Das BVerfG hat die Rechte von Demonstranten gestärkt. Außerdem in der Presseschau: Wohllebens Verteidiger will NSU-Prozess aussetzen lassen, Käufer von Examenslösungen verurteilt und Grenzen des staatlichen Notstandsrechts.
Thema des Tages
BVerfG zu Identitätsfeststellung von Demonstranten: Polizisten sind nur dann dazu befugt, die Identität von Personen, die einen Polizeieinsatz filmen, festzustellen, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt. Eine solche bestehe erst dann, wenn "hinreichend tragfähige Anhaltspunkte" dafür sprechen, dass die Betroffenen das Material entgegen der Regelungen des Kunsturhebergesetzes verbreiten. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss vom vergangenen Juli und kam damit der Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen nach – die Maßnahme habe sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die taz (Christian Rath) und zeit.de informieren.
Rechtspolitik
EU-Asylpolitik: Die EU-Innenminister planen eine gemeinsame "EU-Rückführungspolitik", Abschiebungen von Flüchtlingen sollen beschleunigt und ausgeweitet werden. Das Konzept sieht gemeinsame Rückführungsflüge vor; zudem soll eine "feine Balance aus Anreizen und Druck" die Herkunftsländer von Geflüchteten dazu bewegen, diese wieder aufzunehmen. Der Plan betreffe allerdings nicht Schutzbedürftige im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, schreiben SZ (Thomas Kirchner) und FAZ (Hendrik Kafsack).
Justiz
OLG Stuttgart zu FDLR: Der Völkerrechtler Andreas Schüller zieht auf juwiss.de eine ausführliche Bilanz des mit Freiheitsstrafen von acht und zwölf Jahren abgeschlossenen Prozesses vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei hochrangige ehemalige Mitglieder der ruandischen Rebellengruppe FDLR. Das Urteil, welches im September fiel, ist das erste zu Anklagepunkten aus dem Völkerstrafgesetzbuch.
LG Potsdam zu Horst Mahler: Das Landgericht Potsdam hat beschlossen, den Strafrest der zwölfjährigen Freiheitsstrafe von Horst Mahler zur Bewährung auszusetzen, so die taz (Andreas Speit) – er wurde mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Inhaftierte bereits zwei Drittel seiner Strafe verbüßt habe und sein Gesundheitszustand ebenso für die Freilassung spreche. Die Staatsanwaltschaft München II soll sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt haben.
LG Hamburg zu Mutter vergiftet Sohn: Das Landgericht Hamburg hat eine Mutter, die ihren Sohn mehrfach vergiftete, um ihn krank zu machen, wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Laut Verteidigung konnte der Gutachter nicht feststellen, ob die Verurteilte vermindert schuldfähig war. Dies meldet spiegel.de.
OLG München – NSU: Ralf Wohllebens Verteidiger, Wolfram Narath, hat beantragt, den NSU-Prozess auszusetzen. Das Gericht verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, eine ordnungsgemäße Verteidigung von Beate Zschäpe sei angesichts fehlender Kommunikation zwischen den Verteidigern und der Angeklagten nicht gewährleistet. Während diese sich dem Antrag anschloss, widersprach die Bundesanwaltschaft. Narath beantragte zudem, den Haftbefehl gegen seinen Mandanten aufzuheben oder zumindest außer Vollzug zu setzen. Seine Anträge werden wohl keinen Erfolg haben, spekulieren spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und die SZ (Tanjev Schultz). Auch die taz (Konrad Litschko) berichtet.
spiegel.de (Jörg Diehls/Wiebke Ramm) resümiert die "merkwürdigen Umstände" in Sachen Meral K. und beschäftigt sich mit dem Verteidiger Ralph Willms und der Frage, wer von der Täuschung über die vermeintliche Nebenklägerin profitiert hat. In einem weiteren Beitrag zeichnet spiegel.de (Jörg Diehls/Wiebke Ramm) nach, wie es dazu kam, dass Willms Meral K. vertrat und schließlich erfuhr, dass diese nicht existiert.
LG Berlin – Mord an Schwangeren: Die beiden Angeklagten vor der Jugendstrafkammer am Landgericht Berlin, welche des Mordes an einer schwangeren Frau verdächtigt werden, haben sich geweigert auszusagen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Partner und einem seiner Freunde vor, das Opfer aus niedrigen Beweggründen, grausam und heimtückisch ermordet zu haben, teilen SZ (Verena Mayer), die Welt (Christine Kensche) und FAZ (Mechthild Küpper) mit.
Prozesse gegen Syrien-Rückkehrer: Die Strafverfahren gegen Syrienrückkehrer nehmen zu, stellt die BerlZ (Christian Bommarius) fest. Der Beitrag erklärt, dass zwar einzelne Urteile zu milde erscheinen mögen, die Strafjustiz allerdings nicht "zu zimperlich" sei, sondern es mit Beweisschwierigkeiten oder Jugendstrafverfahren zu tun habe.
Recht in der Welt
IStGH – Ermittlungen zu Georgienkrieg: Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Fatou Bensouda will die Richter zeitnah darum bitten, Ermittlungen zum Georgienkrieg zwischen Russland und Georgien zu genehmigen. Die Vorermittlungen zu Südossetien hätten ergeben, dass in dem Konflikt Verbrechen begangen wurden, welche in die Zuständigkeit des IStGH fallen. Die Welt meldet, dies wäre das erste Ermittlungsverfahren des IStGH außerhalb Afrikas.
EuGH zu Safe Harbor: zeit.de (Patrick Beuth) befasst sich ausführlich mit den Konsequenzen der Safe Harbor-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für datenverarbeitende Unternehmen und die Datenschutzpolitik. Problematisch sei, dass derzeitige alternative Regelungen sowie künftige Datenschutzvereinbarungen zwischen USA und EU wohl nicht den Anforderungen der Luxemburger Richtern entsprechen können, solange US-Recht den US-Behörden Zugang zu Nutzerdaten aus der EU gewährt.
Im Interview mit der FAZ (Fridtjof Küchemann) meint der Datenschützer Chris Conolly, die Entscheidung des EuGH setze "neue Maßstäbe für alle internationalen Datentransfers". Er sieht zahlreiche Optionen für betroffene Unternehmen, ihr Vorgehen mit deutschem Datenschutzrecht abzustimmen. Eine neue Datenschutzvereinbarung hält Conolly für möglich, allerdings unter der Voraussetzung, dass die USA "eigene grundlegende Datenschutzgesetze" verabschieden.
Juristische Ausbildung
AG Celle zu Käufer der Examenslösungen: Das Amtsgericht Celle hat den ersten Käufer der Examenslösungen von Richter Jörg L. zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten wegen Bestechung verurteilt. Der Angeklagte habe gestanden, dem Richter einen Betrag von 10.000 Euro für die Examenslösungen gezahlt zu haben, meldet lto.de.
Sonstiges
VW-Abgasskandal und KfZ-Steuer: Die BadZ (Christian Rath) erläutert, unter welchen Umständen VW-Fahrer Kraftfahrzeugsteuer nachzahlen müssen. Zuständig sei der Zoll, der Finanzminister Schäuble untersteht, der wiederum noch auf Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamts wartet. Etwaige Steuer-Nachforderungen könnten einen Schadensersatzanspruch der Kfz-Halter gegen VW begründen.
Grenzen des Notstandsrechts: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat "wirksame Notwehr" gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen angekündigt. Die SZ (Heribert Prantl) warnt, der Begriff Notwehr signalisiere in der Politik stets, "dass ein Politiker etwas tun will, was eigentlich absolut nicht rechtens ist – er selbst es aber für geboten hält." Deutschland habe als demokratischer Rechtsstaat ein Notstandsrecht – dessen "genau bezeichnete Fälle" allerdings die Bewältigung steigender Flüchtlingszahlen nicht umfassten.
Digitaler Datenschutz: Anlässlich der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu Safe Harbor und Google betont der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, es brauche "rechtliche Regelungsstrukturen", da der Markt Datenschutz nicht gewährleiste. Sicheres Internet sei Teil der staatlichen Daseinsfürsorge – Hoffmann-Riem sieht hier einen verfassungsrechtlichen Schutzauftrag. Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt im Ressort Medien fest, Gerichte könnten daraus unter bestimmten Umständen eine durchsetzbare Pflicht herleiten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Oktober 2015: BVerfG stärkt Rechte von Demonstranten – Käufer von Examenslösungen verurteilt – Aussetzung des NSU-Prozesses? . In: Legal Tribune Online, 09.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17152/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag