Das Bundesverfassungsgericht hält die psychiatrische Unterbringung von Gustl Mollath für verfassungswidrig – und springt in seiner Begründung nicht gerade zimperlich mit den Instanzgerichten um. Außerdem in der Presseschau: das geschlechtsfreie Geburtenregister, Zeitenwende bei Klagen von Umweltverbänden und ein Haftbefehl wegen Schwarzfahrens.
Thema des Tages
BVerfG zu Mollath: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verlängerung der psychiatrischen Unterbringung von Gustl Mollath im Jahr 2011 verfassungswidrig war. Es gab damit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die damaligen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt, so die FAZ (Helene Bubrowski). Diese seien unzureichend begründet und unverhältnismäßig. Eine nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit sei aufgrund der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person geboten. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) habe anlässlich der Entscheidung ihre Forderung nach einer Reform des Unterbringungsrechts bekräftigt.
Im Detail geht internet-law.de (Thomas Stadler) auf die Begründung des Gerichts ein. taz.de (Christian Rath) fasst den Prozessverlauf zusammen und betont, dass Karlsruhe insbesondere das Fehlen der Darlegung einer konkreten Gefährdung durch Mollath im Falle seiner Freilassung kritisiert habe.
Das Bundesverfassungsgericht rüge in seinem Beschluss "Fehler in Serie" und übe "Fundamentalkritik", konstatiert Heribert Prantl (SZ). Die Gerichtsentscheidungen aus Bayreuth und Bamberg seien "eine Schande". Reinhard Müller (FAZ) bezeichnet den Beschluss als dringend nötigen "Weckruf" und konstatiert, dass er zwar einerseits Maßstäbe setze, andererseits aber eigentlich "nur Selbstverständliches" fordere: Dass es einer guten Begründung bedürfe, wenn ein Mensch weggesperrt werden solle. Udo Vetter (lawblog.de) fasst das so zusammen: "Im Ergebnis klingt das so, als hätten sich Mollaths Richter nicht mal ansatzweise mit Mollaths Fall auseinandergesetzt."
Rechtspolitik
Geschlecht im Geburtenregister: Als "Ende des verordneten Geschlechtes" beschreibt der Notar Herbert Grziwotz auf lto.de die Anfang November in Kraft tretende Reform des Geburtenregisters. Es müsse künftig keine Aussage mehr über das Geschlecht von Kindern treffen; insbesondere die Rechte intersexueller Kinder würden dadurch gestärkt. Echte "Geschlechtsfreiheit" existiere aber immer noch nicht; andere Normen zum Beispiel im Familienrecht knüpften nach wie vor an das Geschlecht an.
Parteien zu Sicherheit und Justiz: Die FAZ (Peter Carstens) gibt in ihrer Serie "Wahl 2013" einen Überblick über die "Pläne der Parteien zu Sicherheit, Justiz und Integration".
Justiz
BVerwG zu Umweltverbänden: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klagerechte von Umweltverbänden in einem Grundsatzurteil entscheidend ausgeweitet. Konnten in bestimmten Fällen wie zum Beispiel gegen Lärm und Luftverschmutzung bislang nur konkret betroffene Bürger gerichtlich vorgehen, können anerkannte Umweltverbände wie die klagende Deutsche Umwelthilfe fortan jede Verletzung europäischen Umweltrechts vor Gericht bringen, so die taz (Christian Rath). Das Gericht habe sich bei seinem Urteil auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gestützt. Auch die SZ (Miba/Weis) und lto.de berichten.
VG München – Einreiseverbot Irving: Der britische Holocaustleugner David Irving darf zunächst nicht wie ursprünglich geplant am Dienstag nach 20 Jahren Einreiseverbot nach Deutschland kommen. Es liege eine Beschwerde des städtischen Verwaltungsreferats gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vor, das Einreiseverbot aufzuheben. Nun gehe das Verfahren zunächst in die zweite Instanz, so die taz (Konrad Litschko).
OLG München – NSU-Prozess: Am Donnerstag ist vor dem Oberlandesgericht München der NSU-Prozess nach einer fast vierwöchigen Sommerpause fortgesetzt worden. Wie die FAZ (Karin Truscheit/Michael Martens) berichtet, will der Mitangeklagte Holger G. künftig schweigen; zudem sei im Mordfall Yasar eine Zeugin vernommen und die Aufzeichnung einer Überwachungskamera angesehen worden.
Der schon bislang als "chaotisch" kritisierte Verhandlungsablauf verlaufe aber auch nach der Sommerpause noch längst nicht "in geordneten Bahnen", findet Tom Sundermann (zeit.de).
LG Mönchengladbach zu Google-Filterung: Der Suchmaschinenbetreiber Google muss seine Suchergebnisse nicht filtern und zensieren, auch wenn diese auf beleidigende Netzinhalte verweisen. Dies hat laut einem Bericht auf der "Medien"-Seite der SZ (Johannes Boie) das Landgericht Mönchengladbach entschieden. Google müsse die Ergebnisse des "mathematischen" Suchvorgangs nicht bewerten oder verändern.
Recht in der Welt
Kenia – IStGH-Austritt geplant: Laut einem Bericht der FAZ (Thomas Scheen) will Kenia aus dem Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof austreten. Hintergrund sei der Prozess gegen den stellvertretenden kenianischen Präsidenten William Ruto, der am Montag in Den Haag beginnen soll, sowie ein für November terminierter Prozess gegen den amtierenden Präsidenten Uhuru Kenyatta. Allerdings hätte ein Austritt Kenias laut des Gerichtshofs keine Auswirkungen auf die bereits angelaufene Prozesse; zudem gelte eine Kündigungsfrist von einem Jahr.
Die SZ (Tobias Zick) porträtiert den Vizepräsidenten William Ruto.
Großbritannien – Klage gegen Spotify: Der Musik-Streaming-Anbieter Spotify ist wegen Urheberrechtsverletzung verklagt worden. Das Tanzmusik-Label "Ministry of Sound" habe beim Londoner High Court Klage eingereicht, weil Spotify unerlaubt Playlists des Labels verwende, berichtet die FAZ (Marcus Theurer) im Unternehmens-Teil.
Chile – Richter entschuldigen sich: Chiles Richter haben sich bei den Opfern der Pinochet-Militärherrschaft entschuldigt. Knapp 40 Jahre nach dessen Putsch konstatiert die chilenische Richtervereinigung laut taz (Jürgen Vogt), dass die Justiz damals versagt habe – obwohl "sie die einzige Institution war, in die die Putschregierung nicht intervenierte".
Sonstiges
Syrien I – Humanitäre Intervention: Auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ begründet der Völkerrechtler Matthias Herdegen, warum ein Angriff auf Syrien zum Schutz elementarer Menschenrechte trotz des in der UN-Charta normierten allgemeinen Gewaltverbots auch ohne Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in seinen Augen völkerrechtlich zulässig ist.
Die Gegenposition vertritt Sven Simon auf verfassungsblog.de. Internationale Schutzverantwortung bedeute "nicht automatisch militärisches Einschreiten" und stelle ohne Beschluss des Sicherheitsrats keine Rechtsgrundlage für einen Militärschlag dar.
Syrien II – Assad vor IStGH? Ebenfalls auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ vertritt der Strafrechtler Kai Ambos die Auffassung, dass eine Strafaktion gegen das syrische Regime nur über den Internationalen Strafgerichtshof laufen dürfe. Vorschläge, "durch militärische Gewalt" zu strafen, offenbarten dagegen ein "archaisches Rechtsverständnis". Er schlägt eine auf den Chemiewaffeneinsatz gestützte Überweisung des Falles durch den UN-Sicherheitsrat vor und erläutert, warum der Einsatz von Giftgas völkerrechtswidrig und von Statut des Gerichtshofs erfasst ist.
Das Letzte zum Schluss
Haftbefehl gegen schwarzfahrende Oma: In Wuppertal hat das Amtsgericht Haftbefehl gegen eine 87-jährige Frau erlassen. Die als "Oma Gertrud" bekannte Frau war einer Gerichtsverhandlung ferngeblieben. Schon im Juni war "Oma Gertrud" in Haft – weil sie eine Geldstrafe wegen Schwarzfahrens in Höhe von 400 Euro nicht bezahlen konnte und ersatzweise in Haft musste, berichtet spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. September 2013: Mollath-Unterbringung verfassungswidrig – Klagerecht von Umweltverbänden – Haftbefehl gegen "Oma Gertrud" . In: Legal Tribune Online, 06.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9507/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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