Die Kritik an dem Pilotprojekt zur Video-Gesichtserkennung nimmt zu. Außerdem in der Presseschau: Die Deutsche Umwelthilfe will in 45 Städten klagen und die britische Regierung stellt Papier zur Streitbeilegung nach dem Brexit vor.
Thema des Tages
Gesichtserkennung: Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat das Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz besucht und einen flächendeckenden Einsatz angekündigt, wenn der Test erfolgreich sein sollte. Derweil mehren sich die kritischen Stimmen. Nachdem vor wenigen Tagen bekannt geworden war, dass die Transponder, die die Testpersonen bei sich führen müssen, um die Ergebnisse überprüfen zu können, mehr Informationen sammeln können als von der Einverständniserklärung gedeckt sind, hat auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff den Abbruch des Testlaufs gefordert. Vertreter der Oppositionsparteien äußerten sich generell kritisch zum Einsatz der Technologie. Die Diskussion schildern FAZ (Hendrik Wieduwilt), SZ (Stefan Braun), zeit.de (Eike Kühl) und netzpolitik.org (Constanze Kurz).
Reinhard Müller (FAZ) meint, die Überwachung aller Bürger stehe nicht bevor. Es erschließe sich nicht auf Anhieb, warum die allgemeine Videoüberwachung allseits anerkannt sei, die biometrische Erfassung aber "totalitäre Züge" tragen soll. Heribert Prantl (SZ) sieht hingegen die Anonymität der Stadtmenschen in Gefahr: "Die Gesichtsrasterkameras produzieren einen verfassungsfeindlichen Feinstaub, der die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte erstickt." Jost Müller-Neuhof (Tsp) sieht in dem Einsatz der Transponder eine Panne, aber keinen Skandal. Es sei jedoch wichtig, dass "bereits in der Testphase alles exakt nach Vorschrift läuft". Auf Unsicherheiten hinsichtlich der Geeignetheit der Technologie weist Thomas Reuter (netzpolitik.org) hin. Der Bundesregierung komme es darauf jedoch gar nicht an.
In einem gesonderten Beitrag erläutert die FAZ (Michael Spehr), wie die Technik funktioniert.
Rechtspolitik
Rundfunklizenzen für Gamer: lto.de (Marcel Schneider) berichtet von der Computerspiele-Messe Gamescon, bei der über Reformen des Rundfunkstaatsvertrags diskutiert wurde. Ausgangspunkt war der Fall des Gamers "PietSmiet", der zunächst alleine, später mit anderen Spielern einen Livestream betrieb, wofür die Landesanstalt für Medien NRW eine Rundfunklizenz verlangte. Jetzt wird ein abgestuftes System diskutiert, das es Neulingen erleichtern soll, Internetangebote bereitzustellen.
Prüfungsrecht des Bundespräsidenten: Lasse Ramson nimmt auf juwiss.de die Ausfertigung des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems durch Bundespräsident Steinmeier zum Anlass, sich mit dem Prüfungsrecht des Bundespräsidenten zu befassen. Aus der Bindung an die Verfassung folge letztlich, dass der Bundespräsident nicht verpflichtet sein könne, ein materiell verfassungswidriges Gesetz auszufertigen. Eine Pflicht, die Ausfertigung zu verweigern, sei jedoch nur bei "Verstößen gegen Grundrechte oder Art. 20 GG und/oder kurzer Frist des Inkrafttretens" anzunehmen.
Justiz
Klagen für Dieselfahrverbote: Die Deutsche Umwelthilfe hat angekündigt, in 45 Städten rechtliche Verfahren zur Sicherstellung der Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid anzugehen, sollten die betroffenen Länder und Städte nicht bald reagieren. In 16 Städten sind bereits Klagen anhängig. Zuletzt hatte die Organisation in Stuttgart ein Urteil erwirkt, das ein Dieselfahrverbot als einzig geeignete Maßnahme ansah, um die Grenzwerte einzuhalten. Die SZ (Markus Balser/Michael Bauchmüller) und die taz (Richard Rother) berichten.
Gebühren für Bargeldabhebungen: Nach Informationen der FAZ (Christian Siedenbiedel) findet am 29. September eine mündliche Verhandlung zu Gebühren für Bargeldabhebungen statt. Es geht um die Sparda-Bank Berlin, die eine Gebühr für Barabhebungen mit der Kreditkarte in Höhe von zwei Prozent des Umsatzes, mindestens jedoch fünf Euro, eingeführt habe. Gegen zwei weitere Banken prüfen Verbraucherschützer ebenfalls rechtliche Schritte.
BGH zu Syndikusanwälten: Ein Jurist kann auch dann als unabhängiger Anwalt in einem Unternehmen tätig sein, wenn er an bestimmte Regeln gebunden ist. Das hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung festgestellt, die der FAZ (Hendrik Wieduwilt) vorliegt. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um einen Anwalt, der bei einer Versicherung arbeitete. Die Deutsche Rentenversicherung hatte argumentiert, dass der Jurist nicht von der Rentenversicherungspflicht befreit sei, weil er die geltenden Verrechnungsgrundsätze und Auslegungsbeschlüsse beachten müsse. Der Bundesgerichtshof stellte hingegen darauf ab, dass es sich bei diesen Regelungen nicht um rein betriebsinterne Vorschriften handele.
BAG zu sexueller Belästigung: Der Griff ans Geschlechtsteil ist auch dann als sexuelle Belästigung zu werten und kann eine Kündigung rechtfertigen, wenn sie nicht sexuell motiviert ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Stahlarbeiter seinem Kollegen von hinten schmerzhaft in den Schritt gegriffen. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz "häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust" seien, so spiegel.de.
LG Leipzig zu Facebookposts von Sachverständiger: blog-burhoff.de (Detlef Burhoff) weist auf einen Beschluss des Landgerichts Leipzig hin, mit dem eine Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Sie hatte auf Facebook anlässlich der Vorkommnisse zum G-20-Gipfel in Hamburg gepostet, dass sie "nicht übel Lust (habe), 75% der Verfasser, die sich hinter einem Nicknamen verstecken, in die nächstgelegene Sicherungsverwahrung zu gutachten!" Dies sei laut dem Gericht geeignet, "den Eindruck zu erwecken, dass die Sachverständige die Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus sachfremden Erwägungen und nicht objektiv beurteilten könnte".
Recht in der Welt
UK – Streitbeilegung nach dem Brexit: zeit.de (Sascha Zastiral) befasst sich mit dem von der britischen Regierung veröffentlichten Diskussionspapier zu möglichen Streitbeilegungsmechanismen für ein Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Darin seien auch Modelle enthalten, die der EU auch nach dem Brexit weitgehenden Einfluss auf die britische Rechtsprechung sichern würden. In einem (englischsprachigen) Beitrag auf verfassungsblog.de begrüßt der Rechtswissenschaftler Tobias Lock das Papier. Es bringe Realismus und Pragmatismus in die Diskussion über den Europäischen Gerichtshof. Welches Modell sich letztlich durchsetze, sei jedoch offen.
Polen – Rechtsmissbrauch in der Verfassungskrise: Rechtsprofessor Marcin Matczak argumentiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), dass die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs durch den Sprecher des Sejm, um einen Rechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof zu vermeiden, rechtsmissbräuchlich war. Um Rechtsmissbrauch durch staatliche Akteure zu verhindern, müssten die polnischen Richter auf formalistische Argumentationen verzichten und staatliches Handeln am gleichen Maßstab wie privates messen.
Rumänien – Justizreform: In Rumänien ist ein Streit um die von der Regierung geplante Justizreform entfacht. Der Gesetzesvorschlag von Justizminister Tudorel Toader sehe nicht nur die Abschaffung der Beteiligung des Präsidenten bei der Bestellung des Generalstaatsanwaltes vor, sondern auch den Ausbau von Kompetenzen des Justizministeriums, wie die FAZ (Reinhard Veser) schreibt. Rumäniens Präsident Klaus Johannis sieht in dem Vorhaben daher einen "Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen die Korruption".
Indien – Scheidungen: In einem (englischsprachigen) Beitrag auf verfassungsblog.de analysiert der Rechtsreferendar Adeel Hussain die Entscheidung des Obersten Gerichts Indiens, mit der die Praxis muslimischer Männer, sich durch das dreimalige Sagen des Wortes "talaq" von ihrer Frau zu scheiden, für verfassungswidrig erklärt wurde.
Indien – Privatsphäre: Indiens Oberstes Gericht hat ein in der Verfassung nicht ausdrücklich genanntes Recht auf Privatsphäre anerkannt. Das könnte sich auch auf die Einführung eines biometrischen Ausweises auswirken, für den sich bereits über eine Milliarde Menschen registrieren ließen. In einem weiteren anhängigen Verfahren geht es um die Nutzung der Nachrichten-Anwendung Whatsapp, wie die FAZ (Christoph Hein) meldet.
Sonstiges
Mediation in der Eigentümergemeinschaft: Die Rechtsanwältin und Mediatorin Bettina Juli-Heptner stellt im Immobilienteil der FAZ die Vorzüge einer Mediation für die Lösung von Konflikten in einer Wohnungseigentümergemeinschaft vor. Mit dem Verfahren würden sich langwierige Gerichtsprozesse vermeiden lassen.
Unternehmensanteile von Jens Spahn: Der CDU-Politiker und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jens Spahn hat Anteile an dem Unternehmen Pareton GmbH erworben, das Geld damit verdient Menschen die Steuererklärung zu erleichtern. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) weist auf mögliche Interessenkonflikte hin und beleuchtet die Rechtslage. Nach dem Gesetz für Parlamentarische Staatssekretäre dürfe der Politiker zwar neben seinem Amt kein Gewerbe oder einen Beruf ausüben; über Unternehmensanteile sage das Gesetz jedoch nichts.
Das Letzte zum Schluss
Zu schnell geknutscht: Wenigstens gibt es ein schönes Erinnerungsfoto: Ein junges Paar ist auf der A45 bei 139 Kilometern pro Stunde geblitzt worden – knutschend. Die Polizei zeigte Verständnis für die Zärtlichkeit, aber weniger für den Ort und die Geschwindigkeit. Der Fahrer muss mit einem Bußgeld und einem Punkt im Flensburg rechnen, wie spiegel.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. August 2017: Gesichterkennung in der Kritik / Klagen für Dieselfahrverbote / UK zur künftigen Rolle des EuGH . In: Legal Tribune Online, 25.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24131/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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