Auf einer Pressekonferenz am Freitag haben zwei Initiatoren eine Verfassungsbeschwerde gegen das Ende September vom Bundestag beschlossene Bundeswahlrecht vorgestellt. Nach Ansicht der Kläger ist auch das neue Wahlgesetz in mehreren Punkten verfassungswidrig.
Ein Hauptkritikpunkt ist, dass das negative Stimmgewicht – der Mechanismus, der dazu führt, dass man einer Partei schaden kann, indem man sie wählt – weiter bestehen bleibe. "Das Wahlrecht ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie", sagt Michael Efler, Vorstandssprecher von "Mehr Demokratie e.V." Deshalb rüttele die schwarz-gelbe Koalition an diesem Grundpfeiler, wenn sie zunächst die vom Gericht gesetzte Frist verpasst und dann in letzter Minute einen Gesetzentwurf im Bundestag durchsetzt, der die alten Probleme zementiert, erklärte Efler.
Zwar sieht das neue Bundeswahlgesetz (BWG) eine andere Verteilung der Sitze im Bundestag vor. Ein negatives Stimmgewicht kann nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb nur bei einem unwahrscheinlichem Stimmverhalten der Wähler auftreten. Die Kläger aber kritisieren, dass nach wie vor Überhangmandate entstehen können. So erklärt Wilko Zicht, Initiator von Wahlrecht.de.: "Es ist bloß eine Frage der Zeit bis die Mehrheitsverhältnisse bei einer Bundestagswahl durch Überhangmandate in ihr Gegenteil verkehrt werden und wir möglicherweise in eine Staatskrise schlittern."
Paradoxes Wahlrecht
Als negatives Stimmgewicht wird eine Paradoxie des Wahlrechts bezeichnet, die bewirkt, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Mandaten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Gewinn an Mandaten führt. Zu diesem Effekt konnte es nach dem alten Wahlrecht bei der Verteilung der gewonnenen Mandate auf die verbundenen Landeslisten kommen, falls Überhangmandate mit im Spiel waren.
In einem Urteil aus dem Juli 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht das alte BWG deshalb in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 30. Juni 2011 eine Neuregelung zu treffen (Az. 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07). Diese Frist wurde zunächst nicht eingehalten und ein neues BWG erst am 29. September 2011 verabschiedet.
"Das neue Wahlrecht kann dazu führen, dass der Wählerwille in absurder Weise verfälscht wird", fasst Efler zusammen. Dies sei "eine Missachtung des Verfassungsgerichts und der Bevölkerung gleichermaßen." Nach Auffassung von Matthias Rossi, der die Kläger als Prozessbevollmächtigter vertritt verstoßen auch die vorgenommenen Änderungen "gegen die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze der Unmittelbarkeit und der Gleichheit und gegen rechtsstaatliche Prinzipien der Widerspruchsfreiheit und Normenklarheit."
asc/LTO-Redaktion
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Wahlrechts-Reform: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4562 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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