Führt ein Scheitern von Koalitionsverhandlungen automatisch zu Neuwahlen? Diese und andere Fragen zur Regierungsbildung sind heute Thema. Außerdem in der Presseschau: BGH zu Gebrauchtwagenkauf, OLG stoppt Beschneidung, Putin mischt sich bei Greenpeace-Verfahren ein und Chip-Implantate für Schwerverbrecher.
Thema des Tages
Einfach Neuwahlen? Wolfgang Janisch (SZ) erklärt, warum das Grundgesetz auch bei schwieriger Koalitionsbildung Neuwahlen zunächst einmal im Wege steht. Denn solche sieht die Verfassung nur bei einer gescheiterten Regierungsbildung vor. Janisch erläutert das Bundeskanzler-Wahlverfahren und warum ein Scheitern der Wahl "bloße Theorie" sei – jedenfalls, "wenn die Opposition bei Verstand" sei.
Auch Reinhard Müller (FAZ) befasst sich mit den Verfassungsregeln zur Regierungsbildung, legt dabei aber ein besonderes Augenmerk auf die Rolle des Bundespräsidenten. Dieser sei "eine Art Hebamme", aber auch "Moderator, wenn es denn nötig werden sollte".
Rechtspolitik
Fünf-Prozent-Klausel: In der Wahl-Sonderausgabe des Spiegel (Melanie Amann/Thomas Darnstädt/Dietmar Hipp) findet sich ein ausführlicher Artikel zur Diskussion um die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Bundestagswahlen. Darin wird Geschichte, Kritik und Rechtfertigung der Regelung detailliert dargestellt. Unterdessen dokumentiert die FR (Markus Decker) die nun angestoßene politische Diskussion um eine Reform der Hürde.
Mehrheitswahlrecht: Ebenfalls in der Spiegel-Sonderausgabe zur Bundestagswahl findet sich ein Plädoyer des Historikers Paul Nolte für ein "Nachdenken über das Mehrheitswahlrecht". Mit einem solchen Wahlrecht gäbe es "klare Verhältnisse mit der absoluten Mehrheit der offensichtlichen Wahlsieger".
Auswirkungen des Wahlrechts: In der FAZ erläutert Jasper von Altenbockum, welche Auswirkungen das neue Wahlrecht auf die Sitzverteilung im Bundestag und auf die Wählerpsychologie hatte – und dass die FDP dank zurückgegangenem Stimmen-Splitting "Opfer der Wahlrechtsreform" sei.
Anti-Doping-Gesetz: Der Spiegel führt in seiner Wahl-Sonderausgabe ein Interview mit dem Rechtsanwalt und Sportrechtler Rico Kauerhof zum bevorstehenden Expertengespräch des Bundesinnenministeriums über ein Anti-Doping-Gesetz. Er kritisiert den vorliegenden Gesetzesentwurf des Landes Baden-Württemberg als "verlogen", weil er moralisch argumentiere, aber nur den Profisport erfasse – also eigentlich dem Schutz eines Wirtschaftszweigs diene.
Im Interview mit der taz (Christian Rath) plädiert der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Chrikstoph Frank, dagegen für die Strafbarkeit des Dopings. Es würden "anerkannte Rechtsgüter", nämlich "die Gesundheit der Athleten", der "wirtschaftliche Wettbewerb im Profisport" sowie "der Fairnessgedanke" geschützt.
Verfassungsschutz: Angesichts der Journalisten-Überwachung durch den niedersächsischen Verfassungsschutz fragt sich Thomas Stadler (internet-law.de) "wie lange es noch dauern wird und dauern kann, bis das Konzept des Verfassungsschutzes ganz grundsätzlich auf den Prüfstand kommt" – und gibt einen Überblick über Reformvorschläge.
Justiz
BGH zu Gebrauchtwagengarantien: Der Bundesgerichtshof hat Käufern von Gebrauchtwagen den Rücken gestärkt. Erwerben diese einen Gebrauchtwagen mit Garantie, so darf deren Geltung vom Verkäufer nicht von bestimmten Wartungs- und Inspektionsauflagen abhängig gemacht werden. Im konkreten Fall hatte der Käufer entgegen der Auflage, den Wagen nur in Werkstätten des Händlers oder Herstellers warten zu lassen, eine freie Werkstatt genutzt, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Auch lto.de fasst das Urteil zusammen.
OLG Hamm zu Beschneidung: Das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschneidung eines sechsjährigen Jungen vorläufig gestoppt. Zuvor müssten Mutter und Kind hinreichend über den Eingriff aufgeklärt werden; die Wünsche eines Sechsjährigen müssten jedenfalls Berücksichtigung finden. Damit habe erstmals ein Oberlandesgericht die gesetzlichen Beschneidungsvorschriften konkretisiert, berichtet lto.de.
LG München I – Pechstein-Prozess: Im "Sport"-Teil berichtet die SZ (René Hofmann) von der Verhandlung über die Schadensersatzklage der Eisschnellläuferin Katja Pechstein gegen die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG und die Internationale Eislauf-Union ISU. Es gehe um die zweijährige Sperrung der Sportlerin wegen Dopingverdachts; das Landgericht München I wolle im Januar aber zunächst entscheiden, ob es überhaupt zuständig sei. Dies sei für die Sportverbände möglicherweise auch entscheidender als die Schadensersatzforderung – weil dadurch das ganze System der Sportgerichtsbarkeit in Frage gestellt werden könnte.
Auf lto.de setzt sich der Sportrechtler Jens Adolphsen mit dem Fall auseinander und präsentiert unter anderem Pechsteins Argumente gegen die Rechtsstaatlichkeit des Internationalen Sportgerichtshofs CAS – vor dem sie rechtskräftig unterlegen war. Adolphsen räumt der Sportlerin keine großen Chancen ein, hält aber dennoch einen Vergleich für möglich.
LG Stuttgart – Winnenden-Klage: Der Gemeinderat der Stadt Winnenden hat beschlossen, die Eltern des Amokläufers von 2009 vor dem Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz zu verklagen. Es gehe um die Folgekosten der Tat in Höhe von 9,4 Millionen Euro, hauptsächlich Kosten für den Umbau der betroffenen Schule, berichtet knapp die FAZ (Rüdiger Soldt). Auch lto.de weiß von dem Beschluss.
LG Frankfurt – Suhrkamp: Vor dem Landgericht Frankfurt wurde am gestrigen Mittwoch über die gegenseitigen Ausschlussklagen der im Streit liegenden Gesellschafter des Suhrkamp-Verlags verhandelt. Die SZ (Andreas Zielcke) berichtet im "Literatur"-Teil und spekuliert, ob der Richter die Klagen in der für den 13. November angekündigten Urteilsverkündung abweisen und die Klärung des Streits dem Insolvenzverfahren überlassen werde. Auch das FAZ-Feuilleton (Sandra Kegel) berichtet.
LG Würzburg zu Volksverhetzung: Das Landgericht Würzburg hat den Neonazi Martin Wiese laut SZ (Tanjev Schultz) wegen Volksverhetzung, Bedrohung und Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole zu 15 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Er habe bei einer Rede anwesenden Journalisten damit gedroht, sie würden von einem "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt werden. Auch spiegel.de berichtet.
LG Göttingen – Transplantationsprozess: Die SZ (Christina Berndt) berichtet über die ersten acht Verhandlungstage des Transplantationsprozesses vor dem Landgericht Göttingen. "Viel Belastendes" sei dabei bislang noch nicht gegen den Angeklagten vorgebracht worden.
StA Erfurt – Machnig-Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat laut spiegel.de Ermittlungen gegen Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) aufgenommen. Es sei angesichts seiner Doppelbezüge der Anfangsverdacht des Betrugs gegeben.
LSG Hessen zu Arbeitsunfall: Wer während eines privaten Telefonats am Arbeitsplatz einen Unfall erleidet, ist nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt. Das hat nach einem Bericht der FAZ (Corinna Budras) das Landessozialgericht Hessen entschieden. Private Tätigkeiten, die zu mehr als ganz geringfügigen Unterbrechungen führten, unterbrächen den Versicherungsschutz. Im konkreten Fall hatte ein Lagerarbeiter zum Telefonieren mit seinem Handy die Lagerhalle verlassen und war bei der Rückkehr gestürzt. Auch lto.de berichtet.
Klagewelle gegen Griechenland: Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW hat laut Handelsblatt (mic) eine Klagewelle gegen Griechenland angekündigt. Private Anleger seien ohne Beteiligung oder Chance auf Gegenwehr am Schuldenschnitt beteiligt worden. Es würden nun regionale Klagegemeinschaften gebildet.
Kanzleien machen Rekordumsätze: Wie die FAZ (Corinna Budras) unter Berufung auf das Branchenmagazin Juve berichtet, geht es den großen Wirtschaftskanzleien in Deutschland "prächtig". Vor allem mittelständische Kanzleien hätten im vergangenen Geschäftsjahr "Rekordumsätze" gemacht.
Recht in der Welt
EuGH – Großbritannien gegen Boni-Obergrenze: Wie das Handelsblatt (Katharina Slodczyk) berichtet, hat das britische Finanzministerium beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die von der EU geplante Obergrenze für Banker-Bonuszahlungen eingereicht. Die Begrenzung werde zu höheren Grundgehältern führen und das Gesamtsystem nicht sicherer, sondern riskanter machen. Auch spiegel.de berichtet.
Slowakei – Naturschützer gegen Wolfsjagd: Nach einer Meldung des Spiegel in seiner Sonderausgabe zur Bundestagswahl haben Naturschützer bei der EU-Kommission Beschwerde gegen die Slowakei eingelegt – weil diese als einziges Land der Region die Wolfsjagd noch erlaube.
Russland – Inhaftierte Greenpeace-Aktivisten: Nach einem Bericht der SZ (Frank Nienhuysen) hat sich der russische Präsident Wladimir Putin in die Diskussion über die wegen des Betretens einer Gazprom-Ölplattform inhaftierten Greenpeace-Aktivisten eingeschaltet. Zwar habe er den offiziell von der russischen Justiz erhobenen Vorwurf der Piraterie zurückgewiesen, ihnen aber die Verletzung internationalen Rechts vorgeworfen. Welche Auswirkungen diese Äußerung auf das laufende Ermittlungsverfahren hätten, sei noch unklar. Auch FAZ (Michael Ludwig) und taz (Klaus-Helge Donath) berichten und erläutern die Hintergründe der Greenpeace-Aktion.
Klaus-Helge Donath (taz) erklärt die "absurden Behauptungen" der russischen Justiz damit, dass Russland die Aktivitäten einer Nichtregierungsorganisation als "aggressive Vorhut westlicher Interessen" begreife.
Kroatien will Haftbefehlsregeln umsetzen: Kroatien beugt sich dem Druck der EU-Kommission und will die Regelungen zum Europäischen Haftbefehl nun "rasch und bedingungslos" umsetzen. Das hat der kroatische Justizminister Orsat Miljenic Bericht der SZ (Javier Cáceres) und der FAZ (Nikolas Busse) zufolge am Mittwoch in Brüssel versichert.
Reinhard Müller (FAZ) äußert ein gewisses Verständnis dafür, dass beim Ausliefern eigener Staatsangehöriger Widerstand geleistet werde – immerhin gehe es hier "an das nationale Eingemachte" und auch Deutschland hätte sich bei der Umsetzung des Europäischen Haftbefehls "schwergetan". Kroatien aber habe "den Bogen überspannt".
USA – Klagen gegen JPMorgan: Die US-Bank JPMorgan ist einem Bericht des Handelsblatts (Astrid Dörner) zufolge bereit, Strafzahlungen in Miliardenhöhe zu akzeptieren, um straf- und zivilrechtlichen Gerichtsverfahren zu entgehen.
In einem gesonderten Kommentar erklärt Dörner, wie die US-Staatsanwaltschaft und Regulierungsbehörden mit ihrer Klagewelle gegen die Bank ein Exempel statuieren und so "Bankenregulierung via Abschreckung" betreiben. Die Klagen seien "die eigentliche Aufarbeitung der Finanzkrise".
Argentinien – Ermittlungen wegen Franco-Diktatur: Die taz (Reiner Wandler) berichtet von den Ermittlungen der argentinischen Richterin María Servini gegen Unterstützer der Franco-Diktatur in Spanien wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Richterin stütze sich auf das in der argentinischen Verfassung verankerte Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit und habe die Klagen zugelassen, nachdem in Spanien die Ermittlungen des Richters Baltazar Garzón gestoppt worden seien. Auf Anweisung der Richterin könnten Opfer nun in allen argentinischen Konsulaten weltweit Zeugenaussagen abgeben.
Ägypten – Verbot der Muslimbrüder: Michael Thumann (Zeit) ist sich sicher, dass das richterliche Verbot der ägyptischen Muslimbrüder scheitern wird. Eine "Bewegung mit starkem Rückhalt im Volk" könne "nicht einfach rechtlich weggewischt werden". Mit dem Verbot bleibe die ägyptische Justiz "ihrer Kurzsichtigkeit treu".
Sonstiges
Europäische Finanzaufsicht: Auf juwiss.de erläutert die Europarechtlerin Mona Philomena Ladler das komplexe "Netzwerk der europäischen Finanzaufsicht" und die Reform derselben nach der Finanzkrise. Das Ziel einer effizienteren Struktur werde dabei nicht erreicht.
Das Letzte zum Schluss
Chip für Schwerverbrecher: Wenn es nach 21 schweizerischen Nationalräten geht, dann bekommen Schwerverbrecher in der Schweiz künftig einen Chip implantiert, mit dem der Aufenthaltsort festgestellt werden kann. Abschreckend solle das wirken und Wiederholungstaten vermeiden, zitiert spiegel.de die Initiatorin des Vorstoßes, eine Politikerin der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei SVP.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. September 2013: Neuwahlen bloße Theorie – BGH stärkt Gebrauchtwagenkäufer – Implantate für Schwerverbrecher . In: Legal Tribune Online, 26.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9678/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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