Verbraucheranwälte haben Klagen gegen VW eingereicht, um Vergleichsverhandlungen zu erzwingen. Außerdem in der Presseschau: Gertrude Lübbe-Wolff will Verfassungsrichterwahl im Grundgesetz regeln und Legal Tech ist auf dem Vormarsch.
Thema des Tages
Klagen gegen VW: Verbraucheranwälte haben mehrere Klagen gegen Volkswagen eingereicht. Sie berufen sich auf Gerichtsentscheidungen, die VW verpflichtet haben, Dieselfahrzeuge zurückzunehmen und den Kaufpreis zu erstatten. Ziel ist es jedoch, Vergleichsverhandlungen zu erzwingen, die der Konzern bisher ablehnt. Die Anwälte, zu denen auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum gehört, vertreten eine niederländische Stiftung, in der etwa 100.000 VW-Kunden organisiert sind. Das niederländische Recht ermöglicht es, gesammelt gerichtliche Feststellungen zu beantragen, wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die SZ (Markus Balser) berichten.
Rechtspolitik
Cum-Ex-Geschäfte: Die Grünen haben einen eigenen Bericht zum Untersuchungsausschuss vorgelegt, der sich mit den sogenannten Cum-Ex-Geschäften befasst. Ihr finanzpolitischer Sprecher Gerhard Schick sprach bei der Vorstellung von organisiertem Verbrechen und massivem Staatsversagen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warf er vor, die Steuertricks nicht früher als rechtswidrig gebrandmarkt zu haben. Der offizielle Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses soll am 16. Juni vorgestellt werden. Es berichten die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und das Hbl (Frank M. Drost).
Aktionärsrechte-Richtlinie: Das Europäische Parlament hat eine neue Aktionärsrechte-Richtlinie beschlossen, nach der Unternehmen einen Anspruch darauf haben, die Namen und Adressen ihrer Aktionäre zu erfahren. Bisher würden insbesondere anstehende Strukturmaßnahmen dadurch erschwert, dass die Aktionäre nicht bekannt seien, weil die Aktien über lange Ketten von Zwischenverwahrern gehalten werden. Dem nationalen Gesetzgeber würden zwei Jahre Zeit für die Umsetzung bleiben, wobei er Ausnahmeregelungen für Aktienbestände unterhalb einer Schwelle von 0,5 Prozent schaffen könne, so das Hbl (Heike Anger).
Wahl von Verfassungsrichtern: Die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff fordert in einem Gastbeitrag für das Hbl, dass das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl von Verfassungsrichtern in das Grundgesetz aufgenommen wird. Geschehe dies nicht, könnte eine zukünftige einfache parlamentarische Mehrheit sich durch eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes der Mitsprache der Opposition entziehen. Damit würde ein "Stützpfeiler der sachorientierten Beratungskultur und der davon abhängigen ausgewogenen Rechtsprechung" geschleift.
Justiz
VGH Mannheim zu syrischen Flüchtlingen: Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat zwei syrischen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus zuerkannt. Auf die Entscheidungen, deren Gründe noch nicht bekannt sind, weist lto.de (Tanja Podolski) hin. Zuletzt hatten mehrere Oberverwaltungsgerichte entschieden, dass syrische Flüchtlinge nicht grundsätzlich als Flüchtlinge anzuerkennen seien, sondern lediglich subsidiären Schutz erhalten.
EuGH – Arbeitnehmermitbestimmung: Ausgehend vom Schlussantrag des Generalanwalts gehen die Rechtsanwälte Hartwin Bungert und Till Wansleben auf dem Handelsblatt-Rechtboard der Frage nach, wie der Europäische Gerichtshof im Fall Erzberger/Tui entscheiden wird. Dazu wird zwischen einigen Fallkonstellationen unterschieden und schließlich konstatiert, dass das Pendel zwar zu Gunsten der deutschen Mitbestimmungsregeln ausschlage, aber von Gewissheit keine Rede sein könne.
VGH Mannheim zu Rechtsbehelfsbelehrungen: Obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine bisherige Praxis für richtig hält, hat es die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim beanstandete Passage aus der Formulierung für neue Rechtsbehelfsbelehrungen gestrichen. Das erklärte die Behörde auf Nachfrage von lto.de (Tanja Podolski). Der VGH ging von einer einjährigen Klagefrist aus, weil der Hinweis, dass die Klageschrift in deutscher Sprache "abgefasst" werden müsste, den Eindruck erwecken könnte, dass eine Klageerhebung zur Niederschrift nicht zulässig sei.
BAG zu Altersdiskriminierung: In einer Entscheidung aus dem Januar, auf die community.beck.de (Markus Stoffels) hinweist, hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage befasst, wann Indizien für eine Altersdiskriminierung vorliegen. Die Stellenausschreibung richtete sich hier an Volljuristen mit "ersten einschlägigen Berufserfahrungen". Dies sei altersunabhängig. Soweit auch Berufsanfänger angesprochen würden, liege darin lediglich eine Öffnung des Bewerbungsverfahrens auch für Jüngere.
BGH zu Arzneimittelpreisbindung: Der Bundesgerichtshof legt in einem Urteil von November letzten Jahres ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren zur Arzneimittelpreisbindung nahe. Das schreibt community.beck.de (Paetrick Sakowski). Der Europäische Gerichtshof hatte im Oktober 2016 die deutschen Regelungen für unvereinbar mit der Warenverkehrsfreiheit erklärt. Deutschland habe nicht nachweisen können, dass die Arzneimittelpreisregelung geeignet sei, den Gesundheitsschutz zu fördern. Wenn solche Beweise jetzt erbracht würden, käme eine erneute Vorlage in Betracht, so der Bundesgerichtshof.
Recht in der Welt
China – Prozess gegen Menschenrechtsanwalt: In der Volksrepublik China hat der Prozess gegen den Menschenrechtsanwalt Xie Yang begonnen. Ihm wird Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Er war 2015 festgenommen und einem Bericht zufolge gefoltert worden. Im Prozess habe er gestanden und die Foltervorwürfe bestritten. Sein ehemaliger Anwalt, der die Folter öffentlich machte, sitze inzwischen selbst in Polizeigewahrsam, schreibt die FAZ (Petra Kolonko).
Frankreich – Ausstellung zu Barbie-Prozess: Die taz (Rudolf Walther) stellt eine Pariser Ausstellung vor, die sich mit dem Prozess gegen Klaus Barbie befasst. Der "Schlächter von Lyon" war während des Zweiten Weltkriegs für die Folterung und Tötung u.a. zahlreicher Mitglieder der Résistance verantwortlich. Nach seiner Flucht nach Bolivien wurde er 1983 an Frankreich ausgeliefert und 1987 im Lyoner Justizpalast zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt.
Völkergemeinschaft: Die SZ (Andreas Zielcke) zeichnet die Geschichte der Völkergemeinschaft seit dem Zweiten Weltkrieg nach. Diese sei zunächst vom Widerspruch zwischen nationaler Selbstbestimmung und Dominanz der Sieger sowie zwischen der Autonomie der Mitgliedstaaten und den Menschenrechten geprägt gewesen. Seit der neoliberalen Wende in den 1970er Jahren seien erhebliche Ungleichheiten entstanden. Heute zeichne sich eine "global governance" ohne politische Zentrale ab.
Sonstiges
Legal Tech: Die SZ (Felicitas Wilke/Benedikt Müller) nimmt sich der Entstehung von Legal-Tech-Anbietern an. Die Unternehmen bieten Verbrauchern standardisierte Beschwerden und Klagen an und streichen im Erfolgsfall eine Provision ein. Die Verbraucher müssen so zwar auf einen Teil des Anspruchs verzichten, ersparen sich jedoch Aufwand. In einem gesonderten Beitrag stellt die SZ (Felicitas Wilke/Benedikt Müller) vier Beispiele vor, in denen Legal Tech bereits zur Anwendung kommt: Bei Verkehrsverstößen, der Mietpreisbremse, Fahrgastrechten und beim VW-Abgasskandal.
Asyl für türkische Soldaten: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ersten türkischen Soldaten Asyl gewährt. Die Entscheidungen könnten zu weiteren Spannungen mit der Türkei führen. Laut tagesschau.de (Lena Kampf/Andreas Spinrath) heißt es aus Kreisen des Bundesamtes, dass vor den Bescheiden das türkische Referendum über die Verfassungsreform abgewartet worden sei.
Das Letzte zum Schluss
OLG Hamm – Herrenlose Rinder: Die von einem Verein in Nordrhein-Westfalen ausgewilderten Wisente sind herrenlos geworden. Das hat nach einer Meldung der taz (Heike Holdinghausen) das Oberlandesgericht Hamm in der mündlichen Verhandlung am Montag festgestellt. Jetzt muss der Verein möglicherweise bei der Naturschutzbehörde eine Genehmigung einholen, um die Tiere wieder einzufangen, falls das Oberlandesgericht der Klage von Waldbauern stattgibt, die sich gegen die Auswilderung wehren.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2017: VW in Bedrängnis / Verfassungsrichterwahl ins Grundgesetz? / Legal Tech im Kommen . In: Legal Tribune Online, 09.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22859/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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