Nach den gescheiterten Sondierungen wird über Neuwahl und Minderheitsregierung nachgedacht. Außerdem in der Presseschau: Staatsanwaltschaft fordert Haft für Schlecker und EuGH droht Polen mit Zwangsgeld.
Thema des Tages
Gescheiterte Sondierung: Nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche durch die FDP hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die politischen Parteien aufgerufen, weiter an der Regierungsbildung zu arbeiten. Wenn – wonach es derzeit aussieht – keine Regierungskoalition zustande kommt und ein vom Bundespräsidenten vorgeschlagener Kandidat keine Mehrheit der Stimmen im Bundestag erhält, kann der Bundespräsident entweder den mit relativer Mehrheit gewählten Kandidaten zum Kanzler ernennen oder den Bundestag auflösen. Das Verfahren und die Möglichkeiten des Bundespräsidenten erläutern die FAZ (Reinhard Müller, gekürzte Online-Version), die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Tobias Schulze).
Rechtsprofessor Joachim Wieland erläutert auf lto.de mögliche taktische Erwägungen. Sollte sich die SPD oder die FDP zur Tolerierung einer Minderheitsregierung bereit erklären, wäre die Ernennung von Merkel als Kanzlerin naheliegend, zumal eine Neuwahl keine neuen Mehrheiten verspreche. Im Interview mit zeit.de (Simone Gaul) bezeichnet der Staatsrechtler eine Minderheitsregierung sogar als Chance: Den Bürgern werde deutlich, dass für jedes Projekt eine neue Zustimmung gefunden werden muss. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Meinel bezeichnet auf verfassungsblog.de hingegen Vorstellungen einer "Renaissance des Parlamentarismus" als "romantischen Unfug". Sie würden von einer Ideologie der Gewaltentrennung ausgehen, die der Verfassung fremd sei. Änderungen am herausgebildeten institutionellen Gefüge würden die "impliziten Loyalitäten eines Mehrparteienparlaments mit der Aufgabe zur Mehrheitsbildung" in Frage stellen.
In einem Beitrag über die Zwischenzeit bis zur Wahl eines Kanzlers befasst sich die FAZ (Hendrik Wieduwilt u.a.) unter anderem mit den Kompetenzen der geschäftsführenden Regierung. Es werde zwar darüber gestritten, ob sich aus dem Grundgesetz eine gewisse Zurückhaltungspflicht ableiten lasse. Klare verfassungsrechtliche Grenzen gebe es aber nicht.
Rechtspolitik
Familiennachzug: Der Geschäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt kritisiert in der taz die Debatte über den Familiennachzug als "ein unwürdiges Geschacher auf dem Rücken von Geflüchteten". Die weitere Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sei grundgesetzwidrig. Der Vorschlag der FDP, den Nachzug von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen, stelle eine "Ökonomisierung des humanitären Flüchtlingsrechts nach Nützlichkeit" dar.
Netzpolitik in den Sondierungsgesprächen: netzpolitik.org (Markus Beckedahl) zieht eine netzpolitische Bilanz für die Sondierungsgespräche. Insgesamt seien die erreichten Einigungen enttäuschend gewesen. Schade sei, dass die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung, zu der sich auch die Union bereit erklärt habe, verpasst worden ist.
Justiz
EuGH – "Fack Ju Göhte": Der Europäische Gerichtshof muss sich mit der Frage befassen, ob der Titel der Filmtrilogie "Fack Ju Göhte" sittenwidrig ist. Die Produktionsfirma war 2015 beim europäischen Markenamt mit dem Versuch gescheitert, sich die Rechte an dem Namen zu sichern. Sollte sie auch vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern, könne die Firma noch beim Deutschen Marken- und Patentamt den Schutz des Namens für den deutschen Markt beantragen, schreibt die SZ (Christoph Gurk).
LG Stuttgart – Schlecker: Im Prozess gegen den ehemaligen Drogerie-Unternehmer Anton Schlecker hat die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren gefordert. Sie sieht es als erwiesen an, dass Schlecker schon Ende 2010 von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste und trotzdem überhöhte Zahlungen an das Logistikunternehmen seiner Kinder tätigte. Da die Zahlungen "überzogen, rücksichtslos und sittlich anstößig" gewesen seien, lege auch ein besonders schwerer Fall des Bankrotts vor. Auch die beiden Kinder Lars und Meike Schlecker sollen nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft Freiheitsstrafen von über zwei Jahren bekommen. Es berichten FAZ (Oliver Schmale), SZ (Stefan Mayr), Welt (Gisela Friedrichsen), taz (Christian Rath) und Hbl (Martin Buchenau).
Susanne Preuß (FAZ) erinnert an ein zwanzig Jahre zurückliegendes Verfahren, in dem Schlecker bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, weil er Mitarbeiter unter Tarif bezahlt hatte. Beide Urteile gehörten zum "Bild eines kalten, rücksichtslosen Unternehmers, der sich nie Mühe gab, nach gesellschaftlicher Verantwortung zu fragen".
OLG Düsseldorf – IS-Anhänger: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen zwei mutmaßliche IS-Anhänger begonnen. Ihnen wird vorgeworfen nach Syrien ausgereist zu sein, um sich dem IS anzuschließen. Einer von ihnen ist der Sohn eines Predigers, der als zentrale Figur in der deutschen Islamistenszene gilt, so spiegel.de (Jörg Diehl/Roman Lehberger).
BVerwG zu Wassercent: Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von letzter Woche ist der sogenannte Wassercent nach dem nordrhein-westfälische Wasserentnahmeentgeltgesetz verfassungsgemäß. Das Gesetz sieht vor, dass auch für Wasser, das abgepumpt und ohne weitere Nutzung sofort wieder dem Wasserhaushalt zugeführt wird, ein Entgelt zu entrichten ist. Die Rechtsanwälte Stefan Altenschmidt und Sabrina Desens kritisieren auf lto.de das Urteil. Anders als in dem der Wasserpfennig-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden Fall, würden andere von der Nutzung des Wassers nicht ausgeschlossen. Zudem bestehe kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung gegenüber der Nutzung von Wasser für Durchlaufkühlung beim Betrieb von Kraftwerken, für die eine Ermäßigung vorgesehen sei.
LG Hamburg zu Kritik an Journalistin: Das Landgericht Hamburg hat einer Klage der freien Journalistin Petra Reski gegen den Freitag-Herausgeber Jakob Augstein vor einigen Wochen teilweise stattgegeben. Reski hatte sich gegen verschiedene Aussagen gewehrt, mit denen der Verleger einen Artikel über die italienische Mafia angriff. Nach dem Urteil, das meedia.de (Marvin Schade) jetzt vorliegt, darf Augstein zwar weiter behaupten, Reski habe mangelhaft recherchiert, aber nicht mehr von "Fake News" sprechen. Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt, weil Augstein der Autorin die Unterstützung in einem Rechtsstreit über den Artikel verweigert hatte.
LG Berlin/StA Berlin – Organisierte Kriminalität: Die SZ (Verena Mayer) befasst sich in einer Reportage mit kriminellen Familienclans, die in Berlin die Justiz vor Herausforderungen stellen. Geschildert wird unter anderem der Prozess gegen einen Vater und seinen Sohn, denen ein Raubüberfall auf das KaDeWe vorgeworfen wird. In einem gesonderten Beitrag stellt die SZ (Jens Schneider) ein Pilotprojekt aus Neukölln vor. Hier hat die Staatsanwaltschaft ein Büro direkt neben dem Rathaus und soll mit den kommunalen Behörden eng kooperieren.
Recht in der Welt
EuGH zu Urwald in Polen: Der Europäische Gerichtshof hat erstmals in seiner Geschichte im Eilverfahren ein Zwangsgeld angedroht. Bereits im Juli hatte das Gericht Polen untersagt, den europarechtlich geschützten polnischen Urwald Białowieża weiter abzuholzen. Weil Polen bisher nicht einlenkte, erneuerte der EuGH die einstweilige Anordnung und verband sie mit der Androhung von Zwangsgeld in Höhe von 100.000 Euro pro Tag. Laut sueddeutsche.de (Wolfgang Janisch) kann das Verfahren, ebenso wie ein Fall aus Portugal, in dem es um die Unabhängigkeit portugiesischer Richter geht, dazu dienen, die "juristischen Instrumente" für den Schutz des Rechtsstaats zu schärfen.
Großbritannien – Brexit: Mehrere frühere Präsidenten des Bundesverbands der Industrie und andere Industrievertreter aus Deutschland haben in einem Brief den Ausstieg aus dem Brexit gefordert. Die Union solle Anreize für einen Verbleib schaffen, indem Großbritannien mehr Befugnisse zur Beschränkung der Zuwanderung gegeben werden. Über den Brief schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
USA – Richterwahlen: Nach einem Bericht der SZ (Hubert Wetzel) besetzt die Trump-Regierung frei werdende Richterstellen systematisch mit Konservativen, obwohl den Kandidaten teilweise mangelnde Qualifizierung vorgeworfen wird. Die erforderliche Mehrheit im Senat haben die Republikaner, da die Demokraten die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit einst selbst abgeschafft hätten.
Sonstiges
Bettelnder Arbeitsloser: Das Jobcenter Dortmund hat einem Arbeitslosen die Sozialleistungen gekürzt, weil er beim Betteln beobachtet worden ist. Die Behörde schätzte zunächst Einnahmen von 300 Euro pro Monat und wollte diese vom Arbeitslosengeld abziehen. Nach Widerspruch des Beziehers wurde die Kürzung auf 90 Euro reduziert. Zudem soll der Hartz-IV-Emfpänger ein Einnahmebuch führen. Ob die Maßnahmen der Behörde rechtmäßig sind, ist umstritten, wie die SZ (Thomas Öchsner) und die taz (Barbara Dribbusch) schreiben.
Das Letzte zum Schluss
Blockierter Notruf: Weil ein Mann immer wieder den Polizei-Notruf wählte, bekam er zunächst Besuch von einer Streife und wurde schließlich auf die Wache mitgenommen. Als Grund für den "Telefonterror" gab der Mann Langeweile an, so spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. November 2017: Neuwahl oder Minderheitsregierung? / StA fordert Haft für Schlecker / Zwangsgelddrohung gegen Polen . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25617/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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