Genügen hundert Zuschauer für den "Jahrhundertprozess" gegen die NSU-Angeklagten? Politiker und Journalisten zweifeln. Außerdem in der Presseschau: Deckelung der Bonuszahlungen von Bankern, BVerfG zu Zwangsbehandlungen, Freispruch vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal und wie eine Frau doch nicht wegen Körperverletzung mithilfe ihrer Brüste verurteilt wurde.
NSU-Prozess: Politiker von SPD und Grünen fordern mehr Platz für den Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe, der am 17. April beginnen soll. Das berichtent u.a. spiegel.de. Holger Schmidt (tagesschau.de) kommentiert: Zwar solle es richtigerweise keine "Schauprozesse" geben, weil alle Angeklagten vor dem Gesetz gleich sind. Für die Öffentlichkeit gehe es beim "NSU-Prozess" allerdings um mehr: Um die Aufarbeitung dieser unvergleichlichen Mordserie vor Gericht und um verlorenes Vertrauen der Gesellschaft in ihre Sicherheitsbehörden. Auch Annette Ramelsberger (SZ) appelliert, die Chance zu nutzen, Verletzungen der Opfer zu heilen und Vertrauen zurückzugeben. Dies sei mindestens genauso wichtig wie die Einhaltung der Strafprozessordnung.
NSU-Zwischenbericht: spiegel.de (Julia Jüttner) setzt sich mit dem Zwischenbericht des Thüringer Neonazi-Ausschusses auseinander. Der Bericht, der voraussichtlich am 11. März vorgestellt werden soll, spreche auf mehr als 500 Seiten vom kollektiven Versagen und Wegschauen der Sicherheits- und Justizbehörden in Thüringen im Bereich des Rechtsextremismus.
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Leistungsschutzrecht: Im Interview mit der Welt (Ulrich Clauss) spricht der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Burkhardt Müller-Sönksen über das neue Gesetz zum Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse im Internet, über das der Bundestag am Freitag abstimmt. Er verteidigt den vielfach kritisierten Kompromissvorschlag der FDP, nachdem "kleinste Textausschnitte" für die Suchmaschinen weiterhin kostenfrei bleiben.
Kürzung der Prozesskostenhilfe: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Prozesskostenhilfe für Geringverdiener und Arbeitslose eingeschränkt werden soll. Besonders betroffen von der Kürzung seien Frauen und Kinder, weil es in vielen der Verfahren um Unterhalt, Sorgerecht oder Scheidung ginge, schreibt die taz (Kristiana Ludwig).
Begrenzung der Banker-Boni: Das Europaparlament und die Mitgliedstaaten einigten sich auf die Deckelung von Bonuszahlungen für Bankmitarbeiter ab 2014, berichtet die SZ (Claus Hulverscheidt, Javier Cáceres, Andrea Rexer). Danach darf eine variable Vergütung in der Regel nur so hoch sein wie das jeweilige Jahresgehalt und nur in Ausnahmefällen maximal doppelt so hoch. Die juristischen Probleme der Beschränkung der Bonuszahlungen erläutert ebenfalls die SZ (Markus Zydra). Deren gesellschaftliche Notwendigkeit stehe im Konflikt mit der Vertragsfreiheit, die gewährleiste, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Beziehungen selbst regeln. Auch dürfen die Entgelte von Arbeitnehmern von der EU nicht reguliert werden.
Smart Borders: Die Europäische Kommission plant unter dem Titel Smart Borders eine Regelung, nach der alle Nicht-EU-Bürger in Zukunft bei der Einreise ihre Fingerabdrücke abgeben sollen. Diese Behandlung und pauschale Vorverurteilung als Verbrecher sei menschenunwürdig, erklärt der Grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht im Interview mit der taz (Christian Rath).
Weitere Themen – Justiz
BVerfG zu Zwangsbehandlungen: Erneut hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Grundlage für Zwangsbehandlungen mit Psychopharmaka für verfassungswidrig erklärt - diesmal im Maßregelvollzug in Sachsen. Das Gesetz beschränke sich nicht auf den Fall der krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit und entbehre einer Regelung, nach der sich das Krankenhaus vorher ernsthaft um eine freiwillige Zustimmung des Betroffenen bemühen muss, referiert lto.de das Urteil.
EuGH zu Bahn-Holding: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Deutsche Bahn Netz AG weiterhin eine Tochtergesellschaft der Bahn-Holding bleiben darf. Die europäische Bahn-Richtlinie sei nicht verletzt, wenn Schienennetzbetreiber und Eisenbahnunternehmen Teil ein und derselben Holding sind, da die Deutsche Bahn Netz AG organisatorisch und in ihren Entscheidungen von der Bahn-Holding rechtlich unabhängig sei, berichtet die FAZ in ihrem Wirtschaftsteil.
FG Düsseldorf zur "Reichensteuer": Die sogenannte "Reichensteuer" war im Jahr 2007 teilweise verfassungswidrig, meinte das Finanzgericht Düsseldorf und legte das Steuergesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vor. Da damals nur eine bestimmte Gruppe von Steuerpflichtigen der fraglichen Steuer unterworfen war, andere Steuerpflichtige hingegen nicht, handele es sich um eine "verfassungswidrige Ungleichbehandlung", gibt das Handelsblatt (Axel Schrinner) das Urteil wieder.
OVG Greifswald zu Atommüll: Die Energiewerke Nord wollen Atommüll aus westlichen Bundesländern im Zwischenlager Lubmin einlagern. Dies scheiterte bisher an einer vom Land Mecklenburg-Vorpommern vorgenommenen Änderung des Regionalen Raumentwicklungsprogramms. Dagegen erhoben die Energiewerke Nord einen Normenkontrollantrag vor dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg–Vorpommern, der nun zwar scheiterte, aber mit der für die Energiewerke günstigen Begründung, dass es sich lediglich um eine politische Absichtserklärung handele. Die Energiewerke Nord wollen nun mit einer zweiten Klagen ihren Antrag auf Einlagerung von Fremdmüll durchsetzen, berichtet lto.de.
EuGH zu Grundrechte-Charta: Daniel Thym kommentiert auf Verfassungsblog.de ausführlich das aktuelle Urteil des EuGH im Fall des schwedischen Fischers Åkerberg Fransson zum Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem). Es sei verfehlt, das Urteil lediglich als Machtgewinn des EuGH und Einbuße nationaler Gerichte zu deuten: Gerade in Skandinavien habe das Urteil die nationalen Gerichte gestärkt, weil diese erst durch Unionsrecht die Befugnis zur Nichtanwendung von Parlamentsgesetzen erlangen und aufgrund der Anwendung der Grundrechtecharta zu einer Aussetzung des Verfahrens als Doppelbestrafung kommen können.
Suhrkamp-Prozesse: Im Interview mit der taz (Christian Rath) erklärt der Gesellschafts- und Medienrechtler Rolf Aschermann die rechtliche Seite der Vorwürfe und Klagen im Streit um den Suhrkampverlag vor den Landgerichten Berlin und Frankfurt. Vor dem LG Berlin ging es um den Abschluss eines Mietvertrages der drei Suhrkamp-Geschäftsführer ohne die notwendige Zustimmung des Minderheits-Gesellschafters Hans Barlach. In Frankfurt wird entschieden, ob Barlach respektive die Familienstiftung aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden oder der Verlag sogar aufgelöst wird.
Ermittlungsverfahren - Mollath: Nachdem die Staatsanwaltschaft Augsburg eine Strafanzeige des sich seit 2006 in psychiatrischer Zwangsunterbringung befindenden Gustl Mollath gegen den Richter des Amtsgerichts Nürnberg wegen Rechtsbeugung und den psychiatrischen Sachverständigen des Bezirkskrankenhauses Bayreuth wegen Freiheitsberaubung verwarf, hat nun der Anwalt Mollaths Beschwerde eingelegt, berichtet lto.de.
Weitere Themen – Recht in der Welt
UN-Kriegsverbrechertribunal - Freispruch für Perisic: Das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien hat den General Momcilo Perisic freigesprochen. Der ehemalige Generalstabschef der jugoslawischen Armee war in erster Instanz wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Berufungskammer befand seine Schuld an der 44-monatigen Belagerung von Sarajevo, in deren Verlauf 10.000 Zivilisten starben, sowie am Massaker an den rund 8.000 Muslimen in Srebrenica und an den Bombenangriffe auf die kroatische Hauptstadt Zagreb im Mai 1995 aber nicht als "ohne begründete Zweifel bewiesen", berichtet spiegel.de.
Bangladesch - Todesstrafe für islamischen Parteiführer: Delawar Hossain Sayedee, der Vizepräsident der größten islamischen Partei Bangladeschs Jamaat-e-Islami ist wegen Kriegsverbrechen von einem Sondertribunal in Dhaka zum Tode verurteilt worden. Ihm wird u.a. vorgeworfen, an Massentötungen, Folter und Vergewaltigungen während des Unabhängigkeitskrieges 1971 beteiligt gewesen zu sein, berichtet die taz (Sascha Zastrial).
Sonstiges
Machtfragen zwischen Bundestag und BVerfG: Die SZ (Robert Rossmann) referiert die Debatte des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle über die Relevanz von Parlamenten. Zu Lammert sagte Voßkuhle: "Wir fördern und fordern den Bundestag." Auch hinsichtlich der Europapolitik gingen die Meinungen auseinander: Aufgrund der unterschiedlichen Gewichte der Länderstimmen sei das Europaparlament noch nicht reif, "Legitimationswirkung von den nationalen Parlamenten zu übernehmen", so Voßkuhle: das müsse sich ändern. "Wirklichkeitsfremd", nannte Lammert diese Forderung.
Das Letzte zum Schluss
AG Unna - Brüste als Waffe: Vor dem Amtsgericht Unna musste sich eine Frau wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Der 33- Jährigen war vorgeworfen worden, versucht zu haben, ihren Partner mittels einer Waffe - ihren Brüsten - zu ersticken. Das Verfahren wurde laut Mainpost (Manfred Schweidler) gemäß § 153 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/as
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. März 2013: Zuwenig Platz für NSU-Prozess – Begrenzung der Banker-Boni – Brüste als Tatwaffe . In: Legal Tribune Online, 01.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8247/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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