Vor dem LG Berlin wurden zwei Todesfahrer wegen Mordes verurteilt. Außerdem in der Presseschau: Das Wechselmodell ist auch gegen den Willen eines Elternteils durchsetzbar und Deniz Yücel befindet sich nun förmlich in Untersuchungshaft.
Thema des Tages
Lebenslange Freiheitsstrafen für Todesfahrer: Das Landgericht Berlin hat zwei als "Ku'damm-Raser" bekannt gewordene 25 und 28 Jahre alte Männer wegen Mordes an einem unbeteiligten 69-jährigen Autofahrer zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die beiden hätten den Tod anderer billigend in Kauf genommen, also mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, und ihre Autos während des Rennens nicht kontrollieren können, was sie zu "gemeingefährlichen Mitteln" gemacht habe. Es ist das erste Mal in der deutschen Rechtsgeschichte, dass Raser, die einen tödlichen Unfall verursachten, wegen Mordes verurteilt wurden. Bislang kamen Autofahrer in solchen Fällen mit Schuldsprüchen wegen fahrlässiger Tötung und wesentlich geringeren Strafen davon. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, die Verteidiger haben Revision angekündigt, berichtet die SZ (Verena Mayer). Ausführliche Berichte finden sich auch in der FAZ (Johannes Leithäuser) und der taz (Uta Eisenhardt).
Jost Müller-Neuhof (Tsp) empfindet es als problematisch, die Höchststrafe für eine Tat zu verhängen, die erst aufgrund eines Zufalls zu einer solchen wurde. Zum Mörder werde man nicht durch Zufall. Auch Christian Rath (BadZ) bezeichnet das Urteil als zu hart. Reinhard Müller (FAZ) wirft die Frage auf, ob wir jetzt alle potentielle Mörder seien. Nach Ansicht von Joachim Käppner (SZ) erkannte das Gericht um der Symbolik willen auf Mord, es riskiere eine Aufhebung durch den Bundesgerichtshof.
Im Interview mit der taz (Sunny Riedel) erläutert die Verkehrspsychologin Bächli-Biétry, welche Motivation Raser antreibe und wie sie davon abgehalten werden können.
Rechtspolitik
Härtere Gesetze gegen Raser: Der Bundesrat hat im September vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf beschlossen, nach dem ein neuer § 315d in das Strafgesetzbuch eingeführt werden soll, der die Teilnahme an "verbotenen Kraftfahrzeugrennen" mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht. Auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) habe einen Gesetzentwurf zu dem Thema angekündigt, der sich aber immer noch in der Ressortabstimmung mit Justizminister Heiko Maas (SPD) befinde, schreibt die taz (Christian Rath). Wie die SZ (Markus Balser) berichtet, ist der Elan, mit dem solche Gesetzesverschärfungen im Herbst 2016 angegangen wurden, mittlerweile erlahmt, weshalb eine Umsetzung noch in der laufenden Legislaturperiode immer unwahrscheinlicher werde.
Vorratsdatenspeicherung: Wie netzpolitik.org (Andre Meister) mitteilt, hat das Justizministerium einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt, mit dem der Blog in Erfahrung bringen wollte, wie die Vorratsdatenspeicherung mit dem Europarecht in Einklang gebracht werden soll. Als Grund sei angegeben worden, dass sich die Bundesregierung derzeit noch im Austausch darüber befinde.
Störerhaftung: Die Rechtsrisiken für Betreiber öffentlicher WLAN-Hotspots sollen weiter gesenkt werden. Wie zeit.de berichtet, sieht ein Entwurf des Wirtschaftsministeriums zur Nachbesserung des Telemediengesetzes die Abschaffung der Störerhaftung auf Unterlassung vor. Im Gegenzug sehe der neue Entwurf vor die Rechteinhaber zu ermächtigen, Betreiber zur Sperrung von Piraterie-Seiten zu verpflichten, schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Unbefristeter Unterbindungsgewahrsam: Gefährder sollen in Bayern künftig unbegrenzt in Präventivhaft genommen werden können. Wie die SZ (Ronen Steinke) berichtet, sieht das von der bayerischen Staatsregierung beschlossene Anti-Terror-Paket vor, die bisher geltende Höchstdauer von 14 Tagen für den sogenannten Unterbindungsgewahrsam erstmals völlig aufzuheben. In einem Kommentar bezeichnet Ronen Steinke (SZ) dies als Einführung des Guantanamo-Prinzips und merkt an, dass dadurch die Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt werde.
Elektronische Signatur: Wie das Hbl (Heike Anger) schreibt, wartet der Onlinehandel zunehmend verunsichert auf das sogenannte Vertrauensdienstegesetz, das bestimmte Details der elektronischen Signatur entsprechend einer seit Mitte letzten Jahres geltenden EU-Verordnung regeln soll. Das deutsche Durchführungsgesetz stecke in der Ressortabstimmung fest.
Justiz
BGH zu Wechselmodell: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Familiengerichte das sogenannte Wechselmodell, nach dem Trennungskinder im wöchentlichen Wechsel beim Vater und bei der Mutter leben, auch gegen den Willen eines Elternteils anordnen können. Entscheidendes Kriterium sei das Kindeswohl, gibt die taz (Christian Rath) die Entscheidung des Gerichts wieder. Es berichten auch die SZ (Wolfgang Janisch), community.beck.de (Hans-Otto Burschel) und swr.de (Max Bauer). Wie sich die Entscheidung auf die Pflicht zum Barunterhalt auswirkt, erläutert community.beck.de (Hans-Otto Burschel).
BGH zu Bausparverträgen: Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der zufolge Bausparverträge von den Bausparkassen nach einem gewissen Zeitraum gekündigt werden dürfen, erläutert die FAZ (Philipp Krohn/Markus Frühauf), dass dies für Lebens- und Rentenversicherer nicht gilt. Nach dem hierbei maßgeblichen Versicherungsvertragsrecht müssten einmal gegebene Garantieversprechen eingehalten werden – bis zum Ende des Vertrags, in vielen Fällen also bis zum Tod des Kunden. Bemühungen, Kunden die Attraktivität von Altverträgen schlechtzureden, die es bereits gegeben habe, seien somit gleichbedeutend mit Täuschungsversuchen.
ArbG Braunschweig zu gekündigtem Islamisten: Wie die taz berichtet, hat das Arbeitsgericht Braunschweig entschieden, dass der VW-Konzern dem Mitglied einer vom "Islamischen Staat" in Wolfsburg geschaffenen Islamistenzelle zu Recht gekündigt hat. Dem Autokonzern sei eine Weiterbeschäftigung des 30-Jährigen, der mit einer Drohne und 9.000 Euro im Gepäck versucht hatte, nach Syrien zu reisen, nicht zumutbar.
BVerfG – Verhaltenskodex: Zu dem vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts angekündigten Verhaltenskodex merkt Jost Müller-Neuhof (Tsp) an, dass dieser wohl vor allem auf das Verhalten einiger Ex-Richter abziele und erst nötig werde, wenn es an Haltung fehle.
Recht in der Welt
Türkei – Deniz Yücel: Einen Tag vor Ablauf der 14-tägigen Frist, die Polizeihaft in der Türkei nach dem aktuellen Notstandsdekret dauern darf, wurde der Journalist Deniz Yücel am Montag einem Staatsanwalt vorgeführt, der einen Haftbefehl gegen ihn beantragte. Daraufhin ordnete ein Richter Untersuchungshaft an, die in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern kann. In der Vernehmung sei ihm Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwieglung der Bevölkerung vorgeworfen worden, schreibt die SZ (Christiane Schlötzer).
Dänemark – Staatenlosigkeit: Auf verfassungsblog.de schildert Eva Ersbøll, Forscherin am Dänischen Menschenrechtsinstitut, (in englischer Sprache) die Bemühungen Dänemarks zur Modernisierung der UN-Konvention zur Reduzierung von Staatenlosigkeit.
Italien – Verschwunden auf Kreuzfahrt: Ein Deutscher sitzt in Italien in Haft, weil seine Frau auf einer Mittelmeer-Kreuzfahrt, die das Paar gemeinsam mit seinen vier und sechs Jahre alten Kindern unternahm, verschwand. Eine überzeugende Erklärung dafür könne der 45-jährige Informatiker nicht vorweisen. Auch habe er seine Frau nicht als vermisst gemeldet, berichtet die SZ (Oliver Meiler).
EuGH – Solarzölle: Wie die SZ (Michael Bauchmüller) ankündigt, wird der Europäische Gerichtshof am heutigen Dienstag entscheiden, ob die 2013 von der EU verhängten Importzölle auf Solarprodukte, mit denen vor allem die Einfuhr chinesischer Billigmodule erschwert werden sollte, zulässig sind.
Sonstiges
Datenschutz bei Google: Der Rechtsanwalt Adrian Schneider schildert auf lto.de, wie Google zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen beiträgt, indem App-Entwicklern angedroht wurde, sie aus dem Katalog von Google Play zu streichen, wenn sie nicht umgehend eine Datenschutzerklärung ergänzten.
Rassismus in Deutschland: Nach den Beobachtungen einer "Arbeitsgruppe von Sachverständigen der Vereinten Nationen zu Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland", die vom 20. bis 27. Februar auf Einladung der Bundesregierung in Deutschland gastierte und sich mit Akteuren aus Politik, Gesellschaft, Justiz und Medien traf, sind nichtweiße Menschen hier regelmäßig von rassistischer Diskriminierung betroffen. Diese habe überproportional häufig einen institutionellen Hintergrund, berichtet die taz (David Joram). Meldungen hierzu finden sich auch in der SZ (Constanze von Bullion) und der FAZ (Eckart Lohse). Im Interview mit der taz (Christian Jakob) beschreibt der Teilnehmer eines Delegationstreffens, Tahir Della, die Lücken bei der Anerkennung von institutionellem Rassismus in Deutschland.
Das Letzte zum Schluss
Schily vs. Özdemir: Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert in einer Passage des Buchs "Die haben gedacht, wir waren das – Migranten über rechten Terror und Rassismus" den früheren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) für seine Aussagen nach dem Nagelbomben-Attentat des NSU 2004 in Köln. Er soll damals einen rechten Terrorakt voreilig ausgeschlossen haben. Das will Schily nicht auf sich sitzen lassen und hat Unterlassungsklage gegen Özdemir eingereicht, berichtet spiegel.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2017: Rennen war Mord / BGH zu Wechselmodell / Haftbefehl gegen Yücel . In: Legal Tribune Online, 28.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22201/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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