Jean-Claude Juncker hat einen Notfallplan zur Flüchtlingsverteilung in der EU. Außerdem in der Presseschau: Vorschläge und Kommentare zur Flüchtlingskrise, BVerfG verurteilt sich selbst und wie zweifelhafte Therapeuten Justizirrtümer produzieren.
Thema des Tages
Lösung der Flüchtlingskrise? Jean-Claude Juncker will am kommenden Mittwoch einen Gesetzentwurf mit konkreten Maßnahmen zur Lösung der Flüchtlingskrise vorschlagen. Flüchtlinge sollen demnach – als Ausnahme zum Dublin-System – entsprechend einem verbindlichen Quotenschlüssel auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, wenn eine Notlage im betreffenden EU-Staat das Funktionieren des Asylsystems beeinträchtigt. Bringt ein anderer EU-Staat "objektive, mit den Grundwerten der Union vereinbare Gründe" vor, so kann er bei dieser Umverteilung nicht berücksichtigt werden (Solidaritätsklausel). Zudem seien kurzfristige Maßnahmen geplant, etwa Flüchtlinge aus den EU-Grenzstaaten umzusiedeln. Es gelte als unsicher, dass die Mitgliedsstaaten dem Vorschlag Junckers zustimmen. Die Montags-FAZ (Helene Bubrowski) stellt den ihr vorliegenden Entwurf vor. Auch Montags-SZ (Thomas Kirchner) und FAS (Thomas Gutschker/Markus Wehner – faz.net-Zusammenfassung) berichten.
Rechtspolitik
Vorschläge zur Flüchtlingspolitik: Im Interview mit der FR (Arnd Festerling/Stephan Hebel) erklärt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), welche Maßnahmen seiner Ansicht nach geeignet sind, um die Flüchtlingskrise zu lösen und Fremdenfeindlichkeit zu reduzieren.
In einem Gastbeitrag stellt der österreichische Außenminister Sebastian Kurz im Focus seinen 5-Punkte-Plan zur Lösung der Flüchtlingskrise vor. Dabei sei es wichtig, in der EU eine gemeinsame Linie zu finden und auch die Ursachen der Flucht zu bekämpfen.
Der Spiegel (Martin U. Müller) setzt sich kritisch mit der EU-Richtlinie 2001/51/EG auseinander, welche es Flüchtlingen ohne vollständige Einreiseunterlagen unmöglich macht, per Flugzeug in die EU zu reisen, und wirft die Frage auf, ob diese nicht geändert werden müsste. Diese Regelungen sollten zwar auf Asylsuchende nach der Genfer Konvention nicht angewendet werden – in der Praxis funktioniere das aber nicht. Da Airlines sanktioniert werden, wenn sie Flüchtlinge mit unvollständigen Einreisedokumenten befördern, seien sie entsprechend strikt bei der Abweisung potentieller Fluggäste.
Meinungen zur Flüchtlingspolitik: Die Samstags-Welt (Andrea Seibel) spricht mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio über die derzeitige Flüchtlingskrise und die damit zusammenhängenden Spannungen in EU und Gesellschaft. Der Beitrag enthält auch auch persönliche Einblicke in das Leben der "Koryphäe".
Christian Bommarius (BerlZ) kritisiert, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) versuche das Asylrecht zu beschränken, indem er "auf Biegen und Brechen" die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten erhöhen will.
Die Änderung des Grundgesetzes zum Asylrecht ist "vorerst vom Tisch", nachdem unter anderem Sigmar Gabriel (SPD) das Vorbringen abgelehnt hat, konstatiert Christian Rath (taz.de). Die Reform hätte aber ohnehin nur dazu geführt, ein "symbolisches Konstrukt" zu normieren. Es sei zudem "doppelt bemerkenswert", dass SPD-Politiker sich nun gegen besagte Reform wehrten, nachdem die Partei 1993 maßgeblich daran beteiligt war, das Asylrecht von Flüchtlingen aus "sicheren Herkunftsstaaten" und "sicheren Drittstaaten" einzuschränken.
Die EU muss jetzt beweisen, "was die europäischen Grundrechte wirklich wert sind", betont Heribert Prantl (Montags-SZ). Es sei "Hochverrat" an den Werten der EU, wenn Polen und Ungarn sich weigern, Menschen, die sich in höchster Not befinden, wegen "falscher Religion" nicht aufzunehmen. Europa lebe von seinen Werten: "Wenn ihm diese Werte nichts mehr wert sind, ist Europa das Überleben nicht wert."
EU-Außenministertreffen: Kontroverse Debatten über die Quotenregelungen haben das EU-Außenministertreffen dominiert. Die Montags-FAZ (Helene Bubrowski/Karl-Peter Schwarz) fasst das Ergebnis des Treffens vom vergangenen Wochenende und die vertretenen Meinungen zusammen. Die EU sei hier "höchstens in Trippelschritten" fortgeschritten.
Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) führt verschiedene flüchtlingspolitische Positionen und Vorschläge der EU-Außenminister aus. Weitestgehend einig seien sich die Mitgliedsstaaten darüber, verstärkt gegen Schleuser vorzugehen.
Volksentscheid zu Gerichtsstrukturreform: Der Volksentscheid zur Gerichtsstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern ist gescheitert, weil sich lediglich 23,7 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten. Dies entspricht nicht den Hürden, welche die Landesverfassung an einen Volksentscheid stellt. 33,3 Prozent der Wahlberechtigten wären notwendig gewesen, um die Gerichtsstrukturreform rückgängig zu machen – Kritiker bewerteten dies als zu hoch. ndr.de informiert.
spiegel.de (Benjamin Schulz/Anna van Hove) beschreibt ausführlich die Kritik an der Gerichtsstrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern.
Legalisierung von Cannabis: Der Jugendrichter Andreas Müller schildert bild.de (Marcus Hellwig), warum er sich dafür ausspricht, Cannabis zu legalisieren.
Justiz
BVerfG zu überlanger Verfahrensdauer: Das Bundesverfassungsgericht hat einer Beschwerdeführerin eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen, weil das Gericht selbst eine Verfassungsbeschwerde nicht zeitig genug bearbeitet hatte. taz.de (Christian Rath) kennt den Fall und betont, nach geltender Rechtslage sei auch das BVerfG dazu gehalten, überlange Verfahren zu vermeiden.
BVerfG – EZB-Anleihenkauf: Die Partei des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke, die "Allianz für Fortschritt und Aufbruch", hat Verfassungsbeschwerde gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB eingereicht. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die EZB verstoße unter anderem gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung und überschreite damit ihr geldpolitisches Mandat, meldet die Samstags-FAZ (Joachim Jahn).
LG Dortmund – Kik: Im Schadensersatz-Verfahren gegen Kik vor dem Landgericht Dortmund hat das Textilunternehmen seine Klageerwiderung vorgelegt. Demnach müsse das Unternehmen nicht dafür haften, dass der Auftragnehmer vorgeschriebene Standards nicht einhalte, schreibt die Montags-Welt (Michael Gassmann). Der Prozess könnte zu einem Musterprozess für entsprechende Fälle werden – dies sei auch die Absicht des Kläger-Vertreters Wolfgang Kaleck. Mehrere Mitarbeiter eines Auftragnehmers von Kik waren 2012 bei dem Einsturz einer Fabrik in Pakistan gestorben.
netzpolitik.org: Die Montags-SZ (John Goetz/Hans Leyendecker) kennt Details der netzpolitik.org- Akte, welche nicht zur Darstellung der Bundesregierung und des Parlaments passen. So solle das Bundesjustizministerium dem ehemaligen Generalbundesanwalt Harald Range gedroht haben, wenn er das externe Gutachten nicht zurückziehe, werde er entlassen. Der Beitrag resümiert den Verlauf der Ermittlungen und befasst sich mit Rechtsprofessor Jan-Hendrik Dietrich, welcher als externer Gutachter engagiert wurde.
Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) teilt mit, dass das Bundesjustizministerium mit Harald Range abgesprochen haben soll, einen Gutachter einzusetzen, um festzustellen, ob die Seitenbetreiber mit ihren Berichten über den Verfassungsschutz Staatsgeheimnisse verraten haben. Dies widerspreche den Angaben des Ministeriums, welches ausgeführt hatte, Range frühzeitig Zweifel an den Ermittlungen entgegen gebracht zu haben.
Recht in der Welt
USA – Datensammlung durch NSA: Die Montags-FAZ (Patrick Bahners) zeichnet im Feuilleton den Verlauf des Rechtsstreits zwischen Rechtsanwalt Larry Klayman und der NSA nach. Klayman hatte rechtliche Schritte gegen den Nachrichtendienst eingeleitet, nachdem öffentlich wurde, dass dieser die Telefonverbindungsdaten aller Kunden des Telekommunikationsdienstes Verizon überwache. Der zuständige Richter Leon unterstütze den Kläger dabei, gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Regierungsbehörde verfassungswidrig handelt.
Ungarn – Asylrechtsreform: Am 15. September soll Ungarns Asylrechtsreform in Kraft treten. Die Montags-taz (Ralf Leonhard) bringt einen Überblick über die Regelungen, welche unter anderem eine Transitzone nahe der Grenze und neue Straftatbestände vorsehen.
Thailand – keine neue Verfassung: Der thailändische Reformrat hat den Entwurf für eine neue Verfassung abgelehnt. Damit wird die Militärregierung in Thailand vorerst bestehen bleiben. Verschiedene Politiker und Aktivisten monierten, der Entwurf verstoße gegen demokratische Prinzipien. Spekuliert werde zudem, dass die Militärregierung heimlich dafür geworben hatte, den Entwurf abzulehnen, um weiterhin an der Macht bleiben zu können. Die Montags-FAZ (Till Fähnders) resümiert die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten Thailands und gibt einen Ausblick auf den weiteren Verlauf. Auch die Montags-taz (Nicola Glass) berichtet.
Sonstiges
Rechtspsychologie: Der Rechtspsychologe Max Steller kritisiert in seinem Buch mit dem Titel "Nichts als die Wahrheit? Warum jeder unschuldig verurteilt werden kann.", dass immer wieder psychologische Gutachten zweifelhafter Therapeuten zu Justizirrtümern führen. Eine Rezension ist im Spiegel (Gisela Friedrichsen) zu lesen. Der Beitrag informiert zudem über die Arbeit des Autoren und zeigt anhand bekannter Fälle, inwieweit Urteile von der Zuverlässigkeit und Sorgfalt der Rechtspsychologen abhängen können.
BND – Datenweitergabe an CIA: Der BND soll deutsche Telekommunikationsdaten auch an den US-amerikanischen Geheimdienst CIA weitergegeben haben. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Behörde sich strafbar gemacht hat. So habe man darüber beraten, eine G-10-Anordnung zu fälschen, um Daten von Telekommunikationsunternehmen zu überwachen. Der Spiegel (Maik Baumgärtner/Martin Knobbe u.a. – spiegel.de-Zusammenfassung) beschreibt den Verlauf der "höchst fragwürdigen" Kooperation zwischen BND und CIA unter dem Namen "Glotaic".
Ältere Strafgefangene: Die Seniorenabteilung der JVA Detmold hat "Vorbildcharakter", schreibt der Focus (Noelani Waldenmaier), und informiert ausführlich über das Konzept und die Haftbedingungen, die sich an den altersbedingten Bedürfnissen der Häftlinge orientieren. Auch Inhaftierte beschreiben ihr Leben in der JVA.
Ehegatten-Splitting: Der Mercator Fellow Michael Wrase erklärt auf juwiss.de ausführlich, weshalb er das Ehegatten-Splitting nach § 32a Absatz 5 des Einkommensteuergesetzes für verfassungswidrig erachtet.
Sprachkritik am Wort "Asylant": Sprache vermag es zwar nicht direkt, Recht und Gesellschaft zu steuern, meint Jost-Müller Neuhof (Tsp). Er erklärt aber, warum es dennoch ratsam ist, auf das Wort "Asylant" zu verzichten – obwohl es sich schwierig darstelle, geeignete Synonyme zu finden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. bis 7. September 2015: Lösung der Flüchtlingskrise? – BVerfG verurteilt sich selbst – Datenweitergabe an CIA . In: Legal Tribune Online, 07.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16816/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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