Das Loveparade-Verfahren beginnt in Düsseldorf – mit überzogenen Erwartungen? Außerdem in der Presseschau: Die Debatte um die Abschaffung des § 219a StGB nimmt an Fahrt auf und nach dem Aldi Nord-Urteil geht der Familienstreit weiter.
Thema des Tages
LG Duisburg – Loveparade: Am vergangenen Freitag begann im Düsseldorfer Kongresszentrum Ost der vor dem Landgericht Duisburg verhandelte Prozess zum Loveparade-Unglück 2010. Nach zahlreichen Anträgen der Verteidigung, unter anderem auch einer Besetzungsrüge, wurde am ersten Verhandlungstag auch die Anklage verlesen. Es berichten unter anderem Samstags-FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de (Lukas Eberle). community.beck.de (Henning Ernst Müller) erklärt grundlegende Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen fahrlässig begangener Taten.
In einer Analyse warnt Jost Müller-Neuhof (Tsp) vor überzogenen Erwartungen an das Verfahren. Strafprozesse dienten der Ermittlung individueller Schuld und nicht zuvörderst der persönlichen Bewältigung tragischer Ereignisse der Geschädigten. Diese Erwartung spiegele aber eine seit den siebziger Jahren zu verzeichnende "Hinwendung zum Opfer".
Heribert Prantl (Montags-SZ) prognostiziert ein richterliches Scheitern bei der Suche nach einer strafrechtlichen Schuld für die Katastrophe. "Die Chefs der angeklagten Angestellten" als die "organisatorisch Verantwortlichen" säßen schließlich nicht auf der Anklagebank.
Rechtspolitik
§ 219a StGB: In der Diskussion über eine Abschaffung des strafrechtlichen Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch positioniert sich Rechtsprofessor Jörg Gerkrath auf lto.de eindeutig. Bereits der NS-Hintergrund der Norm spreche für die Abschaffung. Das Werbeverbot verstoße aber auch gegen die europarechtliche Dienstleistungsfreiheit, die Grundrechtecharta sowie die Europäische Menschenrechtskonvention. Die WamS (Marlen Hobrack) begrüßt, dass die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel das grundsätzliche Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung in die politische Debatte zurückführe. Der Ankündigung des Berliner Justizsenators Dirk Behrendt (Grüne), § 219a Strafgesetzbuch über eine Bundesratsinitiative zu streichen, haben sich nach Darstellung der Montags-taz (Dinah Riese) drei weitere Bundesländer angeschlossen.
Brexit: Eine Übersicht zu den Brexit-Aspekten, über die zwischen der EU und Großbritannien eine Übereinkunft erzielt wurde, gibt die Samstags-Welt (Stefanie Bolzen/Hannelore Crolly). Nach dem Bericht der Samstags-taz (Dominic Johnson) darf der Europäische Gerichtshof nach der jetzigen Verständigung nur auf britische Inititiative und nur für die nächsten acht Jahre tätig werden. Der Schriftsteller Jeremy Adler (Samstags-SZ) erklärt in einem Gastkommentar den Brexit und das britische Verhalten bei den Verhandlungen mit der EU mit der eigentümlichen Verfassungsgeschichte des Vereinigten Königreichs.
IMK/Abschiebestopp: Die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) hat sich darauf verständigt, den geltenden Abschiebestopp für Syrer bis zum Ablauf des Jahres 2018 zu verlängern. Dies berichten Samstags-taz (Christian Rath) und Samstags-FAZ (Alexander Haneke). Die weiteren Beschlüsse der IMK, etwa zur Prüfung einer erleichterten Aberkennung verliehener Staatsbürgerschaften oder zur Vorbeugung von Gewalt in Fußballstadien, stellt die Samstags-SZ (Constanze von Bullion) dar.
Familiennachzug: Der Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter ist gegenwärtig bis zum März 2018 ausgesetzt. In der Samstags-SZ diskutieren Bernd Kastner und Thomas Avenarius Pro und Kontra einer Aufhebung der Aussetzung. Bereits vor den ersten Gesprächen über eine erneute Große Koalition deutet sich zwischen Union und SPD ein Kompromiss, etwa in Gestalt eines zeitlich gestaffelten Nachzugs, an. Dies berichtet die Montags-SZ (Constanze von Bullion) exklusiv.
Terroropfer: Die Samstags-SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) berichtet exklusiv über den am kommenden Mittwoch von Kurt Beck (SPD) als Opferbeauftragten für die Hinterbliebenen des Breitscheidplatz-Anschlags vorgestellten Abschlussbericht. Die Empfehlungen Becks beinhalteten die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für Betroffene, idealerweise beim Bundesjustizministerium. Daneben sei aber eine Öffnung des Opferentschädigungsgesetzes für Ausländer sowie die Streichung einer bisherigen Bestimmung, nach der das Gesetz nicht bei einem tätlichen Angriff mit einem Fahrzeug anwendbar ist, vonnöten.
Minderheitsregierung: In einem Gastbeitrag für den Samstags-FAZ-Einspruch legt Rechtsprofessor Matthias Herdegen dar, dass das Grundgesetz eine stabile parlamentarische Regierungsmehrheit weder "als Selbstzweck noch die Minderheitsregierung als Unglücksfall" betrachte. Die vielbeschworene staatspolitische Verantwortung der Parteien mache bei der Feststellung des Haushaltsplanes "wirklich Sinn", ansonsten drängten weder die "politische Lage noch die erkennbaren Schnittmengen der Gesetzgebungsprogramme" zu einer Großen Koalition.
Sportverbände: Nach Feststellung der EU-Kommission verstoßen die Zulassungsbestimmungen der Internationalen Eislaufunion gegen das europäische Wettbewerbsrecht. Mit seinen Strafen für die Teilnahme an nicht von ihm genehmigten Wettkämpfen missbrauche der Verband seine marktbeherrschende Stellung, schreibt die Samstags-FAZ (Werner Mussler/Michael Ashelm) über die Entscheidung, die Präjudizcharakter auch für andere Sportverbände haben dürfte.
Gleichberechtigung: Die WamS (Sabine Meinkens/Martina Meister) berichtet von fraktionsübergreifenden Überlegungen, bei der in dieser Legislaturperiode ohnehin geplanten Reform des Wahlrechts auch Bestimmungen zu verabschieden, die eine höhere Repräsentanz von Frauen im Parlament sichern. Denkbar sei eine Koppelung der staatlichen Parteienfinanzierung an paritätische Besetzungen der Wahllisten.
Internetkriminalität: Das "38. Triberger Symposium" tagte unter der Schirmherrschaft des baden-württembergischen Justizministers Guido Wolf (CDU) zu juristischen Herausforderungen im Internet-Zeitalter. Nach dem Bericht der Montags-FAZ (Rüdiger Soldt) diskutierten die Teilnehmer dabei die Notwendigkeit von Rechtsänderungen sowohl bei der Bekämpfung von Internetkriminalität als auch beim Schutz vor Cyberattacken.
Justiz
BVerfG – Pharma-Preisstopp: Nach Meldung der Samstags-FAZ (Andreas Mihm) hat ein mittelständisches Pharma-Unternehmen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verlängerung des vor sieben Jahren eingeführten Verbots für Preiserhöhungen für Arzneimittel eingelegt. Das beschwerdeführende Unternehmen mache einen Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit geltend.
OVG Schleswig-Holstein zu Aldi Nord: Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat am vergangenen Donnerstag die Klage der Erben von Berthold Albrecht gegen eine Satzungsänderung der Familienstiftung abgewiesen und damit den Einfluss der Kläger auf den Aldi Nord-Konzern eingeschränkt. Es sei fraglich, ob hierdurch der Machtkampf innerhalb des Unternehmens beendet sei, schreibt die Samstags-FAZ (Christine Scharrenbroch). Eine vertiefte Darstellung des Falls bringt auch das Hbl (Florian Kolf). Entscheidend für den Sieg des Familienzweigs von Theo Albrecht junior habe dessen Anwalt und Vertrauter Emil Huber gewirkt. Nach dem Urteil dürfe sich die Firmen-Miterbin Babette Albrecht einer Rückforderung von etwa 120 Millionen Euro gegenübersehen, schreibt die Montags-Welt (Michael Gassmann). Dieser Betrag sei in den vergangenen Jahren nach Entscheidungen des Stiftungsvorstandes an Babette Albrecht und ihre Kinder geflossen.
LG Tübingen – Negativzinsen: In einer vorläufigen Einschätzung hat das Landgericht Tübingen zu verstehen gegeben, dass die Erhebung von Negativzinsen auf Sparkonten grundsätzlich zulässig sein kann. Im von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg angestrengten Verfahren habe die beklagte Bank die Zinsbestimmungen jedoch nicht durch einseitige AGB-Änderungen ändern dürfen, schreibt die Samstags-FAZ (Christian Siedenbiedel) über das Verfahren, in dem ein Urteil Ende Januar verkündet werden soll. In einem separaten Kommentar wiest Christian Siedenbiedel (Montags-FAZ) auf ein beim gleichen Gericht anhängiges Verfahren zur Zulässigkeit von Negativzinsen bei einem Riester-Sparplan hin. Beide Fälle seien angesichts der finanzpolitischen Entwicklung der letzten Jahre grundsätzlicher Natur. Der vom Gericht vermittelte Eindruck, dass Negativzinsen nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Kunden eingeführt werden dürften, schaffe jedoch "eine Hürde für die Ausbreitung dieses ungewöhnlichen Phänomens."
LG Frankfurt/M. – Lasermann: Ab dem kommenden Mittwoch muss sich ein als "Lasermann" bekanntgewordener Schwede wegen eines Mordes, den er 1992 begangen haben soll, vor dem Landgericht Frankfurt/M. verantworten. Der Angeklagte hatte zuvor in seiner Heimat mehrere Menschen mit Migrationshintergrund mithilfe eines Gewehrs mit Laser-Zielvorrichtung angegriffen und einen getötet. Der Bericht des Spiegel (Julia Jüttner) geht auch auf diese Vorgeschichte und den Verdacht, der Mann habe dem NSU in Deutschland als Vorbild gedient, ein.
LG Freiburg – Fall Maria L.: In einer telefonischen Vernehmung des Vaters des am Landgericht Freiburg angeklagten Hussein K. ist das Geburtsjahr des Angeklagten mit 1984 angegeben worden. Sein Alter läge damit weit über den bislang gutachterlich ermittelten Werten, meldet die Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt).
Jan-Robert von Renesse: Die Stadt Dachau verleiht dem Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Jan-Robert von Renesse ihren Preis für Zivilcourage. Die Samstags-SZ (Robert Probst) beschreibt den Einsatz des Richters, zuvor ausgeschlossene NS-Opfer mit einer sogenannten Ghettorente zu entschädigen.
Recht in der Welt
ICTY: Im Spiegel schreibt die Schriftstellerin Alida Bremer über den Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien, der mit dem Selbstmord des verurteilten Kriegsverbrechers Slobodan Praljak seine Tätigkeit nunmehr eingestellt hat. Das Gericht habe weder glänzend noch vollständig gearbeitet, durch seine akribische Dokumentation aber immerhin einer kommenden Generation von Historikern ein lohnenswertes Forschungsthema eröffnet.
Polen – Justizreform: Der Sejm, das polnische Parlament, hat am vergangenen Freitag die jüngsten Gesetze zur Justizreform im Lande beschlossen, meldet zeit.de. Die vom Europarat angemeldete Kritik an den Gesetzen beschreibt die FAS (Konrad Schuller) ausführlich.
Türkei – Deniz Yücel: Die Samstags-Welt veröffentlicht einen Brief des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, in dem er seinen Gefängnisalltag beschreibt. In der WamS grüßt Peter Steudtner den Journalisten mit einem Schreiben.
USA – VW-Verfahren: Nach der Verurteilung eines deutschen VW-Managers in den USA hat der Autobauer mitgeteilt, dass sich der Arbeitsvertrag des Mannes "in Abwicklung" befinde. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch u.a.) untersucht in einem ausführlichen Beitrag, ob es "rechtlich und moralisch in Ordnung" ist, sich mutmaßlich im Firmeninteresse handelnder Mitarbeiter zu entledigen und geht hierbei auch auf eine vergleichbare Situation bei Siemens ein. Die WamS (Stefan Beutelsbacher/Philipp Vetter) legt dar, dass eine schnelle Rechtskraft des Urteils eine mögliche Überstellung nach Deutschland schneller ermöglichen würde.
USA – Mord durch Anleitung: In den USA ist eine junge Frau wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden, nachdem sie ihren Freund über Textnachrichten und über Anrufe in dessen letztlich erfolgreichen Selbstmordabsichten bestärkt und unterstützt hatte. Der Spiegel (Claas Relotius) beschreibt den ungewöhnlichen Fall.
Sonstiges
Hans-Jürgen Papier: Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat in Nachfolge Jutta Limbachs den Vorsitz der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, übernommen. Die Samstags-Welt (Marcus Woeller) befragt in ihrem Feuilleton den Staatsrechtler zu seiner neuen Aufgabe, aber auch zur politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen.
RAF-Straffreiheit: In einem Gastbeitrag für den FOCUS schlägt Klaus Pflieger, früherer Generalstaatsanwalt in Stuttgart, vor, vormaligen RAF-Mitgliedern, die bereits eine lebenslange Strafe verbüßt haben, Straffreiheit zu garantieren, wenn sie ihre Beteiligung an einem weiteren Mord offenbaren. Die Strafprozessordnung sehe ein solches Absehen von Strafverfolgung vor. Den Hinterbliebenen etwa von Hanns Martin Schleyer könnte hierdurch Gewissheit über die Todesumstände verschafft werden.
Erbrecht: Der FOCUS (Matthias Kowalski/Andre Weikard) widmet dem Erbrecht sein Titelthema. Neben rechtlichen Grundlagen werden auch Fragen zum sogenannten digitalen Nachlass behandelt. Zu diesem Thema befragt das Magazin (Andre Weikard) auch den Rechtsanwalt Dirk Vollmer.
Bildung bewaffneter Gruppen: Gegen die Vorstellung, gesetzlose Zustände in bandenbeherrschten Innenstädten erforderten die Bildung von Bürgerwehren, argumentiert Martin Rath auf lto.de mit einem Abriss zur Geschichte des § 127 Strafgesetzbuch, der bis 1998 die Bildung bewaffneter Haufen, seither die von bewaffneten Gruppen, unter Strafe stellt.
Das Letzte zum Schluss
Arbeitsunfälle: Sind körperliche Auseinandersetzungen unter Kollegen Arbeitsunfälle? Das Landessozialgericht Baden-Württemberg befasste sich nach Bericht der Samstags-FAZ (Constantin van Lijnden) in gleich zwei Fällen mit dieser Frage. Während ein mit den Mitteln des Faustrechts ausgetragener Streit über Frischluftzufuhr während einer Transportfahrt "Modalitäten der dienstlich veranlassten Fahrt" beinhaltete, hätten in einer Auseinandersetzung in einem Warenlager Unstimmigkeiten über Arbeitsabläufe zwar den Anlass gegeben. Im konkreten Fall sei es dem Kläger – der sich bei dem Kampf selbst erheblich verletzte – aber nur noch darum gegangen, seinen Kollegen zu verletzen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. Dezember 2017: Gerechtigkeit durch Großverfahren? / Abschaffung von § 219a StGB? / Aldi-Albrechts entzweit . In: Legal Tribune Online, 11.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25947/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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