Edward Snowden soll draußen bleiben. So will es die Bundesregierung, die Grünen wollen deswegen zum BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Asylrechtsverschärfung, EuGH zu Finanztransaktionssteuer, Generalanwalt zu Abschiebungshaft und Ehegatten-Sprachtests, BGH zu Screen Scraping und Blüten richterlicher Unabhängigkeit.
Thema des Tages
NSA-Überwachung: Die Bundesregierung will nicht, dass Edward Snowden vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagt. Das geht laut SZ (Constanze von Bullion/Georg Mascolo/Frederik Obermaier, Zusammenfassung auf sueddeutsche.de) aus einem Schreiben der Regierung an den NSA-Untersuchungsausschuss hervor, das diesem am Freitag zugehen soll. "Wichtige politische Interessen der Bundesrepublik" sowie die Sicherstellung der weiteren Geheimdienst-Kooperation überwögen das Aufklärungsinteresse. Die Grünen kündigten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Auch die taz (Konrad Litschko) berichtet. Derweil schreibt laut einem weiteren Bericht der SZ (Georg Mascolo) die Bundesanwaltschaft schon an der Einstellungsverfügung für ihr Vorermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Spionageaffäre.
Heriberit Prantl (SZ) kritisiert die Stellungnahme der Bundesregierung zur Vernehmung Snowdens scharf: Beim Lesen spüre man "vom Geist der Gesetze wenig und von dem des Grundgesetzes nichts". Die Bundesregierung verkleide ihre Unlust und Furchtsamkeit mit dem Begriff "Staatswohl". Ulrich Schulte (taz) sieht darin hingegen "kühle Realpolitik", die "vernünftig" sei. Christian Rath (taz) räumt einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht teilweise Chancen ein – zu lapidar und in sich widersprüchlich gehe das Regierungs-Gutachten davon aus, dass der Ausschuss Snowden auch in Russland vernehmen könnte.
In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ fordert Ex-Bundesinnenminister und Rechtsanwalt Gerhart Baum (FDP) von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem USA-Besuch ein entschiedenes Auftreten in puncto Überwachung. Es gehe "ums Handy von Frau Jedermann", die Bundesregierung träfen insoweit grundrechtliche Schutzpflichten auch gegenüber den Geheimdiensten anderer Staaten. Constanze Kurz (FAZ) schildert auf der "Medien"-Seite die deutschen Bemühungen um ein No-Spy-Abkommen als "Chronik einer Kapitulation".
Rechtspolitik
Asylrecht: Asylbewerber sollen künftig früher, nämlich bereits drei Monate nach ihrer Ankunft, eine bezahlte Arbeit aufnehmen dürfen. Zudem sollen die Staaten Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegovina, Ghana und Senegal künftig als "sichere Herkunftsstaaten" gelten, was die Ablehnung von Asylanträgen für Flüchtlinge aus diesen Ländern erleichtern soll. Dies sieht ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, berichtet die FAZ (Johannes Leithäuser).
Uta Rasche (FAZ) begrüßt die Reform, die Kapazität "für wirklich Verfolgte" schaffe. Auf dem Balkan gebe es "wirtschaftliche Schwierigkeiten, aber keine politische Verfolgung, Folter oder willkürliche Gewalt". Christian Jakob (taz) hält dagegen, dass die Sicherheit in diesen Staaten "nur auf dem Papier" existiere. Auch wenn es keine "staatliche, politische Verfolgung im engeren Sinne und großen Stil" gebe, sei die Lage für die Roma "katastrophal".
Verschärfung der Selbstanzeige: Laut Handelsblatt (Axel Schrinner) haben sich die Bundesländer auf eine Verschärfung der Selbstanzeige-Regelungen im Steuerrecht geeinigt. Demnach werde der zu zahlende Strafzuschlag erhöht, zudem müssten künftig sämtliche steuerrelevanten Vorgänge der vergangenen zehn und nicht nur der vergangenen fünf Jahre vorgelegt werden.
Mindestlohn-Ausnahmen verfassungswidrig? Die von Teilen der Bundesregierung geforderten Ausnahmen beim Mindestlohn sind einem Gutachten des Arbeits- und Sozialrechtlers Ulrich Preis zufolge verfassungswidrig. Laut lawblog.de (Udo Vetter) kommt die im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erstellte Expertise zu dem Ergebnis, dass Ausnahmen für Jugendliche, Rentner oder bestimmte Branchen wie Zeitungszusteller sachlich nicht zu rechtfertigen seien. Ausnahmen seien allenfalls bei Auszubildenden, Praktikanten oder Langzeitarbeitslosen denkbar.
Fahreignungsregister: Zum Inkrafttreten des neuen Fahreignungsregisters am 1. Mai erläutert Verkehrsrechtler Adolf Rebler auf lto.de die "Punktereform" für Verkehrssünder.
Justiz
EuGH zu Finanztransaktionssteuer: Der Europäische Gerichtshof hat eine Klage Großbritanniens gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer durch elf EU-Staaten, darunter Deutschland, als verfrüht zurückgewiesen. Großbritannien hatte sich gegen einen noch nicht von den beteiligten Staaten verabschiedeten Vorschlag der EU-Kommission gewendet, der laut Gericht völlig offenlasse, wie die Steuer letztlich ausgestaltet werde, berichtet die taz (Christian Rath). Auf juwiss.de beschäftigt sich Hannes Rathke mit den Gründen für den Widerstand aus Großbritannien.
Eric Bonse (taz) betont, dass "die Entscheidungsschlacht" um die Steuer "nur vertagt" worden sei – und fragt sich, ob es sich für die aktuell geplante Variante überhaupt zu kämpfen lohne.
EuGH – Abschiebungshaft: Deutschland steht ein Rüffel des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Abschiebungshaft bevor. Wie die SZ (Wolfgang Janisch/Roland Preuss) berichtet, hält der Generalanwalt Yves Bot die deutsche Praxis, Ausländer in Gefängnisse zu stecken, um deren Abschiebung sicher zu stellen, für unvereinbar mit der EU-Rückführungsrichtlinie. Abschiebungshaft müsse "letztes Mittel" bleiben und dürfe wenn überhaupt nur in speziellen Hafteinrichtungen erfolgen – und nicht, wie in Deutschland üblich, im gewöhnlichen Strafvollzug. verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) beschäftigt sich im Detail mit der Stellungnahme.
Wolfgang Janisch (SZ) geißelt die "elende Praxis der Abschiebungshaft", die "ein Schlaglicht auf den inhumanen Umgang mit Flüchtlingen" in Deutschland werfe. Es sei bemerkenswert, "dass sich Deutschland von den EU-Juristen buchstabieren lassen muss, wie man Menschenwürde schreibt". Gleichzeitig wäre eine entsprechende Entscheidung des Gerichtshofs ein weiterer Beleg für dessen "wachsende Sensibilität in Grundrechtsfragen".
EuGH – Sprachtests für Ehegatten: In den Augen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof verstößt Deutschland mit seinen Sprachtests beim Ehegattennachzug gleich mehrfach gegen EU-Recht. Wie die taz (Christian Rath) berichtet, kommt Paolo Mengozzi in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, die Sprachtest-Pflicht verstoße gegen das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei und ein entsprechendes Zusatzprotokoll. Der Sprachtest sei unverhältnismäßig und insbesondere nicht erforderlich, um vor Zwangsehen zu schützen. Dazu reichten auch verpflichtende Integrationskurse aus. Eine generelle, nicht einzelfallabhängige Sprachtestpflicht verstoße zudem gegen die EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung.
BGH zu Screen Scraping: Der Bundesgerichtshof hat eine Klage der Fluglinie Ryanair abgewiesen, mit der diese einem Online-Reiseportal untersagen wollte, Flugdaten per automatisierter Software von der Ryanair-Webseite auszulesen (Screen Scraping). Dieses Vorgehen sei kein unlauterer Wettbewerb, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).
Rechtsanwalt Askan Deutsch begrüßt auf lto.de das Urteil: Es fördere die Transparenz bei Flugbuchungen im Internet.
VG Berlin – Gleichstellungsbeauftragte verklagt eigenes Haus: Die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium klagt vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen ihre eigenes Ministerium – weil sie nicht rechtzeitig an der Besetzung von Spitzenpositionen beteiligt worden sei. Das meldet die SZ.
LG Stuttgart zu Impressumspflicht von Anwälten: Das Landgericht Stuttgart hat einen Rechtsanwalt in einem Eilverfahren zur Unterlassung der Veröffentlichung seines Profils auf einem Online-Portal für Rechtsanwälte ohne vollständige Impressumsangabe verurteilt. Über die jedenfalls bis dahin erfolgreiche Abmahnung durch einen Kollegen berichtet lto.de (Constantin van Lijnden).
LG Stade – erschossener Einbrecher: Vor dem Landgericht Stade ist ein 80-jähriger Mann angeklagt, der einen flüchtenden jugendlichen Einbrecher auf seinem Grundstück erschossen hat. Die SZ (Hans Holzhaider) berichtet über die Erklärung, die der Angeklagte nun über seinen Verteidiger abgegeben hat. Er berufe sich auf Notwehr.
LG Ulm – Sterbehilfeprozess: Der "Ulmer Sterbehilfeprozess" wird gegen Geldauflage eingestellt. Nach einem Bericht der FAZ (Rüdger Soldt) sei in dem als geschichtsträchtig angekündigten Prozess nach sechs Verhandlungstagen die Anklage der Staatsanwaltschaft "in sich zusammengefallen". Es sei nicht mehr zu klären gewesen, ob es sich bei der Morphingabe eines Arztes an dessen schwer kranken Vater "um straflose Hilfe beim Sterben oder strafbare Hilfe zum Sterben" gehandelt habe, zitiert die Zeitung den Leitenden Oberstaatsanwalt.
OLG Stuttgart – Kongo-Kriegsverbrechen: Die taz (Simone Schlindwein) berichtet vom 227. Verhandlungstag des nun über drei Jahre andauernden Kriegsverbrechensprozess gegen zwei Ruander vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Ihnen wird vorgeworfen, als politische Führer der Hutu-Miliz FDLR für deren Kriegsverbrechen im Ostkongo verantwortlich zu sein. Die Beweisführung wirke als habe sie sich in Details verzettelt und der Vorsitzende Richter wie ein "orientierungsloser Kapitän auf hoher See".
LG Braunschweig – Porsche-Prozesse: Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet über die mündliche Verhandlung des Schadensersatzprozesses eines Aktienhändlers gegen den Automobilkonzern Porsche vor dem Landgericht Braunschweig. Dieser behauptet, wegen der angekündigten Übernahme des VW-Konzerns durch Porsche 2008 hohe Verluste gemacht zu haben. Der Vorsitzende Richter habe deutliche Zweifel an der Klage durchblicken lassen und wolle über diese gemeinsam mit vier weiteren Klagen im Juli entscheiden. Weitere Klagen gegen Porsche seien vor dem Landgericht Hannover und dem Oberlandesgericht Stuttgart anhängig.
Recht in der Welt
IGH – Klage gegen Atomwaffenstaaten: Die Marschallinseln haben gegen alle offiziellen und inoffiziellen Atomwaffenstaaten Klage beim Internationalen Gerichtshof eingelegt. Die Staaten sollen gegen ihre Verpflichtung zu Abrüstungsverhandlungen verstoßen haben. Julian Udich erläutert auf juwiss.de den völkerrechtlichen Hintergrund der Klage, die sich auf den Nichtverbreitungsvertrag stützt.
Brunei – Wiedereinführung der Scharia: Das Sultanat Brunei führt auf Geheiß seines Staatsoberhaupts das besonders strenge Scharia-Strafrecht wieder ein. Die Entscheidung traf laut FAZ (Till Fähnders) bei den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen auf scharfe Kritik. Auch die taz (Nicola Glass) berichtet.
USA – Credit Suisse unter Druck: Laut Handelsblatt (Holger Alich/Frank Wiebe) gerät die Schweizer Großbank Credit Suisse in den USA wegen ihrer Verwicklung in Steuerhinterziehungen zunehmend unter Druck. So hätten Zeugenaussagen Zweifel an der Darstellung der Bank aufkommen lassen, es seien nur wenige Mitarbeiter an den Geschäften beteiligt gewesen. Es drohen hohe Bußgelder.
Sonstiges
Elektronischer Rechtsverkehr: Die FAZ (Helene Bubrowski/Rüdiger Soldt) beschreibt den bevorstehenden "Abschied vom Gürteltier": Spätestens in acht Jahren soll der gesamte Rechtsverkehr auf elektronische Kommunikation umgestellt sein und die von alten Gürteln zusammengehaltenen Papierakten-Konglomerate der Vergangenheit angehören. Die schrittweise Umstellung stehe jedoch noch vor einigen Herausforderungen.
Erosion des Rechts: Andreas Zielcke diagnostiziert im Feuilleton der SZ angesichts des Trends zu internationalen Schiedsgerichten, des Gebahrens internationaler Finanzinstitutionen gegenüber Krisenstaaten, der NSA-Überwachung und der Ukraine-Krise eine Erosion des Rechts in den bilateralen und internationalen Beziehungen. Ökonomische und Sicherheitsinteressen hebelten den Rechtsstaat und die Demokratie aus, Governance und Denken in flexiblen "Regimen" ersetzten zunehmend klare Regeln.
Das Letzte zum Schluss
Blüten richterlicher Unabhängigkeit: Deutsche Behörden haben deutsche Bezeichnungen zu führen, sonst sind dies keine Behörden. So lässt sich ein vom Jurion Strafrecht Blog (Detlef Burhoff) wiedergegebenes Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen zusammenfassen, das dem Jobcenter Gießen den Behördencharakter absprechen wollte, weil es unter einer englischen Bezeichnung firmierte und nicht mehr "Arbeitsamt" hieß. Immerhin wurde der Auskunftsklage dann doch stattgegeben, weil sich das Jobcenter ja wie eine Behörde "geriere".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Mai 2014: Snowden soll draußen bleiben – EU-Rüffel für Abschiebungshaft – BGH erlaubt Screen Scraping . In: Legal Tribune Online, 02.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11840/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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