Der EuGH billigt das OMT-Programm der EZB. Außerdem in der heutigen Presseschau: Urteil im Fall Tugce, Fischer zu strafrechtlicher Zurechnung, Gesetz für Syndikusanwälte und kommerzielle Webseiten haften für rechtsverletzende Kommentare.
Thema des Tages
EuGH zu OMT-Programm: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank nicht gegen Unionsrecht verstößt. Das Programm liege innerhalb des währungspolitischen Mandats der EZB und verstoße auch nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten. Unter Einhaltung bestimmter Bedingungen dürfe die EZB Staatsanleihen ankaufen. Aus diesem Grundsatzurteil ergibt sich auch, dass die EZB in ihren Entscheidungen nicht frei, sondern gerichtlicher Kontrolle unterworfen ist. Nun sei fraglich, wie das Bundesverfassungsgericht, welches den Fall zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, entscheiden wird. Die Karlsruher Richter hatten bisher angenommen, dass das OMT-Programm der EZB als wirtschaftspolitisch einzustufen sei und daher nicht in die Kompetenzen der EZB falle. Die SZ (Wolfgang Janisch) vermutet, das BVerfG werde die Entscheidung des EuGH akzeptieren – ebenso äußert sich der Professor für Öffentliches Recht Johannes Wieland auf lto.de. FAZ (Helene Bubrowski u.a.), Handelsblatt (Donata Riedel/Suanne Schier) und taz (Christian Rath) informieren ebenfalls über die Entscheidung und den zugrunde liegenden Fall.
Heribert Prantl (SZ) meint, der EuGH habe seine "Kraft des Rechts" in der Entscheidung "auf eine kluge Weise betont". Das Urteil zeige, die EZB sei "unabhängig, aber nicht ungebunden". "Es darf in einem Europa, das als Rechtsgemeinschaft gegründet worden ist, keinen Politiker, Präsidenten, keinen Großmanager und auch keine Institution geben, die außerhalb des Rechts steht." Christian Rath (taz) wertet das EuGH-Urteil als Teilerfolg für Karlsruhe. Denn, obwohl die Luxemburger Richter nicht der Meinung sind, die EZB habe ihre Kompetenz überschritten, stimmten sie dem BVerfG in folgenden drei Punkten zu: Die EZB kann rechtlich kontrolliert werden und das BVerfG kann diese Kontrolle auch durch Vorlagen an den EuGH ausüben. Auch den Karlsruher Maßstab akzeptierte der EuGH – Staatsfinanzierung durch die EZB ist verboten und dieses Verbot darf nicht umgangen werden. Philip Plickert (FAZ) hält es für "höchst bedauerlich", dass der EuGH der EZB einen "Freibrief für künftige massenhafte Anleihekäufe ausgestellt hat". Das Gericht habe das OMT-Programm zu einer "angeblich legitimen geldpolitischen Maßnahme umgedeutet" – dies könnten die Auflagen auch nicht ausgleichen. Wenn die EZB ihr Programm umsetzte, drohe die EU zu einer "Schulden-Haftungsunion" zu werden.
verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) befasst sich mit der Frage, wie das Bundesverfassungsgericht auf die Entscheidung reagieren wird und beschreibt zwei mögliche Szenarien.
Rechtspolitik
Gleichgeschlechtliche Ehe: Valérie V. Suhr und Dana-Sophia Valentiner setzen sich auf juwiss.de kritisch mit dem Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner auseinander. Der Entwurf der Bundesregierung bleibe "weit hinter dem rechtlich Möglichem und Gebotenem zurück, will er wirklich die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren vorantreiben". Es handele sich vorrangig um redaktionelle Änderungen. Suhr und Valentiner erklären insbesondere, weshalb eine Änderung von Artikel 6 des Grundgesetzes nicht notwendig sei, um die "Ehe" für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.
Reform des BND: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und weitere Abgeordnete haben ihren Reformvorschlag für den Bundesnachrichtendienst vorgestellt. Dessen Arbeit solle "vollständig demokratisch legitimiert werden". Unter anderem solle sich der BND an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz halten müssen und die parlamentarische Kontrolle ausgeweitet werden. SZ (Thorsten Denkler) und FAZ (Eckart Lohse) berichten. Die taz (Astrid Geisler) merkt an, der Opposition gingen die geplanten Regelungen nicht weit genug.
Erbschaftsteuer: Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer setzt sich dafür ein, den Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer zu ändern. Der Schwellenwert für Familienunternehmen, bei denen künftig eine Bedürfnisprüfung geplant ist, solle auf 60 Millionen Euro erhöht werden. Dies schreibt die FAZ (Manfred Schäfers).
Der CDU-Finanzpolitiker Christian von Stetten erklärte, der Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer werde nachgebessert. Die FAZ (Joachim Jahn) erläutert, welche geplanten Regelungen geändert werden sollen und sammelt Kritik und Bedenken bezüglich der Erbschaftsteuer-Reform. So befürchte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier beispielsweise ein weiteres Verfahren in Karlsruhe, sollten die Vorgaben des BVerfG "minimalinvasiv" umgesetzt werden.
Gesetz für Syndikusanwälte: Syndikusanwälte sollen auch weiterhin aus der gesetzlichen Rentenversicherung austreten können. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat das Bundeskabinett auf den Weg gebracht. Sie sollen sich künftig auch Rechtsanwalt nennen dürfen, müssen allerdings den Zusatz "Syndikusrechtsanwalt" führen. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
BGH zu TV-Einspeisegebühren: Kabelnetzbetreiber haben keinen Anspruch gegen öffentlich-rechtliche Sender, einen Einspeisevertrag fortzusetzen oder neu abzuschließen. Dies entschied der Bundesgerichtshof im Streit zwischen Kabel Deutschland und den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD, ZDF und Arte. Das Gericht wies allerdings die Grundsatzfrage an das Berufungsgericht zurück – dieses wird nun prüfen müssen, ob die Kündigung der Einspeiseverträge rechtmäßig war und welche Bedingungen für eine Pflichteinspeisung angemessen sind. Der Tagesspiegel (Ursula Knapp) berichtet.
LG Darmstadt zu Tugce: Das Landgericht Darmstadt hat Sanel M. wegen des Todes der Studentin Tugce zu einer dreijährigen Jugendstrafe verurteilt. Die Richter sprachen ihn der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. M. habe den Tod Tugces nicht beabsichtigt, so das Gericht. Die Verteidigung hatte eine bloße Körperverletzung angenommen und auf eine Bewährungsstrafe plädiert. Der Vorsitzende Richter Jens Aßling kritisierte die Vorverurteilung M.s durch Medien und Politiker. Unter anderem SZ (Josef Kelnberger) und FAZ (Timo Frasch) informieren.
Die taz (Christian Rath) erklärt anhand des Falls Tugce den Unterschied zwischen Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässiger Tötung, Totschlag und Mord und geht dabei auch auf die unterschiedlichen Strafmaße ein. Der Beitrag informiert zudem kurz darüber, wann Jugendstrafrecht gilt.
Julia Jüttner (spiegel.de) greift die Kritik des Vorsitzenden Richters an der politischen und medialen Vorverurteilung M.s auf. Sie wirft die Frage auf, wie M. nach diese Stigmatisierung resozialisiert werden soll.
VG Köln zu US-Drohneneinsatz im Jemen: Die Senior Research Fellow Paulina Starski beleuchtet auf verfassungsblog.de das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zum US-Drohneneinsatz im Jemen aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht. Insbesondere beantwortet sie die Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Leben gerechtfertigt wäre, würde Deutschland Drohnenangriffe fliegen. Gegen die Entscheidung des VG wurde Berufung eingelegt.
OLG München – Zschäpe: Bis zum heutigen Mittwoch kann Beate Zschäpe sich noch zur Stellungnahme ihrer Anwälte äußern, welche ihren Antrag auf Entpflichtung von Anja Sturm als unbegründet zurückwiesen. Laut Tagesspiegel (Frank Jansen) lasse Zschäpe sich derzeit von einem externen Anwalt aus Mannheim bei ihrer Stellungnahme helfen. Der Beitrag fasst zudem die Erkenntnisse des gestrigen Verhandlungstages zusammen. Die SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) gehen davon aus, dass Zschäpe mit ihrem Vorgehen den ungestörten Fortgang des Prozesses beeinträchtigen wolle. Im Laufe der Woche werde das Gericht über den Antrag entscheiden.
Der Tagesspiegel (Frank Jansen) bringt eine ausführliche Chronik zu den 210 Verhandlungstagen des NSU-Prozesses.
Recht in der Welt
EGMR zu Haftung für Kommentare auf Webseite: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass der kommerzielle Betreiber einer Webseite auf Schadensersatz haftet, wenn er rechtsverletzende Kommentare nicht schnell genug löscht. Im vorliegenden Fall war ein Fährunternehmer auf einem estnischen Nachrichtenportal beleidigt worden. Dies melden das Handelsblatt und spiegel.de.
EuG zu Lego-Figuren: Das Europäische Gericht hat die Form der Lego-Figuren zu einer geschützten Marke erklärt. Der britische Wettbewerber Best-Lock war gegen die Eintragung der Lego-Figuren als Gemeinschaftsmarke beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt mit dem Argument vorgegangen, die Figuren erzielten eine technische Wirkung und seien daher nicht schützenswert. Das EuG wies die Klage ab. Best-Lock plane, gegen die Entscheidung in Revision zu gehen, so die Welt (Carsten Dierig).
Südafrika – Omar al-Bashir: Der Präsident des Sudan Omar al-Bashir hat vergangenes Wochenende trotz richterlichen Ausreiseverbots Südafrika verlassen. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen vor. zeit.de (Andrea Böhm) erklärt, warum seine Flucht keine "Niederlage" des IStGH sei und befasst sich mit Kritik an dem Gericht. Südafrika hätte al-Bashir als Mitgliedsstaat des IStGH festnehmen und ausliefern müssen.
Ägypten – Todesstrafe für Mursi: Ein Gericht in Kairo hat die gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mursi verhängte Todesstrafe bestätigt. Das Urteil sei jedoch noch nicht rechtskräftig. Die taz (Karim el-Gawhary) erklärt, weshalb die Entscheidung umstritten ist – unter anderem werde kritisiert, sie sei nicht rechtsstaatlich zustande gekommen.
Hongkong – Wahlgesetz: Am heutigen Mittwoch wird das Parlament in Hongkong über die umstrittene Änderung des Gesetzes über den Wahlmodus des Regierungschefs abstimmen. Demnach solle in Hongkong der Regierungschef zwar direkt gewählt werden können, allerdings würden lediglich die Kandidaten zur Wahl gestellt, die Peking gutheiße. Die SZ (Kai Strittmatter) weist auf Kritik an diesem Entwurf hin ("Etikettenschwindel"): Mehr als Hunderttausend Bürger hatten sich vergangenen September an Demonstrationen gegen das Gesetz beteiligt.
Sonstiges
Fischer zu strafrechtlicher Zurechnung: Der Vorsitzende Richter des Bundesgerichtshofs Thomas Fischer erläutert in seiner Kolumne auf zeit.de - nach allgemeinen Ausführungen zu Zufall und Kausalität - anhand von fünf Beispielen die Prinzipien strafrechtlicher Zurechnung. Dabei erklärt er auch, inwieweit Vorsatz und Fahrlässigkeit hier relevant sind. Das Strafrecht, so Fischer, könne ohne "Kausalitätsbehauptungen" nicht funktionieren.
Verdeckte Ermittlung bei Radio FSK: Iris P. arbeitete von 2001 bis 2006 als verdeckte Ermittlerin in der links-autonomen Szene Hamburgs. Innensenator Michael Neumann und Polizeipräsident Ralf Meyer berichteten nun, sie habe in dem zur Aufklärung des Falls eingerichteten Arbeitskreis der Polizei ausführlicher als bisher ausgesagt. Die SZ (Thomas Hahn) teilt die neuen Erkenntnisse mit und erklärt, wieso P. bisher weitestgehend schwieg.
Ermittlungsbeauftragter für Geheimdienste: Bis zum morgigen Donnerstag soll die Bundesregierung darüber entscheiden, wem Einsicht in die Selektorenliste gewährt werden soll. Bisher plane sie einen Ermittlungsbeauftragten dafür einzusetzen. Die FAZ (Eckart Lohse) weist jetzt auch darauf hin, warum dieses Vorgehen rechtswidrig sein könnte und erklärt die rechtlichen Möglichkeiten der Opposition. Die Hilfskraft eines Untersuchungsausschusses dürfe nicht mehr Kompetenzen haben als dieser selbst. Einige Abgeordnete argumentierten, es handele sich hier um eine Person eigener Art ("sui generis").
Justizkritiker Norbert Blüm: Die Badische Zeitung (Christian Rath) schildert eine Diskussion zwischen dem ehemaligen CDU-Sozialminister Norbert Blüm und zwei Richtern, welche sich als Justizkritiker sehen, über Blüms Buch "Einspruch! Wider die Willkür an deutschen Gerichten". Kernfrage der Debatte war, ob Richter mehr oder weniger Unabhängigkeit benötigen.
Das Letzte zum Schluss
Unfall während des Urinierens: "Die Verrichtung der Notdurft erfolgt erfahrungsgemäß nicht während der Fortbewegung." Diese Aussage entstammt der Argumentation des Sozialgerichts Gelsenkirchen, welches sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 mit "besonderen Gefahrenmomenten" bei der Verrichtung der Notdurft beschäftigte. Ein Mann hatte sich aufgrund widriger Umstände während des Pinkelns im Freien einen Oberarmbruch zugezogen und eine Entschädigung von der gesetzlichen Unfallversicherung gefordert. justillon.de (Arnd Diringer) zitiert aus dem Urteil.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Juni 2015: EuGH zu OMT-Programm – Urteil im Fall Tugce – Fischer zu strafrechtlicher Zurechnung . In: Legal Tribune Online, 17.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15889/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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