Fortsetzung in München: Nach einer Sommerpause geht der NSU-Prozess weiter. Außerdem in der Presseschau: Verfassungsschutzreform in Bremen, Insolvenzstreit wegen Q-Cells, Entscheidung bei Suhrkamp, Syrien und das Völkerrecht sowie Büroverbot für dreibeinige Hündin.
Thema des Tages
NSU-Prozess: Nach einem Monat sommerbedingter Unterbrechung wird am heutigen Donnerstag vor dem Oberlandesgericht München das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe u.a. fortgesetzt.
Die FAZ (Karin Truscheit) gibt einen ausführlichen Rückblick auf das bisherige Prozessgeschehen und lässt hierzu einen Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft zu Wort kommen, der sich mit dem bisherigen Verlauf "sehr zufrieden" zeigt. Dagegen bemängelten Vertreter der Nebenkläger, dass ihre Bemühungen, durch Zeugenvernehmungen mehr zu den Hintergründen der Taten zu erfahren, bislang weitgehend erfolglos geblieben seien und sie hierzu auch keine Unterstützung der Anklagebehörde erfahren hätten. Es sei das Verdienst des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, die "widerstreitenden Interessen der Prozessbeteiligten auszutarieren." Fortgesetzt werde der Prozess mit der Beweisaufnahme "in einem der umfangreichsten Strafverfahren der jüngsten deutschen Rechtsgeschichte."
Ein weiterer Beitrag der FAZ (Helene Bubrowski) beschäftigt sich mit Richter Götzl. Nach anfänglichen Anfeindungen seien "alle Seiten voll des Lobes" über ihn. Denn er habe es geschafft, das komplexe und umfangreiche Verfahren in geordnete Bahnen zu bringen. Hilfreich sei hierbei, dass er den umfangreichen Prozessstoff "bis ins Detail parat" habe und seinen Gerichtssaal "genauso wenig zu einem Untersuchungsausschuss wie zu einer Bühne für politische Propaganda" machen lasse.
Rechtspolitik
Transplantationen: Nach dem nun vorgelegten Bericht einer Prüfkommission der Kassen und Krankenhäuser sowie der Bundesärztekammer ist in den Jahren 2010 und 2011 in vier deutschen Transplantationszentren "schwerwiegend" gegen geltende Richtlinien zur Vergabe von Spenderorganen verstoßen worden. Der Bericht der FAZ (Henrike Roßbach) zitiert Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), nach dem die Ergebnisse einen "Transplantationsskandal", aber keinen "Organspendeskandal" belegen. Eine staatliche Kontrolle des Gesundheitswesens über die Überwachung durch Selbstverwaltung hinaus sei daher nach Ansicht des Minister nicht angezeigt.
Heike Haarhoff (taz) kommentiert die Erkenntnisse als Versagen der Politik. Statt "Minireformen" wie der leichten Verschärfung des Transplantationsgesetzes sei der Gesetzgeber dazu berufen, die "brutale Frage" zu beantworten, wer ein Organ erhalte und wer nicht. Seine demokratische Legitimation erlaube im Gegensatz zu den Richtlinien der Bundesärztekammer ein Nachdenken über Gerechtigkeit und darüber, was der Gesellschaft "die Solidarität mit Kranken" wert sei.
Verfassungsschutzreform: Nach Meldung der FAZ (Robert von Lucius) hat der Bremische Senat den Entwurf eines Verfassungsschutzgesetzes verabschiedet, nach dem das Amt künftig als Abteilung des Innensenats organisiert wird und der Einsatz von V-Leuten strengeren Anforderungen unterworfen wird. Nach Billigung der Bremischen Bürgerschaft könne das Gesetz zum Jahreswechsel in Kraft treten.
Gedenkstättenbesuchspflicht: Den Vorschlag der schleswig-holsteinischen Kulturministerin Anke Spoorendonk (SSW), Schüler des Bundeslandes gesetzlich zu mindestens einem Besuch einer NS-Gedenkstätte zu verpflichten, kommentiert Benno Schirrmeister (taz-Nord) zurückhaltend. Erfahrungen der DDR zeigten, dass die verfolgte Absicht, ein "Wachstum des Neonazismus einzudämmen", nur bedingt erfolgversprechend sei. Tatsächlich habe der Umgang mit "Nazi-Zeit und Holocaust keine verbindliche Form."
Justiz
Anwälte am BGH: Die in § 78 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung normierte, beschränkte Zulassung von Anwälten beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen ist nicht nur grundsätzlich umstritten, sondern seit kurzem auch Gegenstand eines beim Verwaltungsgericht Karlsruhe anhängigen Verfahrens. Ein Beitrag auf lto.de (Claudia Kornmeier) stellt Rechts- und Sachlage vor und nennt Argumente für und wider das als "intransparent" kritisierte Auswahlverfahren.
BSG zu Elterngeld: Eine Frau, die ihr Kind in einem Gefängnis aufzieht, hat keinen Anspruch auf Elterngeld, weil der dortige Haushalt nicht dem im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz geregelten, eigenen entspricht. Dies entschied das Bundessozialgericht auf die Klage einer Frau, die zwei Jahre lang mit ihren Sohn in einer gefängniseigenen Mutter-Kind-Einrichtung lebte und einer Arbeit nachging, schreibt Liz Collet im Jus@Publicum-Blog.
VGH Hessen zu Flugrouten: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat nach Bericht der taz (Arno Frank) einen Stopp der sogenannten Südumfliegung am Frankfurter Flughafen verfügt. Die Festlegung dieser Route hätte nicht den rechtlichen Anforderungen entsprochen. Geklagt hatten mehrere Gemeinden und Betroffene mit Unterstützung des rheinland-pfälzischen Verkehrsministeriums.
OLG Hamm zu Erektionsstörungen: Das Oberlandesgericht Hamm hat die Schadensersatzklage eines 62-jährigen abgewiesen, der nach einer fachgerecht ausgeführten Prostataoperation unter Erektionsstörungen und Problemen bei der Ejakulation litt. Wie die FAZ (Helene Bubrowski) schreibt, sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Ejakulationsprobleme zwangsläufige Folge der medizinisch indizierten Operation gewesen seien und der Kläger hierüber auch ausreichend aufgeklärt wurde. Die Erektionsstörungen hingegen stammten nicht von dem Eingriff. Auch lto.de berichtet.
LG Frankfurt – Q-Cells: Nach Bericht des Handelsblatts (Georg Weishaupt) hat der Insolvenzverwalter des einst weltgrößten Herstellers von Solarzellen, Q-Cells, beim Landgericht Frankfurt eine Klage gegen eine renommierte Anwaltskanzlei eingereicht. Bezweckt werde die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen gegen die Kanzlei, die Q-Cells Beratungsleistungen zu einer Zeit in Rechnung gestellt haben soll, als das Unternehmen "eigentlich schon insolvent war." Die Welt (Sven Clausen) erläutert die Hintergründe und weiß von einer geplanten Klage gegen die Ex-Vorstände des Unternehmens und "einige der namhaftesten Beraterfirmen der Republik" zu berichten. Sollte der Insolvenzverwalter, der sich u.a. mit einem Gutachten eines früheren BGH-Richters gewappnet habe, Erfolg haben, "könnte dies den Umgang mit insolvenzbedrohten Firmen verändern."
LG Würzburg – Volksverhetzung: Über den Verlauf einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Würzburg gegen den vorbestraften Neonazi Martin Wiese schreibt die SZ (Tanjev Schultz). Der Angeklagte war erstinstanzlich wegen Drohungen im Rahmen einer Rede auf einem "Nationalen Frankentag" vor zwei Jahren u.a. wegen Volksverhetzung zu 21 Monaten Haft verurteilt worden und versuche nun, sich als unpolitisch darzustellen.
VG Frankfurt zu Salafistenkongress: Die FAZ (Katharina Iskandar) meldet, dass nach Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt ein städtisches Verbot des für den kommenden Samstag vom salafistischen Prediger Pierre Vogel veranstalteten "2. Islamischen Friedenskongress" rechtswidrig ist. Die beklagte Stadt habe erfolglos argumentiert, dass der Salafismus als extremistische Form des Islam verfassungswidrig sei und die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Sie beabsichtige nun die Anrufung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes.
AG Berlin-Charlottenburg zu Suhrkamp: Das Amtsgericht Charlottenburg von Berlin hat den Insolvenzplan des Suhrkamp-Verlages an die Verfahrensbeteiligten verschickt und damit gebilligt, schreibt die FAZ (Sandra Kegel) in ihrem Feuilleton. Der Plan sehe die Umwandlung des Verlages in eine Aktiengesellschaft vor, ein Widerspruch sei bislang nicht eingegangen und werde auch nicht mehr erwartet. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach habe damit "auf ganzer Linie" verloren, konstatiert das Blatt und hofft, dass künftig nur noch über Bücher debattiert werde "und nicht mehr über juristische Schriftsätze".
Strafbefehl gegen Staatssekretärin: Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat beim örtlichen Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls gegen Zülfiye Kalkin (SPD), Staatssekretärin für Arbeit und Integration in Nordrhein-Westfalen, wegen Beihilfe zum Betrug beantragt. Als Geschäftsführerin einer Begegnungsstätte soll Kaykin einen Mitarbeiter beschäftigt haben, der gleichzeitig Sozialleistungen bezog und ihn wahrheitswidrig als geringfügig Beschäftigten angemeldet haben, schreibt die SZ (Henz). Zwar habe sich der zwischenzeitlich im Raum stehende Verdacht schwarzer Kassen zur Mitarbeiterentlohnung nicht erhärtet, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) habe Kaykin gleichwohl entlassen.
Ermittlungen zu "Peggy": Über neue Erkenntnisse zum Verschwinden eines 2001 als vermisst gemeldeten 9-jährigen Mädchens schreibt die FAZ (Karin Truscheit). Zwar habe das Landgericht Hof 2004 einen Mann wegen Mordes an "Peggy" verurteilt, der nun untergebrachte geistig Behinderte habe sein zwischenzeitliches Geständnis jedoch vor Gericht widerrufen und ein Leichnam sei nie gefunden worden. Die Polizei verdächtige jetzt einen Mann aus dem persönlichen Umfeld der Familie des Opfers. Auch die SZ (Katja Auer) berichtet.
NS-Verbrechen: Die Ermittlungen gegen Wachleute des Konzentrationslagers Auschwitz kommentiert Klaus Hillenbrand (taz) als "zivilisatorischen Fortschritt". Ein Strafprozess bezwecke nicht Rache, sondern Sühne für begangene Verbrechen. Diese müssten die nun Beschuldigten trotz ihres hohen Alters und des Umstandes, dass die "juristische Aufarbeitung der Naziverbrechen in der Bundesrepublik über Jahrzehnte eine Geschichte von Wegschauen und Versagen war", endlich leisten.
Recht in der Welt
Frankreich - NS-Verbrechen: Im Rahmen eines längeren Berichts über den Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck in Oradour-sur-Glane/Frankreich, Ort eines 1944 von einer bewaffneten SS-Einheit verübten Massakers, erinnert die FAZ (Michaela Wiegel) an die juristische Aufarbeitung der Tat. Diese sei bislang sowohl in Deutschland als auch in Frankreich "unzureichend" gewesen. So seien im Nachbarland 1953 zwar an der Tat beteiligte Elsässer verurteilt worden. Die Freiwilligkeit dieser sogenannten Volksdeutschen sei jedoch nach wie vor umstritten, wie ein noch anhängiger Rechtsstreit eines Überlebenden mit einem Verband der sogenannten Zwangsrekrutierten belege.
Syrien – Völkerrecht: Mit den völkerrechtlichen Aspekten einer militärischen Intervention in Syrien befasst sich ein Beitrag des Rechtsprofessors Hans-Joachim Heintze auf lto.de. Der Völkerrechtler hält das Konzept der Schutzverantwortung, nach dem die Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten bei einem schweren Verstoß in einem Staat auf die gesamte Staatengemeinschaft übergeht, für nicht ausreichend zur Legitimierung einer Strafaktion gegen das Assad-Regime. Stattdessen sollte der Sicherheitsrat der UNO den Fall dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterbreiten, um diesen zu Ermittlungen gegen Syrien zu veranlassen. Ein Beitrag der FAZ (Reinhard Müller) erinnert daran, dass drei der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – Russland, China und die USA – gleich Syrien das Statut des IStGH bislang nicht ratifiziert hätten.
Türkei – Anwälte hinter Gittern: Die Zeit (Michael Thumann/Onur Burcak Belli) stellt zwei türkische Anwälte vor, die wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte aufgrund eines "Anti-Terror-Gesetzes" festgenommen wurden und denen nun langjährige Haftstrafen drohen würden.
China – Tourismusgesetz: Die SZ (Kai Strittmatter) schreibt über ein im Oktober in Kraft tretendes Tourismusgesetz in China, nach dem Touristen, die sich im Ausland daneben benehmen würden mit Sanktionen zu rechnen haben. Die Regelung ziele auf eine Verbesserung des chinesischen Images in der Welt ab und solle erreichen, dass Auslandsreisende künftig seltener rüpelhaftes Benehmen an den Tag legten. Flankiert werde sie durch Aufklärungskampagnen in staatlichen Medien.
Sonstiges
Kündigungsgrund Rauchen: Aus Anlass der jüngst vom Amtsgericht Düsseldorf bestätigten Mietkündigung eines Kettenrauchers gibt die SZ (Catrin Gesellensetter) in ihrem Geld-Teil einen umfangreichen Überblick zur Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen und lässt hierzu zahlreiche Experten zu Wort kommen. Zusammenfassend sei "Stinken erlaubt."
Stellenwechsel: Die FAZ (Joachim Jahn) meldet, dass der namhafte Wirtschaftsanwalt Christoph Wagner seinen Arbeitsplatz in der Kanzlei Hogan Lovells mit unbekannten Ziel verlassen habe und mutmaßt, dass der Grund hierfür in einem Gastbeitrag des Anwalts für die Zeitung vom Mai liegen könnte. Wagner habe in diesem Beitrag die von der Deutschen Telekom angekündigte Datendrosselung als möglicherweise kartellrechtswidrig bezeichnet. Der Konzern sei ein großer Mandant der Kanzlei.
Verlag C.H. Beck: Die Zeit (Alexander Cammann) würdigt in ihrem Feuilleton den Münchner Verlag C.H. Beck, dessen juristischer Verlagsteil "gleichsam die normative Basis der Bundesrepublik bildet", anlässlich dessen bevorstehenden 250. Geburtstags.
Das Letzte zum Schluss
Ich muss draußen bleiben: Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf bleibt es der Mitarbeiterin einer Werbeagentur weiterhin verwehrt, ihre dreibeinige Hündin mit zur Arbeit zu nehmen. Zwar habe das Tier in einem Termin vor Gericht durch seinen "treuen Blick die Herzen der Zuschauer erobert", schreibt Rechtsprofessor Markus Stoffels im blog.beck.de. Im Büro könne dies nach Worten der entscheidenden Richterin aber "natürlich ganz anders aussehen", weswegen "Kaya", so der Name der Dreibeinerin, künftig daheim bleiben müsse.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. September 2013: Fortsetzung im NSU-Prozess – Transplantationsskandal – Entscheidung bei Suhrkamp . In: Legal Tribune Online, 05.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9496/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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