Die G10-Kommission plant, über eine Organklage an die NSA-Selektorenliste zu kommen. Außerdem in der Presseschau: Kabinett billigt Bundeswehreinsatz gegen IS, OLG Rostock lässt Anklage gegen SS-Sanitäter zu und EGMR rügt türkische YouTube-Sperre.
Thema des Tages
G10-Kommission will Selektorenliste: Die G10-Kommission will in den kommenden Tagen eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht einreichen, um Einsicht in die NSA-Selektorenliste zu erwirken. Den Entwurf der Klage habe Hans de With, früherer Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesjustizministeriums, formuliert, schreibt die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) nach Recherchen der Zeitung, des NDR sowie des WDR. Es wäre das erste Mal, dass die G10-Kommission in Karlsruhe klagt – daher habe sie zuerst ihre Klageberechtigung klären lassen. Das Gremium beanstandet zum einen, die Bundesregierung habe 2013 nicht darüber informiert, dass der BND mit der NSA kooperiere, und zum anderen, dass lediglich ein Sonderermittler Einblick in die Liste erhielt.
Rechtspolitik
Bundeswehreinsatz gegen IS: Das Bundeskabinett hat gebilligt, die Bundeswehr gegen den IS einzusetzen. Laut Kabinettsbeschluss stützt sich das Vorgehen auf das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der UN-Charta. Das beschleunigte Verfahren soll bereits am Freitag abgeschlossen sein – die Zustimmung des Bundestags wird erwartet, schreiben SZ (Stefan Braun), spiegel.de und zeit.de. Die Welt (Thorsten Jungholt) befasst sich jetzt auch mit völkerrechtlichen Bedenken zu Militär-Einsätzen gegen den IS. Dieser sei völkerrechtlich gerade nicht als Staat zu sehen, infolgedessen könne er sich auch nicht in einer Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten befinden. Der Beitrag stellt dar, wie sich dies auf die völker- und europarechtliche Legitimation militärischen Vorgehens gegen den IS auswirkt und wirft zudem verfassungsrechtliche Fragen auf.
In einem "Sachstand" zur "Staatlichen Selbstverteidigung gegen Terroristen", welcher dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) vorliegt, erklärt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der Einsatz der Bundeswehr in Syrien sei zulässig. Artikel 51 der UN-Charta gewährleiste zusammen mit der UN-Resolution 2249, nach der die UN-Staaten "alle notwendigen Maßnahmen" gegen IS-Terrorismus ergreifen dürfen, eine "hinreichende völkerrechtliche Rechtsgrundlage für Militäreinsätze gegen den Islamischen Staat in Syrien". Auch verfassungsrechtlich sei der Einsatz legitimiert.
"Man findet im Grundgesetz keine hinreichend klaren und zuverlässigen Maßstäbe, an denen solche Auslandseinsätze zu messen sind", moniert Heribert Prantl (SZ). Daher benötige es verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, um Auslandseinsätze der Bundeswehr mit dem Grundgesetz zu legitimieren – für den Syrien-Einsatz reichten die bisherigen Entscheidungen allerdings nicht. Prantl fordert daher, eine entsprechende Reform des Grundgesetzes, sodass "ohne jeweilige Anrufung des Verfassungsgerichts einigermaßen erkennbar ist, was militärisch zulässig ist und was nicht."
Asylrechtsreform: Bundeskanzlerin Merkel hat bekannt gegeben, dass die Asylrechtsreform nicht wie geplant am 1. Januar in Kraft treten könne – aus "prozeduralen Gründen" könne der Zeitplan nicht eingehalten werden. Ein Kabinettsbeschluss sei in dieser Woche nicht möglich gewesen, da die Beratungen darüber, wie die Beschlüsse umzusetzen sind, andauerten. spiegel.de resümiert die strittigen Punkte der geplanten Reform.
Volksentscheid zu Olympia in Hamburg: Detlef Esslinger (SZ) weist anlässlich des Volksentscheids über Olympia in Hamburg darauf hin, Referenden seien wichtige demokratische Instrumente – insbesondere vor dem Hintergrund politikverdrossener Erwachsener. "Sie klären nicht nur die Fronten. Sie befrieden auch."
Werkverträge/Leiharbeit: Die FAZ (maxw) gibt an, aus Kreisen der CDU/CSU-Fraktion erfahren zu haben, dass das Kanzleramt Nahles' Entwurf des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes "erst einmal gestoppt" haben soll. Das Arbeitsministerium solle sich abermals mit den Tarifpartnern koordinieren. Der Beitrag fasst die geplanten Regelungen und Kritik zusammen.
Justiz
BVerfG zu Rentenbesteuerung: Die 2004 beschlossene Rentenbesteuerung ist verfassungskonform. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Begründung die drei zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden gegen das Alterseinkünftegesetz nicht zur Entscheidung angenommen. Insbesondere verletzten die Regelungen, die bis 2040 eine schrittweise ansteigende Besteuerung der Renten vorsehen, nicht den Gleichheitsgrundsatz, melden SZ (erweiterte Onlinefassung)und taz.
BGH zu Völkermord-Prozess: Das Verfahren wegen Völkermords gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister Onsephore R. muss neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof hob das Strafurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main teilweise auf und begründete seine Entscheidung damit, dass sich der Verurteilte 1994 bei dem Kirchen-Massaker auf Tutsi auch wegen Mittäterschaft strafbar gemacht haben könnte. Dies wird das OLG nun prüfen müssen – im Februar hatte es R. wegen Beihilfe zum Völkermord zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt, meldet die FAZ.
LG Darmstadt zu Ehrenmord: Das Landgericht Darmstadt hat die Eltern einer 19-jährigen Muslimin wegen Mordes an ihrer Tochter zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Als Tötungsmotiv sahen die Richter eine von den Eltern nicht geduldete uneheliche Beziehung des Opfers und nahmen daher niedrige Beweggründe an – zudem hätten diese heimtückisch gehandelt. Die besondere Schwere, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, hat das Gericht nicht festgestellt. FAZ (Timo Frasch) und die Welt (Katharina Pfannkuch) geben die Entscheidung wieder.
Reinhard Müller (FAZ) sieht es als "Herausforderung für jeden, der das Wort Menschenrechte ernsthaft im Munde führt", dass es Menschen gibt, deren "Ehre" das Töten gebietet. Er betont, dass deutsche Strafgerichte mit Recht Ehrenmorde als Tötungen aus niedrigen Beweggründe ansehen und in diesem Fall keine Entschuldigungsgründe annehmen.
ArbG Berlin zu Urlaubsanspruch nach Tod: Nach dem Versterben des Arbeitnehmers wandelt sich dessen Anspruch auf Urlaub zu einem Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben um. Dies entschied das Arbeitsgericht Berlin entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, meldet lto.de.
OLG Celle – IS-Rückkehrer: Ayoub B.s Verteidiger warf in seinem Plädoyer die Frage auf, ob Yassin O., welcher die beiden Angeklagten zur Ausreise nach Syrien bewogen hatte, als V-Mann tätig war. Dafür spräche, so der Anwalt, dass die Polizei mehrfach auf die Tätigkeit des salafistischen Predigers hingewiesen wurde und dennoch "monatelang verwerflich untätig" blieb – einen anderen Erklärungsansatz böte behördliches Versagen. Die Celler Richter müssten nach dem Verlauf des Prozesses allerdings davon ausgehen, dass die Vermutung zutreffe und demnach ein Verfahrenshindernis vorliege, schreibt die FAZ (Reinhard Bingener) und fasst die Plädoyers der Verteidiger zusammen. Auch spiegel.de (Wiebke Ramm) informiert über die Plädoyers – die Bundesanwaltschaft fordert Freiheitsstrafen von 4 Jahren und 3 Monaten für Ebrahim H.B. und siebeneinhalb Jahre für Ayoub B.. Sie wirft den Angeklagten nicht nur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern auch Beihilfe zu Mord und versuchtem Mord vor.
OLG Rostock – SS-Sanitäter: Das Oberlandesgericht Rostock hat die Anklage gegen einen 95-jährigen ehemaligen SS-Sanitäter in Auschwitz zugelassen – er sei eingeschränkt verhandlungsfähig. Das Landgericht Neubrandenburg hatte die Hauptverhandlung zuvor abgelehnt, da der Gesundheitszustand des Angeschuldigten zu schlecht gewesen sei – dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Sie wirft Hubert Z. vor, durch seine Tätigkeit als SS-Sanitäter im Sommer 1944 Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen geleistet zu haben; er habe das arbeitsteilige Lagergeschehen als Ganzes unterstützt. Die taz (Klaus Hillenbrand) weist auf das Verfahren hin. Auch die FAZ (Alexander Haneke) bringt eine Meldung dazu.
StA Braunschweig – VW: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat den Verdacht, dass das Unternehmen VW in mittelbarer Täterschaft Steuern hinterzogen hat – die Halter der betroffenen VW-Fahrzeuge sollen dabei Tatmittler gewesen sein. Die Rechtsanwälte Thorsten Franke-Roericht und Jörg Burkhard erklären in einem FAZ-Gastbeitrag das rechtliche Konstrukt der mittelbaren Täterschaft mit Bezug zum vorliegenden Fall.
Recht in der Welt
EGMR – unzulässige YouTube-Sperre: Die türkische Regierung hat mit der YouTube-Sperre unter anderem die Meinungs- und Informationsfreiheit verletzt und damit gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und stellte zudem fest, dass auch das türkische Recht verbiete, Webseiten generell zu sperren. Ein Gericht in Ankara hatte die über zwei Jahre andauernde Blockade verfügt, da es einige YouTube-Videos als Beleidigung Atatürks wertete. Dies teilen spiegel.de, lto.de und zeit.de mit.
Russland – Anerkennung internationaler Urteile: Die russische Regierung soll künftig im Einzelfall entscheiden dürfen, ob sie internationale Urteile anerkennt. Dieser Reform hat das russische Parlament zugestimmt, um den Schutz nationaler Interessen zu ermöglichen. Das geplante Gesetz muss noch zwei parlamentarische Lesungen durchlaufen, berichtet focus.de.
Nordirland – Abtreibungsgesetz: Das nordirische Abtreibungsgesetz verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, urteilte der Oberste Gerichtshof Nordirlands. Das Gesetz erlaubt Abtreibungen nur dann, wenn die Schwangerschaft für die Mutter lebensbedrohlich ist – Ärzte, die dennoch die Schwangerschaft abbrechen, erwarten lebenslange Haftstrafen. Das Regionalparlament müsse über eine Reform der Regelungen entscheiden. Dies sei, laut taz (Ralf Sotschek), allerdings "ein heißes Eisen, das niemand anfassen will".
EU – Transparenzkontrolle: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Alexander Melzer befasst sich auf verfassungsblog.de ausführlich mit der Frage, wie es sich mit der Transparenzkontrolle im Trilogverfahren der EU verhält. Fazit sei, dass es einer Reform bedürfe, die Öffentlichkeit und Effektivität der Beratungen im europäischen Gesetzgebungsverfahren angemessen ausgleiche.
Sonstiges
Fischer zu Betrug: In seiner Kolumne auf zeit.de macht Thomas Fischer mit dem Straftatbestand des Betrugs vertraut. Er geht insbesondere auf die Tatbestandsmerkmale Täuschung und Irrtum ein und verweist auf definitionsbedingte Unsicherheiten.
Beschäftigung von Flüchtlingen: In einem Gastbeitrag für die FAZ erklären die Anwälte Burkard Göpfert und Ulrike Bischof, wie das Arbeitsrecht es ermöglicht, Flüchtlinge zu beschäftigen. Sie berücksichtigen dabei die unterschiedlichen asylrechtlichen Status der Flüchtlinge.
Grenzsicherung und Menschenrechte: "Totale Grenzsicherung und Menschenrechte passen nicht zusammen" erklärt der Soziologe Albert Scherr in einem Gastbeitrag für zeit.de. Er führt verschiedene Einwände an, die darlegten, dass eine "totale Kontrolle von Zuwanderung" "unter Achtung menschenrechtlicher Prinzipien und völkerrechtlicher Grundsätze" nicht machbar sei.
"Schwankender Westen": Die FAZ (Patrick Bahners) besuchte die Besprechung des neuen Buches, "Schwankender Westen", von Udo Di Fabio. Der ehemalige Verfassungsrichter konstatiert, die "sozialtechnische Steuerungsfähigkeit" des Rechts werde in allen Bereichen ("von der Familienpolitik bis zum Bildungswesen") überschätzt. Übertragen auf die Frage der Integration von Flüchtlingen sei es angeraten, "Flüchtlinge ins Boot (zu) holen" und die Anpassung auszuhandeln – statt etwa die schriftliche Erklärung einer Integrationspflicht zu verlangen.
Hausausweise der Lobbyisten: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) skizziert die Erkenntnisse aus der Lobbyliste und gibt einen Einblick in die Unternehmen und Organisationen, welche Zugang zum Bundestag haben. Die Bundestagsverwaltung hat die Liste der Lobbyisten mit Hausausweis Anfang dieser Woche veröffentlicht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Dezember 2015: NSA-Selektorenliste für G10-Kommission? / Bundeswehreinsatz gegen IS / Anklage gegen SS-Sanitäter . In: Legal Tribune Online, 02.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17727/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag