Auch im Monat nach der Bundestagswahl besteht noch rechtspolitischer Diskussionsbedarf zum Wahlrecht. Zudem könnte die für die Europawahl vorgesehene Drei-Prozent-Klausel kippen. Außerdem in der Presseschau: europäisches Strafrecht in der Kritik, LAG gegen BAG, Vorentscheidung bei Suhrkamp, keine Entschädigung für Michael Jackson und Ratten im Dienst der Polizei.
Thema des Tages
Wahlrecht: In einem Gastbeitrag für die Staat und Recht-Seite der FAZ resümiert Rechtsprofessor Frank Schorkopf, dass das zuletzt im Mai geänderte Bundeswahlgesetz seine Belastungsprobe bestanden habe. Die größtenteils auf Verlangen des Bundesverfassungsgerichts bewirkten Änderungen hätten sich bewährt, wie die Nichtanerkennungsbeschwerden von Kleinparteien oder die überschaubare Anzahl von Ausgleichsmandaten belege. Weil jedoch mit einer Wahl der Volkswille zu einem bestimmten Zeitpunkt abgebildet werden solle, sei über eine Verkürzung des Wahlzeitraumes für die Briefwahl nachzudenken. Auch die Fünf-Prozent-Sperrklausel müsse überdacht werden. Der "Integrationsakt der Verhältniswahl" könne nur gelingen, wenn die Anzahl der unberücksichtigten Zweitstimmen relativ gering sei.
taz (Christian Rath) greift diese Diskussion auf und erinnert daran, dass das Gesetz zur Europawahl, bei der im kommenden Jahr eine Drei-Prozent-Sperrklausel gelten soll, vom Bundespräsidenten bislang immer noch nicht unterschrieben und damit auch noch nicht in Kraft getreten ist.
Mit Geschlechtergerechtigkeit durch Wahlrecht setzt sich der Politikwissenschaftler Markus Linden (FAZ) in seinem Gastbeitrag auseinander. Er stellt landesrechtliche Regelungen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg vor, die mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen, den Frauenanteil in kommunalen Vertretungen zu erhöhen.
Rechtspolitik
Asylrecht: Nach einem neuerlichen Flüchtlingsunglück vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa hat die EU-Innenkomissarin Cecilia Malmström ein Umdenken in der europäischen Migrationspolitik gefordert. Nach Bericht der SZ (Javier Caceres) sei hierfür ein verschärfter Einsatz gegen Schleuserbanden und eine bessere Identifizierung von Schiffen in Seenot nötig. Christian Jakob (taz) kommentiert dagegen, dass den Betroffenen ein "mit militärischen Mitteln aufgezogener Grenzschutz", flankiert von einer Justiz, die Seenotretter mit Anklagen wegen angeblicher Schlepperei überziehe, den rettenden Weg nach Europa versperre.
EU-Strafrecht: Die Entwicklung des europäischen Strafrechts durch den Europäischen Haftbefehl oder die künftige Europäische Ermittlungsanordnung kommentiert Heribert Prantl (SZ) anlässlich des Europäischen Strafrechtstages als "Elend." Rechtsschutzgarantien würden in einem "Nirwana" verschwinden, wenn sich Betroffene gegen Maßnahmen nur bei Behörden von Ländern mit zweifelhafter Rechtsstaatlichkeit zur Wehr setzen könnten.
EU – Effizienzprüfung: Die EU-Kommission will Regulierungsvorhaben einer Effizienzprüfung unterziehen. Thomas Ludwig (Handelsblatt) kommentiert dies als "späte Einsicht." Europa müsse lernen, "Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden", bei der nun geplanten "Entschlackung des Regulierungsdickichts", die etwa durch eine Rücknahme der Bodenschutzrichtlinie erreicht werden solle, sei jedoch auch Augenmaß gefragt.
MdB im Gespräch: Lto.de (Claudia Kornmeier) interviewt Rechtsprofessor Heribert Hirte, der für die CDU ein Direktmandat in Nordrhein-Westfalen erobert hat. Hirte erläutert seine Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einem einfacheren Steuerrecht und einer zu schaffenden Strafbarkeit der Verschwendung von Steuermitteln, die er als Mitglied des 18. Deutschen Bundestages durchsetzen will. An der auch von der CDU unterstützten Finanztransaktionssteuer übt der Wirtschaftsrechtler Kritik.
Justiz
EuGH zu Visumspflicht: Eine Analyse des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Visumspflicht für türkische Staatsbürger aus der letzten Woche liefert der Rechtswissenschaftler Hannes Rathke (juwiss.de).
BVerfG zu Zweitberufen von Steuerberatern: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom August das Recht von Steuerberatern zur Ausübung eines Zweitberufes gestärkt. Wie Rechtsanwalt Martin W. Huff für lto.de schreibt, sei das gesetzliche Verbot einer zusätzlichen gewerblichen Tätigkeit zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden, Berufskammer und Vorinstanzen hätten aber intensiver prüfen müssen, ob eine Gefahr der Verletzung berufsrechtlicher Regelungen durch die Zweittätigkeit konkret bestanden habe. Hiermit sei deutlich geworden, dass die Zeit weitreichender Verbote für die Träger verkammerter Berufe vorbei sei.
LAG BaWü zu sachgrundloser Befristung: 2011 hat das Bundesarbeitsgericht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entschieden, dass ein Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen dann nicht greife, wenn die vorherige Beschäftigung mehr als drei Jahre zurückliegt. Nach Meldung von Rechtsprofessor Markus Stoffels (blog.beck.de) probt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg nun in einem Urteil den "Aufstand" gegen diese Auslegung. Sie widerspreche dem Wortlaut der Norm aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz und dem Willen des Gesetzgebers, in jedem Fall hätte das BAG vor seiner Entscheidung eine konkrete Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht einleiten müssen.
OLG Frankfurt zu Suhrkamp: Der Durchführung eines Insolvenzverfahrens beim Suhrkamp-Verlag und der anschließenden Umwandlung in eine Aktiengesellschaft sind nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt die Tore geöffnet. Das Gericht beschloss, dass die von Ulla Unseld-Berkéwicz geführte Familienstiftung dem Insolvenzplan für das Unternehmen entgegen einer vom Minderheitsgesellschafter Hans Barlach erwirkten einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt doch zustimmen kann, schreibt die taz (Christian Rath) und rekapituliert die diversen Verfahren zwischen Barlach und Unseld-Berkéwicz. Nach dem Bericht der SZ (Andreas Zielcke) trägt die jetzige Entscheidung dazu bei, "das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Justiz wiederherzustellen."
LG Mönchengladbach zu Google-Haftung: Thomas Stadler (internet-law.de) stellt ein Urteil des Landgerichts Mönchengladbach von Anfang September vor, nach der Google nicht für ehrverletzende Suchergebnisse haftet. Eine Störereigenschaft bestehe nicht, selbst wenn diese anerkannt würde, könne dem erstrebten Unterlassungsanspruch nicht stattgegeben werden, weil dies mit der Funktionsweise einer grundsätzlich neutralen Suchmaschine unvereinbar wäre.
Markenstreit: Die FAZ (Corinna Budras) schreibt, dass der Computerhersteller Apple seinen "mit großer Verve" beim Deutschen Patent- und Markenamt betriebenen Protest gegen den markenrechtlichen Schutz eines Logos für ein Bonner Stadtteil-Café mit dem Namen "Apfelkind" zurückgenommen hat. Die Gründe seien nicht bekannt.
"Mehmet" auf Buchmesse: Der als jugendlicher Intensivtäter "Mehmet" bekanntgewordene Muhlis Ari will auf der Frankfurter Buchmesse seine Autobiographie vorstellen und hat deshalb beantragt, den seit gut acht Jahren gegen ihn bestehenden Haftbefehl auszusetzen. Die FAZ (K. Iskandar/D. Peikert) schreibt, dass der zuständige Frankfurter Ordnungsdezernent das Anliegen ablehnt, Aris Anwalt sei hingegen optimistisch. Gerichte würden bei Familienfeiern oft Aussetzungen gestatten, die von seinem Mandanten beabsichtigte Verteidigung gegen mediale Stigmatisierung sei ungleich wichtiger.
Recht in der Welt
Griechenland – Goldene Morgenröte: Der Chef der griechischen Neonazi-Partei Goldene Morgenröte bleibt nach Entscheidung eines Athener Untersuchungsrichters vorerst in Haft. Die SZ (Christiane Schlötzer) schreibt, dass zuvor drei andere Abgeordnete der Partei überraschend entlassen wurden. Die Regierung des Landes plane weiterhin, die Partei als kriminelle Vereinigung belangen zu können.
Irland – Sparmaßnahmen: In Irland entscheiden die Bürger in einem Referendum über die Abschaffung des Senats, dem neben Abgeordnetenhaus und Staatspräsidenten dritten Element des Gesetzgebungsprozesses des Landes. Wie die taz (Ralf Sotschek) schreibt, bewirbt die rechtsgerichtete Regierungskoalition das Vorhaben vor allem mit Einsparungseffekten, auch die linke Opposition sei für die Abschaffung, weil Senatoren ernannt und nicht gewählt werden.
Russland – Greenpeace: Greenpeace-Aktivisten, die vor zwei Wochen gegen eine Bohrinsel eines russischen Ölkonzerns in der Arktis protestiert hatten, werden nach Bericht der SZ (Julian Hans) womöglich schon an diesem Freitag vor Gericht gestellt. Weil sie sich der Bohrinsel mit Schlauchbooten genähert hatten, werfe ihnen das Ermittlungskomitee bandenmäßige Piraterie vor.
USA – Michael Jackson: Eine millionenschwere Entschädigungsklage der Hinterbliebenen Michael Jacksons ist von einem Gericht in Los Angeles/USA abgewiesen worden. Wie die SZ (Jürgen Schmieder) schreibt, habe der beklagte Konzertveranstalter zwar den wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Arzt des "King of Pop" engagiert, dieser sei aber grundsätzlich qualifiziert und geeignet gewesen.
Sonstiges
NSU-Ermittlungspannen: Der im NSU-Verfahren mitangeklagte Carsten S. machte in seiner Aussage im Juni Angaben zu einem bis dato offenbar unbekannten weiteren Anschlag des Trios. Holger Schmidt (SWR-Terror-Blog) schreibt über seine Fassungslosigkeit bei der Lektüre der Ermittlungsakte zur "Nürnberger Taschenlampenbombe." Die im Juni 1999 eingeleiteten Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung wurden nach sechs Monaten eingestellt.
Datenschutz-Aktivist: Spiegel.de (Frank Patalong) informiert über den erfolglosen Kampf Ladar Levisons gegen das US-amerikanische FBI. Levison sei als Betreiber des angeblich sicheren E-Mail-Dienstes Lavabit von der Ermittlungsbehörde bedrängt worden, ihr den Zugriff auf Nachrichten des Whistleblowers Edward Snowden zu ermöglichen. Anstelle des ebenfalls geforderten Zugriffs auf seine Sicherheitstechnik stellte der Programmierer den Betrieb von Lavabit im August ein. Das Verbot, über die Gründe zu berichten, sei nach der Veröffentlichung von Vernehmungsakten hinfällig geworden.
Das Letzte zum Schluss
Spürnasen: Seit langem gehören Spürhunde zur täglichen Ermittlungsarbeit zur Polizei. Niederländische Polizisten haben eine neue vierbeinige Verstärkung aufgetan – Ratten. Seit zwei Jahren trainiert eine Projektgruppe den Einsatz der Nager beim Erschnüffeln von Schießpulverrückständen und Drogen, erste Tests verliefen vielversprechend, meldet die taz.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Oktober 2013: Wahlrecht auf dem Prüfstand – Aufstand gegen BAG – Vorentscheidung bei Suhrkamp . In: Legal Tribune Online, 04.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9732/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag