Fünf statt vier? Der Vorschlag, die Legislaturperiode des Bundestages zu verlängern, findet wenige Freunde. Außerdem in der Presseschau: europäische Freizügigkeit für EU-Bürger – und für Schornsteinfeger, Pornografie und Recht, Kenyatta-Prozess vor dem Aus, Korruption in der Türkei und verbotenes Böllern in Niedersachsen.
Thema des Tages
Wahlrhythmus: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, nochmals einen "kritischen Blick" auf das neue Wahlrecht zu werfen. In diesem Zusammenhang sei es "naheliegend", auch über eine Verlängerung der Legislaturperiode nachzudenken.
In ihrem Bericht erinnert die Montags-FAZ (Johannes Leithäuser) daran, dass auch einer der ersten Vorschläge der letzten großen Koalition im Jahre 2005 eine derartige Verlängerung betraf. Bemerkenswert sei, dass die Idee erneut "als eine Art Beiladung für andere Organisationsänderungen verkleidet" wurde.
Heribert Prantl (Montags-SZ) kommentiert ablehnend: "Weniger wählen bedeutet weniger Demokratie." Zwar gäbe es für eine derartige Verlängerung praktische Gründe, diese könnten die "Verdünnung der Wähler-Rechte" jedoch nur dann rechtfertigen, wenn - wie in zahlreichen Ländern geschehen - gleichzeitig Möglichkeiten der direkten Demokratie gestärkt würden. Abstimmungen seien immerhin in Artikel 20 Abs. 2 Grundgesetz vorgesehen. Daniel Decker (Montags-FAZ) hält nichts von der Idee: "Sollten sich Abgeordnete und Parteien in ihrer Arbeit durch die Wähler gestört fühlen, könnten sie vielleicht ein wenig disziplinierter und schneller arbeiten."
Rechtspolitik
Freizügigkeit: Die Samstags-Welt (Stefan von Borstel/Karsten Kammholz) macht darauf aufmerksam, dass nach dem Wegfall bisher geltender Beschränkungen ab dem 1. Januar die EU-weite Freizügigkeit auch für rumänische und bulgarische Arbeitnehmer gilt. Heribert Prantl (Samstags-SZ) kommentiert in diesem Zusammenhang den aus CSU-Kreisen stammenden Slogan "Wer betrügt, der fliegt" als "ziemlich widerwärtig". Er stelle Migranten unter einen Generalverdacht, ohne dabei die Probleme der Arbeitsmigration zu lösen. Nach Daniel Decker (Montags-FAZ) sei es dagegen "zu beweisen, dass in der Sache zutreffende, wenngleich öffentlichkeitswirksam zugespitzte Formulierungen fremdenfeindlichen Tendenzen mehr Vorschub leisten als rechthaberisches Gutmenschentum."
Trennbanken: Ein der Samstags-SZ (Andrea Rexer) exklusiv vorliegender Entwurf der EU-Kommission zur Schaffung eines Trennbanken-Systems erweist sich nach Darstellung des Blattes als "Mogelpackung". Eine Pflicht zur Abtrennung risikoreicher Handelsgeschäfte sei nicht vorgesehen, die Entscheidung hierüber bliebe der Bankenaufsicht vorbehalten, dies aber auch nur bei europaweit 29 Banken.
Bankenunion: Nach einer Meldung des Spiegels (Vorabmeldung hier) haben Experten des Bundesfinanzministeriums Zweifel an der Vereinbarkeit der kürzlich beschlossenen Bankenunion mit dem Grundgesetz. Insbesondere die Höhe der von den Banken zu leistende Abgabe berge die Gefahr einer Enteignung.
Prostitution: Ein längerer Beitrag im Feuilleton der Montags-SZ (Andreas Zielcke) befasst sich angesichts von Verbotsforderungen mit kriminalpolitischen, normativ-ethischen und soziologischen Aspekten der Prostitution.
Schornsteinfeger: Über das Ende eines der "skurillsten Monopole des Landes" schreibt die WamS (Steffen Fründt). Nach einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission entschloss sich der Gesetzgeber 2008 zur Abschaffung der Privilegierung von Bezirksschornsteinfegern, mit Ende einer Übergangsfrist werden im neuen Jahr deren Kehrbezirke nunmehr frei ausgeschrieben.
Neuregelungen: Die WamS (Sabine Schmitt) stellt zahlreiche, mit dem neuen Jahr in Kraft tretende verbraucherrelevante Neuregelungen, etwa zu Sozialversicherungs- oder Rentenbeiträgen, vor.
Justiz
Beratungskultur am BGH: Auf lto.de beteiligt sich Kay Nehm an der Debatte über die Beratungskultur am Bundesgerichtshof. Der Generalbundesanwalt a.D. stellt hierzu die maßgeblichen Unterschiede von Revisionsentscheidungen im Urteils- und Beschlussverfahren vor und hält den eingeschränkten Prüfmaßstab im letzteren Verfahren, bei dem in der Regel nur der Vorsitzende und der Berichterstatter die relevanten Unterlagen lesen, für gerechtfertigt.
BGH zu Prostitution: Der Spiegel (Barbara Schmid) schreibt über ein mittlerweile beim Bundesgerichtshof anhängiges Revisionsverfahren, in dem sich Bordellbetreiber gegen eine Verurteilung zu Freiheitsstrafen wegen Steuerhinterhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug zur Wehr setzen. Der Beitrag stellt den erstinstanzlich mit der Sache befassten Klever Staatsanwalt vor, dessen "Kniff" zu einer bundesweiten Unruhe in der Rotlichtszene geführt habe.
BAG zu HIV-Infektion: Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung eines HIV-Infizierten von vor zwei Wochen beschäftigt sich nun auch Rechtsprofessor Christian Rolfs (blog.beck.de). Besonders überraschend sei die vom Bundesarbeitsgericht offen gehaltene Möglichkeit einer Entschädigung auch bei einer unwirksamen Kündigung.
Querulanz: Über den jahrelangen, letztlich erfolglos gebliebenen Rechtsstreit eines Beamten gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen psychisch bedingter Dienstunfähigkeit schreibt die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch). Der Artikel fragt dabei auch nach dem Wesen der Querulanz.
Justizkritik: In der Kolumne "Ein Spruch" macht sich Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) Gedanken über Herkunft und Sinn der gerade im letzten Jahr vielfältigen Justizkritik. Obwohl "viel zu oft klischeebeladen, unfair, kenntnislos," wecke das Anprangern von Justizirrtümern ein Bewusstsein dafür, "dass Strafen niemals Routine werden darf."
Gnade: Dirk Kurbjuweit (Spiegel) räsoniert über Gnade und bringt hierfür jüngsten Begnadigungen in Russland und die vermeintlich gnadenlosen Ermittlungen der Hannoveraner Staatsanwaltschaft gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) in Verbindung. Der gegen Wulff laufende Prozess belege, dass im Rechtsstaat Fakten mehr zählten als das Kalkül von Politikern.
Pornografie: In ihrem Titelthema befasst sich die WamS (Henryk M. Broder) mit "Pornografie in Zeiten der Digitalisierung und der Political Correctness" und geht hierbei auch auf Versuche ein, das Genre gerichtlich zu erklären oder zu definieren. Ein weiterer Beitrag (Benedikt Fuest) fasst den Fall "RedTube" zusammen und berichtet von erheblichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der massenhaft versandten Abmahnungen. So sei es fraglich, ob die Schweizer Firma, in deren Auftrag die Abmahnungen verschickt wurden, die Online-Verwertungsrechte an den Filmen überhaupt rechtmäßig erworben habe. Im Zusammenhang der "RedTube"-Abmahnungen beklagt Jens Koenen (Handelsblatt) in einem Leitartikel die mangelnde Netzkompetenz vieler Richter.
Rückblick auf 2013: Für die WamS blicken verschiedene Menschen auf ihren wichtigsten Tag im vergangenen Jahr zurück. Tina K. nennt den Geburtstag ihres getöteten Bruders Jonny, Friedhelm Adolfs das Datum des Zugangs seiner Wohnungskündigung.
Ausblick auf 2014: Als "Köpfe des Jahres 2014" stellt die FAS (Georg Meck) in ihrem Wirtschafts-Teil unter anderem den früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den FC Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß sowie die für beide anstehenden Gerichtsverfahren im kommenden Jahr vor.
Recht in der Welt
IStGH – Kenyatta: Nach Darstellung der Samstags-SZ (Ronen Steinke) steht der in Den Haag/Niederlande laufende Prozess gegen den kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta vor dem Aus, nachdem ein entscheidender Zeuge der Anklage frühere Aussagen widerrufen hat. Die Staatsanwaltschaft habe das Gericht gebeten, das Verfahren für drei Monate auszusetzen. In seinem Kommentar besteht Ronen Steinke (Samstags-SZ) darauf, dass auch ein etwaiger Beitrag Kenyattas zur Beruhigung der Lage im Südsudan nicht den Zweck der Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beseitigen würden.
Türkei – Korruption: Zu einer "Machtprobe zwischen Regierung und Justiz" weitet sich nach Darstellung der Samstags-SZ (Christiane Schlötzer) der Korruptionsskandal in der Türkei aus. Der Staatsrat als oberstes Gericht des Landes annullierte eine erst kürzlich von Präsident Erdogan erlassene Regelung, die Staatsanwaltschaft und Polizei dazu verpflichtet hätte, Gouverneure und andere hohe Dienststellen vorab von Ermittlungen zu informieren.
Griechenland – Korruption: Ein früherer griechischer Spitzenbeamter hat nach Bericht der Samstags-SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) gegenüber der Athener Staatsanwaltschaft gestanden, im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften Schmiergelder in Millionenhöhe kassiert zu haben. Hiervon betroffen seien mehrere deutsche Rüstungsfirmen. Die Montags-SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) erinnert daran, dass der Siemens-Konzern einst wegen Bestechung griechischer Amtsträger sowohl von der deutschen als auch der griechischen Justiz belangt wurde.
Russland – Tolokonnikowa: In einem längeren Interview mit dem Spiegel (Matthias Schepp) spricht die Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa über ihre Haftbedingungen, die Hintergründe ihres verurteilten Auftritts und ihre Pläne zur Änderung des russischen Strafsystems.
Russland – Chodorkowski: In einem Artikel über Michail Chodorkowski erwähnt der Spiegel (Christian Neef/Matthias Schepp) eine Anordnung des Obersten Gerichts in Moskau, nach der die zweite Verurteilung des Unternehmers geprüft und verringert werden müsse. Auch die nach wie vor offene Steuerforderung gegen Chodorkowski aus dessen erster Verurteilung sei zu prüfen. Beide Entscheidungen könnten als Teil eines Deals zwischen dem Kreml und dem in Berlin Befindlichen zu werten sein.
Brasilien/Argentinien – Siemens: Dem Siemens-Konzern droht Ungemach in Südamerika. Wie das Handelsblatt (Alexander Busch) schreibt, sind Ermittler der Kartellbehörde Brasiliens bei Untersuchungen zu einer Kartellbildung bei U-Bahn-Aufträgen auf ein Schmiergeldkonto des Konzerns in Luxemburg gestoßen. Die durch eine Selbstanzeige erhoffte Straffreiheit sei dadurch gefährdet. In Argentinien ist derweil ein Verfahren gegen einen Ex-Vorstand des Unternehmens wegen Schmiergeldzahlungen anlässlich eines Auftrags zur Herstellung von Personalausweisen eingeleitet worden.
Sonstiges
C.H. Beck: In ihrer "Literarische Welt"-Beilage stellt die Samstags-Welt (Wolfgang Schneider) zwei Bücher zur Geschichte des C.H. Beck-Verlages und die aus ihnen erwachsene Kontroverse vor. Die Autoren von "C.H. Beck 1763-2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte" und "250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.H. Beck – 1763-2013", Stefan Rebenich und Uwe Wesel, stritten vor allem über die Frage, ob der Verlag durch die 1933 erfolgte Übernahme des juristischen Verlags Otto Liebmann, der die "juristische Kompetenz" Becks begründet habe, als Arisierungsprofiteur zu bezeichnen sei.
Raubkunst: Die Samstags-SZ (Peter Münch) stellt den israelischen Anwalt Joel Levi vor. Der Bundesverdienstkreuzträger gilt als Raubkunst-Experte und betreut aktuell mehrere Mandate im Zusammenhang mit dem Fall Gurlitt.
Investigativer Journalismus: Georg Mascolo (Samstags-SZ) bezeichnet in einem Beitrag für die Wochenend-Beilage der Zeitung 2013 als ein "nicht nur in Amerika … schlechtes Jahr für den investigativen Journalismus." Weltweit, auch in demokratischen Staaten, sähe sich die kritische Berichterstattung Behinderungen durch Regierungen unter Zuhilfenahme von Gerichten ausgesetzt.
Das Letzte zum Schluss
Feuerwerk: Für viele gehört zu einem stilechten Jahresabschluss ein ordentliches Feuerwerk. Bewohner mehrerer niedersächsische Kommunen müssen jedoch auf diese Sitte verzichten. Zum Schutz historischer Innenstädte haben einige Gemeinden das silvesterbedingte Böllern verboten. Sie stützen sich dabei auf eine 2009 erfolgte Änderung des Bundessprengstoffgesetzes, schreibt die Samstags-taz-Nord (Teresa Havlicek).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. - 30. Dezember 2013: Weniger wählen? – Europäische Freizügigkeit – IStGH-Prozess vor dem Aus . In: Legal Tribune Online, 30.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10483/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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