Norbert Lammert erklärt den Polen, was ein Verfassungsgericht wert ist. Außerdem in der Presseschau: Die CSU will Asylsuchende ohne Papiere aussperren, VG Braunschweig gegen Codesharing von Etihad und Air Berlin.
Thema des Tages
Lammert zu Verfassungsgerichten: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) unterstützt in einem Beitrag für die Zeit den Widerstand polnischer Kritiker gegen die Demontage des dortigen Verfassungsgerichts. Er beschreibt die Einschnitte und sieht Ähnlichkeiten zur Entwicklung in Ungarn 2013. Lammert mahnt: "Solche Vorgänge führen die Verletzbarkeit der Rechtsstaatlichkeit vor Augen, die in Europa offensichtlich bei Weitem nicht so selbstverständlich ist, wie wir gerne annehmen." Die verlässliche Stütze der Freiheit sei gerade deshalb nicht das Mehrheitsprinzip, sondern der Rechtsstaat, der individuelle Grundrechte sichert. Abschließend beschreibt Lammert, wie das deutsche Bundesverfassungsgericht (das er früher auch schon deutlich kritisiert hatte) entscheidend zur Machtbalance der Verfassungsorgane beigetragen hat, "die eine der Erklärungen für die erstaunliche Erfolgsgeschichte der zweiten deutschen Demokratie ist".
Rechtspolitik
Zurückweisung von Flüchtlingen: Die CSU wird auf ihrer Klausurtagung nächste Woche voraussichtlich ein Einreisverbot für Flüchtlinge ohne gültige Ausweisdokumente fordern. Jeder Flüchtling, der sich nicht ausweisen kann, solle demnach bereits an der Grenze zurückgewiesen werden. "Die Beschaffung von Ersatzpapieren kann schließlich auch in einem unserer sicheren Nachbarstaaten erfolgen", heißt es in einem Positionspapier der CSU-Landesgruppe, über das die SZ (Andreas Glas) und die FAZ (Günter Bannas) berichten. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat die Forderung der CSU bereits zurückgewiesen.
Jan Bielicki (SZ) kritisiert den Vorschlag: "Flucht heißt Chaos: Menschen verlieren Haus und Hof und Dokumente". Das Recht auf Prüfung des Asylanspruchs gelte "nicht nur für den, der ein ordentlich bestempeltes Stück Papier dabei hat." Dagegen argumentiert Daniel Deckers (FAZ): wer bei der Grenzkontrolle nicht kooperiert, "sollte seinen Schutzanspruch auch faktisch verwirkt haben".
Bayerisches Integrationsgesetz: Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Landesregierung Martin Neumeyer (CSU) stellt im Interview mit der taz (Margarete Moulin) Pläne für ein Landesintegrationsgesetz vor. Danach werde Bayern viel Geld investieren; im Gegenzug werde überlegt, Migranten "einen Vertrag unterschreiben zu lassen, in dem sie sich verpflichten, die deutsche Rechts- und Werteordnung anzuerkennen". Wenn jemand den Spracherwerb verweigert, solle es zu Kürzungen von Sach- und Geldleistungen kommen. Bei Bestehen des Integrationskurses soll es Belohnungen geben, z.B. Freikarten fürs Schwimmbad.
Erbschaftsteuer: Die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene Reform der Erbschaftssteuer muss bis zum 30. 6. 2016 abgeschlossen sein. Die FAZ (Joachim Jahn/Manfred Schäfers) spielt ausführlich durch, welche Optionen bestehen, wenn Bundestag und Bundesrat bis dahin nichts beschlossen haben. Dann könnte entweder die Erbschaftsteuer ganz wegfallen oder nur die Vergünstigungen für Unternehmenserben entfallen oder das Verfassungsgericht könnte mit einer einstweiligen Anordnung regeln, was übergangsweise gelten soll.
Justiz
VG Braunschweig zu Code-Sharing mit Etihad: Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat eine Genehmigung der Codesharing-Gemeinschaftsflüge von Air Berlin und Etihad Airways auf 31 Strecken verboten. Diese Verbindungen - unter anderem nach Berlin und Stuttgart - seien nicht vom Luftverkehrsabkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gedeckt. Etihad hat aber nur deshalb Geld bei Air Berlin investiert, weil es so Zugang zum deutschen Markt bekommen wollte. Das Bundesverkehrsministerium hatte das Codesharing jahrelang genehmigt, dann aber auf Wunsch von Lufthansa und Condor seine Rechtsauffassung geändert. Es wird erwartet, das Etihad in dem Eilverfahren in Berufung geht. Es berichten die SZ (Jens Flottau) und die FAZ (Timo Kotowski).
Caspar Busse (SZ) kommentiert: "Juristisch gesehen ist die Entscheidung in Ordnung", es sei auch richtig, gegenüber staatlich subventionierten Fluggesellschaften wie Etihad nicht nachzugeben, denn dies schade privaten Gesellschaften wie der Lufthansa.
VG Gelsenkirchen zu Fackelverbot: Bei einer rechtsextremen Demonstration gegen Flüchtlingsheime in Dortmund dürfen keine Fackeln mitgeführt werden. Ein entsprechendes Verbot der Polizei hat jetzt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt, meldet der wdr.de.
BGH zu Helmpflicht für Radfahrer: Anwalt Michael Schmidl (meyerhuber.info) sieht die Diskussion um eine de-facto-Helmpflicht für Radfahrer nach dem BGH-Urteil vom Juni 2014 nicht für abgeschlossen. Der BGH hatte damals das Mitverschulden einer unbehelmten Fahrradfahrerin an ihren schweren Kopfverletzungen verneint. Schmidl argumentiert, das maßgebliche Verkehrsbewusstsein sei nicht statisch, und präsentiert Beispiele hierfür. Die Haftfplichtversicherer würden wohl einen neuen Anlauf zum BGH unternehmen, wenn sich nach ihrer Ansicht das Verkehrsbewusstsein geändert hat.
VG Freiburg zu Beschränkungen für Fußballfans: rechtslupe.de stellt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg aus dem September vor. Das Gericht erklärte es für rechtswidrig, dass die Polizei zwei Freiburger Ultra-Fans für mehrere Monate an Heimspieltagen des SC Freiburg den Aufenthalt in Stadionnähe und in der Innenstadt verbot. Die Tatsache, dass sich die beiden Fans bereits zweimal mit Hooligans von anderen Verein weitab vom Stadion bei so genannten "Drittortauseinandersetzungen" zu Prügeleien verabredet und getroffen hatten, sei kein Indiz dafür, dass sie sich auch im oder beim Stadion an Ausschreitungen beteiligen werden.
Recht in der Welt
Russland - Nemzow-Mord: Zehn Monate nach dem Mord an dem russischen Oppositionellen Boris Nemzow hat die Staatsanwaltschaft fünf Personen angeklagt. Rädelsführer sei ein tschetschenischer Polizeioffizier. Angehörige Nemzows glauben, dass auch der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow in den Fall verwickelt ist, berichtet die taz (Jarina Kajafa).
USA - Klage gegen Spotify: Der Rockmusiker David Lowery hat den Musik-Streamingdienst Spotify verklagt, weil mindestens vier Songs seiner Bands Cracker und Camper van Beethoven dort ohne Lizenz gestreamt wurden. Er strebt eine Sammelklage mit anderen Musikern an und verlangt 150 Millionen Dollar Schadensersatz, meldet die FAZ sowohl auf ihrer Medienseite als auch im Wirtschaftsteil. Spotify entgegnete, dass es manchmal schwer sei, die Rechteinhaber zu identifizieren.
USA - verwöhnter Straftäter: Ein damals 16-jähriger Jugendlicher hatte betrunken vier Menschen totgefahren. Weil ihm als Kind reicher Eltern nie Grenzen aufgezeigt wurden, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Da er gegen die Bewährungsauflagen verstieß, sollte er doch ins Gefängnis, weshalb er mit seiner Mutter nach Mexiko floh. Dort wurde er festgenommen, wehrt sich nun aber gegen seine Auslieferung, wie spiegel.de berichtet.
Sonstiges
Flüchtlingskriminalität: Das Bundeskriminalamt hat den Vorwurf der Polizistin und Buchautorin Tanja Kambouri zurückgewiesen, es schöne auf Druck der Politik die Statistik über die Kriminalität von Flüchtlingen. Über den Konflikt berichtet die taz (Daniel Bax).
Hoeneß und die Haftentlassung: lto.de schildert den bisherigen Haftverlauf des wegen Steuerhinterziehung verurteilten Fußballfunktionärs Uli Hoeneß. Außerdem wird erläutert, auf welcher Grundlage er im März möglicherweise nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren freigelassen werden könnte.
Jahresbilanz von Thomas Fischer: In sarkastischen Worten lässt BGH-Richter Thomas Fischer in der Zeit das Jahr passieren. Neben Flüchtlingen, Krieg und Fußball geht es auch um juristische Themen. "Das Strafgesetzbuch, liebe Leser, hat zurzeit knapp 500 Paragrafen. Davon sind im Jahr 2015 (wieder einmal) ungefähr 50 geändert, neu gefasst oder ganz neu eingefügt worden, von der Terrorismusfinanzierung über die Jugend-Pornografie bis zum Verbot der Sterbehilfe. In keinem einzigen Fall wurde eine Strafbarkeitsgrenze zurückgenommen. Nirgendwo wurde das (Straf-)Recht liberaler. Entsprechendes gilt für das Strafverfahrensrecht. Und? Fühlen Sie sich sicherer?"
Das Letzte zum Schluss
Zeitungen in der Bahn: lawblog.de (Udo Vetter) analysiert den Fall eines ICE-Bahnfahrers, der ein Ticket der 2. Klasse besaß, aber in der 1. Klasse aufs Klo ging und dabei eine für Gäste der 1. Klasse ausliegende Zeitung mitnahm. Nach Auffassung von Vetter verhielt sich der Bahnfahrer legal, da man sich beim Übergang von der 2. Klasse in die 1. Klasse nicht aktiv beim Schaffner melden muss. Bei einer Fahrkartenkontrolle hätte er allerdings denAufpreis für seinen Aufenthalt in der 1. Klasse bezahlen müssen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag, den 4. Januar, erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Dezember 2015: Lammert lobt Verfassungsgerichte / CSU will Flüchtlinge zurückweisen / Gericht stoppt Etihad . In: Legal Tribune Online, 31.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18014/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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