Der NSU-Untersuchungsausschuss stellt seinen Abschlussbericht vor und formuliert neben massiver Kritik auch Verbesserungsvorschläge. Außerdem in der Presseschau: Auch die Kommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung hat ihre Arbeit beendet, Richterwahlausschüsse mit Gewerkschaftern, die Rechte von David Miranda und längeres Wachbleiben für Tatort-Fans.
NSU-Untersuchungsausschuss: Seit Januar 2012 tagte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, am Donnerstag legte er seinen mehr als 1.000 Seiten starken Abschlussbericht vor. Neben massiver Kritik an der Arbeit von Polizei und Ermittlungsbehörden enthält der Bericht auch 47 "gemeinsame Empfehlungen", die von allen Fraktionen getragen werden und künftig vergleichbare Pannen vermeiden sollen.
Die wichtigsten dieser Empfehlungen des Ausschusses dokumentiert die Welt (Manuel Bewarder) in ihrem Bericht. Die FAZ (Carsten Peters) nennt als Beispiele eine Verbesserung der Kooperation von Polizei und Nachrichtendiensten, eine Stärkung des Generalbundesanwalts sowie Schulungen von Polizei, Nachrichtendiensten und Justiz zur Sensibilisierung für fremdenfeindliche Tatmotive. Anwälte von NSU-Opfern hätten derweil Kritik geäußert, weil das "entscheidende Problem" des "institutionellen Rassismus" nicht erkannt worden sei.
Daniel Bax (taz) kommentiert, das einzige positives Fazit dieses "beeindruckenden Dokuments der Selbstaufklärung" sei, dass sich immerhin der Verdacht nicht erhärtet habe, dass Behörden die Taten der Thüringer Terrorzelle aktiv unterstützt haben. Für eine notwendige Mentalitätsänderung bedürfe es ansonsten weiterhin höherer Sensibilität für Rassismus und Rechtsextremismus bei Polizei und Ermittlungsbehörden, die interkulturelle Öffnung dieser Behörden und mehr Beamte mit Migrationshintergrund.
Nach dem Kommentar von Jasper von Altenbockum (FAZ) diente der Ausschuss vor allem dazu, "einen Schuldigen zu finden und damit das Gewissen der Politik zu beruhigen." Diese Aufgabe sei erfüllt worden, Rätsel im Zusammenhang der Mordserie verblieben allerdings, weswegen auch die "Misserfolge der Fahnder" in einem anderen Licht erscheinen würden. In der "Abkehr von grundstürzenden Reformforderungen", die der Ausschuss vollzogen habe, offenbare sich die Erkenntnis, dass die "Sündenböcke" in den Sicherheitsbehörden "nicht für alles herhalten können."
Weitere Themen – Rechtspolitik
Sicherheitsgesetze: Die Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Folge der Anschläge des 11. Septembers hat ihren Abschlussbericht fertiggestellt. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet exklusiv. Sicherheitsbehörden sollten nach Empfehlung des Gremiums wirksamer kontrolliert werden, etwa indem die richterliche Kontrolle von Antiterrorermittlungen des Bundeskriminalamtes nicht mehr vom Amtsgericht Wiesbaden, sondern vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes ausgeübt wird. Auch sollten Befugnisse präziser geregelt werden. Das Blatt nennt als Beispiel das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, dem 40 Behörden angeschlossen sind, das aber bislang nach allgemeinen Regeln zum behördlichen Informationsaustausch und keiner eigenen gesetzlichen Grundlage operiert. In einer Chronologie listet die SZ (jan/pamu) seit 2001 erfolgte Gesetzesverschärfungen auf.
Richterwahlausschüsse: Nach Bericht der FAZ (Robert von Lucius) plant die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) die Einführung von Richterwahlausschüssen zur Ernennung und Beförderung von Richtern auch der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Derartige, vom Grundgesetz erlaubte aber nicht vorgeschriebene Ausschüsse gebe es derzeit in neun Bundesländern, neu am jetzigen Vorstoß sei die Besetzung der Gremien. Nach dem Willen der Ministerin sollen "gesellschaftliche Kräfte" wie Tarifpartner oder Religionsgemeinschaften verhindern, dass Richter "Abziehbilder ihrer selbst" ernennen. Reinhard Müller (FAZ) begrüßt den Vorschlag, warnt aber vor der Gefahr anderer "Abziehbilder", konkret einer Richterschaft, die bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verpflichtet wäre.
Wahlrecht: Nach einer Änderung des Wahlrechts können an der kommenden Bundestagswahl auch Auslandsdeutsche, üblicherweise Doppelstaatler, teilnehmen, ohne jemals einen Wohnsitz in Deutschland besessen zu haben. Die Welt (Gerhard Gnauck) berichtet über die möglichen Auswirkungen in Oberschlesien/Polen, nach groben Schätzungen könnten "an die 100.000" Angehörige der dortigen deutschen Minderheit den notwendigen Antrag auf Eintrag in das Wählerverzeichnis stellen.
Anti-Doping-Gesetz: Überlegungen zur Verabschiedung eines Anti-Doping-Gesetzes widmet die FAZ einen Schwerpunkt im Sport-Teil des Blattes. Vorgestellt werden etwa die Postionen der Parteien. In einem Kommentar begrüßt Christoph Becker (FAZ) derartige Bestrebungen, denn "gegen den Betrug in einem Wettbewerb, an dem oft immense wirtschaftliche Werte hängen, muss auch Platz im Strafgesetzbuch sein". Dabei müssten Staatsanwaltschaften aber auch mit den nötigen Ressourcen ausgestattet werden, sonst ende das Gesetz als "Papiertiger". Auch Oliver Fritsch (zeit.de) fordert das Gesetz. Denn die an "Inzest" leidende Sportfamilie aus Verbänden und Funktionären sei schlicht unfähig, sich selbst zu retten.
EU-Sanktionen: Das neueste EU-Mitglied Kroatien hat unmittelbar vor seinem Beitritt ein Gesetz verabschiedet, dass den Geltungsbereich des Europäischen Haftbefehls auf Taten beschränkt, die nach August 2002 begangen wurden. Am heutigen Freitag läuft ein von der EU-Justizkommissarin Viviane Reding hierzu gestelltes Ultimatum ab. Reding erwarte ein klares Versprechen der kroatischen Regierung, die Einschränkungen aufzuheben, anderenfalls drohten Sanktionen der EU. Über den Fall und dessen Hintergründe schreibt die FAZ (Karl-Peter Schwarz).
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Hinweispflichten für Steuerberater: Rechtsanwalt Rainer Schaaf setzt sich im Handelsblatt-Rechtsboard mit Urteilen des Bundesgerichtshofs aus dem März und Juni zu Hinweispflichten des Steuerberaters auf potentielle insolvenzrechtliche Überschuldung auseinander. Die Frage sei in der Literatur umstritten gewesen, das Gericht habe nun entschieden, dass in einem allgemeinen steuerlichen Beratungsmandat keine generelle Hinweispflicht bestehe. Für die Richtigkeit dennoch erteilter Auskünfte hafte der Steuerberater allerdings.
OLG Hamm zu Abstandsgebot: Autofahrer, die über einen Zeitraum von mehr als drei Sekunden einen zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug halten, machen sich bußgeldpflichtig. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm in einem Beschluss aus dem Juli, über den lto.de berichtet.
OLG S-H zu Schwarzarbeit: Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil entschieden, dass auch bei einer nur teilweisen Schwarzgeldabrede der geschlossene Vertrag insgesamt nichtig ist, meldet lto.de.
AG Berlin zu Fürsorge-und Erziehungspflicht: Nach einem Bericht der Welt (Michael Mielke) hat das Amtsgericht Tiergarten von Berlin die Mutter eines notorischen Schulschwänzers wegen gröblicher Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der heute Siebzehnjährige habe fast 1.000 Mal die Schule geschwänzt und sei nun gleich der Mutter Analphabet. Zwölf gegen die Mutter ergangene Bußgeldbescheide hätten keine Wirkung erzielt. In der Verhandlung habe sich die Angeklagte nicht geäußert, im Nachgang der Urteilsverkündung jedoch eine Berufung angekündigt.
Horst Mahler: Dem Rechtsextremisten Horst Mahler ist in der Haftanstalt Brandenburg/Havel die Nutzung eines Computers gestattet worden. Er nutze diese Vergünstigung zum Verfassen einer Kampfschrift. Dies räumte nach Meldung der SZ der Justizminister des Landes, Volkmar Schöneburg (Linke) im Rechtsausschuss des Landtages ein. Gegen Mahler ermittle die Staatsanwaltschaft, das Ministerium betreibe ein Disziplinarverfahren gegen den Anstaltsleiter.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Datenüberwachung: Die US-amerikanische Regierung hat einen bislang geheimen Beschluss des Foreign Intelligence Surveillance Courts aus dem Jahr 2011 veröffentlicht. Wie die FAZ (Stefan Tomik) schreibt, gehe aus dem Beschluss hervor, dass die Regierung gegenüber dem geheim tagenden Gericht in weniger als drei Jahren dreimal habe eingestehen müssen, das Ausmaß eines Überwachungsprogramms falsch dargestellt zu haben. Die Rechtsverletzungen beruhten nach Darstellung eines Regierungsvertreters auf nunmehr ausgeräumten "technischen Problemen."
China – Bo Xilai: Über den Auftakt im Prozess gegen den vormaligen Partei-Funktionär Bo Xilai berichtet die taz (Felix Lee). Anders als bei den in der Volksrepublik üblichen Schauprozessen habe der Angeklagte, früher u.a. Handelsminister des Landes, der verlesenen Anklage widersprochen. Nach dem Bericht der FAZ (Petra Kolonko) habe noch kein Korruptionsprozess in China eine derartige Öffentlichkeit erhalten. Obwohl die Teilnahme am Prozess streng reglementiert worden sei, habe das Gericht eine Mitschrift der Verhandlung zeitnah als Mikroblog veröffentlicht. Mit einem Urteil sei in etwa zwei Wochen zu rechnen.
Schweiz – Datendieb verurteilt: Das Schweizer Bundesstrafgericht hat einen deutschen Informatiker wegen Wirtschaftsspionage zu drei Jahren Haft verurteilt, die Hälfte der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Wie das Handelsblatt (ali), hier eine längere Online-Version, schreibt, hatte der IT-Experte einen Einsatz bei der Privatbank Julius Bär dazu genutzt, mehrere tausend Datensätze vermögender deutscher Kunden zu kopieren und im Anschluss zu einem Preis von 1,1 Millionen Euro an die Finanzbehörden Nordrhein-Westfalens verkauft.
Großbritannien – David Miranda: Mit den Rechtsfragen der mehrstündigen Festsetzung David Mirandas, Ehemann des Journalisten und Snowden-Interviewers Glenn Greenwald, beschäftigt sich ein englischsprachiger Beitrag des Rechtswissenschaftlers Jeff King im Verfassungsblog unter dem Titel "Miranda's Rights: A Guide for the perplexed Citizen." Nach Bericht der SZ (Christian Zaschke) hat Miranda vor dem High Court, dem höchsten britischen Zivilgericht, eine einstweilige Verfügung erwirkt, der zufolge die Polizei die beschlagnahmten elektronischen Geräte nicht weiter auswerten darf. Dies gelte jedoch nicht, soweit die Polizei an eine Gefährdung der nationalen Sicherheit glaube.
Frankreich – Arbeitsmarktreform: Im Juni ist in Frankreich eine umfangreiche Arbeitsmarktreform in Kraft getreten. lto.de (Christian Oberwetter) befragt den Experten Patrick Remy zu Kernpunkten der Reform und vergleichbaren Regelungen in Deutschland.
Sonstiges
Geschmäckle: Das baden-württembergische Integrationsministerium unter der Leitung von Bilkay Öney (SPD) hat zur Vorbereitung eines neuen Partizipations- und Integrationsgesetzes ein Rechtsgutachten bei der Anwaltskanzlei des früheren Berliner Innensenators Erhart Körting (SPD) in Auftrag gegeben. Weil Körting als der politische Ziehvater Öneys gelte, wolle die CDU nun mit einer parlamentarischen Anfrage klären lassen, zu welchem Zeitpunkt die Ministerin über die Vergabe informiert worden sei, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt).
Tragödie: Über den tragischen Tod des Münchner Strafrechtsprofessors Joachim Vogel in Venedig schreibt die FAZ (Tobias Piller). Vogel war am Wochenende bei einer Kollision eines städtischen Wassserbusses mit einer Gondel verunglückt. In Venedig werde nun über sicherheitstechnische Konsequenzen aus dem Unglück beraten.
Resozialisierung: Eine rechtsphilosophischen Abriss zum Strafzweck der Resozialisierung bietet in einem Gastbeitrag Rechtsprofessor Klaus Lüderssen (FAZ) für den Staat und Recht-Teil der Zeitung.
Das Letzte zum Schluss
Programmverschiebung: Die zahlreichen Anhänger des Tatorts müssen kurz vor Weihnachten ein wenig länger auf ihre Lieblingssendung warten. Aus Gründen des Jugendschutzes habe sich der WDR dazu entschlossen, den nächsten Tatort aus Köln erst nach 22 Uhr zu senden, schreibt Elmar Krekeler (Welt) und mutmaßt über die dramaturgische Ausgestaltung des Krimis.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. August 2013: NSU-Untersuchungsausschuss – Sicherheitsgesetzgebung auf dem Prüfstand – Horst Mahler schreibt . In: Legal Tribune Online, 23.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9421/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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