Fast siebzig Jahre ließ die Justiz sie in Ruhe. Jetzt wird doch noch gegen KZ-Wachleute des Lagers Auschwitz-Birkenau ermittelt. Außerdem in der Presseschau: BVerfG zum Nato-Bombardement der Brücke von Varvarin, Strafanzeige von Julian Assange und warum ein Amtsgericht in Mittelhessen über eine gefährliche Kuh verhandelt.
Thema des Tages
KZ-Wachleute: Die Ludwigsburger Zentralstelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen hat Vorermittlungsverfahren gegen 30 KZ-Wachleute aus dem Lager Auschwitz-Birkenau abgeschlossen und die Informationen an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Den ehemaligen Wachleuten drohen nun Anklagen wegen Beihilfe zum Mord. Das berichten u.a. die FAZ (Rüdiger Soldt), die FR (Ursula Knapp) und die taz (Christian Rath). Die Artikel setzen sich auch mit der bisherigen Rechtsprechung zu KZ-Wachleuten auseinander.
Die Welt (Sven Felix Kellerhoff) erläutert in ihrer Berichterstattung, dass ein vierter großer Auschwitz-Prozess rechtlich nicht möglich gewesen wäre. Es wäre den alten Männern wohl nicht zumutbar gewesen, regelmäßig zu einem zentralen Prozessort anzureisen.
Oradour: An diesem Mittwoch besucht Bundespräsident Gauck die französische Ortschaft Oradour, in der 1944 die Waffen-SS ein Massaker mit 642 Toten verübte. Die FAZ (Lena Bopp) berichtet im Feuilleton lobend von Ermittlungen der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Dortmund.
Rechtspolitik
Anti-Doping-Gesetz: In zwei Beiträgen lässt lto.de die Argumente für und wider ein Anti-Doping-Gesetz zusammenfassen. Für ein Gesetz spricht sich Rechtsprofessor Jens Adolphsen aus. Rechtsgut sei der wirtschaftliche Wettbewerb, sowie Fairness und Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb. Der Sportler sei nicht Opfer, sondern als "Zentralgestalt des Geschehens" selber Täter. Gegen ein Gesetz argumentiert Anwalt Rico Kauerhof: "Nicht alles, was gesellschaftlich oder moralisch unerwünscht ist, sollte strafbar sein".
Residenzpflicht für Flüchtlinge: Heribert Prantl (SZ) kritisiert, dass in Bayern und Sachsen noch immer die Freizügigkeit von Flüchtlingen durch eine so genannte Residenzpflicht beschränkt ist. Diese verstoße gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, sei eine Schikane und der Begriff "Residenz" sei eine Verhöhnung armer Menschen.
Großprozesse: Karl Huber, der Präsident des Oberlandesgerichts München plädiert als Reaktion auf den NSU-Prozess für drei Gesetzesänderungen, berichtet die SZ (Tanjev Schultz). Erstens soll die Übertragung des Prozesses in einen Nebenraum zugelassen werden. Zweitens solle es kein Revisionsgrund mehr sein, wenn zum Beispiel einem Botschafter ein fester Sitzplatz garantiert wird. Drittens soll die Zahl der Nebenkläger und ihrer Anwälte in solchen Verfahren begrenzt werden.
BVerfG zu Kriegsopfern: Das Bundesverfassungsgericht hat Schadensersatzansprüche von serbischen Klägern im Zusammenhang mit einem Nato-Angriff auf die Brücke des Städtchens Varvarin abgelehnt, bei dem 1999 zehn Menschen starben. Das Völkerrecht kenne keine individuellen Ansprüche gegen Staaten. Und Amtshaftung scheide jedenfalls im konkreten Fall aus, da deutsche Stellen für den Angriff nicht verantwortlich waren. Es berichten spiegel.de und die taz (Christian Rath). Der Verfassungsblog (Max Steinbeis) beschreibt, wie das BVerfG künftige Klagen erleichtert und dabei den BGH korrigierte. Christian Rath (taz) kommentiert: "Manchmal sorgen aussichtslose Fälle doch für Fortschritte."
BGH zu Filehostern: Der Bundesgerichtshof hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil die Haftung von Filehosting-Diensten wie Rapidshare verschärft. Wenn ein Geschäftsmodell Urheberrechtsverletzungen erheblich Vorschub leistet, müsse der Betreiber regelmäßig prüfen, ob es zu derartigen Rechtsbrüchen komme. Das berichten die FAZ (Corinna Budras) und netzpolitik.org (Leonhard Dobusch).
AG Frankfurt zu Gäfgens Entschädigung: Das Amtsgericht Frankfurt/Main hat entschieden, dass der Entführer und Mörder Magnus Gäfgen eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro behalten kann und nicht an seinen Insolvenzverwalter abgeben muss. Das schreibt die FR (Pitt von Bebenburg). Gäfgen hatte das Geld als Ausgleich für eine Folterdrohung zugesprochen bekommen.
LG Mainz – Christoph Böhr: Der ehemalige CDU-Vorsitzende von Rheinland-Pfalz und drei Mitangeklagte müssen sich wegen Veruntreuung von Fraktionsgeldern vor dem Landgericht Mainz verantworten. Er soll 2006 Fraktionsgelder für den Wahlkampf der Partei verwendet haben. Vom ersten Verhandlungstag berichten die FAZ (Thomas Holl) und spiegel.de.
LG Göttingen – Organtransplantation: Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet vom jüngsten Verhandlungstag im Prozess gegen den Transplantationschirurgen Aiman O. am Landgericht Göttingen. Dort ging es vor allem um die – eigentlich verbotene - Transplantation von Lebern an Alkoholkranke und die Manipulation von Wartelisten.
Assange zeigt Spionage an: Der Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange hat bei der Bundesanwaltschaft einen US-Bürger der geheimdienstlichen Tätigkeit in Deutschland angezeigt. Er soll Assange 2009 bei einem Kongress des Chaos Computer Clubs ausspioniert haben. Das berichtet die SZ (Hans Leyendecker/John Goetz – Zusammenfassung auf sueddeutsche.de). Außerdem gehe es um den Diebstahl eines Koffers mit Geheimmaterial sowie um politische Verdächtigung (§ 241a StGB) zulasten des Whistleblowers Bradley Manning.
Fall Mollath: Das ausführliche Zeit-Interview mit Mollath-Anwalt Gerhard Strate ist jetzt auf zeit.de zugänglich.
Recht in der Welt
Kenia – IStGH: Das kenianische Parlament wird voraussichtlich diese Woche über einen Austritt aus dem Rom-Statut abstimmen, das dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zugrunde liegt. Hintergrund sind bevorstehende Prozesse gegen den Präsidenten Uhuru Kenyatta und Vizepräsident William Ruto. Ein Austritt könnte die Den Haager Prozesse nicht verhindern, da der Schritt erst ein Jahr nach Beschluss wirksam würde, schreibt die taz (Dominic Johnson).
Syrien – pädagogische Intervention: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tim René Salomon beschreibt auf dem Juwiss-Blog den geplanten Strafbeschuss syrischer Stellungen als lediglich "pädagogische" Intervention, die nicht das Ziel habe, humanitäre Ziele zu erreichen. Die völkerrechtliche Illegalität stehe "außer Zweifel".
Ägypten – Muslimbrüder: Ein ägyptisches Militärgericht verurteilte 52 Muslimbrüder zu langjährigen Haftstrafen, berichtet spiegel.de. Sie sollen nach dem Sturz von Präsident Mursi in Suez Soldaten mit Schrotschüssen angegriffen haben.
Das Letzte zum Schluss
AG Dillenburg - Gefährliche Kuh: Das Amtsgericht Dillenburg (Mittelhessen) verhandelt gegen eine Bäuerin wegen fahrlässiger Tötung. Sie habe die Flucht einer Kuh nicht verhindert und diese auch nicht wieder eingefangen, so spiegel.de. Die trächtige Kuh habe dann eine Spaziergängerin getötet, weil sie sich wohl vom mitgeführten Hund bedroht fühlte. Noch ist aber unklar, ob die Kuh überhaupt die "Täterin" war oder nur nachträglich die Leiche abgeleckt hat.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. September 2013: Spätes Vorgehen gegen KZ-Wachleute – BVerfG zu serbischen Kriegsopfern – Assange zeigt Spionage an . In: Legal Tribune Online, 04.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9485/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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