Vier Jahre lang hat eine unabhängige wissenschaftliche Kommission untersucht, wie das BMJV in den fünfziger und sechziger Jahren mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist. Die Ergebnisse seien "bedrückend", so Bundesjustizminister Maas.
Am Montag wurde der Abschlussbericht der unabhängigen wissenschaftlichen Kommission (UWK) zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit unter dem Titel "Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit" im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) vorgestellt. Das Projekt wurde 2012 von der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins Leben gerufen. Ein Team von Historikern und Juristen untersuchte bis jetzt unter der Leitung des Historikers Professor Manfred Görtemaker und des Juristen Professor Christoph Safferling den Umgang des Ministeriums mit der NS-Vergangenheit, die personellen und sachlichen Kontinuitäten, die Verfolgung von Verbrechen im Zusammenhang mit dem Holocaust sowie Fragen von Amnestie und Verjährung.
Der Bericht macht die hohe personelle Kontinuität zwischen der Nazi-Justiz und dem Justiz-ministerium der jungen Bundesrepublik deutlich. Mehr als die Hälfte aller Führungskräfte waren ehemalige NSDAP-Mitarbeiter, jeder fünfte war Mitglied der SA, viele stammten aus dem Reichsministerium. Der Bericht zeigt auch, zu welchen fatalen Folgen die Einstellung dieser Beamten führte: Die Strafverfolgung von NS-Tätern wurde hintertrieben, die Diskriminierung einstiger Opfer, wie etwa Homosexuelle oder Sinti und Roma, fortgesetzt und Gesetze, beispielsweise im Jugendstrafrecht, nur oberflächlich entnazifiziert.
Insgesamt wurden 258 Personalakten eingesehen, wobei sich die Auswertung auf die bis 1927 geborenen Mitarbeiter – rund 170 – konzentrierte, die bei Kriegsende 1945 mindestens 18 Jahre alt waren, ihre Schulzeit im nationalsozialistischen Deutschland absolviert hatten, in NS-Jugendorganisationen aktiv gewesen sein konnten und in der Regel beim Arbeitsdienst und bei der Wehrmacht gewesen waren. Das Hauptinteresse galt denjenigen Personen, die bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren waren. Sie hatten ihre juristische Ausbildung vor dem Krieg abgeschlossen und waren schon im Nationalsozialismus als Juristen tätig, bevor sie nach 1945 in die Landesjustiz- oder die alliierten Zonenverwaltungen und schließlich in das Bundesministerium der Justiz gelangten.
Personal bestand zu über 50 Prozent aus Ex-NSDAP-Mitgliedern
Im Durchschnitt lag die Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitglieder im Untersuchungszeitraum deutlich über 50 Prozent und in manchen Abteilungen des Ministeriums zeitweilig sogar über 70 Prozent. Viele führende Mitarbeiter waren dabei vor 1945 in den Ministerien des NS-Staates direkt an der Umsetzung des Führerwillens beteiligt gewesen. Andere hatten durch ihre Tätigkeit an Gerichten – unter anderem an den "Sondergerichten" des Dritten Reiches oder Gerichten in den "besetzten Gebieten" und in der Militärgerichtsbarkeit – die verbrecherischen Gesetze, die im früheren Reichsjustizministeriums vorbereitet und auf den Weg gebracht worden waren, angewandt und damit ebenfalls schwere persönliche Schuld auf sich geladen, so der Bericht.
Unter ihnen waren auch einige spektakuläre Fälle: Franz Maßfeller, vor 1945 im Reichsjustizministerium für Familien- und Rasserecht zuständig, Teilnehmer an den Folgebesprechungen zur Wannsee-Konferenz und Kommentator des Blutschutzgesetzes, war nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1960 Ministerialrat im damaligen BMJ und Referatsleiter im Familienrecht. Eduard Dreher, vor 1945 Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, Mitwirkender an zahlreichen Todesurteilen wegen Nichtigkeiten, war von 1951 bis 1969 im BMJ beschäftigt, zuletzt als Ministerialdirigent.
Ab 1959 entwarf die Bundesregierung sogar ein geheimes Kriegsrecht. Sonderausgaben des Bundesgesetzblattes mit Notverordnungen lagen in den Schubladen bereit, um im Kriegsfall verkündet zu werden. Vom Grundgesetz nicht gedeckt, hätten sie rechtsstaatliche Garantien ausgehebelt. Selbst eine Neuauflage der berüchtigten "Schutzhaft" war vorgesehen. Die Beamten des Bundesjustizministeriums zeigten dabei keine Skrupel, am geplanten Verfassungsbruch mitzuarbeiten.
2/2: Damalige BMJ-Chefs zur NS-Zeit selbst diskriminiert worden
Die Frage, weshalb insbesondere die beiden "Gründungsväter" des BMJ, Thomas Dehler und Walter Strauß, derart problematische Personen für ihr Ministerium auswählten und darauf verzichteten, gezielt Remigranten anzuwerben oder von vornherein nach unbelasteten Mitarbeitern zu suchen, sei laut Bericht nur schwer zu beantworten. Beide waren selbst gänzlich unbelastet: Dehler war mit einer Jüdin verheiratet, Strauß entstammte einem jüdischen Elternhaus. Beide waren im Dritten Reich Diskriminierungen ausgesetzt gewesen; Strauß hatte nur mit Mühe überlebt. Trotzdem scheuten sie sich nicht, NS-belastete Mitarbeiter einzustellen.
Ihre wichtigsten Auswahlkriterien waren fachliche Kompetenz und ministerielle Erfahrung. Von den 170 Personen, die für die Untersuchung näher betrachtet wurden, waren 155 Volljuristen, von denen 94 eine Examensnote von vollbefriedigend bis sehr gut nachweisen konnten. Über 60 Prozent der als Referatsleiter oder Abteilungs- beziehungsweise Unterabteilungsleiter im BMJ tätigen Volljuristen besaßen also ein Prädikatsexamen. Wenn man bedenkt, dass in der Regel nur etwa 15 Prozent der Examenskandidaten die Note "vollbefriedigend" oder besser erreichen, bedeutete dies – allein auf die Examensnote bezogen – eine bemerkenswerte Ansammlung von Spitzenjuristen.
Nimmt man die Promotion als Gradmesser für Qualität hinzu, wird dieses Bild weiter bestätigt. So fanden sich unter den 155 Volljuristen insgesamt 90 promovierte Mitarbeiter sowie zwei weitere, denen ein Doktortitel honoris causa verliehen wurde. Dies entspricht einer Promotionsquote von 58 Prozent.
Strafverfahren wegen NS-Verbrechen wurden gegen Mitarbeiter des Ministeriums dennoch nur in Ausnahmefällen eingeleitet. Zwar gab es insgesamt zehn Verfahren, in den meisten Fällen wurden diese, die in der Regel auf Strafanzeigen von Privatpersonen zurückgingen, rasch eingestellt. Nur in einem Fall – beim Referatsleiter Heinrich Ebersberg – hätte sich Ende der 1960er Jahre möglicherweise ein anderes Ergebnis ergeben. Hier half dann aber die Verjährung.
BMJV startet neues Fortbildungsprogramm
Bei einer Veranstaltung am Montag wurde über die Ergebnisse und Konsequenzen diskutiert, die das Ministerium und die Justiz aus dem Projekt ziehen sollten. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betonte in seiner Eingangsrede: "Die Akte Rosenburg ist bedrückend. Sie zeigt die großen Versäumnisse der Vergangenheit, und sie formuliert damit zugleich eine Verpflichtung für die Gegenwart."
Zu den Ursachen sagte Maas: "Weil sich viele Juristen als unpolitische Rechtstechniker verstanden, wurden sie in der NS-Zeit zu Mittätern des Unrechts. Später verhinderte falscher Korpsgeist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und ein Mangel an rechtsstaatlicher Haltung machte viele Juristen zu Bremsern der demokratischen Erneuerung."
"Es gibt kein Ende der Geschichte. Auch heute gibt es Gefahren für Humanität und Freiheit, denen Juristinnen und Juristen an ihrem jeweiligen Platz widerstehen müssen. Das Wissen um die Geschichte kann die Sinne dafür schärfen, wenn Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wieder in Frage gestellt werden. Um dieses Ethos weiter zu stärken, sollte das Unrecht, das deutsche Juristen angerichtet haben, Pflichtstoff der Juristenausbildung werden. Im Ministerium starten wir deshalb ein neues Fortbildungsprogramm", so Maas.
acr/LTO-Redaktion
Endergebnisse des Rosenburg-Projekts vorgestellt: Maas: "Es gibt kein Ende der Geschichte" . In: Legal Tribune Online, 10.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20818/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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