbl (Thomas Ludwig) berichten. Das EU-Parlament muss noch abstimmen.
Bundeswehreinsatz gegen IS: In einem Gastbeitrag für die SZ erklärt Rechtsprofessor Christoph Vedder die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Befugnisse zu Beistand und Selbstverteidigung. Der Einsatz Frankreichs in Syrien sei nur deswegen völkerrechtlich legitim, weil Syriens Schweigen als Zustimmung gewertet werde. Allerdings sei der Einsatz der Bundeswehr aus verfassungsrechtlicher Sicht nur innerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems erlaubt – fraglich sei, ob die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Resolution 2249 ein hierfür notwendiges UN-Mandat darstelle.
Justiz
BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: zeit.de (Tilman Steffen) befasst sich ausführlich mit dem NPD-Verbotsverfahren und stellt die Argumente des NPD-Anwalts Peter Richter sowie der Juristen Christoph Möllers und Christian Waldhoff vor, die die Bundesländer vertreten. Bislang seien die Länder nicht "sehr geschickt" vorgegangen, so seien immer wieder Zweifel daran aufgetaucht, dass ihre V-Leute keinen Einfluss mehr auf die Partei ausübten. Gegenüber der FAZ (Reinhard Müller) stellt Bundestagspräsident Norbert Lammert klar, er erachte es nicht für notwendig, dass Bundestag und Bundesregierung sich dem NPD-Verbotsverfahren anschließen. Der Beitrag resümiert auch die Kritik an dem Verfahren. Letztlich sei es nicht entscheidend, wie es ausgehe, sondern dass das Bundesverfassungsgericht akzeptiert werde. Der Tsp (Frank Jansen/Jost Müller-Neuhof) verschafft einen Überblick über den derzeitigen Zustand der NPD und klärt über die Kriterien eines Verbotsverfahrens auf.
"Das Verbot ist auch vorbeugender Opferschutz", meint Heribert Prantl (SZ). Aus diesem Grund sei es auch notwendig, obwohl Bundesrepublik und Demokratie stabil und gefestigt genug seien. Falls das Bundesverfassungsgericht feststelle, dass die "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" der NPD rechte Gewalttaten begünstigt, müsse der Staat der Partei "den Mantel des Parteienprivilegs" entziehen. Das Verfahrenshindernis, so Prantl, scheine ausgeräumt zu sein. Christina Hebel (spiegel.de) betont, das Verfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht setze "das richtige Signal", könne allerdings "nur ein Element einer Null-Toleranz-Strategie gegen Rechtsextremismus" darstellen. Ein konsequentes Vorgehen des Staats sei hier gefragt. Thorsten Jungholt (Die Welt) wirft kritische Fragen zum NPD-Verbot und zu den Erfolgsaussichten des Verfahrens auf. Ein Verbot wäre zwar ein "juristischer Donnerschlag", aber eine "Scheinlösung". Rechtsextreme zu erreichen sei "eine politische und gesellschaftliche Sisyphusaufgabe".
EuGH – Störerhaftung: Haftet der Besitzer eines WLAN-Anschlusses für Rechtsverstöße, die andere Nutzer über seinen Anschluss tätigen? Der Europäische Gerichtshof verhandelt ab dem heutigen Mittwoch zu dieser Frage in einem Vorabentscheidungsverfahren im Fall Tobias Mc Fadden. Ein Dritter hatte über sein unverschlüsseltes WLAN-Netz illegalerweise Lieder auf eine Tauschbörse geladen. Sony Music Entertainment Germany mahnte daraufhin McFadden ab, welcher vor dem Landgericht München I dagegen klagte. Er ist der Ansicht, die deutsche Störerhaftung verstoße gegen die E-Commerce-Richtlinie, berichtet die taz (Svenja Bergt).
In einem separaten Kommentar betont Svenja Bergt (taz), Besitzer von WLAN-Anschlüssen bräuchten dahingehend Rechtssicherheit, dass sie von der Haftung für fremde Rechtsverstöße über ihr Netz ausgenommen sind. Es sei eine "überflüssige Ungleichbehandlung", wenn "große Zugangsprovider" nicht hafteten, "die Kleinen" hingegen schon.
LG Hannover – Schuss auf Einbrecher: Weil er einen tödlichen Schuss auf einen Einbrecher abgegeben hat, muss sich ein 41-Jähriger nun vor dem Landgericht Hannover verantworten. Das Verfahren begann mit dem Geständnis des Angeklagten – er entschuldigte sich zudem bei den Angehörigen; er habe nicht schießen wollen. spiegel.de meldet den Prozessauftakt. Die Verteidigung argumentiert, ihr Mandant habe in Notwehr gehandelt. Dahingegen ist die Staatsanwaltschaft der Ansicht, der Angeklagte sei des Totschlags schuldig. Ein weiterer Beitrag auf spiegel.de (Ansgar Siemens) bringt eine ausführlichere Darstellung des Falls.
LG Potsdam – Zigarettenschmuggler: Vor dem Landgericht Potsdam hat der Prozess gegen sechs Männer wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen begonnen. Sie sollen Zigaretten geschmuggelt und damit einen Steuerschaden in Höhe von 60 Millionen Euro verursacht haben. Die Welt (Jens-Christian Kesdorff) gibt den verdeckten Ermittler Ulrich K. wieder, der das mutmaßliche Vorgehen der Angeklagten beschreibt.
Strafrechtsjustiz und Terror: Wie geht die deutsche Strafrechtspflege mit juristischen und tatsächlichen Fragen um Terrorismus um? Dies beleuchtet der Richter Eike Fesefeldt auf lto.de. Die Justiz müsse dazu beitragen, den Terrorismus zu bewältigen – so gründeten Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern bereits neue Staatsschutzsenate. Vor dem Stuttgarter Senat begann am gestrigen Dienstag das erste Verfahren.
Urheberrechtstreitigkeiten in BaWü: Wie internet-law.de (Thomas Stadler) meldet, werden ab dem 1. Januar 2016 die zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Urheberrechtsstreitsachen für den Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe dem Amtsgericht Mannheim zugewiesen. Für entsprechende Streitsachen für den Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart ist künftig das Amtsgericht Stuttgart zuständig. Baden-Württemberg macht damit von seiner Befugnis nach § 105 Absatz 2 des Urheberrechtsgesetzes Gebrauch.
BGH zu Tauschbörse: internet-law.de (Thomas Stadler) setzt sich ausführlich mit der Entscheidung Tauschbörse III vom Juni diesen Jahres auseinander, deren Volltext der Bundesgerichtshof nun veröffentlicht hat. Der Beitrag beleuchtet kritisch, dass das Gericht den Anschlussinhaber als Täter vermutet, wenn kein Dritter den Internetanschluss verwenden konnte. Den Inhaber treffe dahingehend eine sekundäre Darlegungslast, die "bis zur Grenze der Beweislastumkehr reichen" könne, was zu einer "nicht akzeptablen Schieflage" führe.
Recht in der Welt
EGMR – Schadensersatz an Tschetschenen: Russland muss Schadensersatz in Höhe von 260.000 Euro an Familien von vier Tschetschenen bezahlen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Zwischen 2000 und 2004 hatten russische Soldaten die tschetschenischen Männer verschleppt – sie bleiben weiterhin verschwunden. Die Familien waren vor den EGMR gezogen, weil Russland nicht ausreichend versucht habe, das Verschwinden aufzuklären. Diese Ansicht teilten die Richter; Russland habe damit das Verbot menschenunwürdiger Behandlung verletzt, schreibt spiegel.de.
Südafrika – Pistorius: Der wegen vorsätzlicher Tötung verurteilte Oscar Pistorius plant in Berufung zu gehen und vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Das Strafmaß werde noch erwartetet, allerdings sei eine Mindesthaftstrafe von 15 Jahren üblich. Laut FAZ (Claudia Bröll) vermuteten Rechtsexperten, dass Pistorius' Anwalt vor dem Verfassungsgericht argumentieren werde, das Gericht habe die Behinderung des Verurteilten sowie das Medieninteresse am Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Pistorius darf gegen Kaution im Hausarrest bleiben.
Großbritannien – Sexueller Missbrauch: Am heutigen Verhandlungstag im Prozess gegen acht Angeklagte, denen sexueller Missbrauch von mehr als 1.400 Kindern und Jugendlichen vorgeworfen wird, soll die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift verlesen. Alle gaben an, unschuldig zu sein. Die FAZ (Jochen Buchsteiner) fasst den Fall zusammen und hebt hervor, dass die Behörden Rotherhams von dem organisierten Missbrauch gewusst haben sollen, aber untätig blieben.
Sonstiges
Postmortale Organspende: Der wissenschaftliche Mitarbeiter David Georg Stark analysiert auf juwiss.de, inwieweit die Regelungen des Transplantationsgesetzes zu postmortalen Organspenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Er hält diese teilweise für "besorgniserregend" und regt eine gesellschaftliche Debatte darüber an, ob ein anderes Modell zur Organbeschaffung nötig wäre.
Fischer zu Vermögensschaden: In seiner Kolumne auf zeit.de erläutert Thomas Fischer die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vermögensschadens. Anhand von Fällen weist er auf Definitionsschwierigkeiten und Unzulänglichkeiten der Begriffe "Vermögen" und "Schaden" hin.
Arbeitsrecht für Flüchtlinge: Das Hbl (Dana Heide) beschreibt unter dem Titel "komplizierte Regeln" kurz, unter welchen Voraussetzungen Flüchtlinge – abhängig von ihrem Status – in Deutschland arbeiten dürfen.
Erbstreitigkeiten: Die SZ (Harald Freiberger) fasst Ratschläge zusammen, wie Erblasser und künftige Erben (Rechts-)Streitigkeiten über den Nachlass vermeiden können und lässt dabei erbrechtliche Grundlagen einfließen. So sei es beispielsweise ratsam, das Testament an die unterschiedliche Lebensphasen anzupassen.
Das Letzte zum Schluss
Die Wut eines Fans?: Die Zuschauer des Bundesligaspiels zwischen dem FC Augsburg und dem 1. FC Köln von vergangenem Samstag sollen Zeugen einer Straftat geworden sein. Dies ist zumindest die Ansicht eines Fans. Er hat Strafanzeige gegen den Augsburger Torwart Marwin Hitz erstattet, nachdem dieser während des Spiels den Rasen neben dem Elfmeterpunkt zertrat – dabei handele es sich um Sachbeschädigung öffentlichen Eigentums. Die Staatsanwaltschaft Köln wird sich jetzt damit befassen müssen. justillon.de (Andreas Stephan) erklärt, warum der Torwart mit seinem Vorgehen zwar viele FC Köln-Fans verärgerte (Anthony Modeste verschoss den Elfmeter), sich aber wohl nicht strafbar gemacht habe.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Dezember 2015: Zschäpes Aussage erwartet / europäische Vorratsdatenspeicherung? / EuGH zu Störerhaftung . In: Legal Tribune Online, 09.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17796/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag