Das BAG hat eine Höchstgrenze für Mehrfachbefristungen festgelegt. Außerdem in der Presseschau: Pläne der Bundesregierung zur 'intelligenten' Videoüberwachung und das Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission gegen Polen.
Thema des Tages
BAG zur Höchstgrenze für Mehrfachbefristungen nach Tarifverträgen: Rechtsanwältin Sabrina Fasholz erläutert auf lto.de die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 26. Oktober 2016, nach der ein Tarifvertrag die Höchstdauer einer sachgrundlosen Befristung und die Anzahl der Verlängerungsmöglichkeiten ausweiten kann, solange er sich dabei rechnerisch innerhalb des Dreifachen der gesetzlich vorgegebenen Zahlen bewegt. Damit haben die Erfurter Richter erstmals eine konkrete Höchstgrenze für die zulässige, in einem Tarifvertrag vorgesehene Dauer und Anzahl von Befristungen festgelegt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass durch Tarifvertrag zwar die Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer der Befristung abweichend von § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz festgelegt werden könnten. Diese Befugnis der Tarifvertragsparteien gelte aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen jedoch nicht schrankenlos. Der Gestaltungsrahmen der Tarifvertragsparteien ermögliche nur Regelungen, durch die die genannten Werte für die Höchstdauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags und die Anzahl der möglichen Vertragsverlängerungen um nicht mehr als das Dreifache überschritten werden.
Rechtspolitik
BND-Gesetz-Reform: Auf verfassungsblog.de befassen sich der Politologe Thorsten Wetzling und die Rechtsstudentin Sophia Simon mit der Reform des BND-Gesetzes, die am vergangenen Freitag vom Bundestag verabschiedet wurde. Sie kritisieren nicht nur den Inhalt, sondern auch das Gesetzgebungsverfahren. So seien für die erste Lesung, die direkt vor der Sommerpause stattgefunden habe, lediglich 45 Minuten für die Diskussion vorgesehen gewesen, bevor die Neuregelung dann bereits am 21. Oktober ohne Änderungen beschlossen worden sei. Mit dem Gesetz werde sich wohl das Bundesverfassungsgericht bald befassen. Die Autoren vermuten, dass dem Gesetzgeber von dieser Seite Nachbesserungsbedarf attestiert werde.
Hassbotschaften in sozialen Netzwerken: Der Hamburger Justizsenator Till Steffen fordert im Gespräch mit der taz (Christian Rath) pauschalisierte Entschädigungen beziehungsweise Bußgelder, wenn soziale Netzwerke wie Facebook gemeldete rechtswidrige Hasspostings nicht innerhalb von 24 Stunden löschten. Es reiche nicht, dass der Bundesjustizminister mit den sozialen Netzwerken Kaffee trinke, meint Steffen. Offensichtlich brauche Facebook finanziellen Druck, damit es seinen Aufgaben nachkomme.
Videoüberwachung: netzpolitik.org (Anna Biselli) berichtet über die Pläne der Bundesregierung zur so genannten intelligenten Videoüberwachung an öffentlichen Orten. Der Einsatz von Videotechnik, beispielsweise mit Gesichtserkennung, werfe zahlreiche rechtliche Fragen auf, beispielsweise die nach der Verhältnismäßigkeit eines automatischen Datenabgleichs. Die Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeige jedoch, dass sich die Regierung hier bisher nur wenig Gedanken machte. Laut SZ mahnt auch Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff eine gründliche Abwägung des berechtigten Interesses an einer Videoüberwachung mit den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen an.
Justiz
EGMR zur 'Stigmatisierung' der NPD: Wie SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de berichten, ist die NPD beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Beschwerde gegen die von ihr behauptete Stigmatisierung durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gescheitert. Die Partei ist der Auffassung, dass sie bereits vor dem Abschluss des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Parteiverbotsverfahrens faktisch als verfassungswidrig behandelt werde. Die Straßburger Richter begründeten die ablehnende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der NPD hinsichtlich der behaupteten Benachteiligung jeweils im Einzelnen der Klageweg vor den deutschen Gerichten offenstehe. Die Tatsache, dass solche Prozesse nicht in jedem Fall erfolgreich seien, hieße nicht, dass sie ineffektiv blieben, so das Gericht.
Christian Rath (taz) meint, dass das Verfahren selbst als Stimmungstest nicht taugte – der Gerichtshof habe keine Andeutungen gemacht, weder pro noch kontra Parteiverbot.
EuGH zur nationalen Kontrolle von Feuerwerkskörpern: Der Europäische Gerichtshof hat die zusätzlichen deutschen Sicherheitsvorkehrungen bei der Einfuhr von Feuerwerk, das in einem anderen Mitgliedstaat bereits mit dem CE-Kennzeichen versehen wurde, für unzulässig erklärt. Das CE-Kennzeichen ist eine europaweit gültige Zertifizierung, die von autorisierten Prüfstellen vergeben wird. Für Waren mit diesem Kennzeichen sei der freie Warenverkehr innerhalb der EU garantiert. In Deutschland wird Pyrotechnik zusätzlich durch das Bundesamt für Materialforschung und -prüfung kontrolliert. Die SZ (Wolfgang Janisch) erläutert die Hintergründe der Luxemburger Entscheidung. Im Tsp (Sonja Alvarez) werden die Konsequenzen des Urteils beleuchtet, außerdem weist die Autorin darauf hin, dass sich die Entscheidung auf eine zwischenzeitlich überholte Fassung der einschlägigen Richtlinie bezieht.
Elektronisches Anwaltspostfach: Auf ihre kleine Anfrage zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Antwort der Bundesregierung erhalten. Es ging unter anderem um Fragen zur Sicherheitsarchitektur des Anwaltspostfaches und die rechtlichen und technischen Grundlagen. lto.de (Pia Lorenz) berichtet, die Bundesregierung ziehe sich im Wesentlichen darauf zurück, dass es sich bei der Bereitstellung des Postfaches durch die BRAK um eine Angelegenheit der anwaltlichen Selbstverwaltung handelt und das Bundesjustizministerium über die Tätigkeiten der Bundesrechtsanwaltskammer nur die Rechtsaufsicht führt. Ergänzend wird in dem Artikel der aktuelle Sachstand insbesondere hinsichtlich der anhängigen Verfahren vor dem AGH Berlin dargestellt.
OLG München – NSU-Verfahren: taz (Konrad Litschko) , Tsp (Frank Jansen) und SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm) befassen sich mit dem psychologischen Gutachten, das Beate Zschäpe volle Schuldfähigkeit bescheinige. Der vom Gericht beauftragte Gutachter Henning Saß habe festgestellt, dass es keine Anzeichen einer krankhaften seelischen Störung oder einer Bewusstseinsstörung gebe. Saß sehe auch keinen "grundlegender Wandel in Haltungen und Überzeugungen". Vielmehr müsse, so das Gutachten, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei entsprechenden Möglichkeiten eine Fortführung ähnlicher Verhaltensweisen angestrebt werde.
AG Tiergarten zu Gina-Lisa Lohfink: Der Tsp (Jost Müller Neuhof) hat sich die schriftliche Begründung der Entscheidung im Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink wegen falscher Verdächtigung angeschaut. Das Gericht wirft Gina-Lisa Lohfink vor, "eindeutige Rachegefühle" zu hegen und deshalb zwei Männer zu Unrecht einer Vergewaltigung bezichtigt zu haben. Sie war deshalb im August zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 250 Euro verurteilt worden.
AG Duisburg zum Umgang mit Ebay-Baby: spiegel.de informiert über die familiengerichtliche Entscheidung des Amtsgerichtes Duisburg, das dem Vater, der seinen 40 Tage alten Säugling bei Ebay zum Verkauf angeboten hatte, den Umgang mit seinem Kind lediglich unter Aufsicht gestattet. Der Vater behauptet, die Anzeige auf der Internetplattform sei ein Scherz gewesen.
OLG München zur Entschädigung für Passivrauchen: Wie die taz meldet, hat das Oberlandesgericht München einem Häftling, der selbst Raucher ist, einen Schadensersatz wegen Passivrauchens versagt. Der Mann hatte u.a. vorgetragen, er sei mit anderen Rauchern untergebracht und darum der Gefahr des Passivrauchens ausgesetzt worden.
Recht in der Welt
Griechenland – Mediengesetz gescheitert: Das oberste griechische Verwaltungsgericht hat das neue Mediengesetz und die Versteigerung von Fernsehlizenzen für verfassungswidrig erklärt, berichtet die FAZ (Tobias Piller). Mit dem neuen Gesetz sollte der Staat durch eine geänderte Lizenzvergabe mehr Einfluss auf das griechische Fernsehen erhalten. Das Verfahren wurde von zahlreichen Intrigen begleitet. In dem Bericht heißt es, dass beispielsweise private E-Mails eines regierungskritischen Vizepräsidenten des Gerichts veröffentlicht wurden, mit denen das Verhältnis zu einer Richteramtskandidatin nachgewiesen werden sollte und Ermittlungen ausgelöst wurden.
Polen – Streit um Verfassungsgericht: Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło hat kurz vor Ablauf der Frist, die von der EU-Kommission im Rahmen des Rechtsstaatsverfahrens gesetzt Frist für eine Stellungnahme worden war, ihr Unverständnis zur Position der Kommission geäußert, teilt die FAZ (Konrad Schuller) mit. Szydło warf der Kommission vor, sie handle nicht aus sachlichen, sondern aus politischen Gründen. In der Auseinandersetzung geht es um neue Rechtsvorschriften, die nach Ansicht der Kommission die Arbeit des Verfassungsgerichtes deutlich erschweren. Gleichzeitig wurde aber auch ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der zumindest einige Argumente der EU-Kommission berücksichtigt.
Juristische Ausbildung
Zu wenige Asylanwälte: Die Zeit (Silke Hoock) konstatiert einen Mangel an spezialisierten Asyl- und Ausländerrechtsanwälten. Als Gründe werden die zu geringe materielle Attraktivität und die fehlende Ausbildung zu den konkreten Inhalten angeführt.
Das Letzte zum Schluss
Kleine Ursache ... große Wirkung: Ein spielender Junge hat laut lto.de einen Landwirt an den Rand des Ruins gebracht: Im Kampf gegen vermeintliche Außerirdische, die sich in der Realität jedoch als Futtermaisballen für Kühe entpuppten, stach der Knabe tapfer auf seine Feinde ein. In der Folgezeit verdarb die Mais-Silage durch die eintretende Luft und 30 Kühe erlitten durch das Futter tödliche Vergiftungen. In der ersten Instanz hatte das Landgericht Kempten die Schadenersatzklage des betroffenen Landwirts abgewiesen, weil dem Jungen die Folgen seines Handelns nicht bewusst gewesen seien. Anders das Oberlandesgericht München – ein Elfjähriger sei deliktsfähig und müsse für seine Handlungen die Verantwortung übernehmen. Im Ergebnis einigten sich der Landwirt und die Eltern des Jungen auf eine Zahlung von 50.000 Euro.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Oktober 2016: BAG zur Mehrfachbefristung / Videoüberwachung in Öffentlichkeit / Polen und sein Verfassungsgericht . In: Legal Tribune Online, 28.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21005/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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