In Dresden werden nicht nur Pegida-, sondern gleich alle Demonstrationen verboten. Zu Recht? Außerdem in der Presseschau: Comeback für kommunale Sperrklausel, Grundsteuer-Vorlage an das BVerfG, Aldi-Witwe im Zeugenstand, Steuerhinterziehung und Selbstbelastung, Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss und fragwürdige Erziehung per Zahlungsaufforderung.
Thema des Tages
Demonstrationsverbot: Am gestrigen Montag demonstrierten weder Anhänger noch Gegner der Pegida-Bewegung in Dresden. lto.de fasst Äußerungen von Politikern zusammen. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) etwa habe Unverständnis dafür geäußert, dass von dem polizeilichen Versammlungsverbot auch potentielle Gegendemonstranten erfasst wurden. Diesen Aspekt bezeichnet die taz (Christian Rath) als rechtswidrig. Im Übrigen geht der Beitrag auf die Voraussetzungen eines Demonstrationsverbotes ein.
Auch Christian Bommarius (Berliner Zeitung) hält das gleichzeitig ergangene Verbot der Gegendemonstration für "kaum zu begründen." Für die nach der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierfür notwendige "hohe Wahrscheinlichkeit" von Gewalttätigkeiten bestünde ebenso wenig Anlass wie die Annahme einer Bedrohung durch "Dschihadisten." Die Polizei habe mit ihrer Verfügung ihre eigentliche Aufgabe verletzt: "durch Herstellung der Sicherheit das Leben in Freiheit zu ermöglichen." Heribert Prantl (SZ) hält den Ansatz, im Zweifel über Sicherheitslagen zu verbieten, für "eine grundfalsche und grundrechtswidrige Devise." Nun sei eine heikle Lage entstanden, durch die die Polizei in der kommenden Woche und auch danach womöglich erneut zu einem Verbot und damit einem Grundrechtsverstoß gezwungen würde. Dagegen vermisst Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel des Blattes in der öffentlichen Diskussion "ein klares Bekenntnis – nicht zu Pegida, sondern zu den Grundrechten und dem öffentlichen Frieden." Störenfriede seien nicht diejenigen, die – auch mit provokanten Thesen – ihre Versammlungsfreiheit wahrnähmen, sondern jene, die Demonstranten störten.
Im Gespräch mit der taz (Plutonia Plarre) erinnert der Leiter der Polizeihistorischen Sammlung im Berliner Polizeipräsidium, Harold Selowski, an historische Vorbilder des jetzigen Verbots: Während bei Auseinandersetzungen während des sogenannten Berliner Blutmais 1929 mehr als 30 Menschen ums Leben kamen, habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Brokdorf-Urteil 1985 die Auflösung von Versammlungen strengen Voraussetzungen unterworfen.
Rechtspolitik
Kommunale Sperrklausel: Nach Bericht der FAZ (Reiner Burger) bereitet die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Wiedereinführung einer Sperrklausel für Kommunalwahlen vor. Sie stütze sich hierbei auf ein Rechtsgutachten "einer renommierten Bonner Großkanzlei." In diesem sei dargelegt, dass die in einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes 1999 erarbeiteten Voraussetzungen für die Zulässigkeit derartiger Klauseln "praktisch nicht erfüllbar" seien. Sperrklauseln könnten - statt wie bisher einfachgesetzlich – in der Verfassung festgeschrieben werden.
Bildungsurlaub: Gesetzesvorhaben in Baden-Württemberg und Thüringen sehen das Recht für Arbeitnehmer vor, sich bis zu fünf Tage im Jahr für Weiterbildungsmaßnahmen freistellen zu lassen. Die SZ (Kristiana Ludwig) berichtet über Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung dieses Rechts, dass beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon seit 30 Jahren gilt.
Gerichtssprache Englisch: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt wirbt Rechtsprofessor Klaus J. Hopt für eine schleunige Bearbeitung des gegenwärtig im Bundesrat anhängigen Gesetzentwurfes zur Einführung von Kammern für Internationale Handelssachen. Ein Modellversuch im Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Köln hätte belegt, dass auch vor der Verwendung der englischen Sprache nicht zurückgeschreckt werden müsse.
Justiz
BVerfG – Grundsteuer: Wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer hat der Bundesfinanzhof im vergangenen Monat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt. Steuerjuristen sind nach Darstellung des Handelsblatts (Axel Schrinner) einig, dass die Steuer, durch die Immobilien mit gleichem Marktwert anhand veralteter Einheitswerte unterschiedlich bewertet würden, "kippen" werde. Der Beitrag diskutiert zudem verschiedene Reformmodelle.
BVerfG zu Erbschaftsteuer: Die Rechtsanwälte Frank Hannes und Christian von Oertzen nennen in einem ausführlichen Gastbeitrag für den Finanz-Teil der FAZ Beispiele für denkbare Änderungen der Erbschaftsteuer nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Autoren prognostizieren eine Nachbesserung von beanstandeten Einzelregelungen zuungunsten einer nach Ansicht des Karlsruher Gerichts ebenfalls möglichen grundsätzlichen Neukonzeption.
BGH zu Kritik an Unternehmen: Auch einer scharf formulierten Kritik eines Unternehmens kann nicht ein Anspruch nach § 824 Bürgerliches Gesetzbuch entgegengesetzt werden. Denn diese unterfalle der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit, schreibt Thomas Stadler (internet.law.de) in seiner Darstellung eines Urteils des Bundesgerichtshofes aus dem vergangenen Monat.
OLG Stuttgart zu Ordnungsgeld-Verhängung: Benedikt Meyer (zpoblog.de) macht auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart zu den Voraussetzungen der gerichtlichen Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 141 Abs. 3 Zivilprozessordnung vom November aufmerksam.
LAG Düsseldorf – Schienenkartell: Nun berichtet auch die SZ (Klaus Ott) über die für den heutigen Dienstag vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf angesetzte Berufungsverhandlung im Schadensersatzprozess des Thyssen-Krupp-Konzerns gegen einen ehemaligen Spartenvorstand. Der Manager soll knappe 200 Millionen Euro an Bußgeldern wegen aufgeflogener Kartellabsprachen ersetzen. Die erstinstanzlich erfolglose Klage gelte als Signal des aktuellen Vorstandschefs, künftig "keine krummen Touren" mehr dulden zu wollen, es sei allerdings fraglich, warum diesbezüglich nicht der alte Konzernvorstand in Anspruch genommen werde.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Im Strafverfahren gegen frühere Gesellschafter der Sal. Oppenheim-Bank und deren Geschäftspartner Josef Esch vor dem Landgericht Köln zeichnet sich nach Bericht des Handelsblatts (Massimo Bognanni) ein Ende ab. Nach nun mehr als 100 Verhandlungstagen habe die Staatsanwaltschaft vorläufige Strafmaße wegen der angeklagten schweren Untreue verkündet. Das Gericht hätte sein Einverständnis angedeutet, jenes der Angeklagten stehe aber noch aus.
LG Essen – Helge Achenbach: Das Verfahren gegen den wegen Betruges angeklagten Kunsthändler Helge Achenbach wurde vor dem Landgericht Essen mit der Vernehmung Babette Albrechts fortgesetzt. Die Witwe des Aldi-Nord-Erben Berthold Albrecht habe mit ihrer Darstellung von Kunst- und Oldtimer-Leidenschaft ihres Gatten einen Einblick "ins Leben Deutschlands reichster Familie" gewährt, schreibt spiegel.de (Nils-Viktor Sorge) in einem ausführlichen Bericht.
VG München zu Bagida-Gegendemo: Das Verwaltungsgericht München hat den von dem bayerischen Ableger der Pegida-Bewegung begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Oberbürgermeister Udo Reiter (SPD) abgelehnt. Wie die FAZ (Albert Schäffer) berichtet, wollten die Antragsteller dem Bürgermeister den Aufruf zu einer Bagida-Gegendemo untersagen lassen.
AG Bremen zu Steuerhinterziehung: Vor dem Amtsgericht Bremen ist ein Angeklagter wegen der Hinterziehung von rund 350.000 Euro zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Undeklarierte Einkünfte hatte er durch den Vertrieb von gestohlenen Telefonkarten verdient, schreibt die taz-Bremen (Jan Zier). Weil die jetzige Verurteilung auf einem Deal der Verfahrensbeteiligten beruhte, würden die von der Verteidigung aufgeworfenen "grundsätzlichen, moralisch-ethischen Fragen" jedoch nicht mehr verfassungsrechtlich geklärt. So sei moniert worden, dass der Verstoß gegen die Abgabenordnung hier mit dem Rechtsgrundsatz des "nemo tenetur" kollidiere.
Recht in der Welt
Frankreich – Meinungsfreiheit: In Frankreich wird gegen den Komiker Dieudonné wegen Verherrlichung eines terroristischen Akts ermittelt. Anlass ist eine auf Facebook verbreitete Äußerung, nach der er sich wie Charlie Coulibaly, einer der Attentäter von Paris, fühle. Der französische Rechtsprofessor Thomas Hochmann (verfassungsblog.de) untersucht die von Unterstützern des wegen antisemitischer Ausfälle berüchtigten Dieudonné verbreitete These, Juden genössen in Frankreich zu Lasten anderer Minderheiten eine Vorzugsbehandlung.
Argentinien – toter Staatsanwalt: Unmittelbar vor einer Anhörung im argentinischen Kongress ist ein Sonderermittler in Buenos Aires mutmaßlich ermordet worden. Der Staatsanwalt ermittelte seit mehreren Jahren zu den Hintergründen eines Anschlags auf eine jüdische Einrichtung, bei dem 1994 85 Menschen starben. Er sei dabei auf Straflosigkeits-Vereinbarungen der jetzigen Regierung mit jener des Iran gestoßen, schreiben FAZ (Matthias Rüb) und taz (Jürgen Vogt).
Indonesien – Hinrichtungen: Der indonesische Generalstaatsanwalt hat gegen internationale Proteste die über das Wochenende erfolgte Vollstreckung der Todesstrafe gegen mehrere verurteilte Drogenhändler, unter ihnen fünf Ausländer, verteidigt. Außergewöhnliche Verbrechen erforderten außergewöhnliche Strafen, zitiert die SZ (Arne Perras) den Chefankläger.
Sonstiges
NSA-Untersuchungsausschuss: Rechtsprofessor Matthias Bäcker (verfassungsblog.de) fasst in einem längeren Beitrag Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss zusammen, soweit diese Einblicke in die Überwachungspraxis des BND gewährten. Die Zeugenvernehmungen von BND-Mitarbeitern belegten eine umfangreiche Kommunikationsüberwachung im Ausland, "ohne dass es dafür eine hinreichende Rechtsgrundlage gäbe." Der Nachrichtendienst legitimiere seine Auslandsaufklärung vielmehr durch eine "höchst eigenwillige" Auslegung des Grundgesetzes.
CIA-Folterbericht: Die SZ (Tim Neshitov) bespricht "Der CIA Folter Report. Der offizielle Bericht des US-Senats zum Inhaftierungs- und Verhörprogramm der CIA.", in seiner deutschen Übersetzung herausgegeben von Wolfgang Neskovic, ehemals Richter am Bundesgerichtshof.
Guantanamo-Häftling: "Das Guantanamo-Tagebuch" von Mohamedou Ould Slahi, herausgegeben von Larry Siems, wird in der FAZ (Hannes Hintermeier) besprochen. Wegen persönlicher Verbindungen zu Osama Bin Laden wird der mauretanische Autor seit 2002 als Häftling 760 in Guantanamo festgehalten, eine von der US-amerikanischen Regierung gegen seine Freilassung eingelegte Berufung ist anhängig. Die handschriftlich verfassten Beschreibungen seiner Haft-Erfahrungen seien durch 2.500 behördliche Schwärzungen "verunstaltet."
Verkehrskontrollen: Über Rechte und Pflichten bei Verkehrskontrollen klärt focus.de (Maike Knorre) auf.
Das Letzte zum Schluss
Zahlungsaufforderung: "Pacta sunt servanda" lernen Jurastudierende bereits im ersten Semester als grundlegendes Rechtsprinzip kennen. Dass es daneben auch schlichter Höflichkeit entspricht, eingegangene Zusagen tatsächlich einzuhalten, sollte auch Nicht-Juristen klar sein. Ob aber die Maßnahme einer britischen Mutter, den Eltern eines Schulfreundes ihres Sohnes das Nichterscheinen des fünfjährigen Eingeladenen auf einer Geburtstagsparty in Rechnung zu stellen, den gewünschten pädagogischen Erfolg zeigt, muss bezweifelt werden. spiegel.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Januar 2015: Demo-Verbot und Grundrechte – Rückkehr der kommunalen Sperrklausel – Einblicke bei Familie Aldi . In: Legal Tribune Online, 20.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14421/ (abgerufen am: 10.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag