Kein Tag ohne den Datenüberwachungsskandal. Heute die Freude eines Ministers über Post aus Washington und London und Pläne für ein "no spy"-Abkommen. Außerdem in der Presseschau: LG Berlin zu Jonny K., verrückte Werbung für Mietwagen, 25 Jahre Geiseldrama von Gladbeck und süchtig machende Arbeit.
Datenüberwachung: Die FAZ (Peter Carstens) berichtet über eine Erklärung des Kanzleramtsministers Ronald Pofalla (CDU), nach der ranghohe Vertreter US-amerikanischer und britischer Geheimdienste der Bundesregierung schriftlich versichert hätten, dass sie sich bei ihrer Arbeit in Deutschland an deutsches Recht hielten. Auch würden Deutsche nicht flächendeckend überwacht. Ein zukünftiges "No-Spy-Abkommen" zwischen der Bundesrepublik und den USA könne zudem sicherstellen, dass amerikanische Stellen in Deutschland nicht spionierten. Markus Beckedahl (netzpolitik.org) vermutet, dass der Minister "wahrscheinlich" auch sonst an Märchen glaube.
Drohnentötungen: Die am Wochenende aufgeflammte Debatte um Tötungen mutmaßlicher Terroristen durch Drohneneinsätze und die Beteiligung deutscher Geheimdienste kommentiert Heribert Prantl (SZ). Die Argumentation des BND, die an US-amerikanische Stellen weitergeleiteten Daten erlaubten keine zielgenaue Ortung von Verdächtigen und eine derartige Verwendung der Daten sei durch Vereinbarungen ohnehin ausgeschlossen, die Weitergabe also auch nicht kausal für die Exekution von Menschen, bezeichnet Prantl als "entweder blauäugig oder frech." Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügten für eine Beihilfe auch nichtkausale Förderungshandlungen. Die Vollstreckung einer Todesstrafe ohne Verfahren behandele das deutsche Strafrecht als Totschlag oder Mord. Der Einsatz von Drohnentechnologie zu diesem Zweck begünstige eine Entwicklung, "die extralegale Tötungen von moralischen und juristischen Skrupeln befreit." Dies zu thematisieren, sei Aufgabe des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Weitere Themen – Rechtspolitik
PKW-Maut: Den Vorschlag zur Einführung einer PKW-Maut kommentiert Joachim Käppner (SZ). Zwar habe es Horst Seehofer (CSU) mit seiner Idee, eine derartige Abgabe von Ausländern zu fordern, geschafft, "eine im Grunde richtige Forderung" mit einem "Stammtischgefühl zu verquicken", unfreiwillig aber eine Debatte angestoßen, die "längst überfällig" sei. Denn die Maut "wäre ein Weg, die Autofahrer gerechter zu beteiligen." Nach dem Bericht der FAZ (Michaell Stabenow/Henrike Roßbach) stellte die EU-Kommission umgehend klar, dass eine ausschließlich von Ausländern zu entrichtende Gebühr gegen ein "grundlegendes Prinzip des EU-Rechts" verstoße. Auch eine mögliche Kompensation von Inländern durch eine Senkung der Kfz-Steuer widerspreche europäischen Vorgaben.
Unterbringung nach § 63 StGB: Der Fall Mollath bietet nach Einschätzung von Jakob Augstein (spiegel.de) die Gelegenheit, über das "Unwesen" des § 63 StGB, der eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ermöglicht, nachzudenken. Zwar habe die Einführung der Bestimmung als "Fortschritt des Rechtes, der Moral, der Zivilität" gegolten, weil Kranke fortan behandelt und nicht mehr bestraft werden sollten. Diesem hehren Anspruch sei in der Praxis aus vielfältigen Gründen aber nicht entsprochen worden, die Psychiatrie habe sich "in ihrer unglücklichen Ehe mit der Justiz eingerichtet." Derweil würden Betroffene oftmals ohne absehbares Ende weggesperrt.
Gewalt gegen Polizisten: Den Vorschlag zur Erhöhung des Strafrahmens bei Angriffen auf Polizisten kommentiert Udo Vetter (lawblog.de). Er erinnert an die erst Ende 2011 erfolgte Erhöhung der Strafdrohung bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und bezweifelt, dass sich mangelnder Respekt gegen Polizisten mit den Mitteln des Strafrechts erhöhen lässt. Zudem habe sich schon "seit jeher erwiesen", dass höhere Strafen keinen Abschreckungseffekt besäßen.
Digitaler Nachlass: Im Todesfall gehen Online-Konten und andere Daten für die Erben oft verloren. Nach Darstellung des Handelsblatts (Catrin Gesellensetter) weigerten sich viele Provider unter Hinweis auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen, Zugangscodes an die Erben herauszugeben. Eine hierzu vom Deutschen Anwaltverein geforderte Novellierung des Telekommunikationsgesetzes würde von den betroffenen Ministerien derzeit nicht in Angriff genommen. Deshalb müssten Nutzer eigenmächtig Vorsorge treffen, etwa durch Hinterlegung von Passwörtern bei einem Notar oder Vereinbarungen mit Providern.
Kostenrecht: Die kürzlich erfolgte Anhebung von Gerichts- und Anwaltsgebühren kommentiert Rechtsanwalt Christian Harmsen (Handelsblatt) in einem Gastbeitrag. "Weite Teile der Welt" würden Deutschland wegen seiner Gerichtsbarkeit "beneiden", das Kostenrecht sei ein wichtiger Teil derselben. So denke man in den USA über eine Einführung einer dem deutschen Recht vergleichbaren zivilrechtlichen Kostentragungspflicht der unterlegenden Partei nach.
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Lebensversicherungs-Klauseln: Im vergangenen Jahr erklärte der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen Vertragsklauseln von Lebensversicherern zur Abwicklung vorzeitiger Kündigungen für unwirksam. Über die enttäuschten Hoffnungen vieler Verbraucher auf erhöhte Auszahlungen und die Gründe hierfür schreibt die Welt (Michael Fabricius).
OLG München – NSU-Prozess: Das vor dem Oberlandesgericht München laufende Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. pausiert derzeit sommerbedingt. Aus diesem Anlass zieht Rechtsanwalt Detleff Burhoff (blog.strafrecht.jurion.de) eine Zwischenbilanz mit dem Schwerpunkt der Berichterstattung zum Prozess und verlinkt zahlreiche Beiträge hierzu.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Ohne größere Aufregung verlief die Fortsetzung des Verfahrens gegen Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim und einen Immobilienverwalter vor dem Landgericht Köln. Der Bericht des Handelsblatts (Massimo Bognanni) erinnert daher an die Verhandlungen vor der Sommerpause. In ihren Aussagen hätten Angeklagte und Zeugen in einer "an die Szenerie eines Mafia-Films" erinnernden Weise das Bild eines Geldinstituts gezeichnet, in der die leitenden "Bankier-Clans" eine vollständige Kontrolle ausübten und selbst hochrangigen Mitarbeiter keine Einsicht in laufende Geschäfte gewährten.
LG Berlin – Jonny K.: Das Verfahren wegen des Todes des Jugendlichen Jonny K. vor dem Landgericht Berlin steht nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung vor dem Abschluss. Wie die taz-Berlin (Plutonia Plarre) schreibt, beantragte die Anklagebehörde für den Hauptangeklagten Onur U. wegen Körperverletzung mit Todesfolge eine Haftstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten. Zwar hätte sich nicht ermitteln lassen, welche der körperlichen Einwirkungen den Tod K.s unmittelbar verursacht habe, es stünde jedoch fest, das U. die Auseinandersetzung begonnen habe. Auch spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet ausführlich.
Verrückte Werbung: Ein Autovermieter hat am gestrigen Montag eine Werbe-Anzeige mit dem Gesicht des jüngst aus der Psychiatrie entlassenen Gustl Mollath und dem Spruch "Wenn hier jemand verrückt ist, dann Sixt mit seinen Preisen" veröffentlicht. Nach Meldung von lto.de stellte der Anwalt Mollaths, der ein Einverständnis nicht erklärt hatte, ein presserechtliches Vorgehen gegen die Kampagne in Aussicht. Der Autovermieter erklärte, im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Fällen, ein nachträgliches Honorar zahlen zu wollen. focus.de (Simon Che Berberich) erinnert in seinem Bericht an vergangene Werbekampagnen des Unternehmens mit bekannten Politikern und resümiert, dass dem Autovermieter juristisch "kaum beizukommen" sei.
Weitere Themen – Recht in der Welt
GB/ESP/Gibraltar: Nach Meldung der FAZ (Jochen Buchsteiner) prüft die britische Regierung derzeit "rechtliche Schritte" gegen Spanien wegen der jüngst angeordneten Grenzkontrollen in Gibraltar. Zwar sei noch unklar, welche Optionen zur Verfügung stünden, es werde aber geprüft, den Konflikt als "dringende Angelegenheit" von der EU behandeln zu lassen.
USA – Kunstfreiheit: Die FAZ (Patrick Bahners) berichtet in ihrem Medien-Teil über ein Urteil eines New Yorker Gerichts, nach dem ein Fotograf, der Nachbarn ohne ihr Wissen durch die Fenster ihrer Wohnungen fotografierte, nicht die Privatsphäre der Abgebildeten verletzt hat. Der beklagte Künstler habe sich erfolgreich auf die Kunstfreiheit als Unterfall der Redefreiheit berufen können.
Sonstiges
Insolvenzrecht: Die Auseinandersetzungen um den Suhrkamp-Verlag entwickeln sich nach Darstellung der FAZ (Joachim Jahn) zu einem "Lehrbuch über die jüngste Reform des Insolvenzrechts". So sei das von der Mehrheitseignerin Ulla Unseld-Berkewicz eingeleitete Schutzschirmverfahren erst vor anderthalb Jahren eingeführt worden. Auch ihr mutmaßlich verfolgtes Ziel, den Minderheitseigner Hans Barlach aus dem Unternehmen zu verdrängen, entspreche den Absichten der Reform. Denn trotz Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen die grundgesetzlich geschützte Eigentumsgarantie sollte die Rettung von Unternehmen nicht in das Belieben "störrischer Miteigentümer" gestellt werden.
Völkerstrafrecht: Der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck (taz) bespricht in einem Gastbeitrag zwei jüngst erschienene Schriften zur internationalen Strafjustiz. Beide Werke setzen sich mit Fragen zur Legitimität derartiger Verfahren und der politischen Einflussnahme, der sie sich regelmäßig ausgesetzt sehen, auseinander.
Die FAZ (Reinhard Müller) schreibt anlässlich einer Tagung der sich im Aufbau befindlichen "Nuremberg Academy" über die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sehe sich seitens afrikanischer Staaten des Vorwurfs von Rassismus ausgesetzt, die USA bevorzugten Ad-hoc-Tribunale wie jene für Jugoslawien oder Ruanda. Das in Kambodscha eingerichtete "hybride Modell" mit einheimischen und internationalen Juristen stehe derweil vor einem finanziell bedingten Aus. Die Entwicklung der letzten zehn Jahre hätte immerhin eine Bewusstseins-Wandlung dahingehend bewirkt, dass schwerste staatliche Verbrechen nicht mehr ungesühnt bleiben dürften.
Gladbeck: Vor knapp 25 Jahren erregte das Geiseldrama von Gladbeck die Aufmerksamkeit der Republik. lto (Claudia Kornmeier) erinnert an den Verlauf und die Auswirkungen der Tat. Speziell die damals heftig kritisierte mediale Berichterstattung hätte Klarstellungen des Pressekodexes sowie die Aufstellung von Verhaltensgrundsätzen bei Berichterstattungen bewirkt.
Das Letzte zum Schluss
Suchtfaktor Arbeit: Vor dem Landgericht Stade muss sich ein früherer Angestellter der Deutschen Bank wegen der Veruntreuung mehrerer Millionen Euro verantworten. Der Angeklagte soll über mehrere Jahre hinweg Kundengelder zur Befriedigung seiner Spielsucht abgezweigt haben. An deren Ausbruch seien nach Darstellung der Verteidigung die "krank machenden Arbeitsbedingungen" in der Bank schuld gewesen, schreibt das Handelsblatt (Kirsten Krumrey).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. August 2013: Daten und Drohnen – Plädoyers bei Jonny K. – Werbung mit Mollath . In: Legal Tribune Online, 13.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9340/ (abgerufen am: 18.06.2024 )
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