Die Bundesanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen in Sachen "Netzpolitik.org" ein. Ist die Landesverrats-Affäre damit beendet? Außerdem in der Presseschau: wie schützt man Geheimnisse, Jubiläum für Verbandsklagen und fragwürdiger Finderlohn.
Thema des Tages
BAW zu "Netzpolitk.org": Die Bundesanwaltschaft hat die gegen die Betreiber von "Netzpolitik.org" gerichteten Ermittlungen wegen Landesverrat eingestellt. Die gegen die unbekannte Quelle der im Februar und April veröffentlichten Artikel gerichteten Ermittlungen werden nicht mehr wegen Landesverrat, sehr wohl aber wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen geführt, so die taz (Christian Rath) in einer ausführlichen Darstellung der zuvor geführten Auseinandersetzungen über verschiedene Gutachten. Die jetzige Mitteilung mache deutlich, dass die Einstellung auf eigener Einschätzung der BAW beruhe. Die weiterhin zu prüfende Frage der Verletzung von Dienstgeheimnissen obliege der örtlichen Staatsanwaltschaft in Berlin. Ausführliche Berichte bringen auch Welt (Thorsten Jungholt) und spiegel.de (Jörg Diehl).
In einer Erklärung auf netzpolitik.org (Markus Beckedahl) begrüßen die vormals Beschuldigten die Einstellung als "schön, längst überfällig", erinnern aber gleichzeitig daran, dass die begehrte Akteneinsicht unter Hinweis auf eingestufte Dokumente immer noch nicht gewährt worden ist. Angesichts der weiter geführten Ermittlungen gegen die Quellen der Blogger sei es an der Zeit, "über einen besseren Whistleblower-Schutz zu reden". Hier sei Deutschland "noch Entwicklungsland".
In einem Kommentar bedauert Christian Bommarius (Berliner Zeitung), dass es kein Delikt des Verfassungsverrats gebe. Anderenfalls dürften sich der vormalige Generalbundesanwalt und der ihm "in bewusstem und gewollten Zusammenwirken" verbundene Präsident "des sogenannten Verfassungsschutzes" derartiger Ermittlungen ausgesetzt sehen. Durch die nun eingestellten Ermittlungen sei ein Anschlag auf die Pressefreiheit verübt worden. Die Kritisierten hätten offenbar nicht verstanden, dass "dass Herz der Verfassung" weder aus Ministerien oder Geheimdiensten, sondern aus Grundrechten bestehe.
Landesverrat/Geheimnisschutz: Rechtsanwalt Martin W. Huff kritisiert auf lto.de die Forderung, Journalisten aus dem Anwendungsbereich der Verratsdelikte nach §§ 93 ff. Strafgesetzbuch (StGB) auszuschließen. Das geltende Recht stelle strenge Voraussetzungen an eine Strafbarkeit. Diese seien auch durch das Gesetz zur Umsetzung des Cicero-Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht außer Kraft gesetzt: Eine aktive Handlung wie eine Anstiftung zum Geheimnisverrat sei strafbar. Die Privilegierung nach § 353b Abs. 3a StGB beziehe sich dagegen ausdrücklich nur auf Beihilfehandlungen. Daneben sei zu fragen, ob eine Ungleichbehandlung von – wie auch immer definierten – Journalisten und normalen Bürgern gerechtfertigt sei. Die jetzige Diskussion zeichne sich vor allem durch bemerkenswert geringes Vertrauen in Gerichte aus. Nicht zuletzt das Cicero-Urteil hätte belegt, dass die Gerichtsbarkeit sehr wohl in der Lage ist, Staatsgeheimnisse und öffentlichen Nachteil angemessen zu bewerten.
Im Kommentar von Till Hoppe (Handelsblatt) wird dagegen angeregt, als Konsequenz der jetzigen Entwicklungen die unteren Geheimhaltungsklassen "VS – nur für den Dienstgebrauch" und "VS – vertraulich" ersatzlos zu streichen. Angesichts zahlreicher Vervielfältigungsmethoden hätten beide Kategorien ihren Zweck verloren. Behörden könnten sich dagegen "in ungewohnter Zurückhaltung" bei der Einstufung wirklich geheimwürdiger Daten üben. So könnte denn auch die Verantwortung der Journalisten durch eine strengere Eigenprüfung der Vertraulichkeit erlangter Informationen geschärft werden.
Langemann-Affäre: Die taz (Christian Rath) erinnert an ein historisches Vorbild zu den nun eingestellten Landesverrats-Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org". 1982 gerieten Journalisten des linken Magazins "konkret" wegen Veröffentlichungen der Lebenserinnerungen des früheren BND-Mitarbeiters Hans Langemann in das Visier der Ermittler. Der wurde schließlich wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Ermittlungen gegen die Journalisten wurden nach Durchsuchungen eingestellt.
Rechtspolitik
Recht der Syndikusanwälte: Die Bundesregierung hat in Reaktion auf Urteile des Bundessozialgerichts einen Gesetzentwurf zum Recht der Syndikusanwälte eingebracht. Einzelheiten zur Reform, mit der eine "große", berufsrechtliche Problemlösung erreicht werden soll, bringt beck.blog.de (Christian Rolfs).
Freies Mandat: Über das Wochenende deutete Fraktionschef Volker Kauder (CDU) an, dass Mitglieder der Unionsfraktion, die gegen Hilfspakete für Griechenland gestimmt hätten, nicht in Bundestags-Ausschüssen verbleiben könnten. In der Einschätzung von bild.de bewegt Kauder sich damit "deutlich auf Kollisionskurs zum Grundgesetz" und dem dort festgehaltenen Prinzip des freien Mandats. Vom historischen Vorbild eines "Zuchtmeisters" wie Herbert Wehner (SPD) sei Kauder noch weit entfernt, so die FAZ (Eckart Lohse). Insbesondere könne er die Besetzung der Ausschüsse nicht eigenmächtig bestimmen, diese obliege der sogenannten Teppichhändlerrunde.
Flüchtlinge: Die Welt (Manuel Bewarder) befragt Rechtsprofessor Daniel Thym zu Forderungen nach Einschränkungen von Leistungen an Asylbewerbern und dem möglichen Nutzen verstärkter Grenzkontrollen.
In einem Gastbeitrag für zeit.de wendet sich der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby (SPD) gegen die Verwendung des Begriffs des sogenannten Asylmissbrauchs. Auch die rechtskonform erfolgende Ablehnung eines Asylantrags setze den Gebrauch eines Rechts voraus. Von Missbrauch zu reden, sei nicht nur "absurd", sondern nähre Vorurteile und Stereotype und bediene "rassistisch begründete Denk- und Handlungsmuster".
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz: Zur Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs aus dem November 2013 soll das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geändert werden. Die "inhaltlich sehr weit auseinander" gehenden Stellungnahmen der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft zum seit Juni vorliegenden Referentenentwurf fasst jurop.de (Johannes Schulte) zusammen.
Justiz
BVerfG – Rentenzusage: Nach jahrelanger Prüfung hat der Petitionsausschuss des Bundestages entschieden, dass DDR-Übersiedlern erteilte Zusagen, ihre Rentenansprüche würden nach dem Fremdrentengesetz so behandelt, als wenn das gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik verbracht worden wäre, hinfällig sind. Entsprechend habe sich bereits das Bundesarbeitsministerium geäußert, so die FAZ (Stefan Locke) in einer ausführlichen Darstellung der Problematik. Ein Betroffener habe nach mehrjährigem Instanzenzug bereits vor zwei Jahren eine Verfassungsbeschwerde gegen seinen Rentenbescheid eingelegt. Bislang sei noch nicht absehbar, ob und wann sich das Gericht der Beschwerde annimmt.
BVerfG zu Grunderwerbsteuer: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt kritisiert Rechtsprofessorin Johanna Hey das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Grunderwerbsteuer vom 23. Juni. Die Entscheidung, nicht die Nichtigkeit, vielmehr die Unvereinbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage mit dem Gleichheitssatz festzustellen, sei zwar bei Steuergesetzen üblich. In der Folgen würden derartig verfassungswidrige Gesetze jedoch nicht rückabgewickelt. Dies sei bei der jetzigen Entscheidung anders: das Gericht habe eine rückwirkende Korrektur ab 2009 gefordert. Somit verschiebe sich das Risiko verfassungswidriger Steuergesetze zulasten der Steuerpflichtigen.
BVerfG – Biogasbauern: Die taz (Jost Maurin) berichtet über Verfassungsbeschwerden von Biogasbauern. Die Beschwerdeführer behaupten einen verfassungswidrigen Eingriff in ihr Eigentumsrecht durch die im vergangenen August in Kraft getretene Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
OLG Celle – Islamisten: Im Verfahren gegen mutmaßliche Unterstützer des IS vor dem Oberlandesgericht Celle äußerte sich nun der zweite Angeklagte zu den Beweggründen seiner Reise nach Syrien. "Deutlich erlebnisorientierter" als sein Mitangeklagte habe Ebrahim H.B. dabei persönlichen Frust über die kurzfristige Absage einer geplanten Hochzeit als Motiv beschrieben, so die FAZ (Reinhard Bingener). Seine Meldung zu einem Selbstmordattentat in Bagdad sei nur als Tarnung für eine Flucht erfolgt.
VGH Mannheim zu Stuttgart 21: Die frühere baden-württembergische Verkehrsministerin Tanja Gönner muss die Weitergabe ihrer E-Mails an den Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz gegen das Großprojekt Stuttgart 21 durch die jetzige Landesregierung hinnehmen. Ein Antrag Gönners auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückgewiesen. Nach Meldung von lto.de muss jedoch vor der tatsächlichen Weitergabe ein Richter alle E-Mails privaten Inhalts aussortieren.
GBA – Übergriffe gegen Flüchtlinge: Der Generalbundesanwalt hat in drei Fällen aus dem zweiten Jahresquartal Vorermittlungen wegen Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte eingeleitet und sieht in jüngsten Angriffen "eine besondere Gefahr für den Rechtsfrieden". Dies teilte das Bundesjustizministerium nach Bericht der SZ (Tanjev Schultz) zu einer Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Linke) mit. Durch eine seit Beginn dieses Monats greifende Gesetzesänderung seien die Möglichkeiten des GBA, bei schwerwiegenden Straftaten oder Staatsschutz-Fällen selbst tätig zu werden, erweitert worden.
Verbandsklagen: Seit 50 Jahren haben Verbraucherverbände das Recht, im Namen der Allgemeinheit Musterprozesse zu führen. Das Handelsblatt (Anja Stehle) erinnert an bekannte Fälle und schreibt, dass die Ausweitung der Klagebefugnis auf andere Verbände auch Kritik erfahre. So habe der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) die demokratische Legitimation der Verbände Nabu und BUND anlässlich deren Engagements gegen die Elbvertiefung in Frage gestellt.
Recht in der Welt
Kroatien – Schiedsgericht: Kroatien hat entschieden, sich aus dem im Grenzkonflikt mit Slowenien gebildeten Schiedsgericht zurück zu ziehen. Grund ist der Vorwurf des Geheimnisverrats durch den slowenischen Vertreter, schreibt beck.blog.de (Thomas Lapp). Für den auch als Mediator tätigen Autor belegt die Entscheidung, wie schwierig Konflikte zu lösen sind, die wegen ihrer Vielschichtigkeit über die eigentlich zu entscheidende Frage hinausgehen. Ob der Parlamentsbeschluss Bestand hat, sei fraglich. Die Länder hätten sich 2009 gegenüber der EU verpflichtet, den Schiedsspruch einschränkungslos anzuerkennen.
Österreich – Meinl-Bank: Das Handelsblatt (Hans-Peter Siebenhaar) berichtet zu regen gerichtlichen Aktivitäten der österreichischen Privatbank Meinl. Vor dem Bundesverwaltungsgericht Wien werde gegen einen Bescheid der Finanzmarktaufsicht vorgegangen, durch den der aktuelle Vorstand die Ausübung seiner Tätigkeit untersagt werde. Die Eigentümerin der Bank, eine Holdinggesellschaft mit Sitz in Malta, beabsichtigte die Geltendmachung von 200 Millionen Euro Schadensersatz vor einem Schiedsgericht der Weltbank. Dieser Betrag solle zahlreiche Rechtsbrüche durch die österreichische Staatsanwaltschaft bei deren Ermittlungen wegen vermeintlichem Anlagebetrug durch die Bank kompensieren.
USA – Strafpolitik: In einem Gastbeitrag für die SZ befasst sich Christian Pfeiffer, derzeit Gastprofessor am John Jay College of Criminal Justice in New York/USA mit dem hohen Strafbedürfnis in den USA. Der Kriminologe macht auf einen Zusammenhang zwischen anhaltend hohen Gefangenenzahlen und gleichfalls weit verbreiteten Forderungen nach härterer Bestrafung von Kriminellen aufmerksam. Hierfür sei die "im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern sehr repressive Kindererziehung" im Land mitverantwortlich.
USA – Germanwings-Absturz: Nun stellt auch das Handelsblatt (Volker Votsmeier) Elmar Giemulla vor. Der Professor für Luftrecht bereitet als Vertreter von Hinterbliebenen des Germanwings-Absturzes eine Schadensersatzklage in den USA vor. Am Ort eines Großteils der Ausbildung von Lufthansa-Piloten verspreche sich der Anwalt neue Erkenntnisse über Gesundheitszustand von Andreas Lubitz.
Sonstiges
Online-Schleichwerbung: Auf dem Videokanal YouTube präsentieren zahlreiche Darsteller Produkte oder besprechen sie. Dabei sind nach der von Rechtsanwalt Jonas Kahl auf lto.de dargelegten Ansicht auch allgemeine, rundfunk- und wettbewerbsrechtliche Grundsätze zu beachten. Der Beitrag erklärt, wie das Trennungsgebot sowie Bestimmungen zu Schleichwerbung und Product Placement zur Vermeidung von Bußgeldern oder Abmahnungen rechtskonform eingehalten werden können.
Rundfunkbeitrag: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ fragt Regisseur Thomas Frickel, ob die Finanzierung öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den allgemeinen Rundfunkbeitrag "bis in alle Ewigkeit nur mit den Kürzeln 'ARD' und 'ZDF' buchstabiert werden darf." Die Produktion ausgewogener, frei zugänglicher Informationsangebote werde zunehmend von "Direktanbietern" im Internet geleistet. Hierfür sei diesen Produzenten ein Teil der allgemeinen Abgabe zuzuleiten. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Umleitung habe ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Martin Eifert bestätigt.
Das Letzte zum Schluss
Finderlohn: Der ehemals stolze Hamburger Sportverein ist nicht gerade vom Glück verfolgt. Jahrelanger Abstiegskampf, Pokalpleite zu Beginn der neuen Saison und jetzt auch noch Spott und Häme wegen eines verlorenen gegangenen Rucksacks des Sportchefs. In dem befanden sich Gehaltslisten und andere vertrauliche Dokumente, so bild.de (Kevin Kraft/Antonia Sell), mittlerweile wurde zum vermeintlichen Diebstahl auch Anzeige erstattet. Der ehrlichen Finderin schenkte der Verein aber erst nach Intervention der Zeitung Glauben. Sie wurde mit einem Kaffee auf der Geschäftsstelle belohnt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. August 2015: Netzpolitik-Ermittlungen eingestellt – Geheimnis und Verrat – 50 Jahre Verbandsklagen . In: Legal Tribune Online, 11.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16564/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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