Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Rettungsschirm ESM rückt näher, die Meinungsdichte nimmt zu. Außerdem in der Presseschau: Mehr Streit um Beschneidungen, Meldegesetz im Vermittlungsausschuss, Bush und Blair sollen vor Gericht, kein Stromvorteil für Konzerne, und wieso ein Verkehrsdelikt fünfmal vor dem gleichen Amtsgericht verhandelt wurde.
Bundesverfassungsgericht und ESM: Auch wenn es einen Befangenheitsantrag gegen den Verfassungsrichter Peter M. Huber gibt, welt.de (Peter M. Lachmann) berichtet, will das Gericht wie geplant am 12. September über den ESM entscheiden. In einem Gastbeitrag meint Gunnar Beck (SZ), der ESM institutionalisiere den Verfassungsbruch. Er hofft, dass das Gericht sich und den Wähler ernst nehmen werde. Laut Josef Joffe (Die Zeit) dürfe das Parlament sein "heiligstes Vorrecht – die Oberaufsicht über die Staatsfinanzen" nicht preisgeben.
Professor Hans Vorländer (FTD) vertritt in einem Gastbeitrag die Auffassung, das Gericht profitiere vom Ressentiment gegenüber dem Politischen und solle sich zurückhalten. Jan Fleischhauer (spiegel.de) setzt noch einen drauf: "Rechtsprechung aus Karlsruhe ist Politikverachtung für die gehobenen Stände." Thomas Fricke (FTD) nennt das Beharren auf dem Etatrecht des Parlaments "arg romantisch" und fragt, ob das tiefere Problem nicht in der tatsächlichen Macht der Leute an den Finanzmärkten liege.
Mark Schieritz und Heinrich Wefing (Die Zeit) meinen, die Entscheidung für den ESM sei längst gefallen. Niemand könne sich dem "eisigen, unbarmherzigen Konsequentialismus" entziehen, "der alles einebnet, die Differenzen zwischen Regierung und Opposition, die Teilung der Gewalten, die hergebrachten Institutionen."
Weitere Themen – Rechtspolitik
Streit um Beschneidungen: Einen Tag, nachdem das Land Berlin versucht hat, mit einer Regelung die Balance zwischen körperlicher Unversehrtheit des Kindes und Religionsfreiheit zu wahren, tobt der Streit über religiös motivierte Beschneidungen unvermindert weiter. Wie die SZ (Constanze von Bullion) berichtet, bezeichnete Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, die Bestimmungen in ihrer Wirkung als antisemitisch.
Die taz (Heide Oestreich / Daniel Bax) moderiert ein Streitgespräch zwischen den beiden Juristen Sergey Lagodinsky (Grüne) und Raju Sharma (Linkspartei).
Jasper von Altenbockum (FAZ) kommentiert, wenn es nicht gelinge, sich auf eine klare Regelung zu einigen, gebe es keinen Schutz vor Ermittlungsverfahren und Strafe.
Meldegesetz: Das umstrittene Meldegesetz soll im Vermittlungsausschuss überarbeitet werden, berichtet spiegel.de (Friederike Freiburg). Vor allem bei der Regelung, die es Ämtern gestatte, Daten ohne ausdrückliche Genehmigung von Bürgern an die Werbeindustrie weiterzugeben, gebe es Nachbesserungsbedarf.
netzpolitik.org (Andre Meister) berichtet, dass das Bündnis "Meine Daten sind keine Ware" 190.000 Unterschriften gegen das Gesetz an die Innenminister der Länder überreicht habe.
Reform des Urheberrechts: In einem Gastbeitrag plädieren der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und der Musiker Paul van Dyk (Die Zeit) für ein zeitgemäßes Urheberrecht mit intelligenten Bezahlmodellen statt 4.3 Millionen Abmahnungen im Jahr. Außerdem fordern sie eine bessere soziale Absicherung für Künstler.
Steuer-CDs: In einem Beitrag für lto.de erläutert Rechtsprofessor Arndt Schmehl, warum im Streit um den Ankauf von CDs mit Steuerdaten die Position von Steuerstaat (Norbert-Walter Borjans) und Rechtsstaat (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger) einander ergänzen und sich nicht zwangsläufig auszuschließen.
Weitere Themen – Justiz
EuGH zu Online-Käufen: spiegel.de (Nicolai Kwasniewski) stellt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vor, die den Verbraucherschutz stärkt. Wer etwas über das Internet bei einem Händler im EU-Ausland kauft, könne den Unternehmer auch vor einem heimischen Gericht verklagen. Im vorliegenden Fall habe eine Frau aus Österreich per Internet ein Auto in Hamburg bestellt.
EuGH zu "Bekömmlicher Wein": Rechtsanwalt Markus Grube setzt sich in einem Beitrag für lto.de mit dem Verbot des Europäischen Gerichtshofs der Bezeichnung "bekömmlich" bei Wein auseinander. Er hofft, dass durch diese Entscheidung die Verwendung von Fitness- und Wellness-Angaben allgemein erschwert wird.
spiegel.de (Christian Teevs) referiert das Urteil: "Die Werbung mit dem Wort ‚bekömmlich’ suggeriere eine geringe Belastung des Verdauungssystems und damit ‚eine nachhaltige positive physiologische Wirkung’".
Generalanwalt EuGH – Bahnaufteilung: Niilo Jääskinen, der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, lehnt eine Ausgliederung des Streckennetzes der Deutschen Bahn AG ab, berichtet FTD (Bernd Hops /Jens Tartler). Er folgt damit der Rechtauffassung des Konzerns und der Bundesregierung. Die EU-Kommission habe sich enttäuscht von der Entscheidung gezeigt. Auch ein Leitartikel der FTD kritisiert die Entscheidung.
OLG Düsseldorf – Stromvorteil: Die FAZ (Corinna Budras) berichtet über die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das die Befreiung von Stromnetz-Entgelten für energieintensive Konzerne für europarechtswidrig hält. Der Kartellsenat habe die EU-Kommission um eine Stellungnahme gebeten, die mündliche Verhandlung sei für den 24. Oktober angesetzt.
StA Köln – Anklage Jagdfeld: Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte hat vor dem Landgericht Aachen Anklage gegen den Adlon-Investor Anton August Jagdfeld erhoben, berichtet die FTD (Jens Brambusch). Der Immobilienunternehmer soll Anleger um 22 Millionen Euro geprellt haben.
LG Hamburg – Piratenprozess: Im Prozess gegen somalische Piraten vor dem Landgericht Hamburg hat die Staatsanwaltschaft plädiert, berichtet spiegel.de (Simone Utler). Sie fordert für die sieben erwachsenen Angeklagten Freiheitsstrafen zwischen sechs und zwölf Jahren, für die drei zum Zeitpunkt der Tat Jugendlichen vier bis fünfeinhalb Jahre Jugendstrafe.
Weitere Themen – Recht in der Welt
EU gegen China – Antidumping: Die FTD hält in einem Leitartikel das aufgrund von Billigangeboten der chinesischen Solarindustire gegen China initiierte Antidumpingverfahren für kontraproduktiv und sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel geschwächt.
Russland – Politische Prozesse: Die FAZ (Reinhard Veser) gibt einen Überblick, wie die Justiz in Putins Russland zu politischen Zwecken instrumentalisiert wird.
England – UBS / Adoboli: Das Handelsblatt (Holger Alich / Michael Maisch) bringt einen Vorbericht über den am 10. September beginnenden Prozess gegen den Börsenhändler Kweku Adoboli, der die Schweizer Bank UBS mit unerlaubten Index-Wetten um zwei Milliarden Dollar geschädigt haben soll.
Bush und Blair sollen vor Gericht: Die Zeit (Ulrich Ladurner) berichtet über das Vorhaben von Desmond Tutu, George W. Bush und Tony Blair vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Die realpolitische Dimension in diesem "unvorstellbaren" Prozess liege in seiner abschreckenden Wirkung für die Zukunft.
Das Letzte zum Schluss
Fünf Verhandlungen für 250 € Geldbuße: Rechtsanwalt Thomas Wings (hoechststrafe.dorkawings.de) erinnert auf seinem Blog an eine Verfahrensserie aus dem Jahr 2009 vor dem Amtsgericht Lüdenscheid. Es ging um eine Geschwindigkeitsübertretung. Nach fünf Verhandlungen und einem erfolgreichen Befangenheitsantrag war der Richter eine lokale Berühmtheit am dortigen Amtsgericht. Der Delinquent zahlte 250 Euro und durfte seinen Führerschein behalten.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)
lto/ro
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. September 2012: Bundesverfassungsgericht und ESM – Piratenprozess in Hamburg – Bahnaufteilung abgewendet . In: Legal Tribune Online, 07.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7019/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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