Ein Essener Amtsgericht urteilt zu einem aufsehenerregenden Fall unterlassener Hilfeleistung. Außerdem in der Presseschau: Unabhängigkeitsreferenden in Katalonien und Irakisch-Kurdistan und Redaktionsstab für verständliche Gesetzestexte.
Thema des Tages
AG Essen-Borbeck zu unterlassener Hilfeleistung: Verroht unsere Gesellschaft? Am 3. Oktober des vergangenen Jahres stürzte ein Rentner im Vorraum einer Essener Bankfiliale. Videoaufzeichnungen belegten, dass vier Kunden an dem bald darauf Sterbenden vorbeigingen, ohne Hilfe zu holen. Das Amtsgericht Essen-Borbeck verurteilte nun zwei Männer und eine Frau wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen von 80 bzw. 90 Tagessätzen. Ein weiterer Bankkunde ist gegenwärtig verhandlungsunfähig. In der mündlichen Urteilsbegründung stellte das Gericht darauf ab, dass nach sachverständiger Begutachtung nicht feststehe, dass der Verstorbene bei früherer notärztlicher Versorgung überlebt hätte. Über das Verfahren berichten u.a. spiegel.de (Christian Parth) und SZ (Christian Wernicke).
Rechtspolitik
Trennungsväter/Umgangsrecht: Am morgigen Mittwoch will die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Katarina Barley (SPD) ein Konzept zur steuerlichen Entlastung sogenannter Trennungsväter vorstellen. Dies könne etwa durch eine steuerliche Berücksichtigung von Betreuungsanteilen bei Vätern, die Kinder nach einer Trennung teilweise betreuen, erreicht werden, schreibt die SZ (Constanze von Bullion) exklusiv. Im Gespräch mit Familienrechtsexperten sollten zudem Kriterien einer Reform des Unterhalts- und Umgangsrechts diskutiert werden. Nach Vorstellung der Ministerin könnte vor gerichtlichen Trennungsauseinandersetzungen eine Beratung verpflichtend sein. In einem separaten Kommentar begrüßt Constanze von Bullion (SZ) dies als Versuch, "das kontaminierte Feld des Unterhalts- und Umgangsrechts neu" zu bestellen, der auch durch vorhandene wahlkämpferische Erwägungen nicht entwertet werde. Keinesfalls dürfe aber eine "Besserstellung der Väter" zu einer "Schlechterstellung der Mütter" werden.
Pkw-Maut: Aus einer dem Hbl (Daniel Delhaes/Till Hoppe) vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion ist zu entnehmen, dass der im vergangenen Dezember verkündete Kompromiss mit der EU-Kommission nicht weiterverfolgt wird. Das erwogene europäische Mautsystem finde, soweit damit eine streckenbasierte Abrechnung verbunden ist, seitens der Bundesrepublik keine Unterstützung.
Verbraucherschutz: In einem Kommentar beschreibt Timo Kotowski (FAZ) "zwei Seiten" von Verbraucherschutz. Während es "äußerst sinnvoll" und gut sei, dass Veranstalter von Karibik-Reisen Notfallpläne für Evakuierungen bei Unwettern wie jüngst in der Gegend bereithielten, "gilt der Verbraucherschutz für die Falschen", wenn, wie mutmaßlich in Großbritannien geschehen, simple Behauptungen über verdorbenes Essen bei All-Inclusive-Anbietern "Entschädigungen auf Kosten der rechtschaffenen Mehrheit" bewirkten.
Justiz
OLG Hamm zu Radwegnutzung: Ein Fahrradfahrer, der einen Radweg auf der falschen, weil entgegen der freigegebenen Fahrtrichtung liegenden Richtung nutzt, behält gegenüber aus untergeordneten Straßen kommendem Verkehr zwar das Vorfahrtsrecht. Ihm kann aber bei einem Unfall ein Mitverschulden zur Last gelegt werden. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm Anfang August. Rechtsanwalt Andreas Schwartmann (ra-schwartmann.de) berichtet.
LG Köln – Josef Esch: In einem "Lehrstück über den kölschen Klüngel" muss sich der Immobilienunternehmer Josef Esch ab dem heutigen Dienstag vor dem Landgericht Köln u.a. wegen Bestechung verantworten. Kern der auf 623 Seiten Anklageschrift zusammengefassten Vorwürfe seien geschäftliche Vorgänge um das geplante Studiogelände "Coloneum", erklärt das Hbl (Volker Votsmeier). Wegen der Komplexität des Falls habe das Gericht auf eine Pressemitteilung verzichtet. Neben Esch sind auch zwei Sparkassen-Manager angeklagt.
LG Bochum – Werner Mauss: Statt des im Steuerprozess gegen den vermeintlichen Geheimagenten Werner Mauss geplanten Plädoyers der Verteidigung präsentierte der Angeklagte dem Landgericht Bochum Einzelheiten zu Kosten vermeintlicher nachrichtendienstlicher Einsätze. Diese sollen nach Einlassung des Angeklagten aus einem Geheimfonds bezahlt worden sein, für den er keine Steuern habe entrichten müssen. Ein Urteil ist für den kommenden Montag geplant. Es berichten FAZ (Reiner Burger) und SZ (Ralf Wiegand).
LG Augsburg – Linus Förster: Der frühere bayerische Landtagsabgeordnete Linus Förster (SPD) hat zu Beginn des gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs vor dem Landgericht Augsburg geführten Verfahrens die Darlegungen der Anklageschrift größtenteils eingeräumt. Die Berichte von SZ (Christian Rost) und taz (Dominik Baur) gehen davon aus, dass der frühere Politiker eine mehrjährige Haftstrafe zu erwarten hat.
AG Leipzig zu Justizminister-Anschlag: Im Prozess zum Anschlag auf die Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) ist ein vorbestrafter Angeklagter vom Amtsgericht Leipzig unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Ein zweiter Angeklagter wurde freigesprochen, meldet die FAZ (Stefan Locke). Der mit Pflastersteinen unternommene Anschlag habe nach Feststellungen des Gerichts einer benachbarten Wohngemeinschaft von Personen aus der linken Szene gegolten.
Recht in der Welt
Spanien – Katalonien: Auch das Hbl (Sandra Louven) berichtet nun ausführlich über die drohende Abspaltung Kataloniens vom spanischen Zentralstaat und die entscheidenden juristischen und politischen Wegmarken vor dem von der Regionalegierung für den 1. Oktober geplanten Referendum über die Unabhängigkeit. Die Befürchtungen von Unternehmen, durch den "Catalexit" Rechtsunsicherheit zu erfahren, beschreibt auch die FAZ (Hans-Christian Rößler). Zudem habe EU-Kommissionspräsident Juncker klargestellt, dass ein unabhängiges Katalonien keineswegs automatisch eine EU-Mitgliedschaft erlange.
Irak – Kurdistan: Auf Antrag unter anderem des irakischen Ministerpräsidenten hat das Oberste Gericht des Irak das für den 25. September geplante Referendum über die Unabhängigkeit des kurdischen Landesteils ausgesetzt. Vor einer etwaigen Durchführung müsse das Gericht eingegangene Verfassungsklagen prüfen, so die FAZ (Christoph Ehrhardt) über die jetzige Entscheidung.
USA – Einwanderer: Sechs Einwanderer in die USA haben wegen der vom Präsidenten angekündigten Einstellung eines Schutzprogramms eine Klage gegen die Regierung des Landes eingereicht. Die Kläger machten geltend, dass die Einstellung des Programms, durch das die Kinder illegaler Einwanderer unter bestimmten Voraussetzungen vor Abschiebungen geschützt werden, "potentiell katastrophal" sei, berichtet zeit.de.
Sonstiges
Redaktionsstab Rechtssprache: Die SZ (Robert Roßmann) berichtet über die Arbeit des 2009 von der Bundesregierung beim Justizministerium eingerichteten Redaktionsstabs Rechtssprache. Unter der Leitung der Juristin Stephanie Thieme versuchten dort Sprachwissenschaftler, entsprechend der Geschäftsordnung der Bundesministerien Gesetzentwürfe "sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich" zu fassen.
Wahlkreismathematik: Die SZ (Christopher Schrader) stellt das von einem Mathematikprofessor aus München entwickelte Verfahren zur Angleichung der tatsächlichen Größe von Bundestagswahlkreisen vor. Das Bundeswahlgesetz schreibe derzeit einen zwingenden Neuzuschnitt von Wahlkreisen vor, wenn die tatsächliche Anzahl dort lebender deutscher Staatsangehöriger von der durchschnittlichen Größe aller Wahlkreise um mehr als 25 Prozent abweiche. Die durchschnittliche Abweichung betrage derzeit knapp 10 Prozent.
Fußball-Videobeweis: Der Saisonstart des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln verlief bislang alles andere als berauschend. Nach der jüngsten Niederlage sieht sich die Geißbockelf auch noch als Opfer einer irregulären Anwendung des erst ab dieser Saison möglichen Videobeweises. In einem vertieften Beitrag für lto.de geht Christian Deckenbrock, Akademischer Rat, auf die sportrechtlichen Möglichkeiten der Kölner ein, eine Neuansetzung der verlorengegangenen Partie zu erreichen.
Ombudsstelle für Crowdworker: Konflikte in der digitalen Arbeitswelt, im Bereich sogenannter Crowdworker, soll eine neue Ombudsstelle schlichten helfen. Nach dem Bericht des Hbl (Heike Anger) kommt die Einrichtung auch einer möglichen arbeitsrechtlichen Regulierung der betroffenen Arbeitsverhältnisse zuvor.
Das Letzte zum Schluss
Feuer und Flamme: Seinem Ärger über die seiner Meinung nach ungenügende Behandlung seiner Nacherfüllungsbegehren machte ein italienischer BMW-Kunde kürzlich in München auf ungewöhnliche Weise Luft. Wie justillon.de (Stefan Maier) schreibt, zündete der Mann ein zuvor extra gekauftes Modell in einer Protestaktion vor dem Museum des Autobauers an. Die Polizei ermittle wegen des Verdachts der Sachbeschädigung.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. September 2017: Unterlassene Hilfeleistung bestraft / Unabhängigkeit durch Referendum / Redaktion für Rechtssprache . In: Legal Tribune Online, 19.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24579/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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