Deutsche Juristen und Politiker diskutieren über viele Reformpläne: eine Neufassung der Sexualdelikte, die Erbschaftsteuer, den Verfassungsschutz. Es wird wohl auch ein Gesetz gegen Korruption geben. Und die EU will mit allen Mitteln gegen Terrorismus vorgehen. Außerdem berichtet eine Zeugin im Prozess gegen den bestechlichen Richter, er habe ihr Hilfe beim Examen gegen sexuelle Handlungen angeboten.
Thema des Tages
Vergewaltigung: Im Rechtsausschuss des Bundestages findet heute eine öffentliche Anhörung zur Umsetzung der Istanbul-Konvention und zur Reform des Vergewaltigungsparagrafen statt. Die SZ (Ulrike Heidenreich) und die taz (Alina Leimbach) berichten über die Stellungnahmen von Rechtsexperten und Verbänden und deren Kritik an der aktuellen Gesetzeslage. Problematisch sei insbesondere, dass eindeutig abgelehnte sexuelle Handlungen straflos blieben, wenn die engen gesetzlichen Voraussetzungen einer Vergewaltigung fehlen (Anwendung von Gewalt oder qualifizierte Drohung oder Ausnutzen einer schutzlosen Lage). Allenfalls geringfügige Strafen wegen einfacher Nötigung kämen in diesen Fällen in Betracht. Professorin Tatjana Hörnle habe deshalb eine neue Formulierung des Paragrafen vorgeschlagen: "Wer gegen den erklärten Willen einer anderen Person oder unter Umständen, in denen fehlende Zustimmung offensichtlich ist, sexuelle Handlungen an dieser vornimmt (...) oder an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft."
Die taz führt zudem ein Interview mit der Referentin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, die neben der Gesetzeslage die enge Auslegung des Paragrafen durch die Rechtsprechung kritisiert.
Kinderrechte: Vor dem Hintergrund des getöteten Kindes aus Lenzkirch erläutert die Badische Zeitung (Christian Rath) ausführlich die Diskussion zur Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Es gehe vor allem um eine symbolische Grundgesetzänderung. Wohl nur Famlienministerin Schwesig (SPD) wolle die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in Familien erleichtern. In einem zweiten Beitrag erläutert die Badische Zeitung (Christian Rath) die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Elternrecht. Nach dem BVerfG wären im Lenzkirch-Fall die Voraussetzungen für das Eingreifen des Jugendamtes erfüllt gewesen. Die Verfassungsrichterin Gabriele Britz habe inzwischen darauf hingewiesen, dass es 2014 am Bundesverfassungsgericht keine ungewöhnliche Häufung elternfreundlicher Urteile gab.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Die Rechtsanwälte Frank Hannes und Christian von Oertzen diskutieren in der FAZ den Entwurf zur Reform der Erbschaftsteuer. Diese ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden, das die erbschaftsteuerrechtliche Befreiung des Erwerbs von Firmenvermögen für verfassungswidrig erklärt hatte. Die Anwälte stellen die Argumentation und den Vorschlag des Gerichts zur verfassungskonformen Ausgestaltung der Erbschaftsteuer dar und empfehlen unter andrem die Einführung einer steuerrechtlichen Höchstfördergrenze.
Korruption: Den vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur stärkeren Verfolgung von Korruption erläutert nun auch die FAZ (Joachim Jahn). Die Novelle diene der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, betreffe unter anderem die Bestechung im Geschäftsverkehr, den Tatbestand der Geldwäsche und die Aufnahme eines neuen Paragrafen "Bestechung ausländischer und internationaler Amtsträger".
Fluggastdaten: Nach Informationen der SZ (Javier Cáceres) hat die EU-Kommission in einem Protokoll zur Orientierungsdebatte über die "Europäische Sicherheitsagenda" festgehalten, dass der überarbeitete Regelungsvorschlag zur Speicherung von Fluggastdaten einige datenschutzrechtliche Zugeständnisse enthalten soll. So soll der Zweck der Sammlung auf die Bekämpfung von "Terror- und schweren grenzüberschreitenden Straftaten" beschränkt werden. Die anlasslose und unbegrenzte Speicherung der Daten werde allerdings beibehalten.
Terrorismus: Die FAZ (Michael Stabenow) stellt aktuelle Gesetzvorhaben und Forderungen auf EU-Ebene zur Bekämpfung des Terrorismus dar. Die EU-Finanzminister würden auf eine rasche Verabschiedung einer EU-Richtlinie gegen Geldwäsche drängen, mit der die Terrorismusfinanzierung bekämpft werden soll. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei soll ihre Vorschläge am heutigen Mittwoch vorstellen. Sie fordere eine stärkere Erfassung der Finanzströme, die Bekämpfung "terroristischer Propaganda" in sozialen Netzwerken und eine isolierte Unterbringung von extremistischen Häftlingen. Daneben bekräftige sie ihre Forderung nach einer Regelung der Vorratsdatenspeicherung und der Erfassung von Fluggastdaten.
Verfassungsschutzreform: spiegel.de (Jörg Diehl) berichtet von den Gesetzentwürfen des Innen- und Justizministeriums zur Neuordnung des V-Mann-Systems der Nachrichtedienste. Vorgeschlagen werde eine Generalermächtigung oder ein Katalog mit zulässigen Straftaten, die V-Leute bei ihrem Einsatz begehen dürfen sollen. In Thüringen sei gar die Abschaffung des V-Mann-Wesens geplant. Das Positionspapier des SPD-Abgeordneten Burkhard Lischka sehe zudem die Kontrolle der Spitzel durch die G-10-Kommission im Bundestag vor, meldet die taz.
Justiz
EuGH zu Bauprodukten: Zusätzlich zu den europäischen Normen für Bauprodukte, die ein CE-Zeichen tragen, existieren in deutschland weitere Anforderungen an die Bauprodukte in den Bauregellisten. Wie der Rechtsanwalt Thomas Schmidt-Kötters in der FAZ erläutert, hat der Europäische Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren darin einen Verstoß gegen das EU-Recht gesehen. Im Falle harmonisierter europäischer Normen hätten die Mitgliedsstaaten keine Regelungskompetenz mehr inne.
BVerfG zu unterlassener Richtervorlage: In einem am gestrigen Dienstag bekannt gegebenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die unterlassene Richtervorlage durch den Bundesgerichtshof zur Verfassungsmäßigkeit von § 95 Abs. 2 Nr. 7 Baugesetzbuch gerügt. Das meldet lto.de. Der BGH habe im konkreten Fall die Norm verfassungskonform ausgelegt und nicht angewendet, obwohl er in ständiger Rechtsprechung von der Verfassungswidrigkeit der Norm ausgehe. Mit der unterlassenen Richtervorlage habe der BGH gegen die grundgesetzliche Garantie des gesetzlichen Richters verstoßen.
BGH zu Anwalt als Spezialist: Wie internet-law.de (Thomas Stadler) darstellt, hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil die Selbstbezeichnung eines Rechtsanwalts als "Spezialist" auf einem Rechtsgebiet, in dem eine Fachanwaltsbezeichnung existiert, denselben Voraussetzungen unterworfen, die an einen Fachanwalt gestellt werden. Ein sich so bezeichnender Anwalt müsse demnach die theoretischen Kenntnisse und die praktische Erfahrung eines Fachanwalts auf dem Rechtsgebiet vorweisen können.
LG Lüneburg – Auschwitz-Buchhalter: Beim Landgericht Lüneburg soll der Prozess gegen Oscar G. im April dieses Jahres beginnen. Der Mann war als Buchhalter in Auschwitz für die Erfassung des Vermögens der Ermordeten verantwortlich, berichtet die taz (Klaus Hillenbrand). Ihm werde Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zur Last gelegt. Dies sei eines der wenigen Verfahren, die aufgrund der Vorermittlungen der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg noch geführt werden.
BGH zu Unternehmenskritik: Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs müssen sich Unternehmen auch harsche Kritik an ihren Produkten gefallen lassen. Wie die FAZ (Joachim Jahn) erläutert, hat der BGH die Bezeichnung eines Energiespar-Produkts durch einen Physiker als "Schwindel" und "Betrug" als zulässige Meinungsäußerung eingestuft. Die Kritik sei zwar scharf und überzogen, jedoch keine Schmähkritik, da die Diffamierung nicht im Vordergrund gestanden habe.
BGH zu Überweisungskosten: Am gestrigen Dienstag hat der Bundesgerichtshof die einheitliche Erhebung von Überweisungsgebühren durch Bankinstitute in ihren AGB für unzulässig erklärt. Weil die Klausel zum Buchungsentgelt auch Falschüberweisungen erfasse, für die der Bank gesetzlich kein Entgeltanspruch zustehe, stelle die Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar und sei deshalb unwirksam. Ob die Erhebung eines Entgelts für Überweisungen generell zulässig sei, habe das Gericht allerdings nicht entschieden. Die SZ (Wolfgang Janisch) und die Welt (Karsten Seibel) schildern das Urteil.
BGH zu Versicherungsklauseln: Ratenschutzversicherungen müssen den Ausschluss bestimmter Krankheiten in ihren Versicherungsbedingungen klar und deutlich regeln. Das habe der Bundesgerichtshof entschieden, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Der Ausschluss von "ernstlichen Erkrankungen", die der Person bekannt sind, sei intransparent.
OLG München – NSU: Im NSU-Prozess wurden weitere Zeugen des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vernommen. Zwei Zeugen sei ein Mann mit einem Fahrrad kurz vor dem Tatzeitpunkt aufgefallen, dessen Beschreibung auf Uwe Böhnhardt zutreffe, schildern spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und zeit.de (Tom Sundermann). Die damaligen Aussagen der Zeugen bei der Polizei seien nicht weiterverfolgt worden.
EuGH – OMT-Verfahren: Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hat vergangene Woche seine Schlussanträge im OMT-Verfahren vorgetragen. Rechtsprofessor Christoph Herrmann geht auf verfassungsblog.de auf die Kritik des ehemaligen Direktionsmitglieds bei der EZB, Jürgen Stark, ein, der dem Generalanwalt mangelnde Sachkenntnis vorgeworfen hatte. Der Generalanwalt habe die Stellungnahme der EZB zurecht für plausibel gehalten und den EuGH zur "justiziellen Zurückhaltung" angehalten.
Recht in der Welt
EGMR zu bulgarischem Haftsystem: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem am Montag veröffentlichten Urteil das bulgarische Haftsystem gerügt, meldet die taz. In den Gefängnissen des Staates herrschten erniedrigende und menschenunwürdige Zustände vor.
Juristische Ausbildung
Landgericht Lüneburg – Richter Jörg L.: Im Prozess gegen den ehemaligen Richter und Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt Jörg L., der Prüfungskandidaten Klausuren verkauft haben soll, hat am gestrigen Verhandlungstag eine weitere Zeugin ausgesagt, berichtet der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof). Sie berichtete von einer "komischen Beziehung" zum Angeklagten, der ihr Hilfe beim Examen gegen sexuelle Handlungen angeboten haben soll.
Sonstiges
Amtsenthebungsverfahren gegen Betriebsrat: Ein Betriebsrat von Daimler hat im privaten Facebook-Account ein Posting gegen die Zeitschrift Charlie Hebdo veröffentlich, woraufhin das Unternehmen, das Betriebsratsgremium und die IG Metall ein Amtsenthebungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Karlsruhe angekündigt haben. Der Rechtsanwalt Christian Oberwetter erläutert auf lto.de die Voraussetzungen des Verfahrens und kommt zu dem Schluss, dass der erforderliche Zusammenhang mit dem Amt des Betriebsrats fehlt.
Terrorismus: In seiner Rechtskolumne auf zeit.de geht Thomas Fischer auf die strafrechtliche Handhabung terroristischer Bedrohung ein. Nach einer Bemerkung zu Leser-Kommentaren zum ersten Teil des Beitrags, stellt der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Strafrechtsnormen dar, die terroristische Taten erfassen sollen. Anschließend spricht er sich gegen eine Strafrechtsverschärfung aus und diskutiert den Begriff und den Umgang mit "Rückkehrern".
Taken at Midnight – Hans Litten: Strafverteidiger Hans Litten hat unter anderem als Nebenkläger im Edenpalast-Prozess die Vorladung Adolf Hitlers und dessen Bloßstellung vor Gericht erreicht. Nach jahrelanger Folter in Konzentrationslagern nahm er sich 1938 das Leben. Das Stück "Taken at Midnight" am Theatre Royal Haymarket in London bringt das Leben des couragierten "Arbeiter-Anwalts" auf die Bühne. Die FAZ (Gina Thomas) bespricht das Drama im Feuilleton.
Das Letzte zum Schluss
Süße Vornamen verboten: Französische Eltern dürfen ihre Kinder weder "Nutella" noch "Erdbeere" nennen, meldet spiegel.de. Ein französisches Gericht habe den Eltern die Namensgebung untersagt, weil es dem Interesse der Kinder zuwiderlaufe. Die Kinder heißen nun Ella und Fraisine.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Januar 2015: Reform des Vergewaltigungsparagrafen – BVerfG rügt BGH - Prozess gegen Auschwitz-Buchhalter . In: Legal Tribune Online, 28.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14501/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag