Kann Facebook für Kommentare seiner Nutzer in Haftung genommen werden? Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt. Außerdem in der Presseschau: GBA zu Reker-Attentat, fragwürdige Überweisung des DFB und Ärger wegen Hautschmuck.
Thema des Tages
StA Hamburg – Facebook: Der angemessene Umgang mit sogenannten Hasskommentaren auf Facebook beschäftigt seit geraumer Zeit die Politik. Nach einer Anzeige des Würzburger Rechtsanwalts Chan-jo Jun wird sich nun auch die Staatsanwaltschaft Hamburg mit dem Thema befassen. Wie zeit.de (Patrick Beuth) schreibt, erstatte der Anwalt Anzeige wegen Beihilfe zur Volksverhetzung gegen drei Manager des Unternehmens. Grund sei ein Missverhältnis zwischen von ihm gemeldeten und schließlich gelöschten Beiträgen gewesen. Die betroffenen Manager würden zwar für die deutsche Facebook GmbH arbeiten. Diese sei nach Ansicht des Anwalts jedoch ein mit der Muttergesellschaft Facebook Inc. verbundenes Unternehmen. Dessen Unternehmenspolitik bestünde darin, "strafbare Inhalte zu billigen und zu verbreiten". Welt (Philipp Vetter/Virginia Kirst), spiegel.de (Fabian Reinbold) und SZ (Simon Hurtz, erweiterte Online-Version) berichten ebenfalls.
In der rechtlichen Einschätzung von Thomas Stadler (internet-law.de) scheint eine Strafbarkeit von Facebook-Mitarbeitern zumindest bei aus Deutschland stammenden Posts durchaus möglich. Die Beiträge würden vom sozialen Netzwerk auch im strafrechtlichen Sinne verbreitet bzw. öffentlich zugänglich gemacht. Nach Kenntniserlangung eines strafrechtsrelevanten Inhalts sei auch von diesbezüglichem Vorsatz auszugehen, die Privilegierung nach Paragraf 10 des Telemediengesetzes reiche auch nur bis zu diesem Zeitpunkt.
Dass Facebook "ziemlich flugs" dabei sei, "ein nacktes Hinterteil zu löschen", sich dagegen aber bei rassistischen Ausfälle "spreizt und ziert" und von Meinungsfreiheit fabuliere, hält Heribert Prantl (SZ) in seinem Kommentar für doppelzüngig. Die jetzige Anzeige eröffne der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, über den praktischen Nutzen des Sprichworts, Hehler seien so schlimm wie Stehler, im Internet nachzudenken. Es sei zu hoffen, dass hierbei den fragwürdigen Standards von Facebook "auf die Sprünge" geholfen werde.
Rechtspolitik
Datenhehlerei: Die taz (Christian Rath) erinnert daran, dass am vergangenen Freitag vom Bundestag nicht nur die neue Vorratsdatenspeicherung, sondern auch der neue Straftatbestand der Datenhehlerei beschlossen wurde. Der Beitrag stellt die Regelung vor und hält Befürchtungen, durch sie würden journalistische Tätigkeiten gefährdet, für übertrieben. Denn sähe der neue Paragraf 202d des Strafgesetzbuches eine Schutzklausel für Inhaber eines Zeugnisverweigerungsrechts vor. Soweit Unklarheiten bestünden, seien diese der Reichweite dieses Rechts und nicht der neuen Strafnorm geschuldet.
Verbraucherschutzminister: Das Handelsblatt (Anja Stehle) entwirft ein ausführliches Porträt von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Neben umtriebiger Aktivität bei Gesetzesvorhaben erwecke vor allem Maas' Aufgabenbereich als Verbraucherschutzminister den Unmut des Koalitionspartners. Unionspolitiker stießen sich an einem auf Betreiben des Ministers durchgesetzten wachsenden Einfluss der "Verbraucherlobby".
Vorratsdatenspeicherung: Das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet zur Kritik mehrerer Berufskammern an der am Freitag beschlossenen Vorratsdatenspeicherung. So habe der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Ekkehart Schäfer, angekündigt, mögliche Verfassungsbeschwerden von Mitgliedern zu unterstützen. Dass die beschlossene Regelung ein Verwertungsverbot bestimmter Daten vorsieht, sei nach Schäfer Makulatur, praktisch seien "solche Verbote nichts wert". Der im Text zitierte Präsident der Wirtschaftsprüferkammer habe gleichfalls Unterstützung für etwaige Verfassungsbeschwerden angekündigt.
Sammelklagen: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt spricht sich Rechtsanwalt Christian Harmsen gegen die Einführung sogenannter Sammelklagen aus. Eine entsprechende Empfehlung der Europäischen Kommission von 2013 sei "zu Recht wieder in der Schublade verschwunden". Weil durch das Instrument grundlegende Prinzipien wie der individuelle Anspruch auf rechtliches Gehör zugunsten eines die Wahrheitsfindung erschwerenden "publizistischen und monetären Drucks" verletzt würden, sollte auch der VW-Skandal nicht dazu benutzt werden, derartige Verfahren auch hierzulande einzuführen.
Justiz
OLG München – NSU: Das Oberlandesgericht München hat nach Meldung von spiegel.de Befangenheitsanträge von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben abgelehnt. Das Verfahren wird am heutigen Dienstag fortgesetzt.
LG Bielefeld – Tönnies: Im Streit um Unternehmensanteile am Fleischkonzern Tönnies ist eine Einigung zwischen den Kontrahenten Clemens und Robert Tönnies vorerst gescheitert. Das vor dem Landgericht Bielefeld laufende Verfahren werde damit fortgesetzt, schreibt das Handelsblatt (Christoph Kapalschinski). Eine Vernehmung des Nachlassverwalters Josef Schnusenberg, der bei dem Testament des Unternehmensgründers Bernd Tönnies beratend zur Seite gestanden hatte, habe nicht klären können, warum die Clemens Tönnies in Aussicht gestellte Erhöhung seiner Unternehmensanteile nicht fixiert wurde. Über die Zeugenvernehmung Schnusenbergs berichtet auch die SZ (Elisabeth Dostert).
LG Ansbach – JobCenter-Mord: Vor dem Landgericht Ansbach muss sich ein 28-Jähriger wegen der Tötung eines externen Gutachters im JobCenter Rothenburg ob der Tauber im Dezember des vergangenen Jahres verantworten. Die FAZ (Karin Truscheit) gibt Einzelheiten aus der Anklageschrift wieder, nach deren Verlesung wurde die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen. Der Angeklagte sei derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die taz (Annette Walter) berichtet ebenfalls.
AG Laufen zu Schleusern: Die FAZ (Morten Freidel) berichtet über einen Arbeitstag am Amtsgericht Laufen in Bayern. Unweit der deutsch-österreichischen Grenze würden dort zahlreiche dingfest gemachte Schlepper vor Gericht stehen. Der Bericht zählt drei Fälle auf, in denen jeweils zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde.
GBA – Henriette Reker: Der neue Generalbundesanwalt Peter Frank hat erklärt, dass seine Behörde die Ermittlungen zum Attentat auf die mittlerweile gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker übernommen hat. Begründet wurde dies nach Meldung von spiegel.de mit der durch die beabsichtigte Signalwirkung entstandene besondere Bedeutung des Falles. zeit.de (Astrid Geisler/Tilman Steffen) fasst Erkenntnisse zur rechtsradikalen Vergangenheit des Angreifers zusammen. Frank S. habe in den 1990er Jahren Kontakte zur 1995 verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei gepflegt, sei in den letzten Jahren aber eher in einschlägigen Online-Foren aktiv gewesen.
StA Frankfurt/M. - DFB: Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat nach Bericht der SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) einen Prüfvorgang zu den Umständen einer Überweisung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an den Weltverband FIFA im Vorfeld der Fußball-WM 2006 eingeleitet. Der Verband erwäge derweil wegen der Zahlung eine Strafanzeige gegen den früheren Präsidenten Theo Zwanziger. Ob diese tatsächlich gestellt werde, hänge vom Ergebnis einer internen Prüfung ab. Von deren Ausgang werde auch abhängig gemacht, ob der DFB das Geld von der FIFA zurückfordere. Den fragwürdigen Zusammenhang der Zahlung zu einem vermeintlichen Kulturprogramm im Rahmen der WM untersucht ein weiterer Beitrag der SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott).
Der Kommentar von Hans Leyendecker (sz.de) macht darauf aufmerksam, dass beim DFB ein belastbares Compliance-System nicht existiere. Über die bloße Befolgung von Gesetzen hinaus stehe Compliance "in der Wirtschaft für ein ganzheitliches Organisationsmodell, das die Einhaltung von Recht und internen Standards sicherstellen" und in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen bringen solle. Wie schon in seiner "kläglichen Rolle" bei der Aufarbeitung von Skandalen der FIFA und der UEFA erweise sich der DFB als ungeeignet zur Aufklärung.
GBA: Am gestrigen Montag fand in Karlsruhe die feierliche Amtseinführung des neuen Generalbundesanwalts Peter Frank statt. lto.de stellt den beruflichen Werdegang des mit 47 Jahren jüngsten Chefs, "den die Karlsruher Behörde je hatte", vor. Die FAZ (Reinhard Müller) fasst in ihrem Bericht Reden von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg sowie des Vorsitzenden des Personalrats, Bundesanwalt Horst Salzmann, zusammen und mutmaßt, dass "die nächste Entlassung eines Generalbundesanwalts wohl eine Weile auf sich warten lassen wird".
Recht in der Welt
Frankreich – Le Pen: Wegen Anstachelung zum Rassenhass muss sich die Vorsitzende der Front National, Marine Le Pen, ab Dezember vor einem französischen Gericht verantworten. Gegenständlich sei ein von Le Pen gezogener Vergleich zwischen der deutschen Besatzungszeit während des zweiten Weltkriegs und öffentlichen Freitagsgebeten von Muslimen in Lyon, schreibt die FAZ (Michaela Wiegel).
USA – Justizwillkür: Für die Rubrik Politisches Buch der SZ bespricht Bernd Greiner "Ohne Gnade. Polizeigewalt und Justizwillkür in den USA". Das "aufrüttelnde Buch" des US-amerikanischen Anwalts Bryan Stevenson, der zahlreiche Todeskandidaten vertrat, untersuche, "wie lange sich eine Gesellschaft die Praxis erbarmungslosen Strafens leisten kann, ohne in ihrer Substanz Schaden zu nehmen".
USA – Wirtschaftskriminalität: Die Zahl der gegen Unternehmen gerichteten Strafverfahren in den USA ist in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gesunken. Zu diesem – angesichts vieler öffentlichkeitswirksamer Ermittlungen überraschenden - Ergebnis kommt eine Studie der Syracuse University, zu der die SZ (Claus Hulverscheidt) berichtet. Die Autoren der Studie mutmaßten, dass hierfür die Angst für Unternehmenszerschlagungen und dadurch bedingte Massentlassungen verantwortlich sei.
USA – Nutzerbewertungen: Der US-Konzern Amazon geht vor einem Gericht in Seattle gegen "falsche, irreführende und unauthentische Nutzerbewertungen" vor. Derartig falsche Bewertungen seien auch im deutschsprachigen Raum, in dem Agenturen entsprechende Leistungen anböten, ein Problem, berichtet die SZ (Jannis Brühl) und beschreibt Methoden, um unechte Bewertungen zu entlarven. Neu am jetzigen Versuch von Amazon sei das Vorgehen gegen einzelne Verfasser.
Sonstiges
Rentendiskriminierung: Bei den Vereinten Nationen ist gegenwärtig ein Untersuchungsverfahren gegen die Bundesrepublik auf Grundlage des Abkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau anhängig. Angestrengt hat das Verfahren der Verein der in der DDR geschiedenen Frauen, der sich gegen die im Einigungsvertrag festgeschriebene Übernahme der westdeutschen Rentenberechnung im Trennungsfall wendet. Eine ausführliche Darstellung der Problematik bringt zeit.de (Annett Gröschner).
Normenkontrollrat: Bei der Vorstellung des Jahresberichts des Normenkontrollrats wurde die schleppende Digitalisierung der Verwaltung und die hierdurch brachliegenden Einsparpotenziale gerügt, schreibt das Handelsblatt (Dana Heide). Dagegen sei erstmals seit 2011 der sogenannte Erfüllungsaufwand, mit dem die durch Gesetzesumsetzung bei Bürgern, Unternehmen und Verwaltung entstehenden Kosten bezeichnet werden, gesunken. lto.de berichtet ebenfalls.
Tatmotiv Rechtsextremismus: bento.de (Birte Kohring) erläutert, unter welchen Voraussetzungen Straftaten bei Polizei und Staatsanwaltschaften als rechtsradikal motiviert eingeordnet werden. Zu häufig hänge dies vom persönlichen Ermessen aufnehmender Polizeibeamter ab, Anklagebehörden würden sich dagegen nach Einschätzung eines zitierten Anwalts durch zurückhaltende Formulierungen weniger angreifbar machen wollen. Auch das zum 1. August eingeführte Gesetz gegen Hasskriminalität vereinfache die Zuordnung nicht.
Fritz Bauer: Die SZ (Ronen Steinke) bespricht "Von Gott und der Welt verlassen. Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan", herausgegeben von Werner Renz, eine Sammlung zum "bemerkenswerten Briefwechsel" des damaligen Frankfurter Generalstaatsanwalt mit dem Künstler Harlan, Sohn des NS-Propagandaregisseurs Veit Harlan.
Autor di Fabio: "Schwankender Westen. Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss" aus der Feder des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio wird von der SZ (Werner Hornung) besprochen. Als "mentaler Kartograf und Seismograf zugleich" analysiere di Fabio die "multiple Dauerkrise des Westens", er erweise sich dabei als "einer der wenigen konservativen Intellektuellen hierzulande", von denen man "gerne ein Buch liest".
Das Letzte zum Schluss
Körperschmuck: Tattoos sind bekanntlich Geschmackssache. Einem australischen Touristen brachte das auf seiner Wade verewigte Bildnis der Hindu-Göttin Yellamma in Indien jedoch auch handfesten Ärger ein. focus.de schreibt, dass die Tätowierung den Unwillen aufgebrachter Restaurantgäste erweckte. Zu seinem Schutz wurde der Mann auf eine Polizeiwache verbracht und dort erst entlassen, als er einen Entschuldigungsbrief verfasste.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Oktober 2015: Haftung für Hasskommentare - GBA übernimmt Attentats-Ermittlungen - Prüfvorgang zu DFB-Überweisung . In: Legal Tribune Online, 20.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17268/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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