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Lübcke-Prozess: Ste­phan E. will sich von einem Ver­tei­diger trennen

27.07.2020

Die Verteidiger des Angeklagten Stephan Ernst Mustafa Kaplan (l.) und Frank Hannig (r.) im Gerichtssaal.

(c) picture alliance/dpa/dpa-Pool/Boris Roessler

Im Lübcke-Prozess ist zwischen den Verteidigern von Stephan E. ein Konflikt ausgebrochen. Noch am Montag könnte das Gericht über die Abberufung des Pflichtverteidigers entscheiden. Das Vertrauensverhältnis sei zerstört, gab E. an.

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Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan E., hat am Montag die Entpflichtung seines Anwalts Frank Hannig beantragt. Das Vertrauen zu dem Pflichtverteidiger sei "auf Dauer zerstört", begründete Mustafa Kaplan, der zweite Anwalt des Angeklagten, am Montag im Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) seinen Antrag. Anlass für den Konflikt, der auch eine Auseinandersetzung der Verteidiger ist, waren mehrere Beweisanträge, die Hannig am Morgen zu Verhandlungsbeginn eingebracht hatte.

Darin wollte Hannig die Vernehmung weiterer Zeugen erreichen, die womöglich ebenfalls am Tatort waren. Auch einen Einbruch im Kasseler Regierungspräsidium, bei dem Akten verschwunden seien, wollte er untersuchen lassen und deutete als Begründung einen möglichen Zusammenhang mit den Windkraftfirmen der Lübcke-Söhne an. 

E. soll im Juni 2019 Lübcke auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen haben. In einem später widerrufenen Geständnis hatte er sich als Alleintäter bezeichnet, in einer zweiten Tatversion nannte er den gewaltsamen Tod des CDU-Politikers einen Unfall. Der Schuss habe sich versehentlich gelöst, als der wegen Beihilfe angeklagte Markus H. die Waffe gehalten habe. Die beiden Männer hätten Lübcke nur einschüchtern wollen. Die Anklage geht von einer rechtsextremistisch motivierten Tat aus. Lübcke war seit dem Jahr 2015 wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge wiederholt bedroht worden. 

Vorsitzender Richter hat Zweifel an wirksamer Verteidigung des Angeklagten

"Ich bin einigermaßen sprachlos", reagierte der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel. Er erkundigte sich, ob Hannig diese Anträge mit seinem Mandanten abgesprochen habe. Als das verneint wurde, ging Sagebiel hart mit dem Anwalt ins Gericht. "Gequirlter Unsinn" sei das, was er da gerade gehört habe, sagte er empört. "Wenn ich solche Anträge bekomme, muss ich mir Gedanken machen, ob der Angeklagte eine wirksame Verteidigung hat."

Scharf reagierte auch Kaplan, mit dem Hannigs Beweisanträge ebenfalls nicht abgesprochen waren: "Mein Mandant hat kein Interesse daran, dass der Getötete und seine Familie derart mit Dreck beworfen werden." Damit habe Hannig seinem Mandanten "schon jetzt geschadet".

Nach einer kurzen Pause zog Hannig seine Anträge zwar zurück, doch damit war der Konflikt nicht ausgestanden. Stephan E. wolle die Entpflichtung seines bisherigen Pflichtverteidigers beantragen, weil er mit dessen Verteidigungsstrategie "überhaupt nicht einverstanden sei", sagte Kaplan.

Hannig wiederum sah keinen Grund für eine Abberufung. "Verschiedene Strategien führen zu verschiedenen Herangehensweisen", sagte er. Sagebiel wollte ganz sicher gehen, dass diesmal wirklich der Wille des Angeklagten in den Anträgen zum Ausdruck kam. "Ist das Ihr Antrag, Herr E.?" bohrte er nach - und E. nickte nachdrücklich.

Vertreter der Bundesanwaltschaft sieht wichtigen Grund für Verteidigerwechsel

"Vorsorglich" schlug der Vorsitzende Richter Sagebiel Kaplan vor, schon einmal mit einem zweiten Anwalt über die Hinzuziehung zu dem Verfahren zu reden. Eine Gerichtssprecherin sagte, es werde keine Mitteilung außerhalb der Hauptverhandlung geben, falls der Senat am Montag eine Entscheidung treffe. Das Verfahren wird am Dienstag fortgesetzt. Dann ist die Zeugenvernehmung eines der Söhne Lübckes vorgesehen, die zusammen mit ihrer Mutter als Nebenkläger an dem Verfahren teilnehmen.  

Die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers sei nur "unter ganz besonderen Umständen" möglich, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft zu dem Antrag. Angesichts der eindeutigen Haltung des Angeklagten sehe er aber einen "derart wichtigen Grund" als gegeben an.

In bestimmten Fällen können sich Angeklagte von ihrem Pflichtverteidiger trennen - etwa, indem sie im frühen Stadium eines Verfahrens einen anderen Verteidiger benennen, der zeitnah seine Arbeit aufnehmen kann und will sowie das Gericht dem Wechsel zustimmt. Je länger ein Verfahren läuft, desto schwieriger wird ein Verteidigerwechsel, erläuterte Dirk Lammer, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht beim Deutschen Anwaltverein. "Problematisch wird es immer dann, wenn ein Verfahren schon eine Weile läuft und die Beauftragung eines neue Pflichtverteidigers in der Konsequenz bedeuten könnte, dass das Verfahren neu angefangen werden muss. Gerichte legen ganz, ganz hohe Maßstäbe an, weil die Furcht da ist, dass Verfahren platzen."

Gibt es zwei Pflichtverteidiger, könnte das Gericht überlegen, großzügiger über die Entpflichtung zu entscheiden und darüber nachdenken, "ob man zur Sicherung des Verfahrens einen neuen Pflichtverteidiger beiordnet, der sich dann langsam einarbeitet, während der erste Verteidiger den Fall weiterbearbeitet", erklärt Lammer weiter.

dpa/ast/LTO-Redaktion

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Lübcke-Prozess: Stephan E. will sich von einem Verteidiger trennen . In: Legal Tribune Online, 27.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42322/ (abgerufen am: 10.06.2023 )

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