Wachtätigkeiten im KZ Auschwitz werden die Strafjustiz demnächst in mehreren Verfahren beschäftigen. Außerdem in der Presseschau: Hans-Jürgen Papier zu Bargeld-Beschränkungen, Kritik an Privacy Shield und Nachwuchsfußballer im Abseits.
Thema des Tages
Auschwitz-Prozesse: Am kommenden Donnerstag beginnt am Landgericht Detmold der Prozess gegen ein früheres Mitglied der Wachmannschaft im KZ Auschwitz. Vergleichbare Verfahren stehen vor den Landgerichten Neubrandenburg, Hanau und Kiel bevor. Die Gründe dieser Häufung legt die SZ (Hans Holzhaider) dar. Staatsanwaltschaften hätten sich ausgehend von der Verurteilung John Demjanjuks durch das Landgericht München II zu "einer konsequenteren Anwendung des Beihilfeparagraphen im Strafrecht entschlossen". Ob dabei der Verzicht auf einen Nachweis einer individuellen Beteiligung an konkreten Tötungshandlungen zugunsten der Annahme einer fortlaufenden Unterstützung des "insgesamt auf Tötung ausgerichteten Systems des Konzentrationslagers", so das Landgericht Lüneburg bei seinem Urteil über Oskar Gröning im vergangenen Juli, tatsächlich Bestand haben werde, müsse sich noch zeigen. Denn sind zu diesem Verfahren noch Revisionsanträge anhängig.
Die diesbezügliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs stehe im Frühjahr an, schreibt die taz (Klaus Hillenbrand). Die jetzigen Verfahren seien maßgeblich auf das Wirken des vormaligen Leiters der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Kurt Schrimm, zurückzuführen. Dessen Amtsnachfolger Jens Rommel rechne nicht mit weiteren Anklagen. Gegenwärtig konzentriere sich seine Behörde auf Aktenrecherchen. So würden lateinamerikanische Einwanderungsakten von Deutschen ebenso wie Urteile sowjetischer Gerichte gegen deutsche Kriegsgefangene nach Informationen zu möglichen Tätern durchforstet.
Rechtspolitik
Bargeld-Beschränkungen: Der FAZ (Joachim Jahn u.a.) hat Hans-Jürgen Papier, früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erklärt, dass Beschränkungen von Bargeldzahlungen verfassungswidrig seien. Als Eingriffe in Freiheitsrechte, konkret die Vertragsfreiheit und die Privatautonomie, seien derartige Beschränkungen nicht gerechtfertigt, zudem bestehe die Gefahr einer totalen Erfassung und Registrierung der "Freiheitswahrnehmung von Bürgern". Argumente für (Nora Kolhoff/Aloysius Widmann) und gegen (Harald Freiberger) die Verwendung von Bargeld stellt die SZ in zwei Beiträgen zusammen.
Die Argumentation von Hans-Jürgen Papier fasst Joachim Jahn (FAZ) in einem Kommentar als "Grundrecht auf Bargeld" zusammen. Beachtlich sei zudem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, nach dem eine Überwachung von Bürgern ohne konkreten Verdacht nicht zulässig sei. Bei einer europäischen Regelung sei jedoch "Obacht" angezeigt. Denn stünde das Grundgesetz "im Rang unter jeglicher EU-Direktive".
Elternnachzug: Die im Asylpaket II enthaltene Aussetzung des Familiennachzugs auch für minderjährige Flüchtlinge und den diesbezüglichen Streit in der Regierungskoalition fassen spiegel.de (Florian Gathmann/Anna Reimann) und FAZ (Johannes Leithäuser u.a.) in ausführlichen Darstellungen zusammen. Innen- und Justizministerium würden eine Verständigung versuchen, gleichwohl sei die Einbringung des Entwurfs in den Bundestag in der jetzigen Fassung vorgesehen.
Flüchtlingspolitik: Die Forderung der EU an die Türkei, ihre Grenze zu Syrien für weitere Flüchtlinge zu öffnen, bezeichnet Christian Rath (taz.de) in einem Kommentar vor dem Hintergrund eigener Bemühungen zur Sicherung der EU-Außengrenze als "Doppelmoral", die sich aufgrund der Macht der Ereignisse auf Dauer nicht durchhalten lasse. Auch Ludwig Greven (zeit.de) beklagt das "zynische Geschäft" von EU-Vertretern. Eine humanitären Standards entsprechende Versorgung könne die Türkei als "Europas Flüchtlingssammellager" auch beim besten Willen nicht leisten. Um seiner völkerrechtlichen Verantwortung nachzukommen, müsse Europa entweder großzügig bemessene Kontingente syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge selbst aufnehmen oder aber für diese eine Schutzzone an der syrisch-türkischen Grenze einrichten und finanzieren.
Auslandseinsätze der Bundeswehr: Hendrik Hoppenstedt (CDU), zuständiger Berichterstatter im Rechtsausschuss des Bundestages, hat sich in einem der FAZ (Majid Sattar) vorliegenden Brief an den Außenminister dafür ausgesprochen, Auslandseinsätze der Bundeswehr künftig auf andere Rechtsgrundlagen zu stellen. Die Bezugnahme auf Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes überlasse in ihrer Abhängigkeit von einer Resolution des UN-Sicherheitsrates die Entscheidung über einen Einsatz "de facto Moskau oder Peking". Der naheliegendere Bezug auf Artikel 87a GG würde dagegen aus politischen und damit nicht rechtlichen Gründen verweigert.
Privacy Shield: In der Einschätzung der taz (Svenja Bergt) zur Privacy Shield-Eingung zwischen EU-Kommission und US-Regierung haben die europäischen Unterhändler dabei "bessere Bedingungen" einem von der Wirtschaft geforderten möglichst schnellen Abschluss geopfert. zeit.de (Marvin Strathmann/Patrick Beuth) zeichnet das Zustandekommen der Einigung nach und bemängelt, dass zentrale Fragen, wie etwa jene der tatsächlichen Kompetenzen der geplanten Ombudsperson, nach wie vor ungeklärt seien.
Wissenschaftsbetrug: Nach Bericht der Welt (Freya-Gerrit Klebe) ist akademisches Ghostwriting trotz prominenter Plagiatsfälle nach wie vor ein lukratives Geschäft. Obwohl sich zumindest jene Studenten, die bei der Abgabe wissenschaftlicher Arbeiten eine eidesstattliche Selbständigkeitserklärung abgeben müssen, durch die Einreichung fremdverfasster Arbeiten, strafbar machten, würde nur ein Bruchteil erwischt. Der Deutsche Hochschulverband fordere daher bereits seit 2012 die Einführung eines Straftatbestandes Wissenschaftsbetrug.
Justiz
BGH zu E-Zigaretten: Der Handel mit E-Zigaretten ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Dezember zumindest dann strafbar, wenn sie Nikotin enthalten. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn). Die zugrundeliegende Rechtslage nach dem Tabakgesetz könnte sich zeitnah ändern, weil die Umsetzung einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2014 bevorstehe.
BGH zu Tötungsvorsatz: Die BerlZ (Christian Bommarius) erinnert an ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1994, in dem klargestellt wurde, dass bei gefährlichen Handlungen wie etwa dem Wurf eines Molotowcocktails auf eine Asylbewerberunterkunft grundsätzlich von einem Tötungsvorsatz auszugehen ist. Die hierdurch eingeleitete "Kurskorrektur in der Rechtsprechung" habe die in den frühen 1990er Jahren herrschende unselige Angewohnheit von Gerichten, "bei Angriffen aus Ausländerunterkünfte in der Regel zum mildest möglichen Straftatbestand" zu greifen, beendet.
OLG Koblenz zu Amtshaftung: Weil ein Scheidungsbeschluss zunächst wegen fehlender richterlicher Unterschrift und dann wegen fehlendem Verkündungsprotokoll erst im dritten dritten Anlauf wirksam verkündet wurde, haftet das Land als Dienstherr der Familienrichterin für die durch die Beschwerdeverfahren entstandenen Anwaltskosten. Dies entschied das Oberlandesgericht Koblenz in einem Urteil vom Beginn des Jahres. beck.blog.de (Hans-Otto Burschel) berichtet.
LG Köln zu Datenschutzerklärung: internet.law.de (Thomas Stadler) macht auf einen Beschluss des Landgerichts Köln von Ende November aufmerksam, durch den einem Webseitenbetreiber im Wege einer einstweiligen Verfügung unter anderem aufgegeben wurde, in einem Internetauftritt eine Datenschutzerklärung gemäß § 13 Telemediengesetz zu platzieren. Den tenorierten Bezug auf die Norm hält der Autor für "problematisch", weil eine entsprechende Verpflichtung gerade nicht bestehe. Zum Schutz vor wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen müsse die Entscheidung jedoch beachtet werden.
LG Neubrandenburg zu "Rabauken-Jäger": Auch die FAZ (Michael Hanfeld) berichtet auf ihrer Medien-Seite nun zu der vom Landgericht Neubrandenburg bestätigten Verurteilung eines Journalisten wegen der von diesem verwendeten Bezeichnung "Rabauken-Jäger". Nicht zuletzt wegen "der besonderen politischen Verwicklungen der Geschichte" wolle der wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilte Journalist ebenso wie der "Nordkurier", der die Bezeichnung veröffentlichte, die Angelegenheit notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen. "Nur vordergründig" gehe es dabei um "heftige Polemik", vielmehr sei grundsätzlich die Pressefreiheit Verfahrensgegenstand.
Flugverspätungen: Bei der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen wegen Flugverspätungen bedienten sich Verbraucher immer häufiger der Dienste kommerzieller Anbieter, schreibt die SZ (Stephan Radomsky). Die Rechtslage zu Entschädigungspflichten sei eindeutig, viele Kunden ohne Rechtsschutzversicherung scheuten sich jedoch vor zeitaufwendigen Auseinandersetzungen mit zahlungsunwilligen Fluggesellschaften.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: Die zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk und dem britischen Premierminister David Cameron ausgehandelte vorläufige Einigung bezeichnet Alan Posener (Welt) im Leitartikel der Zeitung als "europäische Revolution", die – wenn sie von den übrigen Mitgliedsstaaten gebilligt würde – eine "andere, bessere Europäische Union" schaffen würde. Zu begrüßen sei vor allem der Abschied von der Vorstellung einer "immer engeren Union", die auf eine politische Einheit zielen würde, zugunsten einer "ergebnisoffenen Evolution" mit einer "Wiederermächtigung nationaler Parlamente".
Frankreich – Steuerbetrug: Die SZ (Christian Wernicke) berichtet zu dem am gestrigen Montag in Paris begonnenen Prozess gegen Jerome Cahuzac. Als Budgetminister der Regierung Hollande hatte sich der Angeklagte dem Kampf gegen Steuerbetrug verschrieben, ehe er unter dem Druck jetzt gegenständlicher Vorwürfe, selbst Vermögen verschleiert und auf Auslandskonten verheimlicht zu haben, im Frühjahr 2013 zurücktrat.
Frankreich – Notstand: Die bislang nur einfachgesetzlich geregelten Notstandsbestimmungen in Frankreich sollen nach einem Beschluss der Nationalversammlung nun auch in die Verfassung aufgenommen werden. Nach der Meldung von zeit.de sollen hiermit auch erweiterte Regierungsbefugnisse einher gehen. Für eine endgültige Verfassungsänderung fehlt aber noch die Zustimmung des französischen Senats.
Sonstiges
Iran-Sanktionen: Nach der im Juli 2014 erreichten Einigung im Atomstreit mit dem Iran beginnt nun der schrittweise Abbau der gegen das Land verhängten Sanktionen. Hierbei bestehen nach wie vor große Unterschiede zwischen der EU und den USA. Rechtsanwalt Ahmed Khonsari klärt auf lto.de über nach wie vor zu beachtende Beschränkungen im Handelsverkehr mit dem Iran auf.
Verfassungsgerichtsbarkeit: Die FAZ (Reinhard Müller) berichtet zur Vorstellung des neuesten Bandes von "Jus Publicum Europaeum", herausgegeben von Verfassungsrichter Peter M. Huber und Rechtsprofessor Armin von Bogdandy. Bei der Veranstaltung am Wiener Verfassungsgerichtshof gaben prominente Referenten, unter ihnen Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen in Ungarn und Polen ihre Einschätzung zum Stand der europäischen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit ab. Bei dem notwendigen Dialog hierüber müsse, so die Zusammenfassung des Autors, eine "gefühlte Suprematie westlicher Vorstellungen vom Rechtsstaat" vermieden werden. Die Veränderung verfassungsgerichtlicher Kompetenzen sei zulässig, wenn sie ohne Willkür erfolge und nicht der Durchsetzung der eigenen "Wahrheit" diene.
AfD-Hausverbot: Der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) hat der AfD die Nutzung des Rathauses für einen am kommenden Freitag geplanten Neujahrsempfang untersagt. Für das ausgesprochene Hausverbot sei der geplante Auftritt der Parteichefin Frauke Petry, maßgeblich, hierdurch würde das Sittlichkeits- und Anstandsempfinden der Einwohner der Stadt verletzt. Die im Stadtrat vertretene AfD kündigte ihrerseits eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an. spiegel.de berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Abschlussschwäche: Für die Fußballer von Hannover 96 läuft die aktuelle Bundesligasaison alles andere als berauschend. Drei Akteure aus der Nachwuchsabteilung des Vereins aber haben ab sofort größere Probleme als Abstiegssorgen. Wie bild.de berichtet, nahmen sie von einem geplanten Überfall eines Spielcasinos zwar Abstand. Wieder daheim wurde das genutzte Fahrzeug dann im absoluten Halteverbot abgestellt, wo es wegen zweier verschiedener, zudem gestohlener Kennzeichen die Aufmerksamkeit von Polizisten erregte. Die noch im Wagen befindliche Sturmhauben wurden ebenso sichergestellt wie eine Schreckschuss-Pistole.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2016: Auschwitz-Prozesse / Papier zu Bargeld / Kritik an Privacy Shield . In: Legal Tribune Online, 09.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18392/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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