Der Generalanwalt am EuGH hält die deutsche Besoldungspraxis für altersdiskriminierend. Außerdem in der Presseschau: EGMR zur Sicherungsverwahrung, BVerfG zu Übersetzerhonoraren, Antrag im NPD-Verbotsverfahren, ArbG Köln zu Mindestgröße von Piloten, und ein Urteil gegen den "König von Deutschland".
Thema des Tages
EuGH – Generalanwalt zu Besoldung: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Yves Bot, hält die bis 2009 praktizierte altersabhängige Beamtenbesoldungspraxis in Deutschland für einen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Auch die Übergangsregelungen des Bundes und des Landes Berlin seien EU-rechtswidrig, berichten SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Corinna Budras). Folge das Gericht der Auffassung des Generalanwalts, müssten Bund und Länder möglicherweise mit Milliardenforderungen junger Beamten rechnen. Auch lto.de berichtet.
Wolfgang Janisch (SZ) meint, das Verfahren zeige, dass Geld und Recht "natürliche Feinde" seien. Die diskriminierenden Übergangsregelungen seien der Tatsache geschuldet, dass man einerseits älteren Beamten nichts wegnehmen, für eine Gleichstellung der jüngeren aber nicht zu viel Geld habe ausgeben wollen. Jedenfalls letzteres habe der Generalanwalt nun anders gesehen.
Rechtspolitik
Biologische Rasterfahndung: Der Koalitionsvertrag sieht eine Ausweitung von Massen-Gentests zur Aufklärung von Sexual- und Gewaltverbrechen vor. Darüber und über weitere Vorhaben der Koalitionäre in der Innen- und Rechtspolitik wie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder die "nachträgliche Therapieunterbringung" berichtet die SZ (Heribert Prantl). Von den Reformvorschlägen der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung fände sich im Vertrag dagegen nichts mehr.
Providerhaftung: Thomas Stadler (internet-law.de) setzt sich mit der im Koalitionsvertrag geforderten Verschärfung der Providerhaftung im Internet auseinander und begründet, warum für diese vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung weder ein Bedürfnis noch großer Spielraum besteht.
Justiz
EGMR zur Sicherungsverwahrung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland erneut wegen der hierzulande praktizierten Sicherungsverwahrung verurteilt. Nach einem Bericht der taz (Christian Rath) ist der Fall deswegen besonders bedeutsam, weil der Gerichtshof den Begriff der "psychischen Störung" näher konturiert und eingeschränkt habe. So dürfe nicht jede "dissoziale Persönlichkeit" als psychisch gestört gewertet werden. Das habe unter anderem das Bundesverfassungsgericht bislang anders gesehen.
OLG Stuttgart entlässt Sicherungsverwahrte: Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet von einer Sicherungsverwahrten, die auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart am Mittwoch aus der Haft entlassen wurde. Die in den Augen des Gerichts nur "mittelgradig gefährliche" Frau unterliege weitgehenden gerichtlichen Auflagen, sei aber ohne große Vorbereitung aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden.
BVerfG zu Übersetzerhonoraren: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine 2002 eingeführte Klausel des Urheberrechts, das Autoren und Übersetzern auch bei anderslautenden Vertragsklauseln Anspruch auf eine angemessene Vergütung garantiert, nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Geklagt hatte laut taz (Christian Rath) ein Verlag, der seine Berufsfreiheit und die Privatautonomie verletzt sah.
BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: Am kommenden Dienstag wird der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands beantragen. Die FAZ (Peter Carstens) berichtet über den der Zeitung bereits vorliegenden Verbotsantrag. In ihm versicherten die unterzeichnenden Landesminister, dass die vorgelegten Beweismittel für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei frei von Informationen von V-Leuten seien.
Reinhard Müller (FAZ) meint, man müsse daran zweifeln, "ob das Verbot einer nahezu bankrotten 1,3-Prozent-Partei angemessen ist" und fürchtet das "Scheinwerferlicht der Karlsruher Bühne" könnte der Partei wieder zu mehr Zulauf verhelfen.
LG Hannover – Wulff-Prozess: Im Prozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat ein ehemaliger Personenschützer des Angeklagten nach Berichten von FAZ und Welt (Ulrich Exner) den Richter erheblich verärgert. Der Polizeibeamte habe sich kaum noch an Vorkommnisse erinnern können und sich in den Augen des Richters zu wenig auf seine Vernehmung vorbereitet.
LG Landshut zu Kindsmörderin: Das Landgericht Landshut hat eine 39-jährige Frau wegen der Tötung ihrer drei Kinder zu 14 Jahren Haft verurteilt. Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet im "München/Bayern"-Teil.
AG Kiel spricht Schwimmtrainer frei: Das Amtsgericht Kiel hat einen wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen angeklagten früheren Olympia-Schwimmtrainer freigesprochen. Der Verteidigung sei es gelungen nachzuweisen, dass es sich um ein einvernehmliches Verhältnis gehandelt habe, berichtet die FAZ (Frank Pergande). Auch spiegel.de berichtet.
StA Lübeck – Psychiaterin angeklagt: Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat gegen eine Psychiaterin Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben, weil diese einen verwirrten Mann entlassen und dieser später seine Mutter erstochen haben soll. Die Welt (Per Hinrichs) berichtet von dem Fall, der ab Montag unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden soll.
OLG München – Kirch-Prozess: Die SZ (Klaus Ott) befasst sich in zwei Artikeln mit dem am Oberlandesgericht München anhängigen Prozess der Kirch-Erben gegen die Deutsche Bank. Im einen geht es um die immer wieder gescheiterten Vergleichsverhandlungen, im anderen um die Prozessstrategie der Deutschen Bank – die "den Streit jetzt durchziehen" wolle.
StA München – Middelhoff-Ermittlungen: Nach einem Bericht der FAZ (Joachim Jahn) ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft nun auch gegen den ehemaligen Bertelsmann- und Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wegen Prozessbetrugs im Zusammenhang mit seiner Aussage im Kirch-Schadensersatz-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.
LG München I zu Ritter Sport: Der Schokoladenhersteller Ritter Sport hat beim Landgericht München I eine einstweilige Verfügung gegen die Stiftung Warentest erwirkt, die dieser vorläufig untersagt, eine Schokoladensorte des Unternehmens wegen eines angeblich künstlichen Aromastoffes als "mangelhaft" zu bewerten. FAZ (Susanne Preuß) und FR (Annika Graf) berichten.
ArbG Köln zu Mindestgröße von Piloten: Das Arbeitsgericht Köln hat die Entschädigungsklage einer Frau abgewiesen, die wegen ihrer Körpergröße von der Lufthansa nicht zur Pilotenausbildung zugelassen worden war. Zwar sei die Mindestgröße von 1,65 Metern diskriminierend, weil sie Frauen überproportional von der Ausbildung ausschließe, jedoch sei die Voraussetzung tarifvertraglich geregelt, weswegen der Fluggesellschaft weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fielen, berichtet die FAZ (Corinna Budras). Auch die FR (Elke Silberer) berichtet.
Recht in der Welt
Österreich – EGMR zu Informationsfreiheit: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat laut verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) Österreich wegen Verletzung der Informationsfreiheit verurteilt und damit gegen den Staat gerichtete Informationsansprüche auf Grundlage der Menschenrechtskonvention gestärkt.
Ägypten – Frauen wegen Demonstration verurteilt: In Ägypten sind 21 junge Frauen zu langen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie an einer Demonstration für die Muslimbruderschaft teilgenommen haben, berichtet spiegel.de.
Sonstiges
Datenschutz Deutschland/USA: Auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ setzen sich die beiden Rechtswissenschaftler Russell Miller aus Washington und Ralf Poscher aus Freiburg mit den Datenschutztraditionen in Deutschland und den USA auseinander. Dabei treffe ein "präventiver Datenschutz" auf eine "pragmatische Rechtskultur", eine Harmonisierung müsse scheitern.
Grenzen der Parteipolitik: Vor dem Hintergrund des Abschlusses der Koalitionsverhandlungen setzt sich die FAZ (Reinhard Müller) auf ihrer "Zeitgeschehen"-Seite mit der parteipolitischen Prägung von Gesetzgebung und Verfassungswirklichkeit auseinander – und ihren von der Verfassung gesetzten Grenzen.
Gurlitt-Bilderschatz: Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum verlangt als erstes Museum einige Werke aus dem von der Augsburger Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Gurlitt-Bilderschatz zurück. Die Werke sollen 1937 von den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" entwendet worden sein, berichtet die FAZ (Corinna Budras). Die Rechtslage sei allerdings "verworren".
Krankenhausfinanzierung: Vor dem Hintergrund eines Rechtsstreits vor dem Landgericht Tübingen beschäftigen sich Robin van der Hout und Anja Köhler auf lto.de mit dem Streit zwischen privaten Kliniken und solchen in öffentlicher Trägerschaft um staatliche Zuschüsse. Dabei gehe es um das Spannungsverhältnis zwischen Daseinsvorsorge und unzulässigen Staatsbeihilfen.
Impressumspflicht und Wettbewerbsrecht: Thomas Stadler (internet-law.de) gibt angesichts der seit Mitte Juni geltenden EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu bedenken, dass Verstöße gegen die Impressumspflicht im Internet möglicherweise nicht wie bisher ohne weiteres als Wettbewerbsrechtsverstöße angesehen werden dürfen.
Das Letzte zum Schluss
"König von Deutschland" verurteilt: Ein selbsternannter "König von Deutschland" ist trotz der von ihm selbst ausgestellten Fahrerlaubnis vom Amtsgericht Neustadt wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Das Gericht war vom "Fantasiestaat" des Angeklagten und seiner Rolle als Staatsoberhaupt wohl nicht überzeugt, wie das von blog.beck.de (Carsten Krumm) dokumentierte Urteil zeigt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. November 2013: Generalanwalt kritisiert Besoldungspraxis – EGMR zur Sicherungsverwahrung – "König von Deutschland" verurteilt . In: Legal Tribune Online, 29.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10204/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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