Heute werden die rechtspolitischen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag unter die Lupe genommen. Außerdem in der Presseschau: Deutsche Bahn muss zahlen, Cornelius Gurlitts Sammlung, kein Konto für die NPD, Europäische Ermittlungsanordnung, Zschäpes Mutter, und welche Rolle Wilhelmshaven im Weltfußball spielt.
Thema des Tages
Rechtspolitik im Koalitionsvertrag: Die taz (Daniel Bax) widmet sich dem Thema Doppelte Staatsbürgerschaft und sieht die türkischen Einwanderer, die schon länger in Deutschland leben, als Verlierer, da sie wie bisher im Falle einer Einbürgerung ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Die SZ (Roland Preuss) begrüßt den Wegfall der Optionspflicht für junge Migranten, die sich bis zum 23. Lebensjahr für die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden hatten oder ausgebürgert wurden. Sie können jetzt Doppelstaatsbürger werden.
Unter der Überschrift "Sicherheit und Einwanderung" akzentuiert die FAZ (Peter Carstens) das Thema etwas anders. Neben dem "Entgegenkommen" der Union wird die Lockerung der Residenzpflicht und verbesserte Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber herausgestellt. Zugleich will die Große Koalition die anlassunabhängige Vorratsdatenspeicherung einführen. Die Beschlüsse des Untersuchungsausschusses nach dem Versagen der Ermittler bezüglich des NSU sollen zügig umgesetzt werden, nach dem Versagen der Geheimdienste bezüglich der NSA sollen die technischen Möglichkeiten der Spionageabwehr verbessert werden.
Hinsichtlich Vorratsdatenspeicherung und Ausbau des Verfassungsschutzes spricht die taz (Martin Kaul) von einer "Hardlinerkoalition". Hoffnung liege in dem vom Bundesverfassungsgericht 2008 entwickelten "Grundrecht auf Gewährleistung von Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das laut Koalitionsvertrag stärker mit Leben gefüllt und aktiviert werden müsse.
blog.beck.de (Prof. Henning Ernst Müller) befasst sich mit den Absichten im Bereich des Strafrechts. Die präventive Wirkung einer Straferhöhung bei fremdenfeindlichen Gewalttaten sei zweifelhaft. Im Bereich des Unternehmensstrafrechts soll erneut eine Möglichkeit geschaffen werden, illegal erwirtschaftete Gewinne abzuschöpfen, obwohl eine alte Regelung vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden war. Bei der "nachträglichen Therapieunterbringung" handele es sich um eine Neuauflage der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Heribert Prantl (SZ) kritisiert die "üppige" Vorratsdatenspeicherung und gibt dem Koalitionsvertrag im Bereich Grundrechte und Asylpolitik die Note "mangelhaft". Sabine am Orde (taz) sieht Deutschland durch die Neuregelung der Doppelstaatsbürgerschaft auf einem "Weg zur Vernunft", die Union gebe ihre ablehnende Haltung wieder ein Stück weit auf.
focus.de (Linda Wurster) sieht bei seiner Gesamtschau die SPD um mehrere Längen als Sieger im Verhandlungspoker, unter anderem bei den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Auch Die Welt meint, die SPD habe zwar die Wahlen verloren, aber die Große Koalition gewonnen, der Sigmar Gabriel seinen Stempel aufgedrückt habe.
Rechtspolitik
Europäische Ermittlungsanordnung: Wie die FAZ (Nikolas Busse) berichtet, haben sich Ministerrat und das Europaparlament auf die Einführung einer Europäischen Ermittlungsanordnung geeinigt. Damit könne die Justiz Hausdurchsuchungen und Zeugenbefragungen in anderen Ländern veranlassen. Damit solle der Aufwand bei Rechtshilfeersuchen reduziert werden. Die Richtlinie werde in etwa zwei Jahren in Kraft treten.
Reinhard Müller (FAZ) meint, damit werde der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Vor der grenzüberschreitenden Strafverfolgung müssten erst allgemeinverbindliche Standards zum Beispiel bei den Haftbedingungen gewährleistet sein.
Datenweitergabe EU – USA: netzpolitik.org (Alexander Sander) setzt sich mit der Evaluierung des Fluggastdatenabkommens (PNR) zwischen EU und USA durch die EU-Kommission auseinander. Der Bericht enthalte einen klaren Vertragsbruch, da die USA die Daten in einem Fall an einen Drittstaat weitergegeben hätten, ohne die EU zu informieren. Die Welt (Christoph B. Schultz) berichtet, dass PNR und Swift, das Abkommen über Bankdaten, beim transatlantischen Datentransfer unangetastet blieben. Beim Safe-Harbor-Abkommen, das die Datenerhebung über verschiedene US-Unternehmen ermögliche, seien Nachbesserungen hinsichtlich der Transparenz erforderlich.
Bundestags-Hauptausschuss: In einem Beitrag für lto.de erläutert Sebastian Roßner, Mitarbeiter an einem juristischen Lehrstuhl der Universität Düsseldorf, die Konstruktion und Kompetenzen des geplanten Bundestags-Hauptausschusses. Dieser sei nicht zwingend nötig und könne Abgeordnetenrechte gefährden.
Justiz
EGMR – Burka: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt über das von Frankreich verhängte Verbot, in der Öffentlichkeit eine Burka, einen Vollschleier, zu tragen. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet, sei der französische Richter André Potocki skeptisch, ob man einer Frau Gleichbehandlung verordnen könne, die das Recht nicht wolle. Die taz (Christian Rath) erörtert die europäische Dimension. In Belgien, im Schweizer Kanton Tessin gebe es ähnliche Regelungen, in Italien und den Niederlanden würden sie diskutiert.
Wolfgang Janisch (SZ) bezweifelt, dass durch derartige Zwangsmaßnahmen, die Frauen zu besseren Bürgerinnen würden. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) hält "das ausgesprochen gefährliche und niederträchtige Stück Gesetzgebung" für eine Form von "oppressiver Transparenz" und fordert weiterhin: "Ich will verhüllt auf die Straße gehen können." Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
LG Tübingen - Kokain in Baden-Württemberg: Mit dem gescheiterten Versuch der baden-württembergischen Justiz, einen Drogendealerring auszuheben, befasst sich Die Zeit (Cathrin Gilbert). Das Verfahren, das nach Erkrankung eines Schöffen und eines Richters jeweils neu aufgerollt werden musste, konnte nach der dritten Eröffnung der Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden, da die Tübinger Richter überlastet waren.
LG Hannover – Christian Wulff: Über Zeugenbefragungen im Verfahren wegen des Verdachts der Korruption gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, berichtet die SZ (Ralf Wiegand). Die beiden Sekretärinnen Wulffs hätten der Staatsanwaltschaft kaum weitergeholfen. In der FAZ (Robert von Lucius) wird die für die Terminierung zuständige Mitarbeiterin zitiert, Wulff habe in der Regel von 7 bis 22 Uhr gearbeitet und habe wenige Wochenendtermine für sich und seine Familie gehabt. Einzig relevanter Vorwurf der Staatsanwaltschaft bleibe der Oktoberfestbesuch 2008, bei dem der Filmproduzent und Freund Wulffs, David Groenewold, die Hotelkosten übernommen haben soll.
OVG Dresden zu NPD-Konto: spiegel.de berichtet von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Dresden. Dieses habe entschieden, dass die Sparkasse Meißen das Recht habe, dem NPD-Verlag "Deutsche Stimme" die Eröffnung eines Kontos zu verweigern. Die Sparkasse müsse keinem Unternehmen die Eröffnung eines Kontos gestatten, das einer politischen Vereinigung nahestehe.
BGH zu Deutsche Bahn: Immer wenn ein Fremdanbieter in einen Bahnhof der Deutschen Bahn rollt, werden dafür Gebühren fällig. Wie spiegel.de berichtet, hat der Bundesgerichtshof eine Entscheidung des Kammergerichts bestätigt, das das zugrunde liegende Preissystem der Bahn für untransparent und unbillig erklärt hatte. Geklagt hatte das niedersächsische Verkehrsunternehmen Metronom. Die Beschwerde der Bahn wiesen die Karlsruher Richter nun zurück. Wie viel die Bahn zurückzahlen muss, ist noch offen.
OLG München – Beate Zschäpe: Im NSU-Verfahren standen die Vernehmungen der Mutter und des Cousins von Beate Zschäpe im Mittelpunkt. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) spricht von einem "bedrückenden Auftritt" der 61-Jährigen, der Cousin bezeichnet die Angeklagte als "Partymaus". Die SZ (Annette Ramelsberger/ Tanjev Schultz) sieht die Mutter als Frau, die "von der Wende aus der Bahn geworfen" worden sei. bild.de (Jörg Völkerling) zitiert die Mutter, dass ihr erst bei einer Hausdurchsuchung 1996 klar geworden sei, dass ihre Tochter sich tief in der rechten Szene befunden habe.
BVerwG zu Barschel: Die SZ berichtet über eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Klage einer Journalistin auf Einsichtnahme von Akten im Fall Uwe Barschel abgewiesen hat. Da die Schutzfrist der Akten aus dem Jahr 1987 30 Jahre betrage, sei der Bundesnachrichtendienst nicht verpflichtet gewesen, der Reporterin Kopien der Ermittlungsunterlagen zu überlassen.
OVG Berlin-Brandenburg zu Neonazi-Netzwerk: Wie spiegel.de berichtet, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Verbot des neonazistischen Netzwerks "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" in zweiter Instanz bestätigt. Eine Revision habe das Gericht nicht zugelassen.
Gurlitts Sammlung: Wie die FAZ (Albert Schäffer) berichtet, hat der bayerische Justizminister Winfried Pausback (CSU) in einer Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst des Bayerischen Landtags Fehler der Ermittlungsbehörden eingeräumt. So hätten frühzeitig mehrere Sachverständige zur Klärung der Herkunft der Bilder herangezogen werden müssen.
In einem Beitrag für lto.de diskutieren die Staatsanwältin Claudia Spoerhase und der Rechtsreferendar Holger Grefrath die Verjährung von Ansprüchen jüdischer Voreigentümer und von deren Nachkommen. Es sei möglich, dass durch die Beschlagnahme der Kunstwerke durch die Staatsanwaltschaft Augsburg und die damit verbundene Unterbrechung der Besitzkette eine neue Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden sei.
Das Letzte zum Schluss
Wilhelmshaven im Weltfußball: Der Regionalligist SV Wilhelmshaven will sich gegen einen drohenden Zwangsabstieg am Ende der Saison 2013/14 vor ordentlichen Gerichten wehren und falls nötig bis zum Bundesgerichtshof gehen, berichtet die SZ (Jörg Marwedel) im Sportteil. Der Abstieg sei verhängt worden, weil der Verein nicht bereit gewesen sei, eine Ausbildungsentschädigungen für einen argentinischen Jugendspieler zu zahlen, wie es die Statuten der FIFA vorsehen. Strittig sei, ob FIFA-Statuten auch für Verbände gelten, die sie nicht in ihre Satzungen aufgenommen hätten, und inwieweit sich Sportgerichte wie der Internationale Sportgerichtshof CAS in Lausanne von nationaler ordentlicher Rechtsprechung abkoppeln könnten.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ro
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. November 2013: Rechtspolitik im Koalitionsvertrag – Burka vor dem EGMR – Kokain in Baden-Württemberg . In: Legal Tribune Online, 28.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10186/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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