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"Deutliche Schwächen" bei neuen Corona-Regeln: Bun­des­ver­wal­tungs­richter kri­ti­siert Mas­kenpf­licht

01.09.2022

Braucht es Corona-Maßnahmen überhaupt noch? Nach Ansicht von BVerwG-Richter Robert Seegmüller sollte das diskutiert werden. Bild: picture alliance / Lukas Schulze

Im Interview mit der Welt stellt BVerwG-Richter Robert Seegmüller neue Corona-Regeln in Frage. Eine Maskenpflicht hält er im Falle einer Überlastung des Gesundheitssystems für verhältnismäßig, sonst für "verfassungsrechtlich zweifelhaft".

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Der Richter am Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Robert Seegmüller hat die verschärften Corona-Regeln für den Herbst und Winter in einem Interview mit der Welt kritisiert. Das neue Infektionsschutzgesetz (IfSG) weise an mehreren Stellen "deutliche Schwächen" auf, insbesondere sei die Maskenpflicht "verfassungsrechtlich zweifelhaft", sagte der 53-Jährige, der auch Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs ist. 

Die in der vergangenen Woche vom Kabinett gebilligten Pläne zum neuen IfSG sehen unter anderem eine bundesweite FFP2-Maskenpflicht in Flugzeugen und Fernzügen vor. Kinder zwischen 6 und 14 Jahren sowie Personal sollen auch medizinische Masken tragen können. In Kliniken und Pflegeheimen soll bundesweit Maskenpflicht gelten, dort soll man vor dem Zutritt auch einen negativen Corona-Test nachweisen müssen.

Die Länder sollen zudem vom 1. Oktober bis 7. April 2023 abgestuft nach Infektionslage weitere Vorgaben anordnen können. Dazu zählen Maskenpflichten in Bussen und Bahnen im Nahverkehr sowie in öffentlich zugänglichen Innenräumen. Eine zwingende Ausnahme von einer Maskenpflicht soll es geben, wenn man beim Besuch von Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen und in der Gastronomie einen negativen Test vorzeigt. Erlaubt werden können zudem Ausnahmen von der Maskenpflicht mit Nachweisen als vollständig geimpft und genesen. Die geplanten Regeln gehen auf ein Konzept von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) von Anfang August zurück. Seegmüller war Ende August als Sachverständiger in der Anhörung im Gesundheitsausschuss im Bundestag eingeladen.

Maskenpflicht erheblicher Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Laut Seegmüller bleibe unklar, welche Gefahr der Gesetzgeber mit der bundesweiten FFP2-Maskenpflicht im Luft- und öffentlichen Personenverkehr eigentlich abwehren wolle. So ergebe sich aus der Gesetzesbegründung nicht eindeutig, ob nur eine Belastung oder eine Überlastung des Gesundheitswesens verhindert werden soll. Dies sei für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme aber zentral.

Wenn es um die Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems ginge, wäre die Maskenpflicht "ohne weiteres" zu rechtfertigen - allerdings nehme die Wissenschaft eine solche drohende Überlastung nicht an. Wenn hingegen nur eine erhöhte Belastung des Gesundheitssystems verhindert werden solle, wäre eine Maskenpflicht "verfassungsrechtlich zweifelhaft", so Seegmüller im Welt-Interview. Zwar sei es ein legitimes Ziel, dass möglichst wenig Personen ärztlich behandelt werden müssen, doch sei "eine FFP2-Maskenpflicht für 82 Millionen Bürger ein erheblicher Eingriff in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht."

Die Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hält der Bundesverwaltungsrichter ebenfalls für problematisch. Allgemein regt er an, darüber zu diskutieren, ob es überhaupt noch Corona-Regeln brauche. 

Annäherung von Eil- und Hauptsacheverfahren?

Im Interview mit der Welt mahnte Seegmüller außerdem an, dass viele während der Pandemie von den Verwaltungsgerichten getroffene Eilentscheidungen aufgrund zwischenzeitlicher Erledigung keine Entscheidung in der Hauptsache erfahren hätten. Dass die Klagen nicht endgültig beschieden worden sind, sei ein Problem für den Rechtsstaat. 

Seegmüller zufolge könnte die Prüfung im Eilverfahren dem Hauptsacheverfahren stärker angenähert werden. "Gleich zu Beginn des Verfahrens sollte der Verordnungsgeber, etwa die Landesregierung, dem Gericht die Grundlage seiner Gefahrenprognose innerhalb kurzer Zeit mitteilen. Darin stünde dann zum Beispiel, wie hoch die Bettenauslastung ist, oder die Zahl der Neuinfektionen", so Seegmüller gegenüber der Welt. Die Verwaltungsgerichte könnten auf dieser Grundlage dann prüfen, ob die dort angeführten Argumente aus Begründung für die Corona-Maßnahmen ausreichen. Seiner Ansicht nach sollte auch diskutiert werden, ob es überhaupt noch Maßnahmen brauche. "Denkbar wäre es etwa, die Ermächtigungen zu Corona-Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz Ende September einfach ohne Nachfolgeregelung auslaufen zu lassen", so Seegmüller. 

acr/fz/LTO-Redaktion

* Version vom 1.9.22, 19:30 Uhr

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"Deutliche Schwächen" bei neuen Corona-Regeln: Bundesverwaltungsrichter kritisiert Maskenpflicht . In: Legal Tribune Online, 01.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49506/ (abgerufen am: 30.05.2023 )

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