Nachdem am Wochenende Pläne für eine Verschärfung des Prostitutionsrechts bekannt wurden, wird das Vorhaben in der Presse kritisch hinterfragt. Außerdem in der Presseschau: Strafrechts-Professoren wollen Cannabis-Legalisierung, Belgien will Euthanasie auch für Kinder, SPD-Mitgliederentscheid und Grundgesetz sowie ein absurder Titelstreit unter Anwälten.
Thema des Tages
Prostitution: Die taz (Heide Oestreich) führt ein Interview mit einem anonymen "Polizei-Insider" über die am Wochenende bekannt gewordenen Pläne der Großen Koalition zur Strafbarkeit des Verkehrs mit Zwangsprostituierten. In seinen Augen nütze es nichts, Freier bestrafen zu wollen.
Udo Vetter (lawblog.de) hält den Anwendungsbereich der geplanten Vorschrift für bestenfalls sehr eng: Die meist psychische Zwangslage von Zwangsprostituierten sei für Kunden meist nicht erkennbar; nutze ein Kunde bewusst eine erkannte Notsituation aus, sei das auch heute schon strafbar. Er mutmaßt, dass die Gesetzesverschärfung daher eher der Abschreckung und damit als "moralischer Hebel" gegen Prostitution im Allgemeinen fungieren solle. Simone Schmollack (taz) hebt daneben hervor, dass ein solches Gesetz die Anzeigebereitschaft von Verdacht schöpfenden Freiern noch weiter senke. Unter anderem deswegen seien Experten und Menschenrechtsorganisationen gegen ein solches Gesetz.
Rechtspolitik
Cannabis-Petition: 106 Strafrechtsprofessoren fordern in einer Petition an den Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Beratung über die Legalisierung von Cannabis. lto.de (Constantin van Lijnden) führt ein Interview mit dem Initiator, dem Bremer Emeritus Lorenz Böllinger.
Koalitionsvertrag und Arbeitsrecht: Auf dem Handelsblatt Rechtsboard gibt der Rechtsanwalt Björn Gaul einen Überblick über die arbeitsrechtlichen Reformprojekte des schwarz-roten Koalitionsvertrags. Er konstatiert dabei hohe Kosten für die Wirtschaft.
Schadensersatz für Kartellopfer: In der Europäischen Union sollen Opfer von Kartellen künftig leichter auf Schadensersatz klagen können. So solle der Zugang zu Dokumenten der Aufsichtsbehörden erleichtert werden. Darauf haben sich laut spiegel.de die Industrieminister der Mitgliedstaaten geeinigt. Umstritten sei der Umgang mit Kronzeugen.
Justiz
NPD-Verbotsantrag: Wolfgang Janisch (SZ) begrüßt, dass der NPD-Verbotsantrag die Partei "beim Wort" nehme und so ihr "Wesen" als das einer Partei herausarbeite, die die "Grundpfeiler unserer Verfassung" ablehne. Eine solche Vereinigung habe die grundgesetzlichen Privilegien, die Parteien genössen, nicht verdient. Jaques Schuster (Welt) pflichtet dem bei: "Keine Duldung also für die Feinde der Duldung!"
zeit.de gibt einen Überblick über die Pressekommentare zum Verbotsantrag.
OLG Stuttgart – Deutscher Talib: Die FAZ (Reiner Burger) berichtet knapp vom Auftakt des Terrorprozesses gegen den mutmaßlichen "deutschen Talib" Josef D. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart am gestrigen Montag. Die Bundesanwaltschaft werfe dem 31jährigen Angeklagten vor, Mitglied der "Deutschen Taliban Mudschahedin" gewesen zu sein.
LG Lübeck – fahrlässige Tötung durch Entlassung: Vor dem Landgericht Lübeck hat am gestrigen Montag der Prozess gegen eine Ärztin der Lübecker Psychiatrie wegen fahrlässiger Tötung begonnen. Sie hatte einen Mann aus der Klinik entlassen, der nachts zuvor wegen psychischer Probleme von der Polizei eingeliefert worden war. Darauf tötete dieser seine Mutter. Der Ärztin werde nun vorgeworfen, den Mann trotz in der Nacht vor der Entlassung geäußerter Tötungsdrohungen ohne eingehende Untersuchung entlassen zu haben, berichtet spiegel.de (Hendrik Ternieden).
OLG Hamm zu Unfallvideo: Die Online-Videoplattform YouTube muss das Video eines fünf Jahre zurückliegenden tödlichen Verkehrsunfalls nicht löschen, obwohl der Verursacher darauf zu erkennen ist. Laut lto.de begründete das Oberlandesgericht Hamm seine Entscheidung mit dem öffentlichen Interesse an dem Fall um einen deutschen Lehrer mit Diplomatenstatus in Moskau.
LG Ulm – Unterlassungsklage gegen Sparkasse: Nach einem Bericht des Handelsblatts (Anke Rezmer/Elisabeth Atzler) geht die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg mit einer Unterlassungsklage gegen die Sparkasse Ulm vor, die unter Berufung auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen hochverzinste langjährige "Scala"-Sparverträge kündigen wolle.
ArbG Villingen Schwenningen – Heckler & Koch: Am heutigen Dienstag beginnt vor dem Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen ein Prozess, in dem es um illegale Waffenlieferungen nach Mexiko geht. Zwei ehemalige Mitarbeiter klagen gegen ihre mit diesen Lieferungen begründete Kündigung; entgegen der Darstellung der Geschäftsführung habe diese von den Geschäften gewusst. Laut taz (Wolf-Dieter Vogel) ermittelt auch die Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz – nicht nur gegen die beiden Gekündigten.
ArbG München – Siemens-Personalchef: Die SZ (Caspar Busse) berichtet über den vor dem Arbeitsgericht München anhängigen Prozess zwischen dem freigestellten Siemens-Personalchef Walter Huber und seinem Arbeitgeber. Huber klage auf Weiterbeschäftigung, da Siemens ihn ohne den Vorwurf eines Fehlverhaltens von seiner Arbeit fernhalte; ihm gehe es im Rehabilitation. Auf Verlangen des Richters müsse das Unternehmen diese Entscheidung nun bis Anfang Januar erklären. Auch das Handelsblatt (Axel Höpner) berichtet.
StA Bochum – neue Leiterin: Das Handelsblatt (Jan Keuchel) porträtiert die neue Leiterin der Bochumer Staatsanwaltschaft, Petra Berger-Zehnpfund. Die als "knallhart" geltende Juristin bringe umfangreiche Erfahrungen mit komplizierten Wirtschaftsstrafsachen mit.
Recht in der Welt
Ägypten – Verfassungsentwurf: Die taz (Karim El-Gawhary) präsentiert den am Wochenende vorgelegten neuen ägyptischen Verfassungsentwurf. Dieser stärke einerseits das Militär, sehe andererseits aber auch Grundrechte vor. Nun stehe ein Referendum über den Entwurf an, die Diskussion werde aber durch Pläne für ein restriktives Demonstrations- und Versammlungsgesetz überschattet. Die FAZ (Markus Bickel) fasst den Entwurf mit den Worten "Mehr Militär, weniger Religion" zusammen.
Karim El-Gawhary (taz) kommentiert, wie gut ein Entwurf sein könne, von dessen Erarbeitung "ein nicht unwesentlicher Teil der politischen Landschaft ausgeschlossen" gewesen sei während "gleichzeitig auf den Straßen der Polizeistaat" getobt habe. Tomas Avenarius (SZ) glaubt nicht, dass das Militär bloß mit "etwas Verfassungskosmetik" davonkommen werde – das zeigten die wachsenden Proteste im Land.
Frankreich – Anklage gegen EADS-Aktionäre: Die Pariser Staatsanwaltschaft hat gegen frühere Großaktionäre und Manager des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS Anklage wegen Insiderhandels erhoben. Unter anderem Daimler und Lagardère werde vorgeworfen, im Jahr 2006 vor der Bekanntgabe von Verzögerungen bei der Produktion des A380 große Anteile abgestoßen zu haben, berichten Handelsblatt (Markus Fasse) und zeit.de.
Frankreich – Urteil gegen Streamingdienste: Wie die FAZ (Fridtjof Küchemann) in ihrem Feuilleton berichtet, hat ein Pariser Gericht auf die Klage von Verbänden der Filmwirtschaft hin entschieden, dass Internet-Provider und Suchmaschinenanbieter den Zugang zu Streamingseiten sperren und ihre Einträge aus Suchindizes löschen müssen, wenn dort urheberrechtlich geschützte Inhalte verbreitet würden. In Deutschland sei ein solches Urteil derzeit aber kaum möglich.
Österreich – Prozess wegen Zinswette: Wegen hochriskanter Finanzgeschäfte finden sich im österreichischen Linz ein früherer Finanzstadtrat sowie der ehemalige Finanzdirektor der Stadt vor dem Landgericht wieder. Wie die FAZ (Michaela Seiser) berichtet, wird beiden wegen einer Zinswette, die die Stadt 24 Millionen Euro gekostet haben soll, Untreue vorgeworfen.
Belgien – Euthanasie auch für Kinder: Die FAZ (Oliver Tolmein) berichtet im Feuilleton über einen Gesetzentwurf der belgischen Regierung, nach dem auch einwilligungsfähige Kinder und Jugendliche im Falle einer tödlichen Erkrankung die Tötung durch einen Arzt verlangen können sollen. Anders als bei Erwachsenen solle eine psychische Erkrankung aber nicht ausreichen. Auch zeit.de (Tobias Müller) berichtet.
UNO – Menschenrechte und Investitionsschutz: Das Handelsblatt (Christoph Schlautmann) berichtet über Tendenzen in der UNO, den durch Investitionsschutzabkommen vermittelten Schutz für ausländische Investoren künftig stärker mit den Menschenrechten zu verknüpfen. Was im Grundsatz "keine schlechte Idee" sei, könne aber zu Rechtsunsicherheiten und willkürlichen Enteignungen führen.
Juristische Ausbildung
Kanzlei-Praktika: Für das Handelsblatt analysiert Aled Griffiths den Trend, dass Großkanzleien immer früher an potentielle künftige Anwälte herantreten und verstärkt bereits Studierenden Praktika anbieten. Dabei stehe bislang aber eher "Bespaßung" und weniger die Einbindung in die tatsächliche anwaltliche Tätigkeit im Mittelpunkt. Auch bestehe die Gefahr, bereits zu früh ein zu enges Berufsbild zu vermitteln.
Sonstiges
SPD-Mitgliederentscheid und Grundgesetz: Mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des SPD-Mitgliederentscheids über den Koalitionsvertrag beschäftigen sich Pia Lange und Alexander Thiele auf lto.de. Und auch sie kommen zu dem Ergebnis: Unproblematisch. Allerdings sei die starke Rolle der Parteien bei der Regierungsbildung insgesamt verfassungsrechtlich zu hinterfragen. Albert Funk (zeit.de) plädiert denn auch dafür, dass die gewählten Abgeordneten den Koalitionsvertrag aushandeln sollten – und nicht "Parteirunden". Reinhard Müller lässt auf der "Zeitgeschehen"-Seite der FAZ Sympathie für eine eher kritische Sicht des Mitgliederentscheids durchblicken. Er ruft dabei unter anderem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1950er Jahren zu Volksbefragungen über die Stationierung von Atomwaffen in Erinnerung. Demnach könnten auch Befragungen unzulässig Einfluss auf die Staatswillensbildung nehmen.
Das Letzte zum Schluss
Titelstreit unter Anwälten: Über einen schon fast ins Absurde abgleitenden Titelstreit zwischen zwei Stuttgarter Rechtsanwälten geht es in einem Bericht der SZ (Roman Deinigner). Hintergrund der Auseinandersetzung sei die Kennzeichnung der Istanbuler Ehrendoktor- und Professorenwürde eines der beiden Kontrahenten – bis hin zur richtigen Sternchen-Fußnote. Nachdem sich das Stuttgarter Landgericht nach erfolglosen Formulierungsvorschlägen über die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers aus der Affäre zu ziehen versucht habe, müsse nun das Oberlandesgericht auch noch der Frage nachgehen, ob Anwälte mit völlig verschiedenen Tätigkeitsschwerpunkten in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stünden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Dezember 2013: Kritik an Prostitutionsgesetz – Strafrechts-Profs für Cannabis – Belgien will Kinder-Euthanasie . In: Legal Tribune Online, 03.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10233/ (abgerufen am: 16.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag