Wie behauptet sich eine Mini-Opposition gegen eine übergroße Regierungsmehrheit? SPD und CDU wollen sich erbarmen und Minderheitenrechte sichern. Außerdem in der Presseschau: keine Abschiebehaft in Gefängnissen, Korruptionsermittlungen gegen Ex-Staatssekretär und zwei Papageien, die beim Pizzabacken von der Stange fielen.
Thema des Tages
Parlamentarische Minderheitenrechte: Union und SPD wollen im Falle einer Großen Koalition die Minderheitenrechte der Opposition wahren, berichtet die FAS (Eckart Lohse/Markus Wehner). So sollten Grüne und Linkspartei einen Untersuchungsausschuss einsetzen oder ein Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorlegen können, auch wenn sie die dafür laut Grundgesetz notwendige Stimmenzahl nicht erreichten. Ob dies durch eine Grundgesetzänderung oder eine Änderung der Geschäftsordnung verwirklicht werden solle, sei noch unklar.
Im Interview mit dem Spiegel (Zusammenfassung auf spiegel.de) zeigt sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio skeptisch gegenüber Grundgesetzänderungen aus "einer aktuellen politischen Konstellation heraus", befürwortet aber eine Stärkung der Opposition über die Geschäftsordnung. Gleichzeitig äußert er vorsichtige Skepsis gegenüber der Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen.
Reinhard Müller (Montags-FAZ) findet es "rührend", wie sich die künftige Regierung um den Minderheitenschutz sorgt – sieht aber "keinen Anlass, wegen einer regelkonformen Regierungsbildung die Grundordnung zu ändern". Christian Rath (Montags-taz) erwartet nur "wenig Auswirkungen" in der Praxis. Vor das Bundesverfassungsgericht könnten auch die Bürger ziehen, Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss könne sich eine Regierung bei einem Skandal ohnehin "kaum entziehen".
Rechtspolitik
EU-Datenschutzverordnung: Am heutigen Montag will der Rechtsausschuss des EU-Parlaments seine Position zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Datenschutzverordnung beschließen. Dabei wolle das Parlament vor allem die Rechte der Internetnutzer stärken, berichtet die Montags-SZ. Die Montags-taz (Christian Rath) gibt einen Überblick über Genese und Hintergrund des Verordnungsentwurfs sowie über seine zentralen Regelungen.
Jugendarrest in Brandenburg: In Brandenburg soll der bislang im Jugendgerichtsgesetz als "Zuchtmittel" vorgesehene Jugendarrest erstmals eigenständig gesetzlich geregelt werden. Ziel sei eine Ausgestaltung als "erstes stationäres soziales Training" und nicht als "Abschreckung bei Wasser und Brot", zitiert die Samstags-FAZ den Landesjustizminister Volkmar Schöneburg (Linkspartei).
Zukunft der EU: Verfassungsblog.de veröffentlichte am Freitag die Erklärung "Aufbruch in die Euro-Union" der "Glienicker Gruppe", eines Zusammenschlusses von Ökonomen, Juristen und Politologen. In der Erklärung finden sich verschiedene Vorschläge für "strukturelle Lösungen" der der Eurokrise zugrundeliegenden "strukturellen Probleme". Dabei fordert die "Glienicker Gruppe" unter anderem die strengere Kontrolle rechtsstaatlicher und demokratischer Standards in den Mitgliedstaaten. Es könne nicht sein, dass gegen Beihilferechtsverstöße effektiver vorgegangen werden könne als gegen Staaten, "die die Demokratie oder rechtsstaatliche Regeln abschaffen".
In der Montags-FAZ macht sich der Politikwissenschaftler Andreas Maurer Gedanken über die Zukunft der EU. Er bezweifelt, dass sie sich analog zu den nationalen Verfassungsstaaten entwickeln sollte und plädiert für eine Orientierung an den Besonderheiten der EU als "mehrstufig geordnetem System".
Bürgerrechte: Heribert Prantl (Montags-SZ) will eine Vermisstenanzeige schalten – für die Bürgerrechte. Diese fehlen ihm nämlich als Thema für die anstehenden Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD. Zu konstatieren seien "das Verschwinden der Rechtspolitik" und das "einer einer gestaltenden Innenpolitik".
Justiz
LG München II zu Abschiebehaft: Das Landgericht München II hat einen eritreischen Flüchtling freigelassen, der in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim in Abschiebehaft saß. In der gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen sah das Gericht einen Verstoß gegen EU-Recht, berichtet die Samstags-taz (Marina Mai). Damit stehe möglicherweise die Abschiebehaft im Großteil der Bundesländer vor dem aus – da bislang nur Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz einen "Abschiebegewahrsam" eingeführt hätten; in Schleswig-Holstein und Hessen werde eine Mischform praktiziert.
StA Berlin – Ermittlungen gegen von Klaeden: Nach einem Bericht des Spiegel (Sven Becker/Dietmar Hawranek/Christoph Pauly/Sven Röbel/Gerald Traufetter, Vorabmeldung auf spiegel.de) prüft die Berliner Staatsanwaltschaft, ob gegen Ex-Kanzleramts-Staatsminister Eckart von Klaeden (CDU) ein Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung vorliegt, weil dieser zum Automobilkonzern Daimler wechselt. Unter Berufung auf einen Prüfvermerk der Staatsanwaltschaft hält das Nachrichtenmagazin ein Verfahren für "wahrscheinlich".
StA Kiel – Untreue-Ermittlungen gegen OB: Die Kieler Staatsanwaltschaft hat gegen die Oberbürgermeisterin der Stadt, Susanne Gaschke (SPD), Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall eingeleitet. Es gehe um einen Steuer-Deal mit einem Augenarzt, berichtet die Montags-FAZ (Frank Pergande) und gibt einen Überblick über die Polit-Affäre. Auch zeit.de berichtet.
SG Magdeburg – DDR-Doping: Eine frühere Ruder-Athletin kämpft vor dem Sozialgericht Magdeburg um ihre Anerkennung als Dopingopfer. Die Samstags-taz (Johannes Kopp) berichtet im "Leibesübungen"-Teil ganzseitig über die offenbar als "Versuchskaninchen" für Doping missbrauchte Sportlerin und die besonderen Beweisschwierigkeiten vor Gericht: Nämlich darzulegen, dass die körperlichen Schädigungen nicht bloß auf leistungssporttypische Überbeanspruchung, sondern auf die Gabe von Dopingmitteln zurückzuführen seien.
Barrierefreiheit vs. Vermieterinteresse: Auf ihrer "Seite Drei" berichtet die Samstags-SZ von der Auseinandersetzung der Familie eines gehbehinderten jungen Mannes mit dem Vermieter einer Wohnung in München. Es gehe um den Einbau eines Treppenlifts und den barrierefreien Umbau des Bades – und die Sorgen des Vermieters über eine Wertminderung seiner Immobilie. Seit eineinhalb Jahren beschäftige der Fall bereits Rechtsanwälte und die Justiz, eine einstweilige Verfügung sei in zwei Instanzen abgelehnt worden, das Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht anhängig. Das "Tempo bei Gericht" passe nicht "zur Not" der Familie.
VG Frankfurt – Verdi gegen Beschwerderegister: Verdi unterstützt mehrere Klagen gegen das Mitarbeiter- und Beschwerderegister für Bankberater. Es handele sich dabei um "verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung", meint die Gewerkschaft laut einer Meldung der SZ.
VG München – Philip Morris gegen Werbeverbot: Der Tabakkonzern Philip Morris hat gegen das Verbot der Marlboro-Werbekampagne "Don‘t be a maybe" Klage beim Verwaltungsgericht München eingelegt. Das Landratsamt München hatte diese verboten, weil sie "besonders geeignet" sei, "Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen", berichtet spiegel.de.
Strafloser Gesetzesbruch: Ein Oberstaatsanwalt lügt bewusst in seiner Anklageschrift – das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung wird aber eingestellt. Der Spiegel (Dietmar Hipp) berichtet von dem Fall, in dem der Staatsanwalt zum Schutz verdeckter Ermittlungen dem Gericht Informationen vorenthalten hatte – dies aber nicht "bewusst und in schwerwiegender Weise", wie die ermittelnde Osnabrücker Staatsanwaltschaft befunden habe.
Gerichtsdolmetscher: Gefordert wird mehr als die bloße Übersetzung: Mit welchen gerade auch kulturellen Herausforderungen die Arbeit als Gerichtsdolmetscher verbunden ist, erläutert lto.de (Claudia Kornmeier).
Bundesanwaltschaft stellt Schleyer-Ermittlungen ein: Laut Spiegel hat die Bundesanwaltschaft nach sechs Jahren die Ermittlungen gegen den Ex-RAF-Terroristen Rolf Heißler wegen des Mordes an Hanns Martin Schleyer eingestellt. Neben der ihn belastenden Aussage des RAF-Aussteigers Peter-Jürgen Boock habe die Behörde keine weiteren Beweise für die Täterschaft finden können.
Chodorkowski-Fall erreicht Deutschland: Nach einem Bericht des Spiegel (Christian Neef) haben Bemühungen der russischen Justiz, ein weiteres Strafverfahren gegen den inhaftierten Ex-Chef des russischen Erdölkonzerns, Michail Chodorkowski, vorzubereiten, nun auch Deutschland erreicht. Das Bundesjustizministerium habe ein Rechtshilfeersuchen zurückgewiesen, mit dem die Vernehmung des Rechtswissenschaftlers Otto Luchterhandt erreicht werden sollte. Dieser hatte an einem Gutachten mitgewirkt, dass die Verurteilung Chodorkowskis scharf kritisiert hatte.
StA Dortmund – SS-Massaker von Oradour: Die Staatsanwaltschaft Dortmund steht bei ihren Ermittlungen zum SS-Massaker im französischen Oradour-sur-Glane anscheinend "vor einem Durchbruch". Wie der Focus (Frank Lehmkuhl/Axel Spilcker) zu berichten weiß, hätten die Ermittler neue Augenzeugen gefunden und sich frühere SS-Männer erstmals selbst belastet.
Recht in der Welt
Frankreich – Homosexuellen-Trauung: Am Freitag hat der französische Verfassungsrat entschieden, dass Bürgermeister dazu verpflichtet sind, auch Homosexuelle zu trauen – und sich nicht unter Berufung auf ihr Gewissen weigern können, das neue französische Gesetz zur Homo-Ehe zu vollziehen. Sich weiterhin weigernde Bürgermeister riskierten nun, wegen Diskriminierung belangt zu werden, berichtet die Samstags-SZ (Stefan Ulrich). Eine Sprecherin der Bewegung gegen die Homo-Ehe kündigte laut FAZ (Michaela Wiegel) an, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
Österreich – Hypo Alpe Adria: Als "größten Kriminalfall Europas" hat der interne Chef-Ermittler Christian Böhler laut Handelsblatt (Hans-Peter Siebenhaar) die "Causa Hypo" bezeichnet. Die Bank Hypo Group Alpe Adria sei "ein Ort des organisierten Verbrechens", verstrickt seien Banker wie Politiker. Die Aufarbeitung der Geldwäsche-Vorwürfe werde zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Auch spiegel.de berichtet.
Griechenland – Lebenslang für Steuerbetrüger: In Griechenland sind erstmals lebenslange Freiheitsstrafen für Steuerbetrüger verhängt worden. Das Steuerstrafrecht sei 2011 deutlich verschärft worden, seitdem sei auch eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich, meldet die spiegel.de.
Ukraine – Timoschenko-Haft: Die ukrainische Regierung hat einen Vorschlag zur Haftentlassung der ukrainischen Ex-Ministerpräsidentin Julija Timoschenko gemacht. Sie hat einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der die vorübergehende Entlassung erkrankter Häftlinge zur Behandlung im Ausland vorsehe, berichtet die Samstags-FAZ (Konrad Schuller). Hintergrund der Auseinandersetzung sind Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Diese mache die Entlassung Timoschenkos zur Bedingung für das Abkommen.
Russland – Nawalny: Die Samstags-taz (Barbara Oertel) führt ein Interview mit der Menschenrechtspolitikerin Marielusie Beck (Grüne) zum Berufungsurteil gegen den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Das Urteil sei ein "scheinbares Signal der Milde und Vernunft" an die europäische Öffentlichkeit", Nawalny sei aber nach wie vor "politisch kaltgestellt". Auch in die Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts zum Verlust des passiven Wahlrechts setzt Beck wenig Hoffnung.
USA – AirBnB: Die Samstags-SZ berichtet ausführlich über die Ermittlungen des New Yorker Generalstaatsanwalts im Zusammenhang mit dem Online-Untervermietungsportal "AirBnB". Es gehe um unversteuerte Mieteinnahmen in Höhe von 35 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen weigere sich bislang, seine Nutzerdaten herauszugeben.
USA – Rekordstrafe für JP Morgan: Die US-Bank JP Morgan wird wohl die höchste Geldbuße in der Geschichte der USA zahlen müssen. Nach Berichten der Montags-SZ (Nikolaus Piper), der Montags-FAZ (Norbert Kuls) steht die Einigung über einen Vergleich vor dem Abschluss, nach dem die Bank 13 Milliarden US-Dollar bezahlen muss, um sich von den Ermittlungen des US-Justizministeriums wegen des Handels mit faulen Hypothekenkrediten freizukaufen. Strafrechtliche Ermittlungen seien von dem Deal nicht betroffen, betont das Handelsblatt (Frank Wiebe).
Italien – Zwei Jahre Amtsverbot für Berlusconi: Ein Mailänder Berufungsgericht hat den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi erneut verurteilt, diesmal zu zwei statt fünf Jahren Berufsverbot als Zusatzstrafe zur Haftstrafe wegen Steuerbetrugs. Diese muss Berlusconi aber immer noch nicht antreten – denn sein Anwalt hat Beschwerde zum Kassationshof erhoben. Die Montags-SZ (Andrea Bachstein) und zeit.de berichten.
Argentinien – Einigung mit Gläubigern: Argentinien hat seinen Schuldenschnitt-Streit mit US-Hedgefonds vor dem Weltbank-Schiedsgerichts ICSID beigelegt und sich mit seinen Gläubigern auf eine Zahlung von 677 Millionen Dollar geeinigt. Das berichtet die Montags-FAZ (Carl Moses) und weist darauf hin, dass vor dem Schiedsgericht noch etwa ein Dutzend weitere Verfahren anhängig seien.
Das Letzte zum Schluss
Schadensersatz für trällernde Papageien: Den doppelten Anschaffungspreis wollte der Rentner als Schadensersatz für seine beiden Papageien haben. Immerhin hatte er den beiden Tieren unter anderem das Trällern eines Schlagers von DJ Ötzi beigrebracht, bevor diese tot von der Stange fielen. Weil dies passierte, während er mit der neuen Teflon-Backform eine Tiefkühlpizza erhitzte, verklagte der Vogelliebhaber den Hersteller. Eine Entwicklung von giftigen Dämpfen konnte der Gerichtsgutachter bei ordnungsgemäßer Handhabung aber nicht feststellen – weswegen der Vogelliebhaber laut strafakte.de (Mirko Laudon) den Prozess auch verloren hat.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. - 21. Oktober 2013: Minderheitenrechte von Regierungs Gnaden – Abschiebehaft in Gefängnissen unzulässig – Ermittlungen gegen von Klaeden . In: Legal Tribune Online, 21.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9848/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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