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21454

Gruppenbildung während einer Versammlung: Iden­ti­täts­fest­stel­lung auch ohne kon­kreten Ver­dacht mög­lich

14.12.2016

Polizeieinsatz (Symbolbild)

© Daniel Etzold - Fotolia.com

Werden bei einer Demonstration aus einer aggressiven Gruppe heraus von einigen Teilnehmern Straftaten begangen, so kann zu deren Verfolgung die Identität jedes Gruppenmitglieds festgestellt werden. So entschied nun das BVerfG.

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Werden aus einer Versammlung heraus Straftaten begangen, so sind repressive Maßnahmen grundsätzlich nur auf Grundlage einer hinreichenden Verdachtslage gegen konkrete Teilnehmer zu richten. Anders liegt der Fall, wenn die Taten aus einer bestimmten Gruppe heraus begangen werden, die Teil der Versammlung ist und deren Auftreten einen Verdacht auch gegen einzelne Teilnehmer begründet. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem nun veröffentlichten Beschluss (Beschl. v. 02.11.2016, Az.: 1 BvR 289/15).

Hintergrund war die Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der im Juni 2013 an einer Demonstration zum Thema "Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika" in Frankfurt am Main teilgenommen hatte. Einige Versammlungsteilnehmer traten dort vermummt auf und nach Beginn schloss sich ein Teil zu einer U-Formation zusammen, die mit Hilfe von mitgebrachten Seilen, Holzstangen, Schutzschilden, zusammengeknoteten Transparenten und Regenschirmen nach außen abschirmt wurde.

Später wurde aus dieser Gruppe heraus Pyrotechnik gezündet sowie mit Farbe gefüllte Flaschen und Beutel auf Einsatzkräfte geworfen. Die Gruppe von fast 1000 Teilnehmern wurde daraufhin durch die Polizei vom restlichen Teil der Versammlung abgetrennt und eingekesselt. Die Teilnehmer wurden dann durch videoüberwachte Durchlassstellen nach Feststellung der Identität, Durchsuchung der mitgeführten Sachen und erkennungsdienstlicher Behandlung entlassen. Ein später eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wurde nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

Nur geringe Zahl friedlicher Teilnehmer betroffen

Vor dem BVerfG rügte er im Wesentlichen eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Sein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen war vor den Fachgerichten erfolglos geblieben.

Die Beschwerde wurde mangels Aussicht auf Erfolg von der Senatskammer des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Hinsichtlich der Versammlungsfreiheit führten die Richter aus, ihr Schutz müsse jedem anderen Teilnehmer erhalten bleiben, auch wenn Einzelne Straftaten begingen. Dies gelte, solange die Veranstaltung insgesamt keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehme. Auch habe sich der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Instanzgerichte selbst nicht rechtswidrig verhalten. Gleichwohl sei sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit durch die Einkesselung und Identitätsfeststellung nicht verletzt. 

Die Teilnehmer des betroffenen Demonstrationsteils hätten ein "planvoll-systematisches Zusammenwirken mit einer Vielzahl von Gewalttätern" gezeigt, so dass die Einsatzkräfte davon ausgehen durften, dass Gewalttäter in ihren Entschlüssen und Taten gefördert und bestärkt würden und nur eine sehr geringe Zahl friedlicher Versammlungsteilnehmer durch die Einkesselung vom Rest der Versammlung ausgeschlossen und festgehalten werde.

Richterliche Entscheidung nicht notwendig

Auch das Festhalten der Teilnehmer im Polizeikessel begegne keinen Bedenken, so die Kammer. Insbesondere habe die Polizei 15 Durchlassstellen eingerichtet, welche die Feststellung der Identität von drei Personen pro Minute noch vor Ort ermöglichten. Dass es zu Verzögerungen gekommen sei, hätten einige Teilnehmer durch körperlichen Widerstand selbst verschuldet.

Die vom Beschwerdeführer im Übrigen gerügte Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 2 GG durch den Verzicht auf die Einholung einer richterlichen Entscheidung sah die Kammer ebenfalls als nicht gegeben an. Im Falle einer nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist danach die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

Die Polizei habe hier aber zulässigerweise davon abgesehen, da deren Einholung vermutlich längere Zeit in Anspruch genommen hätte, als der Vorgang selbst.

mam/LTO-Redaktion

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Gruppenbildung während einer Versammlung: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21454 (abgerufen am: 13.06.2025 )

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