Kurzer Prozess in Ägypten: Ein Gericht verurteilt nach zwei Verhandlungstagen mehr als 500 Muslimbrüder zum Tode. Außerdem in der Presseschau: Kommentare zu Verfassungsrichterwahl, in Bremen wählen nur Deutsche, Ungereimtheiten im Fall Hoeneß, kreative Jugendstrafe, Razzia bei Deutsche Bank-Anwälten und ein Fernseh-Richter auf Abwegen.
Thema des Tages
Todesurteile in Ägypten: In der ägyptischen Stadt Minia sind mehr als 500 Anhänger der Muslimbrüderschaft in einem Massenprozess zum Tode verurteilt worden. Im Zuge von Protesten gegen den Sturz des Präsidenten Mursi sollen die Männer bei der Erstürmung einer Polizeiwache einen Polizisten getötet und in weiteren Fällen eine Tötung versucht haben. Es berichten unter anderem die Welt (Birgit Svensson), fr-online (Julia Gerlach) und taz (Karim El-Gawhary).
Besonderes Befremden löse der Verfahrensgang aus. Nachdem das Verfahren am Samstag eröffnet und nach einer Stunde vertagt worden sei, hätten die Verteidiger eine 24-stündige Frist zur Einreichung eines Schriftsatzes erhalten. Das Urteil erging nun in mehr als 350 Fällen in Abwesenheit. Vor seiner Rechtskraft müsse es vom Obersten Mufti des Landes bestätigt werden.
In einem Kommentar bezeichnet Sonja Zekri (SZ) die Entscheidung als Zeugnis der "Schwäche des Staates." Nach Polizei und Medien hätte nun auch die Justiz des Landes "alle Fesseln der Mäßigung abgestreift" und führe einen "Rachefeldzug," wie das jetzige rekordverdächtige Urteil beweise. Nach Dietrich Alexander (Welt) entspricht die Entscheidung der Strategie der Streitkräfte des Landes, den jetzigen Oberkommandierenden, Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi, als künftigen starken Mann zu inthronisieren. Gleich dem Vorgehen des früheren Machthabers Husni Mubarak verschafften sich die Machtorgane "Respekt mit drakonischen Strafen" in einem Verfahren, dass "alle Kennzeichen rechtsstaatlicher Strukturen und einer unabhängigen Justiz vermissen" ließe.
Rechtspolitik
Informationspflicht: Die Informationsweitergabe des Bundeskriminalamts an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Fall Edathy beruhte offenbar auf einem Erlass des Ministeriums, nach dem "wichtige Ereignisse" von untergeordneten Behörden unverzüglich zu melden seien. Dies ist das Ergebnis einer Anfrage der Grünen an die Bundesregierung. Obwohl der Begriff des wichtigen Ereignisses im besagten Erlass näher definiert wird, wie die SZ (Robert Roßmann) schreibt, wird der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Volker Beck, mit der Forderung nach einer gesetzlichen Normierung dieser Auskunfts- und Informationspflicht zitiert.
Lebenslänglich: Rechtsanwalt Ulrich Dost-Roxin (dost-rechtsanwalt.de) verlinkt eine Resolution des 38. Strafverteidigertages, in der eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe gefordert wird und inhaltliche Vorschläge zur Reform der Tötungsdelikte formuliert werden.
Kindergeld: Der Bericht einer Staatssekretärsrunde belegt einen Anstieg des Kindergeldbezugs von EU-Ausländern für in der Heimat lebende Kinder. Zwar sei hierdurch noch kein Missbrauch dieser legalen Praxis indiziert, der Bericht, über den das Bundeskabinett am Mittwoch beraten wird, enthält jedoch Vorschläge, wie das Antragsverfahren strenger zu handhaben sei, schreibt die FAZ (Dietrich Creutzburg/Corinna Budras).
Bankgeheimnis: Der EU-Ministerrat hat eine Ausweitung der Zinsbesteuerung beschlossen, nach der künftig europäische Steuerbehörden automatisch Daten über Zinseinkünfte austauschen. Der Bericht der FAZ (Werner Mussler) zitiert den EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta mit der Aussage, dass die Maßnahme das Ende des Bankgeheimnisses bedeute.
Jean-Claude Juncker: Die Welt (Florian Eder/Christoph B. Schiltz) befragt den früheren luxemburgischen Premierminister und jetzigen Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker zu den anstehenden Europawahlen und seinen Vorstellungen zu einer europäischen Sozialpolitik.
Justiz
Verfassungsrichterwahl: Wolfgang Janisch (SZ) begrüßt die Reform zur Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht. Endlich werde "der demokratische Makel" getilgt, die Wahl der Richter durch das Plenum des Bundestages stärke zudem auch "das demokratische Rückgrat des Gerichts", auch gegen seine Kritiker aus der Politik. Die Reform könne aber nur gelingen, wenn – wie geplant – auf eine öffentliche Anhörung der Kandidaten verzichtet werde. Bislang beziehe das Gericht seine Autorität vor allem aus seiner Politikferne, ein "parlamentarisches Kreuzverhör" würde diese beenden.
Reinhard Müller (FAZ) befürchtet dagegen, dass künftig "eher Parteigänger als Persönlichkeiten" gewählt würden. Christian Rath (taz) hält den Zeitpunkt der Reform für "auffällig". Erst 2012 habe Karlsruhe die Zulässigkeit des bisher angewendeten Verfahrens bestätigt und mit dem Ansehen des Gerichts begründet. Nunmehr täten die Verfassungsrichter am besten daran, "diese kleine Gemeinheit" einfach zu ignorieren.
BVerfG zu Sperrklauseln: In einem Gastbeitrag verteidigt Hans Herbert von Arnim auf spiegel.de das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sperrklauseln bei der Europawahl aus dem letzten Monat. Gerade weil das Parlament in dieser Frage in eigenen Angelegenheiten entscheide, sei eine intensive verfassungsgerichtliche Kontrolle nötig.
BayVerfGH – Rundfunkbeitrag: Am heutigen Dienstag verhandelt der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu der Klage eines Anwalts und einer Drogeriekette gegen den Rundfunkbeitrag. Die Welt (Stephan Maaß) und lto.de (Claudia Kornmeier) bringen ausführliche Vorberichte, in denen die Kläger, ihre Argumentation sowie auch Unterstützer des Beitrags zu Wort kommen und die bisher zum Thema ergangene Rechtsprechung referiert wird.
Wahlrecht in Bremen: Ein bremischer Gesetzentwurf, der EU-Ausländern das Wahlrecht auf Landesebene erteilen wollte, ist nach einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes des Landes verfassungswidrig. Der Landesgesetzgeber sei nach Ansicht des Gerichts in seiner Bestimmung der Wahlberechtigten an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden, schreibt die FAZ (Robert von Lucius). Ein Wahlrecht für Ausländer über die Kommunalebene hinaus sei damit nach der mit sechs zu eins Richterstimmen ergangenen Entscheidung ausgeschlossen. Die taz (Christian Rath) berichtet ebenfalls.
Benno Schirrmeister (taz-Nord) kommentiert zu der "juristisch eher enttäuschenden" Entscheidung, dass sich das Gericht sehenden Auges gesellschaftlichen Veränderungen verschließe. Statt die Würde von Bürgern im Land Bremen ohne deutsche Staatsbürgerschaft zu achten und zu schützen, orientiere sich das Gericht am herkömmlichen, aus dem frühen 19. Jahrhundert stammenden Volksbegriff.
LAG Düsseldorf zu dreibeinigem Hund: Markus Stoffels (beck.blog.de) verfolgt das Schicksal des dreibeinigen Hundes "Kaya". Auch vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist das Verbot seiner Mitnahme zur Arbeitsstelle bestätigt worden. Dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterfalle auch die Festlegung, unter welchen Bedingungen Arbeit zu leisten ist. Dass im Fall eine zunächst erteilte Erlaubnis später zurückgezogen worden war, sei nach Ansicht des Gerichts wegen sachlicher Gründe gerechtfertigt.
LG München – Uli Hoeneß: Die FAZ (Joachim Jahn) äußert in einem Artikel über Medienberichte zu den Hintergründen der Bankgeschäfte des vom Landgericht München II wegen Steuerhinterziehung verurteilten Uli Hoeneß den Verdacht eines "unausgesprochenen Deals" zwischen den Verfahrensbeteiligten. Die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu Absprachen im Strafprozess missachtend, hätten sich das Gericht durch seine knappe Terminierung und die Verteidigung durch "völligen Verzicht auf denkbare und sich teilweise sogar aufdrängende Beweisanträge" auf einen Verfahrensausgang jenseits des Protokolls geeinigt, werden unbenannte "namhafte" Anwälte zitiert.
AG München zu Facebook: Weil ein 21-Jähriger über soziale Netzwerke, vor allem Facebook, mehrere Schülerinnen massiv bedrohte und dazu nötigte, ihm Nacktfotos zu schicken, verurteilte ihn das Amtsgericht München zu einer zweijährigen Jugendstrafe. Diese muss der Heranwachsende antreten, wenn es ihm nicht gelingt, sich ein halbes Jahr von sozialen Netzwerken fernzuhalten, schreibt die SZ (Christian Rost).
Heribert Prantl (SZ) lobt das Urteil als "kreatives Exempel," das die im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht "flexiblen, phantasievollen und menschenfreundlichen" Möglichkeiten des Jugendstrafrechts ausnutze.
StA München – Kanzlei-Durchsuchung: In der vergangenen Woche hat die Münchner Staatsanwaltschaft die Büros zweier renommierter Wirtschaftskanzleien durchsucht. Wie die FAZ (Markus Frühauf/Joachim Jahn) schreibt, stehen die Durchsuchungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen versuchten Prozessbetruges gegen frühere Top-Manager der Deutschen Bank im Zivilverfahren gegen die Erben Leo Kirchs. Die betroffenen Anwälte stünden hierbei im Verdacht einer Mittäterschaft. Auch das Handelsblatt (Laura de la Motte/Peter Köhler) berichtet.
Carsten Knop (FAZ) kommentiert, für das Geldinstitut sei im Rechtsstreit mit Kirch und seinen Erben "wirklich fast alles falsch gelaufen, was falsch hätte laufen können." Hierfür trügen auch die nun durchsuchten Anwälte Verantwortung. Dass der Co-Chef der Bank, Jürgen Fitschen, ein Angebot der Staatsanwaltschaft, die gegen ihn gerichteten Ermittlungen wegen versuchten Prozessbetruges gegen die Zahlung eines Bußgeldes einzustellen, abgelehnt hat, bezeichnet Sven Afhüppe (Handelsblatt) als "riskant, aber richtig." Denn Fitschen verteidige "das wichtigste Kapital eines Bankmanagers": seine Glaubwürdigkeit.
Recht in der Welt
Österreich – Restitution: In ihrem Feuilleton befragt die FAZ (Anne Kohlick) den österreichischen Journalisten Stephan Templ, der wegen eines unvollständig ausgefüllten Formulars zu einem Restitutionsantrag zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Betruges verurteilt wurde. Der oberste Gerichtshof des Landes hat eine Nichtigkeitsbeschwerde Templs abgewiesen, der Haftantritt stehe nun unmittelbar bevor. Der Journalist fühlt sich "wie in Putins Russland", hält einen "Rachefeldzug" gegen ihn wegen kritischer Artikel zu Arisierungen in Österreich für möglich und plant, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen seiner Verurteilung anzurufen.
USA – Datenbank: In ihrem Wissens-Teil berichtet die SZ (Boris Hänssler) über "Lex Machina", eine auf künstlicher Intelligenz beruhende Software, die anhand einer Auswertung öffentlich zugänglicher Entscheidungssammlungen die Kompetenz von Anwälten und Entscheidungstendenzen von Richtern in US-amerikanischen Patentstreitigkeiten bewertet. Einer Anwendung der Software in Deutschland stehe bislang noch die umstrittene Monopolstellung der Juris-Datenbank entgegen.
Uruguay – Präsident: In einer Seite Drei-Reportage stellt die SZ (Peter Burghardt) den uruguayischen Präsidenten José Mujica vor. Maßgeblich auf dessen Betreiben führt das lateinamerikanische Land demnächst einen legalen Cannabis-Markt unter staatlicher Aufsicht ein und zeigt sich auch in Fragen wie Abtreibung oder Homo-Ehe progressiv. Nach Mujica sei dies weder links noch liberal, vielmehr vernünftig: "Die Welt muss gewisse Dinge, die unabänderlich sind, akzeptieren."
Sonstiges
Sexueller Missbrauch und katholische Kirche: Die SZ (Matthias Drobinski) berichtet über die Vorstellung eines neuen Forscherteams, dass sich mit den Gründen, Auswirkungen und der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche befassen soll. Betroffene kritisierten, dass keiner ihrer Vertreter zu der wissenschaftlichen Aufarbeitung eingeladen wurde.
Gewaltschutzambulanz: In Berlin nimmt eine Gewaltschutzambulanz als Teil der Rechtsmedizin der Charité-Klinik ihre Arbeit auf. Wie FAZ (Mechthild Küpper) und taz-Berlin (Antje Lang-Lendorff) schreiben, sollen in der Ambulanz künftig Opfer von häuslicher Gewalt, Überfällen und Vergewaltigungen nicht nur medizinisch behandelt werden. Die Einrichtung diene ebenso der gerichtsfesten Dokumentation und Sammlung körperlicher Spuren.
Karriere: Das Handelsblatt (Rene Bender) berichtet über eine Umfrage, nach der für eine Mehrheit der jüngeren angestellten Anwälte in Großkanzleien die Partnerschaft nicht mehr das bestimmende Ziel der eigenen Karriereplanung ist. Dies sei zum einen dem "steiniger" gewordenen Weg in die Partnerschaft geschuldet, zum anderen durch "andere prägende Einstellungen der heutigen Associate-Generation", etwa dem Wunsch nach intakter Work-Life-Balance.
Das Letzte zum Schluss
Fernseh-Richter auf Abwegen: Barbara Salesch wäre so etwas sicherlich nie passiert: Wie bild.de berichtet, wurde in Memphis/USA der Star der früheren Fernseh-Show "Judge Joe Brown" zu fünf Tagen Gefängnis verurteilt. Der nach Einstellung der Show als Anwalt Tätige hatte in einem Gerichtssaal gepöbelt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. März 2014: Todesurteile in Ägypten – Wählen nur für deutsche Bremer – Facebook gerichtlich verboten . In: Legal Tribune Online, 25.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11433/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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