Tücken der Verdachtsberichterstattung – zwischen Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse. Außerdem in der Presseschau: Grüne schlagen Cannabiskontrollgesetz vor, Verfassungsbeschwerde gegen EZB-Politik geplant, Vorbericht zu NS-Prozess, keine V-Leute mehr in Thüringen und eine gelassene Richterin im wohlverdienten Urlaub.
Thema des Tages
Verdachtsberichterstattung: Die Montags-taz (Christian Rath) informiert über die Netzwerk Recherche-Tagung in Leipzig von vergangenem Wochenende. Anwälte und Journalisten befassten sich mit den "Tücken der Verdachtsberichterstattung". So zeigten sich vermehrt Probleme im Ausgleich zwischen Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse – die Zahl der entsprechenden juristischen Auseinandersetzungen sei in den letzte Jahren gestiegen. Die Regeln der Verdachtsberichterstattung gelten, wenn "eine nachteilige journalistische Aussage noch nicht beweisbar ist". Daher gelten für entsprechende Beiträge besondere Bedingungen, welche die taz erläutert. Bei der Tagung kamen auch bekannte Einzelfälle zur Sprache, wie die Verdachtsberichterstattung in den Fällen Wulff und Edathy. Insbesondere wurde auch über Unklarheiten bei der Einbeziehung der Betroffenen, einer der besagten Bedingungen, diskutiert.
Rechtspolitik
Cannabiskontrollgesetz: Am vergangenen Freitag haben die Grünen ihren Vorschlag für ein Cannabiskontrollgesetz im Bundestag eingebracht – Ziel des Entwurfs sei die Entkriminalisierung von Cannabis, die Regulierung der Abgabe von Cannabisprodukten sowie die Stärkung des Jugendschutzes. zeit.de (Lisa Caspari) stellt die geplanten Regelungen dar, erklärt insbesondere, wie der Jugendschutz gestaltet werden soll und erinnert zudem an die Gefahren, die der Konsum von Cannabisprodukten birgt. Auch die Samstags-taz (Ulrich Schulte) informiert.
In einem Interview mit spiegel.de (Ansgar Siemens)erklärt der Kriminologe Thomas Feltes, weshalb er die Legalisierung von Cannabis im Gegensatz zum Verbot für das "kleinere Übel" halte. So floriere die Organisierte Kriminalität wegen der Illegalität der Droge. Ein Pilotprojekt sei ratsam, um die Folgen einer Entkriminalisierung zu untersuchen.
Anti-Terror-Strafrecht: Am heutigen Montag widmen sich Sachverständige im Rechtsausschuss des Bundestages dem Entwurf für ein Anti-Terror-Gesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Die Montags-taz (Christian Rath) resümiert die geplante Regelung und sammelt vorab bereits bekannte Kritikpunkte, aber auch Befürwortungen. So sähen einige Rechtswissenschaftler die Regelung als verfassungswidrig an, andere hingegen halten sie für "verfassungsrechtlich unbedenklich" oder sogar für "unzureichend".
Dopinggesetz: In einem Interview mit der FAS (Michael Reinsch) erläutert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Ressort Sport die Notwendigkeit des Anti-Doping-Gesetzes. Die geplante Regelung schütze den "sauberen Athleten" und die Integrität des Sports, dies werde insbesondere durch die Bestrafung des Selbstdopings gewährleistet – die Einführung von Grenzwerten wäre hingegen "nicht der richtige Ansatz". Maas äußert sich ebenso zur Olympiabewerbung Hamburgs und betont, dass das Anti-Doping-Gesetz hier einen Vorteil verschaffe – am kommenden Mittwoch soll das Gesetz im Kabinett verabschiedet werden.
Vorratsdatenspeicherung: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) plant die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. So sollen bereits vor dem Konvent der SPD am 20. Juni diesen Jahres Leitlinien für die geplante Regelung vorgestellt werden. Der Spiegel (Melanie Amann/Horand Knaup – spiegel.de-Zusammenfassung) nimmt dies zum Anlass nicht nur über Maas' Position zur Vorratsdatenspeicherung, sondern auch über seine Arbeit als Justizminister zu berichten. So verstehe er sich als "sensibler Rechtsstaats-Seismograph".
Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) legt dar, weshalb die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gerade bei der Terrorismusbekämpfung, aber auch bei der Verfolgung von Schwerstkriminalität, nicht notwendig sei – sie hätte ihre Berechtigung lediglich im Bereich der Internetkriminalität oder bei sogenannten "Enkeltricks". Die derzeit geltenden Regelungen böten dem Verfassungsschutz und Strafverfolgungsbeamten bereits ausreichend Möglichkeiten zur gezielten Datenerhebung bei mutmaßlichen Terroristen. Die SZ fragt ob, die Gesellschaft vor diesem Hintergrund bereit sei, den Preis der Einführung einer "anlasslosen Massenüberwachung unverdächtiger Bürger" zu zahlen.
TTIP - Schiedsgerichte: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) führt die Notwendigkeit und Rechtsstaatlichkeit von Schiedsgerichten aus, diese böten "schnell eine rechtssichere Lösung" für enteignete oder benachteiligte Unternehmer. Eine Rechtsprechung, die die Rechte von betroffenen Unternehmern ausreichend sichere, könne ein Internationaler Gerichtshof nicht gewährleisten, der Instanzenzug bedinge eine zu lange Verfahrensdauer. Die Schiedsgerichte seien die Instrumente, mit denen man die Durchsetzung der Regelungen garantieren und Recht schaffen könne.
Der Völkerrechtler Henner Gött stellt auf verfassungsblog.de ausführlich eine weitere Lösung zur Streitbeilegung von Investoren und TTIP-Staaten vor – eine "hybride Investitionsgerichtsbarkeit". Demnach sollten nationale Gerichte für Investitionsstreitigkeiten zuständig sein – hierfür spreche ihre Rechtsstaatlichkeit – völkerrechtliche Investitionsschutzregeln würden allerdings Verfahren wie Organisation modifizieren, um die Vorteile der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu erhalten.
Justiz
BGH zu Bewertungsportalen: Der Bundesgerichtshof entschied am vergangenen Donnerstag, dass die Inhaber des Bewertungsportals Holidaycheck nicht dazu verpflichtet sind, vorab zu prüfen, ob die durch die Benutzer hinterlassenen Beurteilungen über Hostels unwahre Tatsachenbehauptungen beinhalten. Eine Haftung wegen des Verstoßes gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb schlossen die Richter aus, da sich die Portalbetreiber die Behauptungen der Nutzer nicht inhaltlich zu eigen machten. Rechtsanwalt David Ziegelmayer erklärt auf lto.de, weshalb diese Entscheidung dennoch kein Grundsatzurteil darstellt.
Verfassungsbeschwerde gegen EZB-Politik geplant: Drei Chefs mittelständischer Unternehmen planen Ende April eine Verfassungsbeschwerde gegen das Programm der Europäischen Zentralbank einzulegen – sie werden dabei von Staatsrechtler Christoph Degenhart unterstützt. Sie vertreten die Ansicht, die EZB überschreite mit dem Ankauf von Staatsanleihen und mit dem gefassten Beschluss forderungsbedingte Wertpapiere zu kaufen ihr Mandat. Sie betreibe Wirtschaftspolitik, "zu der sie demokratisch nicht legitimiert sei" und entwerte damit das Wahlrecht der Bürger. Die Samstags-SZ (Kirsten Bialdiga/Markus Zydra) berichtet, dass bei Erfolg der Beschwerde, die Bundesregierung und der Bundestag dazu verpflichtet werden könnten, "gegen die EZB-Politik auf europäischer Ebene zu intervenieren". Auch die Samstags-Welt (Carsten Dierig) und das Montags-Handelsblatt (Jan Mallien) informieren über die geplante Verfassungsbeschwerde.
OLG Stuttgart – Kriegsverbrechen im Kongo: Die Montags-taz (Dominic Johnson) berichtet ausführlich von dem Strafverfahren gegen Ignace Murwanashyaka, dem Präsidenten der Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR), und seinen früheren Vize, Straton Musoni. Der Prozess laufe seit fast fünf Jahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, den Angeklagten werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, sie müssten mit erheblichen Freiheitsstrafen rechnen. Derzeit analysiert der 5. Strafsenat damalige SMS-Nachrichten Murwanashyakas, seine persönliche Vergangenheit und seine Rolle im Kampf gegen die Tutsi-Rebellen. Am heutigen Montag findet der 292. Verhandlungstag statt.
LG Lüneburg – NS-Verfahren: Am 21. April beginnt vor dem Landgericht Lüneburg das Strafverfahren gegen Oskar Gröning, er war Mitglied der SS und Buchhalter in Auschwitz. Ihm wird vorgeworfen, bei 300.000 Morden im Konzentrationslager Beihilfe geleistet zu haben. Die WamS (Per Hinrichs) bringt einen ausführlichen Vorbericht zu dem geplanten Prozess und widmet sich neben dem Tatvorwurf insbesondere dem Nebenklägeranwalt Thomas Walther und den Geschichten der Opfer.
Die WamS (Per Hinrichs) bringt zudem eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Prozesse wegen NS-Verbrechen.
Bundesanwaltschaft – Shabab-Miliz: Fünf Männer sollen sich der islamistischen Shabab-Miliz angeschlossen haben, ein weiterer sei bei dem Versuch allerdings in Somalia festgenommen worden. Die Bundesanwaltschaft hat nun unter anderem wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat Anklage gegen sie vor dem Oberlandesgericht Frankfurt erhoben. Dies meldet spiegel.de.
LG München I - Fitschen: Am 28. April wird vor dem Landgericht München I der Prozess gegen den Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen und weitere Vorstandsmitglieder wegen des Verdachts des versuchten Prozessbetruges beginnen. Der Spiegel (Dinah Deckstein/Martin Hesse) berichtet, welche "Gerüchte, Halbwahrheiten und Ungereimtheiten" im Vorfeld des Verfahrens verbreitet wurden.
Weitere Stimmen zum Kopftuch-Beschluss: Der Spiegel (Markus Deggerich/Jan Friedmann/Dietmar Hipp) zeigt auf, dass die Umsetzung des Kopftuch-Beschlusses in der Gesetzgebung der Länder sowie in den Schulen auf Probleme stoßen könne. So sei beispielsweise unklar, "wann die Schwelle zur Störung des Schulfriedens überschritten ist". In den Landesregierungen bestehe Uneinigkeit insbesondere darüber, ob die entsprechenden Landesgesetze reformbedürftig seien oder nicht.
Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig bringt gegenüber der Samstags-Welt (Matthias Kamann) zum Ausdruck, es sei widersprüchlich, dass "das Kreuz auf Wunsch von Schülern und Eltern zu weichen hat, aber das Kopftuch nicht" – grundsätzlich sei die Entscheidung jedoch eine "begrüßenswerte Absage an den Laizismus". Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte in seinem "Kruzifix-Beschluss" im Jahre 1995 angenommen, dass das religiöse Symbol die negative Religionsfreiheit beeinträchtige, im Kopftuch-Beschluss hingegen verwies man darauf, dass ein entsprechender Eingriff nicht vorliege, da "die Begegnung mit religiösen Symbolen zum Alltag gehöre".
Der Spiegel (Dietmar Hipp) bezeichnet den "Richtungsschwenk" der Verfassungsrichter als "heikel", denn die Entscheidung sei eine Abkehr von dem Kopftuch-Urteil aus dem Jahr 2003 und hätte deswegen gemäß § 16 des Bundesverfassungsgerichtsgerichtsgesetzes im Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschieden werden müssen. Dies sei umgangen worden, indem der Beschluss als Fortführung der Rechtsprechung aus 2003 dargestellt worden sei. Der "Karlsruher Flurfunk" begründe diese Entscheidungsfindung damit, dass das Urteil von 2003 nur dahingehend bindend gewesen sei, dass "ein Verbot eine gesetzliche Grundlage braucht".
Der Lehrbeauftragte für Kirchenrecht Georg Neureither schildert auf verfassungsblog.de, wie sich die Auslegung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bis zum Kopftuch-Beschluss entwickelt hat. Diese erstrecke sich von dem Konzept der offenen Neutralität und der "Segelanweisung" an den Gesetzgeber, über die Voraussetzung einer abstrakten Gefahr durch religiöser Bekundungen, bis zur nun geforderten konkreten Gefahr. Der Beitrag befasst sich auch mit Folgefragen des Kopftuch-Beschlusses.
Recht in der Welt
Frankeich – Impfpflicht: Das französische Verfassungsgericht entschied am vergangenen Freitag, dass die Impfpflicht verfassungsgemäß ist. Damit sind weiterhin alle Erziehungsberechtigten dazu verpflichtet, ihre Kinder zu impfen. Ein Ehepaar hatte seine Kinder nicht impfen lassen, weil die möglichen Nebenwirkungen für die Gesundheit der Kinder einen Eingriff in das "Recht auf Gesundheit" darstelle. Da die Weigerung der Impfpflicht nachzukommen in Frankreich mit Strafe bedroht ist, landete der Fall vor dem Strafgericht Auxerre – dieses legte ihn dem Verfassungsgericht zur Entscheidung vor, so die Samstags-FAZ (Michaela Wiegel).
Sonstiges
Keine V-Leute in Thüringen: Thüringen hat vergangene Woche beschlossen die V-Männer im Landesverfassungsschutz abzusetzen – lediglich in "begründeten Fällen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung" sei ihr Einsatz ausnahmsweise möglich. thueringer-allgemeine.de (Martin Debes) informiert zudem über Kritik an dem Vorgehen Thüringens – weder im Bund, noch in anderen Ländern seien entsprechende Maßnahmen geplant.
Kinderpornographie: Der Focus (Christoph Elflein/Frank Lehmkuhl/Göran Schattauer/Axel Spilcker) setzt sich ausführlich mit den Problemen bei der Strafverfolgung im Bereich Kinderpornographie auseinander. So seien zu wenig Strafverfolgungsbeamte mit einer zu großen Zahl an potentiellen Tätern, Daten und Verfahren konfrontiert. Der NRW-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Sebastian Fiedler moniere, die Zahl der Verfahrenseinstellungen sei zu hoch, es mangele an Verurteilungen. Zudem ende ein Großteil der Verurteilungen in Bewährungs- und Geldstrafen.
Griechenland – Reparationen: Die Samstags-taz (Christian Rath) stellt klar, dass bei den griechischen Forderungen zu unterscheiden sei zwischen Reparationen, der Rückzahlung von Zwangsanleihen und individuellen Klagen von griechischen Opferangehörigen. Der Beitrag erläutert zudem die eher schwache juristische Position Griechenlands – insbesondere könne eine Verurteilung Deutschlands zu Schadensersatz durch das oberste griechische Straf- und Zivilgericht aus dem Jahre 2000 nicht vollstreckt werden. Dagegen spreche das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität. Der derzeitige griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos hatte kürzlich seine notwendige Zustimmung zur Vollstreckung des Urteils gegeben.
Kein Recht auf schnelles Internet:Die Montags-Welt (Kathrin Gotthold) informiert kurz über die Rechte der Mieter in Sachen Internet und insbesondere schnellem Internet. So treffe den Vermieter grundsätzlich nicht einmal die Pflicht, einen Anschluss einzurichten. Wolle der Mieter also sicher gehen, dass er Internet, und noch dazu schnelles, in seiner Wohnung hat, sei eine vertragliche Vereinbarung ratsam.
Das Letzte zum Schluss
Richterin im wohlverdienten Urlaub: Ein Anwalt stellt bei Gericht den Antrag auf Fristverlängerung für eine Stellungnahme bis zum 14. April 2015. Die Richterin gab diesem nicht nur statt, sondern verlängerte die angefragte Frist sogar noch von Amts wegen und mit den Worten: "Ab dem 15. April befindet sich die unterzeichnende Abteilungsrichterin ohnehin im wohlverdienten Urlaub." Von der fleißigen Richterin schreibt lawblog.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. bis 23. März 2015: Tücken der Verdachtsberichterstattung – Grüne und Cannabiskontrollgesetz – Verfassungsbeschwerde gegen EZB-Politik . In: Legal Tribune Online, 23.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15021/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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