Von Schirachs Theaterdebüt dreht sich um einen Anwendungsfall des Luftsicherheitsgesetzes. Außerdem in der Presseschau: "Anti-Whistleblower-Gesetz" befürchtet, NSU-Nebenklägerin existiert wohl nicht und "Zwiebackgesicht" ist keine Beleidigung.
Thema des Tages
Schirachs Theaterdebüt "Terror": "Darf der Staat Leben gegen Leben aufrechnen?" Der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach setzt sich in seinem Theaterstück "Terror" mit dem moralischen Dilemma in der Terrorbekämpfung auseinander. Ein Luftwaffen-Pilot ist wegen Mordes in 164 Fällen angeklagt, weil er sich entschied, ein von einem Selbstmord-Attentäter entführtes Passagierflugzeug zu zerstören, um zu verhindern, dass dieses in die ausverkaufte Münchner Allianz Arena stürzt. Das Publikum folgt dem Strafprozess und den Argumenten von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, muss allerdings die Entscheidung über Schuld oder Unschuld selbst fällen. Das Stück wurde vergangenen Samstag am Deutschen Theater Berlin und am Schauspiel Frankfurt (Main) uraufgeführt. Die Montags-SZ (Peter Laudenbach), die BerlZ (Christian Bommarius) und die Montags-FAZ (Irene Bazinger) rezensieren das erste Theaterstück Schirachs.
Rechtspolitik
"Anti-Whistleblower-Gesetz": In einem ausführlichen Gastbeitrag für die Montags-SZ moniert Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht, mit der Vorratsdatenspeicherung käme ein "Anti-Whistleblower-Gesetz" – als "Kuckucksei" werde der Straftatbestand der Datenhehlerei eingeführt. Ein strafrechtspolitischer Vergleich mit der analogen Hehlerei offenbare, dass es unklar sei, was das Handeln mit Daten als zu bestrafendes Unrecht qualifiziere. Buermeyer vermutet daher, es handele sich um "den eindeutigen Versuch, den Umgang mit Daten, wie sogenannte Whistleblower ihn pflegen, möglichst weitgehend zu kriminalisieren" und erläutert, weshalb diese Regelung Demokratie und Pressefreiheit gefährde.
Vorratsdatenspeicherung: spiegel.de (Daniel Moßbrucker) führt aus, dass die Vorratsdatenspeicherung im Hinblick Mobilfunkdaten bereits vorhanden sei. Das Telekommunikationsgesetz erlaube es Anbietern, Verbindungs- und Standortdaten für ihre Abrechnungen zu speichern – teilweise bis zu sechs Monaten. Fraglich sei daher, inwiefern eine Vorratsdatenspeicherung überhaupt notwendig sei, um eine erfolgreichere Strafverfolgung zu gewährleisten.
"Solange es nicht merkbare Bußgelder oder Strafen gibt, bewegt sich bei den Unternehmen nichts", beanstandet Svenja Bergt (Montags-taz) die Vorgehensweise der Mobilfunkunternehmen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar habe bereits "vor Jahren" erklärt, diese Speicherpraxis sei rechtswidrig. Die geplante Vorratsdatenspeicherung schließe lediglich "eine verhältnismäßig kleine Lücke im Überwachungspuzzle", was das Hauptargument der höheren Aufklärungsquote noch unplausibler mache.
Prostituiertenschutzgesetz: Viele Länder kritisieren den derzeitigen Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes in ihren Stellungnahmen – sie bringen unter anderem verfassungsrechtliche Bedenken vor oder bezweifeln, dass die Regelungen in der Praxis "rechtssicher vollziehbar" sind. Insbesondere würden Anmeldepflicht und Gesundheitsberatung kritisch gesehen. Der Entwurf sehe keine Zustimmung des Bundesrats vor, viele Länder gingen hingegen von einer Zustimmungspflicht aus, meldet der Spiegel (akm).
Beschlagnahme von Immobilien: Nachdem Hamburg vergangene Woche eine Norm im Polizeigesetz geschaffen hat, welche zur Beschlagnahmung von Gewerbeimmobilien befugt, und auch Bremen ein entsprechendes Gesetz plane, lässt die Montags-FAZ (Joachim Jahn) die Kritiker zu Wort kommen. Insbesondere liege hier ein Eingriff in das Eigentumsrecht vor. Der Beitrag verweist zudem auf Einzelfälle, in denen manche Kommunen bereits Privatwohnungen beschlagnahmten.
Kritik an "Flüchtlingsabwehr-Politik": Heribert Prantl (Montags-SZ) kritisiert den Paradigmenwechsel in der Politik: "Weg von der Nothilfe für Flüchtlinge, hin zur Notwehr gegen sie". Die "Flüchtlingsabwehr-Politiker" hätten an sich nicht damit recht, dass Deutschland keine Flüchtlinge mehr aufnehmen könne. Vielmehr werde die Aufnahmefähigkeit von der "politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kraft" bestimmt und nicht von einer absoluten Grenze. Mit den bisherigen Erfahrungen seien die Herausforderungen nicht zu bewältigen, daher ermutigt Prantl Innen- und Außenpolitik dazu, neue Erfahrungen zu machen.
Transitzonen für Flüchtlinge: Menschenrechtler und SPD-Politiker kritisieren den Referentenentwurf aus dem Innenministerium, Asylverfahren an den Landesgrenzen – in sogenannten Transitzonen – innerhalb einer Woche durchzuführen. Die Organisation Pro Asyl warnte vor "menschenrechtsfreien Zonen", schreibt spiegel.de.
Unternehmenshaftungsrecht: Der Senator für Justiz und Verbraucherschutz Thomas Heilmann plädiert im Handelsblatt dafür, ein Unternehmenshaftungsrecht einzuführen. Dieses sollte dazu dienen, Unternehmen durch hohe Haftungsrisiken von unredlichen Maßnahmen abzuschrecken, ohne dabei auf das Strafrecht zurückgreifen zu müssen. Im Kartellrecht habe sich die Abschreckung durch hohe Bußgelder bereits bewährt.
Justiz
OLG München – NSU: Der Nebenklagevertreter im NSU-Prozess Ralph Willms soll von dem Nebenkläger Attila Ö. darüber getäuscht worden sein, dass die von ihm vertretene Nebenklägerin Meral K. Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße war – vielmehr sei sie "wahrscheinlich überhaupt nicht existent". Ö. hatte für die Vermittlung des angeblichen weiteren Opfers eine Provision erhalten. Willms hat sein Mandat niedergelegt und Strafanzeige gegen seinen Mandanten erstattet, schreiben spiegel.de (Wiebke Ramm), zeit.de (Tom Sundermann), die Montags-FAZ (Karin Truscheit) und die Montags-taz (Konrad Litschko).
"Wie kann es sein, dass ein Rechtsanwalt eine Mandantin vor Gericht vertritt, die es offenbar gar nicht gibt?", fragt sich Gisela Friedrichsen (spiegel.de). Ebenso kann sie nicht nachvollziehen, wie dem Gericht die "merkwürdig identischen Atteste" nicht aufgefallen sein können. Friedrichsen meint, dass diese Enthüllung zwar den NSU-Prozess nicht gefährden werde, die Nebenklage könne sich allerdings davon nicht erholen.
swr.de (Holger Schmidt) spricht mit dem ehemaligen Richter Detlef Burhoff darüber, ob der Staat das Geld, welches Willms für die Vertretung der Nebenklage erhielt, wieder zurückfordern kann. Dabei komme es darauf an, ob es die Nebenklägerin gebe und, was der Anwalt wusste. Thema des Interviews ist zudem, inwieweit der Nebenklagevertreter sich strafbar gemacht haben könnte.
FG Köln zu Austausch von Steuerdaten: Der Austausch von Steuerdaten verstößt gegen das Steuergeheimnis. Dies entschied das Finanzgericht Köln und untersagte dem Bundeszentralamt für Steuern bis auf weiteres, diese Informationen an ausländische Behörden weiter zu geben oder entsprechende Daten anzufordern. Die Finanzverwaltungen der Länder versuchen durch den Datenaustausch herauszufinden, welche gesetzlichen Regelungen die niedrigen effektiven Steuerbelastungen bedingen, um diese dann zu ändern. Die Montags-FAZ (Joachim Jahn/Manfred Schäfers) informiert über den Fall und die steuerrechtspolitischen Hintergründe.
AG Baden-Baden zu sittenwidrigem "Brautgeschenk": Die Forderung eines "Mahlschatzes" – einer Geldzahlung des Ehemanns an die Braut anlässlich der Hochzeit – verstößt gegen den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und gegen die Freiheit der Eheschließung und gilt nach deutschem Recht als sittenwidrig. Dies hatte das Amtsgericht Baden-Baden im vergangenen September entschieden. Der Spiegel (Dietmar Hipp) beschreibt den Fall und die juristische Auseinandersetzung mit dem islamischen "Brautgeschenk".
EuGH – Steuerberatungsprüfung: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hält die Regelung, dass auch ausländische Personen nur dann eine Steuerberatungsgesellschaft in Deutschland leiten dürfen, wenn sie die deutsche Steuerberaterprüfung absolviert haben, für europarechtswidrig. Er sieht hier einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit. Die Rechtsanwältin Ludmilla Maurer fasst für lto.de den Fall und die Argumente des Generalanwalts zusammen und erläutert, weshalb sie diese nicht überzeugen.
Recht in der Welt
Kolumbien – Verzicht auf Strafverfolgung: Die kolumbianische Regierung hat sich vergangene Woche mit der Farc darauf geeinigt, dass eine "Sondergerichtsbarkeit für den Frieden" über die Straftaten der Konfliktparteien urteilen soll. Der Strafrechtsprofessor Kai Ambos stellt in der Montags-SZ die Vereinbarung dar und begrüßt, dass die kolumbianische Regierung teilweise darauf verzichtet, Straftaten zu ahnden. Dies diene dem Frieden und erleichtere einen Neuanfang. "Nicht jeder Verzicht auf Strafe ist gleich ein Ausverkauf von Prinzipien der Gerechtigkeit."
USA – Sammelklage gegen VW: Der Spiegel (Martin Hesse) spricht mit dem US-Anwalt und ehemaligen VW-Manager John Quinn über die Verfahren, die das Unternehmen VW erwarten müsse und schildert die Rechtslage. Quinns Sozietät hat zusammen mit einer anderen Kanzlei eine Sammelklage gegen VW beim Bundesbezirksgericht Los Angeles eingereicht – ein Vergleich käme allerdings in Frage.
EuGH – Safe Harbor: cr-online.de (Flemming Moos/Jens Schefzig) setzt sich kritisch mit dem Plädoyer des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof auseinander, welcher argumentierte, nationale Datenschutzbehörden seien nicht an das Safe-Harbor-Abkommen gebunden. Der Beitrag erläutert insbesondere, warum die "besseren Argumente" dafür sprächen, dass die Entscheidungen der EU-Kommission auch nationale Datenschutzbehörden binden.
Ungarn – Asylverfahren: spiegel.de (Keno Verseck) berichtet, wie das beschleunigte Asylverfahren an ungarischen Grenzen praktiziert wird. Während von den Richtern "kaum Widerstand gegen die Sonderjustiz gegen Flüchtlinge" zu erwarten sei, monierten einige Anwälte, Ungarn verstoße mit den verschärften Asylregelungen gegen völkerrechtliche Verpflichtungen und europäisches Recht.
USA – Glenn Ford: Das Titelthema der WamS (Tina Kaiser) behandelt ausführlich den Fall von Glenn Ford, welcher 29 Jahre lang unschuldig in der Todeszelle saß, und hebt dabei die Fehler der Strafjustiz hervor.
Sonstiges
Beschlagnahmung von Wohnungen: Der Kreuzberger Bezirksverordnete Andreas Weeger hat einen Antrag auf Beschlagnahme für leerstehende Wohnungen gestellt, um Flüchtlinge unterzubringen. Die FAS (Corinna Budras) schreibt, er sei ein "Pionier", da eine Regelung zur zwangsweisen Beschlagnahme von Privatimmobilien bislang nicht vorliege – so beziehen sich die Gesetze in Hamburg und Bremen lediglich auf leerstehende Gewerbeimmobilien. Der Beitrag schildert auch die Reaktionen der Betroffenen – die "einvernehmliche Beschlagnahme" entwickele sich zum Standard.
Im Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) erklärt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, unter welchen Voraussetzungen es rechtmäßig sei, Gewerbe- und Privatimmobilien zu beschlagnahmen, um sie als Flüchtlingsunterkunft zu verwenden. Momentan läge die notwendige Gefahrenlage nicht vor; eine vorsorgliche Beschlagnahme sei nicht zulässig, so Papier. Enteignungen hält er für unverhältnismäßig.
VW-Abgasskandal: Das Unternehmen VW wird wohl mit Schadensersatzforderungen in Millardenhöhe rechnen müssen. Wie taz.de (Christian Rath) schreibt, sammeln spezialisierte Anleger-Kanzleien bereits Kläger, die Verluste wegen des Skandals geltend machen und sich wohl hauptsächlich darauf berufen werden, dass VW Informationspflichten verletzt habe. Der Beitrag stellt kurz die in Frage kommenden Pflichtverletzungen dar.
NSA-U-Ausschuss: Ausführlich und kritisch beleuchtet zeit.de (Kai Biermann) die Aussage des ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Zu seiner Amtszeit begannen NSA und BND zu kooperieren; seine Erinnerungen daran seien allerdings lückenhaft. Laut zeit.de sehe Hanning bei dieser Kooperation und dem Vorgehen des BND keine rechtlichen Probleme – dies sei "aus Sicht der im Zweifel betroffenen Bürger und aus Sicht der demokratischen Kontrolle" nicht nachvollziehbar.
Sanktionierung von Plagiaten: Für die Frage, ob Ursula von der Leyen ihren Doktortitel verlieren soll, ist es relevant zu wissen, in welchem Ausmaß Plagiatoren an medizinischen Fakultäten üblicherweise geahndet werden, schreibt die BerlZ (Christian Bommarius). Wenn die Promovierenden im Sinne eines "stillen Einvernehmens" mit ihren Professoren üblicherweise die Ge- und Verbote der Promotionsordnungen nicht achteten und plagiierten, so habe "jede Sanktion nicht nur jeden Sinn, sondern auch ihr Recht verloren". Ge- oder Verbote, welche der Normgeber nicht durchsetzt, müssten deren Adressaten nicht als verbindlich ansehen.
Herbert Grönemeyer: In einem ausführlichen Gastbeitrag für den Spiegel legt der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach dar, weshalb er es für möglich erachtet, dass die Journalisten, die Herbert Grönemeyer geschlagen haben soll, diesem eine Fall gestellt hatten. Er skizziert zudem die Geschichte des Rechts am eigenen Bild und die Methoden der Paparazzi. Schirach schließt mit der Mahnung, das "Gewaltmonopol des Staats" sei gefährdet, wenn Strafjustiz abgebaut und Strafverfahren "privatisiert" werden.
Kündigungsschutz für "Ost-Datschen": lto.de (Gudrun Janicke) informiert darüber, dass der Kündigungsschutz für ostdeutsche Ferien-Grundstücke, sogenannte Datschen, am 3. Oktober ausgelaufen ist – bisher seien sie "nahezu unkündbar" gewesen. Der Sprecher des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer rechnete mit einer "flächendeckenden Kündigungswelle".
Facebook – Hasskommentare: Unter dem Titel "Facebook ist keine Hilfspolizei" erläutert Rechtsanwalt Niko Härting auf lto.de, weshalb er es für Zensur erachtet, wenn Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) von Facebook fordert, sogenannte Hasskommentare zu löschen. Auch "hässliche Kommentare" fielen – solange sie nicht die Grenzen der Strafbarkeit überschreiten – unter die Meinungsfreiheit und seien daher auszuhalten.
App zum Bewerten von Menschen: Mit der App "Peeple" sollen Nutzer ab November die Möglichkeit erhalten, Menschen ohne deren Zustimmung zu bewerten. infodocc.info (Karsten Gulden) erklärt, warum dieses Vorhaben rechtliche Bedenken hervorruft.
Fritz Bauer: Der Focus (Ulrike Plewina) rezensiert jetzt auch den Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" und ruft das Vorgehen und die Strapazen des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer in Erinnerung, als er den ersten Auschwitz-Prozess vorbereitete.
Das Letzte zum Schluss
Zwiebackgesicht: Das Landgericht Düsseldorf hat dem Verein Ansaar International e.V. verboten, den FDP-Politiker Tobias Huch als "Schmutzfink”, "Porno-Atze" und "Lügen-Baron" zu beschimpfen. "Zwiebackgesicht" hingegen sieht das Gericht nicht als ehrenrührig an. Selbst Huch findet es witzig und hat sich ein orangefarbenes T-Shirt mit entsprechender Aufschrift machen lassen. justillon.de (Stephan Weinberger) informiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. bis 5. Oktober 2015: Schirachs Theaterdebüt "Terror" – NSU-Nebenklägerin existiert wohl nicht – "Whistleblowing" künftig strafbar? . In: Legal Tribune Online, 05.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17096/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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