Eine ARD-Dokumentation über Fehlurteile in deutschen Strafprozessen hat eine Diskussion über Änderungen an der StPO ausgelöst. Außerdem in der heutigen Presseschau: Reformvorschläge für die Erbschaftsteuer, das EuGH-Urteil zur Biermarke "Bud", das BVerfG verweigert einem Nazi das Besuchsrecht für sein Kind - und warum einem Schweizer Federsammler seine Vögel-Sucht zum Verhängnis wurde.
Fehlurteile: Eine Dokumentation über gerichtliche Fehlurteile hat die ARD ausgestrahlt: "Unschuldig in Haft – Wenn der Staat zum Täter wird." Im Mittelpunkt standen die Fälle des Lehrers Horst Arnold, der aufgrund einer falschen Anschuldigung wegen der Vergewaltigung einer Kollegin verurteilt wurde, sowie der Berlinerin Monika de Montgazon, die nach einem falschen Brandgutachten wegen Mordes an ihrem Vater verurteilt wurde, obwohl dieser den tödlichen Brand fahrlässig selbst verursacht hatte.
Henning Ernst Müller (blog.beck.de) zeigt sich nach der Sendung erschrocken über die deutsche Justiz, "wie wenig man sich auch nach einem solchen Fall bemüht, die eigenen Fehler zu begreifen, um sie künftig zu vermeiden. Ein Fehlermanagement ist der Strafjustiz in Deutschland absolut fremd". Als Gegenmittel schlägt er vor: "Tonbandaufnahmen von Vernehmungen, Wortprotokolle in der LG-Hauptverhandlung, die zweite Tatsacheninstanz auch (und gerade!) bei schweren Tatvorwürfen."
Auch Thomas Stadler (internet-law) forderte aus Anlass der ARD-Dokumentation ein Wortlautprotokoll: "Der nach meiner Wahrnehmung vermutlich eklatanteste Mangel des deutschen Strafverfahrens besteht im Fehlen eines ordentlichen Protokolls, insbesondere der fehlenden vollständigen Protokollierung von Zeugenaussagen."
Weitere Themen – Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Der Vizepräsident des Bundesfinanzhofs, Hermann-Ulrich Viskorf, schilderte beim Deutschen Finanzgerichtstag, wie Großvermögen sich legal an der Erbschaftsteuer vorbeitricksen können. Der BFH hatte dies im Vorjahr als verfassungswidrig gerügt. Viskorf machte jetzt Vorschläge für eine verfassungskonforme Reform: "keine Ausnahmeregelungen für einzelne Vermögensarten, niedrige Freibeträge, eine voraussetzungslose Möglichkeit zur Stundung und schließlich ein niedriger Steuersatz", so die Darstellung in der FAZ (Joachim Jahn). Viskorfs Vorbild sei die deutsche Rechtslage im Jahr 1974.
Arbeitnehmer-Datenschutz: Die Betriebsräte von mehr als hundert großen Unternehmen haben in einem offenen Brief gegen das geplante Gesetz zum Arbeitnehmer-Datenschutz protestiert, berichtet die SZ (Thomas Öchsner). Das Gesetz biete den Arbeitgebern zuviel Interpretationsspielraum, etwa bei Videoüberwachung, die der Arbeitssicherheit dienen soll.
Verfassungsschutz und Linke: Innenminister Friedrich (CSU) hat bereits im November angewiesen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht mehr die gesamte Partei "Die Linke" beobachtet, sondern nur noch "offensichtlich extremistische Zusammenschlüsse" innerhalb der Partei, berichtet die taz (Christian Rath). Das Bundesverfassungsgericht will im ersten Halbjahr 2013 über eine Klage der linken Bundestagsfraktion gegen ihre Beobachtung entscheiden. In einem gesonderten Kommentar kritisiert Rath (taz) die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes für politische Zwecke.
Weitere Themen – Justiz
EuGH zu Bud: Die Biermarke "Bud" steht dem US-Bierkonzern Anheuser-Busch zu. Das entschied laut N24.de der Europäische Gerichtshof. Dagegen war die Marke "Budweiser" in einem früheren Urteil der tschechischen Budweiser-Brauerei zugesprochen worden.
EuGH zu Fußball-Kurzberichten: Der Bezahlsender Sky muss dem österreichischen ORF eine fast unentgeltliche Kurzberichterstattung über wichtige Sportereignisse erlauben, an denen Sky die Exklusivrechte hält. Dies entschied laut lto.de der Europäische Gerichtshof. Die entsprechende EU-Regelung sei mit den EU-Grundrechten vereinbar. Nach Darstellung der FAZ (Corinna Budras/Henning Peitsmeier) hat das Urteil keine praktischen Auswirkungen auf Deutschland, weil das Recht auf Kurz-Berichterstattung praktisch nicht ausgeübt werde. Stattdessen tauschten die Fernsehsender Bilder von wichtigen Ereignissen.
BVerfG zu Nazi-Umgangsrecht: Ein Rechtsextremist darf seine Kinder, die bei der von ihm geschiedenen Mutter wohnen, nicht besuchen. Da diese inzwischen aus der Szene ausgestiegen sei und öffentlich vor Nazis warne, bestehe eine "erhebliche Gefahr" von Racheakten, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht, so die SZ (Wolfgang Janisch).
BVerfG zu verzinsten Kartellbußen: Der Gesetzgeber durfte bestimmen, dass kartellrechtliche Geldbußen von betroffenen Unternehmen zu verzinsen sind. Das entschied jetzt laut lto.de das Bundesverfassungsgericht. Das Ziel, Unternehmen von Einsprüchen gegen solche Geldbußen abzuhalten, rechtfertige die Verzinsung.
BGH zu Anlageberatern: Der Bundesgerichtshof hat die Haftung von Anlageberatern begrenzt. Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard stellt der Anwalt Thorsten Voß ein Urteil des BGH aus dem November 2012 vor. Danach muss der Anlageberater den Prospekt eines Kapitalanlageprodukts zwar kritisch prüfen, dabei aber keine Nachforschungen wie ein Wirtschaftsprüfer anstellen.
KG Berlin zu Schwarzfahrern: Wer die Monatskarte eines Verkehrsunternehmens erworben hat und auch nach deren Verlust weiter die Verkehrsmittel nutzt, ist kein Schwarzfahrer. Das entschied laut lawblog (Udo Vetter) das Berliner Kammergericht. Wer ein Ticket gekauft und bezahlt hat, besitze einen Beförderungsanspruch gegen den Verkehrsbetrieb.
LSG Darmstadt zu Rente für DDR-Flüchtling: Wer einst aus der DDR flüchtete, bekommt heute Rente wie andere ehemalige DDR-Bürger auch. Die ursprünglich vorgesehene (günstigere) Behandlung nach dem Fremdrentengesetz wurde nach der Wiedervereinigung aufgegeben. Diese Rechtslage hat jetzt das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt für verfassungskonform erklärt. Die FR (Hanning Voigts) berichtet, dass der mit seiner Klage unterlegene Rentner den Fall zum Bundesverfassungsgericht tragen will. Bundesweit gebe es rund 300.000 Betroffene.
LG Dortmund zu rechter Gewalttat: Das Landgericht Dortmund hat den rückfälligen Rechtsextremisten Sven K. zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten wegen Körperverletzung und Beleidigung verurteilt. Mit Gesinnungsgenossen hatte er zwei türkischstämmige Jugendliche angegriffen. Das Gericht sah keinen politischen Hintergrund bei der Tat, berichtet spiegel.de.
AG Schwerin zu NPD-Video: Die NPD muss den zwölf Kindern einer Schulklasse je 1.000 Euro Entschädigung zahlen, weil sie Filmaufnahmen mit ihnen ohne Erlaubnis für ein Wahlkampf-Video genutzt hat. Das berichtet zeit.de (Johannes Radke).
Michael Bertrams im Abschieds-Interview: Nach 19 Jahren als Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs geht Michael Bertrams jetzt in Ruhestand. Im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger (Joachim Frank) spricht Bertrams über die Macht seines Gerichts, über das Kölner Beschneidungsurteil, über Jugendstrafrecht und die Fehler des Bundesverfassungsgerichts beim zu liberalen Umgang mit rechten Demonstrationen. "Denken Sie nur daran, dass die NSU-Morde in die Zeit der sehr liberalen - ich möchte am liebsten sagen: libertinären - Karlsruher Rechtsprechung fielen."
Weitere Themen – Recht in der Welt
Sondertribunal für Sierra Leona – Taylor: Vor dem Sondertribunal für Sierra Leona hat jetzt die Berufungsverhandlung im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten von Liberia, Charles Taylor, begonnen, meldet die SZ. Taylor war in erster Instanz zu einer Freiheitsstrafe von 50 Jahren wegen Anstiftung und Beihilfe zu Kriegsverbrechen in Sierra Leone verurteilt worden.
Griechenland – Prozess gegen Statistiker: Die griechische Staatsanwaltschaft plant eine Anklage gegen den Chef der griechischen Statistikbehörde, berichtet spiegel.de. Er soll 2009 das griechische Defizit größer dargestellt haben, als es tatsächlich war, um in einer Verschwörung mit Deutschland Sparmaßnahmen in Griechenland durchzusetzen. Ihm wird nun die Manipulation von Bilanzen vorgeworfen.
Sonstiges
Pfeiffer-Interview: Im Interview mit spiegel.de schildert der Kriminologe Christian Pfeiffer die Gründe für das Scheitern des Forschungsprojektes zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche.
Erbenermittler: lto.de (Jens Kahrmann) stellt den Beruf des Erbenermittlers vor.
Das Letzte zum Schluss
Fremde Federn/Vögelsucht: Ein Schweizer Angestellter sammelte die Federn seltener Vögel und stahl sie auch in Museen. Der Mann wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, meldet bild.de unter der auffälligen Überschrift "Vögel-Sucht", teilt dabei aber nicht einmal mit, welches Gericht wann entschieden hat und wie hoch die Strafe war.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2013: Fehlurteile in Deutschland – Bud für die USA - Vögel-Sucht in der Schweiz . In: Legal Tribune Online, 23.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8019/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag