Grüne und Linke klagen gegen die geheimschutzorientierte Informationspolitik der Bundesregierung. Außerdem in der Presseschau: Verschärfung des Asylrechts, EuGH stärkt erneut Rechte von Fluggästen und steile Karriere für jungen Bastler.
Thema des Tages
BVerfG – Selektorenliste: Aufgrund der Weigerung der Bundesregierung, dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages eine vollständige Einsicht der sogenannten NSA-Selektoren zu gewähren, haben Linkspartei und Grüne beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage erhoben. Sie rügen eine Verletzung der Rechte des Parlaments, die auch nicht durch die Einsetzung des Juristen Kurt Gramlich als Vertrauensperson geheilt werden könne. Die beim Thema zu beachtenden Geheimhaltungsvorschriften strahlen auch auf die Klage aus: der Prozessbevollmächtigte Wolfgang Ewer übergab dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts die Klageschrift persönlich, der Online einsehbare Text ist großflächig geschwärzt. Zudem müssten Mitarbeiter des Gerichts eine Sicherheitsprüfung durchlaufen, bevor sie mit den Akten in Berührung kämen, schreibt zeit.de (Kai Biermann). SZ (Thorsten Denkler) und netzpolitik.org (Anna Biselli) berichten ebenfalls.
Rechtspolitik
Asylrecht: Die Bundesregierung plant offenbar Leistungseinschränkungen für Asylbewerber. So sollen nach dem der SZ (Heribert Prantl) vorliegenden Entwurfstext sogenannte Dublin-Flüchtlinge in das jeweilige Einreiseland zurückgeschickt werden und hierfür "ausschließlich eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Reisebedarfs" erhalten. Der Bericht der taz (Christian Rath) mutmaßt, dass gerade diese Einschränkung als Verhandlungsmasse geplant sein dürfte.
Dass der Entwurf "missliebigen Flüchtlingen nur noch einen Apfel, ein Ei und eine Rückfahrkarte" garantiere, hält Heribert Prantl (SZ) für "frevlerisch". Betroffen seien auch jene Flüchtlinge, denen die Kanzlerin "Schutz und Hilfe" versprochen habe. Dieses Versprechen sei "nicht mit Orbanismus, nicht mit der Verletzung der Fundamentalregeln des Anstands" einzulösen. Dagegen hält Ulf Poschardt (Welt) die Verschärfungen für "juristische Versuche, den Herausforderungen ungeordnet durchs Land ziehender Flüchtlingsgruppen zu begegnen". Es bedürfe "keiner prophetischer Kräfte, um vorauszusagen, dass weitere Verschärfungen unerlässlich sind."
Abschiebungen: Jasper von Altenbockum (FAZ) macht den von der niedersächsischen Landesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit verkündeten "Paradigmenwechsel", durch den "geltendes Recht aus humanitären Gründen einfach ignoriert" und "Abschiebungen de facto" ausgesetzt wurden, dafür verantwortlich, dass "sich Deutschland zum Magneten von Migration und Illusion entwickeln konnte". Das Land habe sich so "den Ruf, nicht nur ein sicherer, sondern auch ein rechtsfreier Hafen zu sein", erarbeitet.
Zwangsvermietung: Nun kommentiert auch Joachim Jahn (FAZ) den Vorschlag, Flüchtlinge in zwangsweise beschlagnahmten Wohnungen unterzubringen. Als "Klassiker im Polizei- und Verwaltungsrecht" sei dies "keine leere Drohung", wenn auch, wie jede Enteignung, entschädigungspflichtig. Vorzuziehen seien einer "Zwangsbewirtschaftung" jedoch in jedem Fall Anreize für Neubauten.
TTIP: Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Reform des Investitionsschutzes durch Schaffung eines neuen TTIP-Investitionsgerichtshofs lobt der wissenschaftliche Assistent Till Patrick Holterhus (verfassungsblog.de) in einer ausführlichen Besprechung als "modern und mutig". Es bleibe jedoch abzuwarten, ob sich der Vorschlag zunächst innerhalb der EU, dann aber vor allem gegenüber dem US-amerikanischen Verhandlungspartner durchsetzen lasse.
Mietspiegel: Nach Bericht der FAZ (Christian Siedenbiedel) im Finanz-Teil arbeitet das Bundesjustizministerium gegenwärtig an einer Überarbeitung der Regeln für die Aufstellung von Mietspiegeln. Vorrangiges Ziel sei dabei, Mietspiegel "gerichtsfest" zu machen. Vorschläge, nach denen die ortsüblichen Mieten durch eine Vollerhebung aller Mieten bestimmt würden, hätten dagegen wegen zu großen Aufwandes keine Chancen.
Justiz
EuGH zu Flugverspätungen: Der Anspruch auf Entschädigung von Fluggästen wegen Verspätungen besteht auch dann, wenn diese auf unerwarteten technischen Pannen beruhen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof in Fortsetzung seiner verbraucherfreundlichen Rechtsprechung zu diesem Thema. Lediglich "außergewöhnliche Umstände" wie Terror- oder Sabotageakte wurden Fluggesellschaften von ihrer Haftung befreien, so die SZ (Wolfgang Janisch). Die EU-Kommission arbeite derweil an einer Neu-Definition der "außergewöhnlichen Umstände". Auch sollten nach den Plänen Entschädigungsansprüche nicht bereits ab drei Stunden Verspätung gewährt werden.
Gerade letzteren Aspekt bezeichnet Wolfgang Janisch (SZ) in einem separaten Kommentar als "dramatischen Rückschritt". Würden die Pläne durchgesetzt, könnte auch das sich zum "Verbrauchergericht" entwickelt habende Luxemburger Gericht nicht mehr gegensteuern.
BGH zu Gema und WEG: Die Musikverwertungsgesellschaft Gema darf von Wohnungseigentümergesellschaften (WEG), die Sendungen über eine Gemeinschaftsantenne empfangen und in Wohnungen weiterleiten, keine Lizenzgebühren verlangen. Auch bei WEG mit mehreren hundert Wohneinheiten sei die Weiterleitung keine öffentliche Wiedergabe, da sie letztlich im privaten Rahmen geschehe, entschied der Bundesgerichtshof nach einer Meldung der SZ.
BVerwG zu Abschiebungen: Asylbewerber, für die nach den Dublin-Regeln ein anderes europäischen Land zuständig ist, dürfen auch weiterhin unmittelbar, d.h. ohne vorherige Androhung dorthin zurückgeschoben werden. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht. zeit.de berichtet.
KG Berlin zu ICE-Geiselnahme: Wegen Geiselnahme in einem ICE-Zug hat das Berliner Kammergericht einen 24-jährigen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der Mann war nach den Feststellungen des Gerichts zwar schuldfähig, aber von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit. Er wird in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht, meldet die FAZ.
OLG München zu Nürnberger S-Bahn: Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts München muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des für den Betrieb der Nürnberger S-Bahn ausgewählten, britischen Privatunternehmens erneut von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft geprüft werden. Das ausgewählte Unternehmen sollte den S-Bahn-Betrieb ab 2018 übernehmen, schreibt das Handelsblatt (Dieter Fockenbrock). lto.de berichtet ebenfalls.
OLG Hamm zu Gefangenengewerkschaft: Die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Grundgesetz gilt auch für Strafgefangene. Dies stellte das Oberlandesgericht Hamm in einer von lawblog.de (Udo Vetter) mitgeteilten Entscheidung klar. Die Zurückhaltung von Beitrittsformularen für eine Gefangenengewerkschaft durch die beklagte Haftanstalt sei nur dann rechtmäßig, wenn von diesen eine Gefahr für den Strafvollzug ausgehe. Ob dies der Fall sei, müsse nun vom Landgericht Krefeld entschieden werden.
LAG Nürnberg zu Raucherpausen: Arbeitnehmer, die Raucherpausen ohne Kenntnis des Arbeitgebers und ohne Lohnabzug einlegen, dürfen nicht darauf vertrauen, dass eine solche Praxis weiterbesteht. Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg aus dem letzten Monat ergibt sich hierfür jedenfalls kein Anspruch aus betrieblicher Übung. lto.de stellt Fall und Entscheidung vor.
GBA – Oktoberfest-Anschlag: In ihrem Thema des Tages widmet sich die SZ (Annette Ramelsberger/Katja Riedel) in zwei Artikeln dem Stand der wiederaufgenommenen Ermittlungen zum Anschlag auf das Oktoberfest 1980. Der erste Beitrag beschreibt die oft mühselige Spurensuche und -sicherung der vom Generalbundesanwalt eingerichteten Sonderkommission "26. September". Gegenstand des zweiten Artikels sind die auch gegenwärtig noch vorhandenen Traumatisierungen vieler Opfer und Zeugen. Offizielle Sachstandsmitteilungen zu den Ermittlungen gibt es aktuell nicht.
Annette Ramelsberger (SZ) bezeichnet die Ermittlungen in einem separaten Kommentar als "Aufräumkommando in der Kriminalgeschichte, eine Putzkolonne in Sachen staatlicher Hygiene". Behörden wie der Verfassungsschutz wollten nun eine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die sie im Zuge der NSU-Enthüllungen bei weiten Teilen der Bevölkerung verloren hätten.
Recht in der Welt
EU/Luxemburg – Lux-Leaks: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat in einer Anhörung vor einem Sonderausschuss des Europaparlaments jegliche Verantwortung für die unter der Bezeichnung Lux-Leaks bekanntgewordenen Steuerschlupfmodelle abgestritten. Die Steuerverwaltung seines Heimatlandes habe lediglich geltendes Recht angewandt, die Regierung hierauf keinen Einfluss gehabt, gibt die SZ (Alexander Mühlauer) Juncker wieder.
Hendrick Kafsack (FAZ) gesteht dem Kommissionspräsidenten wegen dieser Erklärung "Chuzpe" zu. Sie offenbare aber gleichzeitig "ein bizarres Verständnis politischer Verantwortung".
Rumänien – Premierminister: Nachdem der rumänische Ministerpräsident Victor Ponta wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Geldwäsche vor dem Obersten Gericht des Landes angeklagt wurde, hofft Florian Hassel (SZ) auf schnelle Klarheit durch einen Prozess. Zwar stammten die Vorwürfe gegen Ponta aus der Zeit vor seinem politischen Amt. Auch die EU bekleckere "sich nicht mit Ruhm", wenn sie dazu schweige, "dass ein förmlich angeklagter Premier eines EU-Landes sich weigert, ein Mindestmaß an demokratischen Standards einzuhalten und bis zur Klärung aller Vorwürfe sein Amt ruhen zu lassen."
Kambodscha – Rote Khmer: Die FAZ (Till Fähnders) berichtet zur Arbeit des Sondertribunals über die Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha. Nach dem Tod zweier Hauptangeklagter gestaltete sich das Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte als Wettlauf gegen die Zeit. Derzeit werde der Anklagepunkt Völkermord am Beispiel der Massentötungen von Cham, einer muslimischen Minderheit, verhandelt.
Sonstiges
Fußball-Transfers: Fifpro, eine internationale Gewerkschaft von Fußball-Profis, will am heutigen Freitag bei der EU-Kommission eine Beschwerde gegen das geltende Transfersystem einlegen. Die Regeln verstießen nach Ansicht der Gewerkschaft gegen europäisches Wettbewerbsrecht, weil Vereine und Verbände ihre marktbeherrschende Stellung wie ein Kartell ausnutzten, schreibt die FAZ (Christoph Becker) im Sport-Teil.
Das Letzte zum Schluss
Junge Karriere: Ein 14-jähriger Tüftler in den USA hat aufregende Tage hinter sich. Weil eine Lehrerin das Ticken einer von ihm konstruierten Uhr für verdächtig hielt, wurde er zunächst aus der Schule heraus verhaftet. In nächsten Schritt der von der taz (Rieke Havertz) erzählten "Heldengeschichte" hagelte es dann Einladungen: Vom Präsidenten ins Weiße Haus und auch Mark Zuckerberg hat den jungen Erfinder dazu eingeladen, doch mal bei Facebook vorbeizuschauen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. September 2015: Organklage gegen Geheimniskrämerei - Recht gegen Asylbewerber - EuGH gegen Flugverspätungen . In: Legal Tribune Online, 18.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16932/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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