Nach vielfältigen Mutmaßungen zum Fall Gurlitt kommen nun Experten zu Wort. Die Justizministerin und der ermittelnde Staatsanwalt in Interviews. Außerdem in der Presseschau: EuGH zu Beihilfen, Christian Wulff vor Gericht, überteuerter EnBW-Kauf, die Schweiz und das Völkerrecht, Tod eines Praktikanten und Arbeit, die sich endlich wieder lohnt.
Thema des Tages
Gurlitt: Im Gespräch mit dem Handelsblatt (Till Hoppe) äußert sich die noch amtierende Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur Rechtslage im mutmaßlichen Raubkunst-Fall Gurlitt. Eine nachträgliche Aufhebung einer bereits eingetretenen Verjährung hält die Ministerin für "sehr schwer vorstellbar". Sie erinnert daran, dass Cornelius Gurlitt, bei dem die Bilder aufgefunden wurden, neben rechtlichen auch moralische Verpflichtungen trage und auch angesichts seines Alters an einer einvernehmlichen Lösung interessiert sein sollte. Anderenfalls könnte sich eine Lösung noch sehr lange hinziehen, "zum Schaden aller Seiten".
In ihrem Feuilleton befragt die SZ (Heribert Prantl) den Augsburger Leitenden Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz zu den von ihm geleiteten Ermittlungen. Diese führe die Anklagebehörde "mit allergrößter Sorgfalt" und im Bewusstsein der moralischen Dimension. Raubkunst werde dem Beschuldigten Gurlitt nicht zurückgegeben. Auch die umstrittene Eigentumssituation vieler Bilder sei "lösbar": Raubkunstgeschäfte im Dritten Reich seien von Anfang an nichtig gewesen, ein wirksamer Eigentumserwerb daher auch nicht über eine Erbschaft oder eine Ersitzung möglich.
Rechtspolitik
Fahrverbot: Die Idee, künftig Fahrverbote als eigenständige strafrechtliche Sanktionsmöglichkeit einzuführen, kommentiert Jan Bielicki (SZ). Das Verbot erlaube eine zwischen Geld- und Haftstrafe differenzierende Einwirkungsmöglichkeit auf Täter, wegen seiner unterschiedlichen Auswirkung sei es jedoch als Regelstrafe "kaum geeignet".
Beihilfen für Sportvereine: Die Europäische Kommission betreibt derzeit Beihilfeverfahren gegen spanische und niederländische Fußballvereine wegen europarechtswidriger staatlicher Förderungen. Im Gespräch mit lto.de (Constantin van Lijnden) erläutert Rechtsanwalt Robin van der Hout die Hintergründe und mögliche Auswirkungen auch für deutsche Vereine.
Steuerhinterziehung: Unterhändler von Union und SPD planen neue Regeln zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung. So sollen etwa die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige verschärft und die Verjährung bestimmter Auslandssachverhalte verlängert werden, schreibt die FAZ (Manfred Schäfers).
Flüchtlinge: Die oftmals verzweifelte Lage syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge kommentiert Heribert Prantl (SZ). Trotz "wohlfeiler Sympathieerklärungen der EU-Politiker" blieben die Betroffenen sich weitestgehend selbst überlassen, in einigen Fällen hätte die griechische Küstenwache ankommende Flüchtlingsboote aufs offene Meer zurückgeschleppt, "offenbar unterstützt von Frontex".
Große Koalition: In einem Gastkommentar entwickelt der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf (Handelsblatt) Vorschläge zur Begrenzung der Macht einer den Grundsatz der Gewaltenteilung gefährdenden "Superkoalition". Die Transparenz und Nachvollziehbarkeit parlamentarischer Entscheidungsprozesse ließe sich durch elektronische Abstimmungsverfahren erhöhen, zudem müsste eine parteipolitisch ungebundene "Bürgeropposition" in diese Prozesse eingebunden werden.
Justiz
EuGH zu Beihilfen: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass ein nationales Gericht, konkret das Oberlandesgericht Koblenz, über die Zulässigkeit von Beihilfen entscheiden kann, obwohl in der Sache eine parallele Prüfung der EU-Kommission läuft, meldet lto.de. Klägerin ist die Lufthansa, die sich gegen einem Konkurrenten wegen besonders niedriger Flughafengebühren wendet, die nach ihrer Ansicht als unzulässige staatliche Beihilfen zu werten sind. Die FAZ (Corinna Budras) macht darauf aufmerksam, dass die Entscheidung auch für Unternehmen, denen zur Zeit Ausnahmen bei Netzentgelten und Umlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gewährt werden, bedeutsam sei.
BVerfG – EZB: Mit einer Entscheidung zu den beim Bundesverfassungsgericht anhängig gemachten Klagen gegen das Euro-Rettungsprogramm der Europäischen Zentralbank ist in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen, meldet die SZ.
OLG München – NSU-Prozess: Über die Vernehmung eines früheren NPD-Funktionärs im Prozess gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München schreibt zeit.de (Tom Sundermann). Der Zeuge habe unmittelbar nach dem Untertauchen des Trios den Kontakt aufrechterhalten und auch Blanko-Pässe besorgt.
OLG Celle zu Versorgungsausgleich: In einem Beschluss vom Oktober hat das Oberlandesgericht Celle entschieden, dass eine geschlechtsdifferenzierende Berechnung von ausgleichspflichtigen Versorgungsansprüchen unzulässig ist. Hans-Otto Burschel (blog.beck.de) berichtet.
LG Hannover – Wulff: Vom zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) berichtet die SZ (Annette Ramelsberger). Das Verfahren sei nun im "Klein-Klein" angelangt, Aussagen von Mitarbeitern eines Münchner Hotels hätten dabei Wulffs Version, nach der er nichts davon mitbekommen habe, dass sein Freund David Groenewold einen Teil der Übernachtungskosten übernommen hatte, eher gestützt. Auch die Welt (Ulrich Exner) und bild.de (Nikolaus Harbusch) berichten.
StA Stuttgart – EnBW-Rückkauf: Ein von der Staatsanwaltschaft Stuttgart in Auftrag gegebenes Gutachten zum vom damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) veranlassten Rückkauf von EnBW-Anteilen hat einen um 780 Millionen Euro überhöhten Kaufpreis ermittelt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist damit das Tatbestandsmerkmal Vermögensschaden der Untreue erfüllt, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt), vor einer Anklageerhebung gegen Mappus müsse allerdings noch dessen bedingter Vorsatz geprüft werden.
StA Koblenz – Datenweitergabe: Seit Anfang des Monats ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen der Datenweitergabe von Beamten an den Versicherer Debeka. Wie das Handelsblatt (Ozan Demircan/Sönke Iwersen) zu berichten weiß, hat das rheinland-pfälzische Innenministerium nun einen Rundbrief an die rund 74.000 Beamten des Landes verschickt, in dem vor der Praxis, Daten von kurz vor der Verbeamtung Stehender an den Versicherer gegen Prämien weiterzugeben, gewarnt wird. Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen könnten als Ordnungswidrigkeit oder sogar als Straftat gewertet werden, wenn sie mit Bereicherungsabsicht erfolgt wären.
Recht in der Welt
Schweiz – Völkerrecht: Eine schweizerische Volksinitiative versucht, die automatische Abschiebung krimineller Ausländer durchzusetzen. Weil dies offenbar im Widerspruch zu völkerrechtlichen Bindungen steht, hat der Bundesrat nun einen Teil der Initiative für ungültig erklärt. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) erklärt in einer Kolumne die Hintergründe.
Österreich – BayernLB: Gegen den Vorstandsvorsitzenden der BayernLB, Gerd Häusler, hat die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage eingeleitet. Hintergrund ist eine Aussage Häuslers vor dem Wiener Handelsgericht in der Auseinandersetzung um den österreichischen Rückkauf der Hypo Alpe Adria-Bank von der BayernLB, schreibt die FAZ (Henning Peitsmeier/Michaela Seiser). Über den Verlauf eines parallel in Klagenfurt laufenden Strafverfahrens gegen Vorstände der österreichischen Bank wegen Untreue und Bilanzfälschung berichtet das Handelsblatt (Hans-Peter Siebenhaar).
Großbritannien – Tod eines Praktikanten: Im Londoner Stadtteil Poplar beginnt am heutigen Freitag die gerichtliche Untersuchung der Umstände des Todes von Moritz E. Der deutsche Praktikant einer Investmentbank verstarb im Sommer mutmaßlich nach einem epileptischen Anfall. Die Welt (Sebastian Borger) berichtet, auch über die Aufgaben britischer Untersuchungsrichter.
Israel – Organisierte Kriminalität: Mehrere aktuelle Sprengstoffanschläge in Israel sind mutmaßlich auf Auseinandersetzungen rivalisierender Kriminellen-Banden zurückzuführen. Nach dem Bericht der FAZ (Hans-Christian Rößler) droht nun der Minister für öffentliche Sicherheit, gegen mutmaßlich Beteiligte wie gegen herkömmliche Terroristen vorzugehen: Unterweltbosse sollten bei Bedarf in Administrativhaft genommen werden.
Sonstiges
Verräterische E-Mails: Ein Händler der Deutschen Bank in den USA bekam Besuch von FBI-Ermittlern, weil er sich in einem Chat in fragwürdiger Weise zu Marktmanipulationen geäußert hatte. Das Handelsblatt (Frank Wiebe) erinnert aus diesem Anlass an weitere Fälle, in denen flapsigen Äußerungen im elektronischen Postverkehr entscheidenden Beweiswert zukam.
Aufhebungsvertrag: Die Welt (Stephan Maass) informiert in ihrem Management-Teil über Besonderheiten eines Aufhebungsvertrages zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen von Führungskräften.
Das Letzte zum Schluss
Arbeit muss sich wieder lohnen: Über ein ungewöhnliches Projekt zur Beschäftigung Alkoholkranker in Amsterdam schreibt die SZ (Laura Hertreiter/Benedikt Warmbrunn). Nachdem ein Park der niederländischen Hauptstadt jahrelang durch Randale und Auseinandersetzungen der Süchtigen in Mitleidenschaft gezogen wurde und die regelmäßig angeforderte Polizei ebenso ratlos war wie Sozialarbeiter, überredete eine Stiftung die Alkoholiker jetzt zur gemeinnützigen Arbeit. Wer sechs Stunden Straßen kehrt, erhält ein halbes Päckchen Tabak, 10 Euro und fünf Dosen Bier.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. November 2013: Experten zu Gurlitt – Gutachten zu EnBW – Tod eines Praktikanten . In: Legal Tribune Online, 22.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10129/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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